
In den Hallen der amerikanischen Justiz hallt ein altes Prinzip wider: Niemand soll über dem Gesetz stehen. Doch in den letzten Oktobertagen des Jahres 2025 scheint dieses Fundament Risse zu bekommen. Die Begnadigung von Changpeng Zhao, dem Gründer der weltgrößten Krypto-Börse Binance, durch Präsident Donald Trump ist weit mehr als ein routinierter Gnadenakt. Es ist ein politisches Schauspiel, das Fragen aufwirft, die an das Mark der amerikanischen Demokratie rühren.
Offiziell verkauft die Trump-Administration die Begnadigung als notwendige Korrektur. Als das Ende eines angeblichen „Krieges gegen Kryptowährungen“, den die Vorgängerregierung vom Zaun gebrochen habe. Es ist das Narrativ einer Befreiung, ein Signal an eine Industrie, die unter Trump auf Deregulierung und goldene Zeiten hofft.
Doch hinter dieser Fassade aus politischer Rhetorik verbirgt sich eine zweite, weitaus beunruhigendere Geschichte. Es ist eine Geschichte über strategischen Lobbyismus, milliardenschwere Geschäftsabschlüsse und die Verflechtung privater Familieninteressen mit der höchsten exekutiven Gewalt des Landes. Die Begnadigung von „CZ“, wie Zhao in der Szene genannt wird, wirkt weniger wie ein Akt der Milde und mehr wie der Schlusspunkt eines perfekt orchestrierten Deals. Es wirft die Frage auf: Ist die präsidiale Gnade zu einem handelbaren Gut geworden?

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Wofür ein Milliardär Vergebung brauchte
Um die Tragweite der Begnadigung zu verstehen, muss man sich die Schwere der Verurteilung vergegenwärtigen. Changpeng Zhao wurde nicht wegen eines Kavaliersdelikts verurteilt. Die US-Justiz warf ihm vor, die weltgrößte Kryptobörse wissentlich ohne die grundlegendsten Kontrollen zur Geldwäscheprävention betrieben zu haben.
Das war kein bürokratisches Versäumnis. Es war eine bewusste Entscheidung, die Wachstum über Sicherheit stellte. Die Ankläger legten dar, dass Binance dadurch zur Drehscheibe für Kriminelle geworden war. Die Plattform habe Transaktionen ermöglicht, die in direktem Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung, illegalem Drogenhandel und der Verbreitung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch standen. Es ging um massive Sanktionsverstöße, darunter Geldflüsse in den Iran.
Zhao bekannte sich schuldig. Er akzeptierte eine persönliche Strafe von 50 Millionen Dollar und trat als CEO zurück. Binance selbst wurde zu einer der höchsten Unternehmensstrafen der US-Geschichte verdonnert: 4,3 Milliarden Dollar. Das Gericht in Seattle verurteilte Zhao zu vier Monaten Haft – eine Strafe, die angesichts der Forderung der Staatsanwaltschaft nach drei Jahren bereits milde wirkte.
Die Darstellung der Trump-Administration, hier sei ein Unternehmer zu Unrecht verfolgt worden, verkennt die Fakten vorsätzlich. Die Justiz verfolgte keine politische Agenda gegen Krypto; sie verfolgte einen Akteur, der globale Finanzgesetze in einem atemberaubenden Ausmaß ignoriert hatte.
Der Architekt der eigenen Begnadigung
Changpeng Zhao, ein Mann, der ein Vermögen von über 50 Milliarden Dollar kontrolliert, überließ seine Zukunft nach der Verurteilung nicht dem Zufall. Er begann, seine Begnadigung wie einen Business-Plan zu konzipieren. Berichten zufolge studierte er intensiv die Fälle anderer Milliardäre, die präsidiale Gnade erlangt hatten, etwa Marc Rich oder Michael Milken.
Er begann, öffentlich die Sprache des Präsidenten zu sprechen. In Interviews und auf sozialen Medien positionierte er sich als Opfer einer politisierten Justiz und pries Trumps Vision, Amerika zum „globalen Krypto-Zentrum“ zu machen. Es war eine strategische Anpassung, ein öffentliches Bewerbungsschreiben um die Gunst des Weißen Hauses.
Doch entscheidend war die Arbeit hinter den Kulissen. Zhao heuerte ein Team von Lobbyisten an, die beste Verbindungen in das Zentrum der Macht besaßen. Eine Schlüsselfigur in diesem Netzwerk ist Teresa Goody Guillén. Sie ist nicht nur Zhaos Anwältin im Begnadigungsverfahren, sondern vertritt gleichzeitig auch World Liberty Financial (WLF) – jenes Krypto-Unternehmen, das von der Trump-Familie gegründet wurde. Eine andere Kanzlei, die für Zhao arbeitete, beschäftigt Ches McDowell, einen Lobbyisten, der als langjähriger Jagdbegleiter von Donald Trump Jr. bekannt ist. Hier wird der Pfad des Rechts verlassen und der Pfad des persönlichen Zugangs betreten. Es wurde nicht primär juristisch argumentiert, es wurde ein Beziehungsnetzwerk aktiviert.
World Liberty Financial: Der Schlüssel zur Begnadigung?
Der wohl entscheidende Dreh- und Angelpunkt in dieser Affäre ist ein Milliardendeal, der Monate vor der Begnadigung stattfand. Ein Investmentfonds aus den Vereinigten Arabischen Emiraten investierte 2 Milliarden Dollar in Binance. Das an sich ist nicht ungewöhnlich. Das Vehikel für diese Transaktion war es jedoch sehr: Anstatt die Summe per Banküberweisung zu transferieren, nutzte der Fonds den Stablecoin „USD1“. Der Herausgeber dieses Stablecoins ist World Liberty Financial, das Unternehmen der Trump-Söhne.
Für WLF war dieser Deal ein wirtschaftlicher Durchbruch. Ein bis dahin relativ unbedeutender Stablecoin wurde über Nacht mit einer Transaktion im Wert von 2 Milliarden Dollar legitimiert und sein Nutzen demonstriert. Kritiker, darunter US-Senatoren, sehen hierin den Kern eines „Quid pro quo“. Binance ermöglichte der Trump-Familie über einen strategischen Umweg einen massiven finanziellen Vorteil. Wenige Monate später erhält der Gründer von Binance die präsidiale Begnadigung. Die Frage, warum dieser umständliche Weg über einen Nischen-Stablecoin gewählt wurde, drängt sich auf. Die naheliegendste Antwort ist oft die einfachste: Es war der Preis. Es war der Mechanismus, um Wert an die Familie des Präsidenten zu transferieren, ohne dass es wie eine direkte Zahlung aussah. Es ist die Blaupause einer Vermischung von Staatsamt und Privatvermögen, die Kritiker seit langem befürchten.
Ein Freifahrtschein für Binance – Eine Gefahr für den Markt?
Mit der Begnadigung Zhaos ist das Spielfeld neu geordnet. Für Binance öffnet sich potenziell der Weg zurück auf den lukrativen US-Markt, den das Unternehmen im Zuge des Vergleichs verlassen musste. Die Begnadigung könnte als „Reinwaschung“ interpretiert werden, die es erleichtert, die notwendigen Lizenzen von Bundesstaaten und Aufsichtsbehörden zu erhalten. Auch eine Rückkehr von Zhao an die Unternehmensspitze ist nun denkbar. Der Makel der strafrechtlichen Verurteilung, der ihn als Führungskraft eines regulierten Finanzinstituts disqualifiziert hätte, ist getilgt.
Bei den US-Wettbewerbern von Binance, wie etwa Coinbase, dürfte dieser Vorgang blankes Entsetzen auslösen. Diese Unternehmen haben Millionen in Compliance und die Einhaltung jener Regeln investiert, die Zhao wissentlich ignoriert hat. Sie sehen sich nun einem Konkurrenten gegenüber, der die Regeln brach, zur Kasse gebeten wurde und sich nun offenbar durch politische Einflussnahme von seinen Fesseln befreit hat. Trumps Deregulierungspolitik, zu der auch das Fallenlassen von Klagen gegen andere Krypto-Firmen gehört, mag kurzfristig wie ein Segen für die Branche wirken. Langfristig untergräbt sie jedoch das Vertrauen in fairen Wettbewerb und die Stabilität der Finanzmärkte.
Wenn das Oval Office zum Verkaufsraum wird
Der Fall Changpeng Zhao ist kein Einzelfall. Er fügt sich ein in ein Muster von Begnadigungen unter Trump, das weniger auf Reue oder juristische Fehlerkorrektur abzielt als auf politische Loyalität oder, wie in diesem Fall, auf nachweisbare finanzielle Nähe. Die Begnadigung offenbart den zentralen Zielkonflikt der aktuellen US-Politik: Man kann nicht gleichzeitig ein „globales Krypto-Zentrum“ sein wollen und der globale Hüter der Finanzstabilität bleiben, wenn die Regeln für die Durchsetzung von Geldwäschegesetzen verhandelbar sind.
Die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden wie der SEC oder dem Justizministerium wird zur Farce, wenn ihre mühsamen, jahrelangen Ermittlungen mit einer einzigen Unterschrift des Präsidenten zunichtegemacht werden können – eine Unterschrift, die offenbar durch einen milliardenschweren Deal mit dem Familienunternehmen des Präsidenten erkauft werden konnte. Senator Richard Blumenthal und andere Kritiker sprechen von Korruption und einem Missbrauch der Gnadenbefugnis. Die Transaktionen sind komplex, die Verbindungen verschleiert, aber das Gesamtbild ist erdrückend. Was wir hier beobachten, ist ein politischer Ablasshandel im 21. Jahrhundert.
Am Ende bleibt eine beunruhigende Frage, die weit über die Krypto-Welt hinausgeht: Wenn das höchste Amt im Staat genutzt werden kann, um private Geschäfte zu fördern und strafrechtliche Konsequenzen für Geschäftspartner aufzuheben, wo verläuft dann noch die Grenze zwischen der Republik und einem Familienunternehmen?


