
Der Entzug der Zulassung für internationale Studierende und massive Finanzkürzungen für Harvard sind mehr als nur eine Attacke auf eine einzelne Institution. Sie offenbaren eine tiefgreifende Auseinandersetzung um die akademische Freiheit, politische Einflussnahme und die Zukunft der US-Wissenschaftslandschaft, in der Studierende und das globale Ansehen Amerikas zu Kollateralschäden zu werden drohen.
Der Konflikt zwischen der Trump-Regierung und der Harvard-Universität hat eine neue, dramatische Eskalationsstufe erreicht. Mit der Ankündigung, der Eliteuniversität die Erlaubnis zum Immatrikulieren internationaler Studierender zu entziehen und bereits eingeschriebene ausländische Akademiker zum Wechsel oder zum Verlassen des Landes zu zwingen, greift Washington tief in die Autonomie und das Selbstverständnis einer der weltweit führenden Bildungseinrichtungen ein. Flankiert wird dieser Schritt von erheblichen Kürzungen bereits zugesagter Bundesmittel in Milliardenhöhe, die die Forschung und Lehre der Universität empfindlich treffen. Die Begründungen aus dem Heimatschutzministerium unter Kristi Noem und anderen Regierungsstellen malen das Bild einer Institution, die ihren fundamentalen Pflichten nicht nachkomme. Harvard hingegen sieht sich einer politisch motivierten Vergeltungsaktion ausgesetzt und kämpft juristisch um seine Unabhängigkeit und seine internationale Gemeinschaft.
Anschuldigungen als Hebel: Antisemitismus, China-Nähe und ein „unsicherer Campus“
Die offizielle Lesart der Regierung bemüht eine Reihe gravierender Anschuldigungen. Harvard, so der Tenor aus Washington, habe es versäumt, jüdische Studierende vor antisemitischen Anfeindungen und einem feindseligen Klima zu schützen, das durch pro-palästinensische Proteste und angebliche „antiamerikanische, pro-terroristische Agitatoren“ entstanden sei. Die Duldung solcher Umtriebe und eine generelle Weigerung, ein sicheres Umfeld zu schaffen, seien zentrale Versäumnisse. Darüber hinaus wird der Universität ohne Vorlage konkreter Beweise eine Kooperation mit der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt, eine Behauptung, die in Zeiten geopolitischer Spannungen besonders brisant wirkt. Auch Harvards Gleichstellungsrichtlinien und eine generelle linksextreme Ausrichtung, wie von Präsident Trump selbst postuliert, dienen als argumentative Stützpfeiler für das harte Durchgreifen.
Harvard und viele externe Beobachter sowie Kritiker der Regierung sehen in diesen Vorwürfen jedoch weniger stichhaltige Anklagepunkte als vielmehr einen Vorwand, um eine politisch unliebsame Institution unter Druck zu setzen. Die Universität weist die Anschuldigungen entschieden zurück und betont ihre Anstrengungen, ein inklusives und sicheres Umfeld für alle Studierenden zu gewährleisten, während sie gleichzeitig die Meinungsfreiheit schützt. Die Maßnahmen Washingtons werden als „rechtswidrig“ und als „Vergeltungsmaßnahme“ für Harvards Widerstand gegen frühere Einmischungsversuche der Regierung interpretiert. Es stehe nicht weniger auf dem Spiel als die akademische Freiheit und die Fähigkeit der Universität, ihre Forschungs- und Lehraufgaben unabhängig von politischer Einflussnahme zu erfüllen. Harvard hat deshalb Klage gegen die Regierung eingereicht, um sich gegen die Entziehung der Bundesmittel und die Beeinträchtigung seiner internationalen Programme zu wehren. Die Universität argumentiert, dass die Regierung ihre Befugnisse überschreite und versuche, in unzulässiger Weise Kontrolle über akademische Entscheidungen zu erlangen.
Internationale Studierende im Fadenkreuz: Zwischen Zukunftsangst und Identitätsverlust
Die unmittelbaren Leidtragenden dieser Auseinandersetzung sind die rund 6.800 internationalen Studierenden Harvards, die über ein Viertel der gesamten Studentenschaft ausmachen. Für sie bedeutet die Ankündigung der Regierung eine existenzielle Bedrohung: Sie müssten die Universität wechseln oder ihr Aufenthaltsrecht in den USA verlieren, was ihre akademischen Laufbahnen und Lebensplanungen abrupt zunichtemachen könnte. Die Verunsicherung und Zukunftsangst sind immens, wie Berichte aus der Studierendenschaft zeigen. Selbst frisch Graduierte fürchten um die Gültigkeit ihrer Abschlüsse und die Möglichkeit, geplante Postgraduierten-Jobs in den USA anzutreten, die oft an eine fortgesetzte Visa-Sponserung durch Harvard gekoppelt sind.

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Harvard hat zugesichert, betroffenen Studierenden schnell Unterstützung und Beratung zukommen zu lassen und alles daranzusetzen, die Fähigkeit der Universität zu erhalten, internationale Talente aufzunehmen. Doch die Maßnahmen treffen die Universität nicht nur finanziell durch den möglichen Wegfall von Studiengebühren, die von internationalen Studierenden oft in voller Höhe entrichtet werden. Sie bedrohen auch die kulturelle Vielfalt und die intellektuelle Vitalität des Campuslebens, die maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft geprägt werden. Bestimmte Graduiertenprogramme, etwa an der Kennedy School of Government oder der School of Public Health, weisen einen besonders hohen Anteil ausländischer Studierender auf und stünden vor massiven Einschnitten oder gar dem Kollaps. Auch Sportteams wären teilweise existenziell betroffen. Eine Professorin formulierte es drastisch: Es würde die Universität, wie man sie kenne, zerstören.
Finanzielle Daumenschrauben und das Warnsignal an Amerikas Hochschulen
Die finanziellen Sanktionen sind ein weiterer zentraler Hebel der Regierung. Harvard wurden bereits Bundesmittel für Forschung in Milliardenhöhe gestrichen oder eingefroren. Diese Gelder sind, auch für eine reiche Universität wie Harvard, nicht ohne Weiteres zu ersetzen und betreffen oft langjährige Forschungsprojekte, beispielsweise in der Medizin oder den Naturwissenschaften. Zwar verfügt Harvard über ein Stiftungsvermögen von über 50 Milliarden Dollar, doch ein Großteil dieser Mittel ist zweckgebunden und kann nicht flexibel zur Kompensation ausfallender Forschungsgelder eingesetzt werden. Dennoch versucht Harvard, die Lücken zu schließen, unter anderem durch die verstärkte Aufnahme von Mitteln am Kapitalmarkt, wo es dank exzellenter Bonität günstige Konditionen erhält. Als symbolischen Akt kündigte Universitätspräsident Alan Garber zudem an, auf ein Viertel seines Gehalts zu verzichten.
Das Vorgehen gegen Harvard dient der Trump-Regierung explizit als Warnung an alle anderen Hochschulen des Landes. Heimatschutzministerin Noem betonte, es sei „ein Privileg, kein Recht“, internationale Studierende aufzunehmen und von deren höheren Studiengebühren zu profitieren. Diese Drohkulisse könnte insbesondere weniger vermögende private und öffentliche Universitäten, die stärker auf Studiengebühren internationaler Studierender oder staatliche Zuschüsse wie Pell Grants angewiesen sind, zur Anpassung an die politische Linie Washingtons zwingen. Experten befürchten, dass viele Institutionen zwar ihren Betrieb nicht einstellen, aber Forschung herunterfahren und Personal entlassen müssten, sollten sie ins Visier der Regierung geraten oder sich deren Forderungen widersetzen. Die Regierung könnte unliebsamen Hochschulen auch die für viele bedürftige Studierende essenziellen Pell Grants verwehren und ihnen so die finanzielle Basis entziehen, auch wenn die Legalität und politische Durchsetzbarkeit eines solchen Schritts fraglich sind.
Ein Feldzug mit System: Der Kampf um die Deutungshoheit an Amerikas Universitäten
Das harte Durchgreifen gegen Harvard erscheint nicht als isolierter Akt, sondern fügt sich in eine umfassendere Strategie der Trump-Regierung ein, die auf eine politische Neuausrichtung der amerikanischen Hochschullandschaft zielt. Insbesondere Eliteuniversitäten mit ihrem traditionell eher liberalen bis linksliberalen Selbstverständnis und ihren Diversitäts- und Gleichstellungsprogrammen sind der Regierung ein Dorn im Auge. Die Regierung fordert von den Hochschulleitungen unter anderem, ausländische Studierende bei Verstößen gegen Verhaltensregeln den Bundesbehörden zu melden und Diversitätskriterien bei Zulassung und Personalentscheidungen abzuschaffen.
Harvard hatte sich solchen Forderungen widersetzt und die Herausgabe detaillierter Informationen über internationale Studierende, die unter anderem deren Protestbeteiligungen oder mögliche Visa-Verstöße umfassen sollten, als rechtswidrig und als Bedrohung für die Studierenden abgelehnt. Die Regierung wirft Harvard vor, dieser Aufforderung nicht nachgekommen zu sein und begründet damit nun den Entzug der SEVP-Zertifizierung. Dieses Zertifikat, verwaltet durch das Student and Exchange Visitor Program (SEVP) des Heimatschutzministeriums, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass US-Hochschulen überhaupt internationale Studierende aufnehmen und über das SEVIS-System verwalten dürfen. Ohne diese Zertifizierung können die Studierenden keine gültigen Visa erhalten bzw. behalten. Die Administration nutzt diesen bürokratischen Hebel nun als scharfes Schwert. Rechtsexperten äußern erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens und sehen gute Chancen für Harvard, vor Gericht erfolgreich gegen die Maßnahmen vorzugehen. Es wird argumentiert, dass die Handlungen der Regierung willkürlich seien, gegen das Erste Amendment (First Amendment) verstoßen könnten, da sie als Vergeltung für geschützte Meinungsäußerungen interpretiert werden, und etablierte rechtsstaatliche Verfahren missachteten. Bereits in anderen Kontexten gab es gerichtliche Verfügungen, die die Regierung daran hinderten, den legalen Status internationaler Studierender pauschal aufzuheben. Die Komplexität der Situation wird durch mindestens acht laufende Untersuchungen verschiedener Bundesbehörden gegen Harvard weiter erhöht.
Die Auseinandersetzung zwischen der Trump-Regierung und Harvard ist weit mehr als ein isolierter Konflikt. Sie ist Symptom und zugleich Katalysator für tiefgreifende gesellschaftliche und politische Verwerfungen in den USA. Debatten über Meinungsfreiheit an Universitäten, den angemessenen Umgang mit dem Nahostkonflikt auf dem Campus, die Rolle und Verantwortung von Eliteinstitutionen sowie die zunehmende politische Polarisierung finden hier ihren zugespitzten Ausdruck. Die Maßnahmen drohen nicht nur der Reputation Harvards, sondern dem gesamten US-Hochschulsystem nachhaltigen Schaden zuzufügen. Amerikas Position als weltweit führender Standort für Bildung und Forschung, ein Pfeiler seiner „Soft Power“, steht auf dem Spiel, wenn internationale Talente abgeschreckt werden und das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Stabilität des Systems erodiert. Der Ausgang dieses Kräftemessens wird zeigen, wie widerstandsfähig die akademische Freiheit in den USA gegenüber politischem Druck tatsächlich ist – und zu welchem Preis.