Harvard unter Belagerung: Wie Trumps Feldzug gegen eine Universität die amerikanische Demokratie auf die Probe stellt

Illustration: KI-generiert

Ein beispielloser Machtkampf erschüttert die amerikanische Hochschullandschaft. Im Zentrum steht die Harvard University, die älteste und reichste Universität der USA, die sich einem konzertierten Angriff der Trump-Administration gegenübersieht. Was vordergründig als administrative Auseinandersetzung um die Zulassung internationaler Studierender begann, hat sich zu einem fundamentalen Kulturkampf entwickelt – einer Auseinandersetzung um die Grenzen exekutiver Macht, die akademische Freiheit und die Seele der amerikanischen Bildungselite. Der Fall Harvard ist mehr als nur ein isolierter Konflikt; er ist ein Testfall, eine Blaupause, die das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft in den Vereinigten Staaten neu definieren könnte. Die Regierung nutzt den gesamten Instrumentenkasten des Staates, um eine der prestigeträchtigsten Institutionen der Welt auf Linie zu bringen, und legt damit die tiefen ideologischen Gräben einer gespaltenen Nation offen.

Die Eskalation: Vom Entzug der Visa-Zertifizierung zur finanziellen Strangulierung

Die Offensive der Trump-Administration gegen Harvard war ebenso systematisch wie vielschichtig. Sie begann mit einer Maßnahme, die das Herzstück der internationalen Ausrichtung der Universität traf: Im Mai 2025 kündigte das von Kristi Noem geführte Ministerium für Innere Sicherheit (DHS) an, Harvard die Zertifizierung im Rahmen des „Student and Exchange Visitor Program“ (SEVP) zu entziehen. Dieser Schritt hätte es der Universität unmöglich gemacht, ausländische Studierende aufzunehmen, die rund ein Viertel der gesamten Studentenschaft ausmachen. Für die rund 7.000 betroffenen Studierenden und Wissenschaftler hätte dies bedeutet, das Land verlassen zu müssen, sollten sie keine andere zertifizierte Einrichtung finden. Die Begründung der Regierung wirkte zunächst technokratisch: Harvard sei der Aufforderung zur Herausgabe von Informationen über angebliches Fehlverhalten internationaler Studierender nicht nachgekommen – ein Vorwurf, den die Universität vehement bestritt.

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Doch es blieb nicht bei dieser Drohung. Als Harvard umgehend klagte und vor Gericht erste Erfolge erzielte, griff die Administration zu immer drastischeren Mitteln. Präsident Trump erließ persönlich eine Proklamation, die neuen internationalen Studierenden die Einreise zum Studium in Harvard unter Berufung auf die nationale Sicherheit untersagte. Gleichzeitig wurde der finanzielle Druck massiv erhöht. Die Regierung fror schrittweise Bundesmittel für Forschungsprojekte in Milliardenhöhe ein – die Summen reichten von 2,2 Milliarden bis zu angedrohten 3 Milliarden Dollar. Verträge wurden gekündigt und Harvard wurde sogar nahegelegt, sich gar nicht erst für neue Fördergelder zu bewerben. Als ultimative Drohung brachte Trump zudem öffentlich die Idee ins Spiel, der Universität ihren steuerbefreiten Status zu entziehen – ein finanziell ruinöser Schritt für die Stiftung der reichsten Universität des Landes. Harvard reagierte mit unnachgiebigem Widerstand, reichte weitere Klagen ein und verteidigte in der Öffentlichkeit vehement seine Rechte und seine institutionelle Unabhängigkeit.

Antisemitismus als Vorwand? Der Kampf um das Narrativ

Offiziell begründete die Trump-Administration ihre rigorosen Maßnahmen mit dem Kampf gegen Antisemitismus und eine als feindselig empfundene Kultur auf dem Harvard-Campus. DHS-Ministerin Kristi Noem warf der Universitätsleitung vor, nicht nur bei der Herausgabe von Informationen unkooperativ zu sein, sondern auch antisemitischen Extremismus gefördert und die Zusammenarbeit mit Amerikas Gegnern, insbesondere China, zugelassen zu haben. Regierungsvertreter zeichneten das Bild einer Institution, die ihre moralische und rechtliche Verpflichtung zum Schutz jüdischer Studierender vernachlässigt habe. Pro-palästinensische Proteste nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 wurden als Beleg für eine aus dem Ruder gelaufene, anti-amerikanische und „pro-terroristische“ Haltung angeführt, die den Entzug der Visa-Zertifizierung rechtfertige.

Aus Sicht Harvards und seiner zahlreichen Unterstützer aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft stellt sich die Situation jedoch völlig anders dar. Sie sehen die Antisemitismus-Vorwürfe als vorgeschobenen Grund, als einen willkommenen Brandbeschleuniger für eine längst geplante politische Kampagne. Der wahre Grund für den Konflikt sei die Weigerung der Universität, sich den weitreichenden Forderungen des Weißen Hauses nach politischen und ideologischen Änderungen zu beugen. Bereits im April hatte die Regierung in einem später als Versehen bezeichneten Schreiben tiefgreifende Eingriffe in die Autonomie der Universität gefordert, darunter Änderungen bei den Zulassungs- und Einstellungsverfahren sowie bei der Überwachung der ideologischen Ausrichtung von Lehrinhalten. Die Auseinandersetzung wird daher von Kritikern als Vergeltungsaktion interpretiert, die darauf abzielt, eine unabhängige, als liberal geltende Institution mundtot zu machen und auf politische Linie zu zwingen.

Eine Richterin als Bollwerk: Die Grenzen der exekutiven Macht

In diesem erbitterten Kampf erwies sich die US-Bundesrichterin Allison D. Burroughs als entscheidendes juristisches Bollwerk gegen die Maßnahmen der Exekutive. Die von Präsident Obama ernannte Richterin blockierte die Anordnungen der Trump-Administration in einer Serie von einstweiligen Verfügungen konsequent und mit scharfen Worten. Ihre Urteilsbegründungen lesen sich wie eine Lektion in amerikanischem Verfassungsrecht. Sie warf der Regierung wiederholt vor, etablierte Verwaltungsverfahren missachtet zu haben und mit immer neuen rechtlichen Manövern, wie der präsidentiellen Proklamation, versucht zu haben, ihre früheren Gerichtsentscheidungen zu umgehen – ein Vorgehen, das sie als durchsichtigen „end run“ (Umgehungsversuch) bezeichnete.

Vor allem aber stellte Richterin Burroughs den Konflikt in einen größeren Kontext. Es gehe hier um „verfassungsmäßige Kernrechte, die geschützt werden müssen: Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit und Redefreiheit“. Sie brandmarkte die Anstrengungen der Regierung als „fehlgeleitete Versuche, eine angesehene akademische Institution zu kontrollieren und unterschiedliche Standpunkte zu unterdrücken“. Die Logik der Administration, die Einreise von Studierenden unter Berufung auf ein Gesetz zur nationalen Sicherheit zu verbieten, das für ausländische Feinde gedacht sei, nannte sie in ihrer Urteilsbegründung schlicht „absurd“. Mit ihrer klaren Verteidigung der verfassungsmäßigen Prinzipien demonstrierte Burroughs die Funktionsfähigkeit der Gewaltenteilung und setzte den weitreichenden Machtansprüchen der Exekutive zumindest vorläufig klare Grenzen.

Zwischen Angst und Abwanderung: Die realen Folgen für Forschung und Lehre

Jenseits der juristischen und politischen Auseinandersetzungen hatte der Konflikt bereits tiefgreifende und schmerzhafte Auswirkungen auf das Leben Tausender Menschen und den universitären Alltag. Gerichtsdokumente beschreiben eine Atmosphäre von „greifbarer Angst, Verwirrung und Unsicherheit“ auf dem Campus. Internationale Studierende und Gastwissenschaftler sahen sich plötzlich mit einer existenziellen Bedrohung ihrer akademischen und persönlichen Zukunft konfrontiert. Es gab konkrete Fälle, in denen Studierenden die Einreise an amerikanischen Flughäfen verweigert und sie nach China oder Indien zurückgeschickt wurden. Visaanträge wurden abgelehnt, Termine in Konsulaten gestrichen, und viele angehende Studierende fragten aus Sorge um ihre Zukunft nach einer Verschiebung ihrer Immatrikulation. Ein zugelassener Student zog seine Anmeldung trotz gültigen Visums zurück, ein anderer verlor ein Stipendium in Höhe von 50.000 Dollar.

Die Folgen gingen jedoch weit über individuelle Schicksale hinaus. Die Maßnahmen bedrohten die Identität Harvards als globale Drehscheibe für Talente und Forschung. In ihrer Klageschrift formulierte die Universität es unmissverständlich: „Ohne seine internationalen Studierenden ist Harvard nicht Harvard“. Unterstützende Gutachten von Forschungseinrichtungen und Krankenhäusern, die mit Harvard kooperieren, warnten eindringlich davor, dass das Einfrieren der Forschungsgelder die Entwicklung von lebensrettenden Medikamenten und wichtigen wissenschaftlichen Projekten gefährden würde. Der Konflikt schadete nicht nur dem Ruf Harvards, sondern drohte auch, die amerikanische Wissenschaft insgesamt zu schwächen, indem er ein Klima der Abschreckung für die klügsten Köpfe aus aller Welt schuf.

Der heikle Pakt: Harvard am Verhandlungstisch mit dem Weißen Haus

Trotz der juristischen Siege und der breiten öffentlichen Unterstützung sah sich die Universitätsleitung offenbar gezwungen, eine alternative Strategie zu verfolgen. Hinter den Kulissen wurden die Verhandlungen mit der Trump-Administration wieder aufgenommen. Dieser Schritt offenbarte das zentrale Dilemma, in dem sich Harvard befand: Wie kann man einen Kompromiss mit einer Regierung schließen, die man der „extralegalen Erpressung“ bezichtigt, ohne dabei die eigenen Werte zu verraten und als Institution zu kapitulieren? Die Furcht, ein ähnliches Schicksal wie die Columbia University zu erleiden, die nach einer Einigung mit der Regierung als unterwürfig kritisiert wurde, war groß.

Die möglichen Konturen eines Deals wurden in Medienberichten skizziert: Die Regierung würde die eingefrorenen Forschungsgelder zu einem großen Teil wieder freigeben und ihre juristischen Angriffe einstellen. Im Gegenzug würde Harvard seine Bemühungen in Bereichen wie der Bekämpfung von Antisemitismus und der Förderung von Meinungsvielfalt („viewpoint diversity“) verstärken. Doch die „roten Linien“ für Harvard waren klar definiert: Jegliche direkte Einmischung der Regierung in die Kernbereiche der akademischen Freiheit – insbesondere in die Zulassungs- und Einstellungsverfahren – galt als inakzeptabel. Für die Regierung hingegen schien ein Deal mit Harvard attraktiv, um einen Präzedenzfall zu schaffen, der als Modell für andere Eliteuniversitäten dienen könnte. Die Verhandlungen wurden so zu einem hochriskanten Balanceakt zwischen Schadensbegrenzung und dem Schutz fundamentaler Prinzipien.

Der Kampf um Harvard als Symptom einer tieferen Krise

Letztlich ist der erbitterte Konflikt zwischen der Trump-Administration und Harvard weit mehr als die Summe seiner Teile. Er ist Ausdruck einer tiefen kulturellen und politischen Spaltung, die die Vereinigten Staaten erfasst hat. Der Angriff auf die Universität fügt sich nahtlos in eine breitere Strategie der Regierung ein, die darauf abzielt, unabhängige Institutionen zu delegitimieren und politische Gegner mundtot zu machen. Die Maßnahmen gegen internationale Studierende in Harvard sind Teil einer umfassenderen, restriktiven Einwanderungspolitik und eines harten Vorgehens gegen politischen Aktivismus, insbesondere wenn er als pro-palästinensisch und linksgerichtet wahrgenommen wird.

Die Auseinandersetzung spiegelt den tiefsitzenden Groll eines Teils der amerikanischen Bevölkerung und Politik gegenüber als liberal und elitär empfundenen Institutionen wider. Harvard wird dabei zur Projektionsfläche für eine angebliche „ideologische Monokultur“, die es zu bekämpfen gilt. Ob die Universität diesem Druck standhalten kann, ohne ihre Seele zu verkaufen, wird weitreichende Folgen haben. Der Ausgang dieses Ringens wird nicht nur über die Zukunft von Harvard entscheiden, sondern auch darüber, wie viel Raum für kritische und unabhängige Forschung und Lehre im Amerika des 21. Jahrhunderts noch bleibt. Der Fall Harvard ist somit eine Belagerung, deren Ausgang die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie selbst auf die Probe stellt.

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