Gipfel der Illusionen: Putins riskantes Spiel mit Trump und die drohende Zerreißprobe für den Westen

Illustration: KI-generiert

In den Korridoren der Weltpolitik liegt ein elektrisches Knistern in der Luft, eine Mischung aus verhaltener Hoffnung und tief sitzender Nervosität. Die Nachricht, dass sich US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin möglicherweise schon in den kommenden Tagen zu einem Gipfeltreffen zusammensetzen wollen, schlägt Wellen von Washington über Kiew bis nach Berlin. Vordergründig geht es um nicht weniger als die Beendigung des seit über drei Jahren wütenden Krieges in der Ukraine. Doch unter der Oberfläche dieses diplomatischen Vorstosses offenbart sich eine weitaus komplexere und gefährlichere Realität. Es ist die Geschichte eines hochriskanten Spiels, in dem Wladimir Putin mit kalkuliertem Charme und eiserner Entschlossenheit versucht, seine eigentlichen Kriegsziele nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Verhandlungstisch zu erreichen. Er setzt dabei alles auf eine Karte: die Persönlichkeit von Donald Trump und dessen unbedingten Willen, als globaler Dealmaker in die Geschichte einzugehen.

Die These dieses Beitrags ist, dass wir Zeuge eines meisterhaft inszenierten diplomatischen Manövers des Kremls werden, das darauf abzielt, die westliche Allianz zu spalten und der Ukraine einen Frieden zu diktieren, der einer Kapitulation gleichkommt. Putins Strategie, die auf ein bilaterales Abkommen mit den USA unter Ausschluss der Europäer und der Ukraine abzielt, nutzt Trumps Ungeduld und seine Drohkulisse aus Sanktionen geschickt als Hebel. Was als historischer Friedensschluss angepriesen wird, könnte sich so als Pyrrhussieg entpuppen, der die geopolitische Landkarte Europas nachhaltig zugunsten Moskaus verschiebt und die Grundfesten der transatlantischen Sicherheitsarchitektur erschüttert.

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Der Architekt im Kreml – Was Putin wirklich will

Um die aktuellen Ereignisse zu verstehen, muss man den Blick von den Schützengräben des Donbass abwenden und in die strategischen Denkwerkstätten des Kremls richten. Analysten und Kenner des russischen Präsidenten sind sich weitgehend einig: Für Wladimir Putin ist die territoriale Kontrolle über bestimmte ukrainische Regionen zwar ein nützliches Druckmittel, aber letztlich zweitrangig. Sein eigentliches, übergeordnetes Ziel ist geopolitischer Natur. Er strebt eine verbindliche, von den USA garantierte Neutralisierung der Ukraine an. Das bedeutet konkret: einen unumstösslichen Ausschluss aus der NATO, eine massive Beschränkung ihrer militärischen Fähigkeiten und langfristig die Etablierung einer moskaufreundlichen Regierung in Kiew. Die Ukraine soll, so Putins Vision, dauerhaft aus der westlichen Einflusssphäre herausgelöst und wieder in den Orbit Russlands gezwungen werden.

Aus dieser Perspektive ist der Krieg auf dem Boden nur ein Instrument, um die Bedingungen für den eigentlichen Showdown zu schaffen: das direkte Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten. Putin glaubt, nur in einem solchen Vier-Augen-Gespräch mit Trump die weitreichenden Sicherheitsgarantien zu erhalten, die er anstrebt. Die Flexibilität, die Moskau in der Frage der „annektierten“ Gebiete andeutet – schliesslich sind deren Grenzen nie offiziell festgelegt worden –, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein kalkuliertes Verhandlungsangebot. Putin ist bereit, über Land zu verhandeln, um die geopolitische Seele der Ukraine zu gewinnen. Ein pro-russischer Analyst formulierte es treffend: Trump wird gebraucht, um Russlands Bedingungen durchzusetzen.

Das Washingtoner Paradox – Druck, Deals und die Sehnsucht nach dem schnellen Erfolg

Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzt mit Donald Trump ein Präsident, dessen Haltung gegenüber Putin und dem Krieg von einer bemerkenswerten Volatilität geprägt ist. Lange zeigte er eine kaum verhohlene Bewunderung für den russischen Autokraten und wiederholte sogar dessen Narrative zum Krieg. Doch die ausbleibenden Fortschritte bei den Friedensbemühungen und Putins unnachgiebige Haltung haben Trumps Geduld sichtlich strapaziert. Seine Rhetorik wurde schärfer, er bezeichnete Putin als „verrückt“ und die russischen Angriffe als „widerlich“. Dieser Frustration folgten Taten: die Androhung empfindlicher Sanktionen nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Drittstaaten wie Indien, die durch den Kauf russischen Öls die Kriegswirtschaft stützen.

Dieses Hin und Her zwischen Annäherung und Konfrontation schafft ein Paradox, das Putin virtuos zu nutzen weiss. Trumps Drohungen erzeugen den notwendigen Druck, der dem Kreml erlaubt, Verhandlungsbereitschaft als Geste des Entgegenkommens zu verkaufen, ohne in der Sache selbst nachzugeben. Gleichzeitig appelliert die Aussicht auf einen schnellen, persönlichen Verhandlungserfolg an Trumps tief verwurzelten Glauben an seine eigenen Fähigkeiten als Dealmaker. Er will den Krieg beenden, „getting it settled, getting it ended“, wie er selbst sagt. Diese Sehnsucht nach einem sichtbaren Erfolg macht ihn anfällig für die Verlockungen eines Gipfels, auch wenn die eigentliche Vorarbeit auf diplomatischer Ebene kaum geleistet wurde. Es ist ein Muster, das an seine Treffen mit Kim Jong-un erinnert: grosse Gesten und medienwirksame Inszenierungen, die am Ende jedoch keine substanziellen Ergebnisse lieferten.

Ein Tanz auf dem Vulkan – Die unklare Choreografie des Gipfels

Die diplomatische Choreografie rund um das geplante Treffen ist von Widersprüchen und strategischer Unschärfe geprägt. Allein die Frage, wer die Initiative ergriffen hat, wird von Moskau und Washington unterschiedlich beantwortet, ein kleines, aber bezeichnendes Tauziehen um die Deutungshoheit. Die zentrale Bruchlinie verläuft jedoch bei der Frage des Formats. Während Putin eindeutig ein bilaterales Treffen mit Trump bevorzugt, um die Ukraine als Verhandlungsobjekt zu behandeln und nicht als gleichberechtigten Partner, besteht das Weisse Haus – zumindest offiziell – auf der Bedingung, dass Putin auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj trifft.

Moskau reagiert auf diese Forderung ausweichend bis abweisend. Ein trilaterales Format sei von amerikanischer Seite zwar erwähnt, von russischer Seite aber „komplett ohne Kommentar“ gelassen worden, so Putins aussenpolitischer Berater. Diese Haltung enthüllt den Kern der russischen Strategie: einen Deal mit Washington über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg zu schliessen und Kiew anschliessend vor vollendete Tatsachen zu stellen.

In diesem unübersichtlichen Geflecht agiert Trumps Sondergesandter, Steve Witkoff, als zentraler, aber undurchsichtiger Vermittler. Seine wiederholten, stundenlangen Treffen direkt mit Putin, bei denen er auf von Moskau gestellte Dolmetscher angewiesen war, verleihen ihm einen aussergewöhnlichen Zugang zum russischen Machtzentrum. Sie zeugen von einem direkten, persönlichen Kommunikationskanal, der die etablierten diplomatischen Strukturen umgeht. Doch diese Exklusivität ist auch eine Schwachstelle. Kritiker befürchten, dass Witkoff, der bereits durch die Übernahme von Kreml-Rhetorik aufgefallen ist, von Putin instrumentalisiert wird, um „Signale“ zu senden und zu empfangen, die vor allem dazu dienen, Zeit zu gewinnen und den Westen zu spalten. Im Hintergrund schwebt zudem der internationale Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen. Die Wahl eines Verhandlungsortes wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs sind, ist daher kein Zufall, sondern eine logistische Notwendigkeit, die Putins Status als internationaler Paria unterstreicht.

Die Stimmen der Skepsis – Europas und Kiews Angst vor dem Diktatfrieden

Während in Moskau der mögliche Gipfel bereits als Triumph gefeiert wird, herrscht in Kiew und den europäischen Hauptstädten tiefe Skepsis. Die Befürchtung, von den beiden Grossmächten übergangen zu werden, ist omnipräsent. Ein hochrangiger europäischer Beamter äusserte sich entsetzt über Trumps Pläne und beklagte, dieser habe bisher „nicht ein Jota Druck auf Putin“ ausgeübt. Ukrainische Offizielle sehen in Putins vermeintlicher Verhandlungsbereitschaft eine „heimtückische Finte“, eine Taktik, um den wachsenden Druck durch Sanktionen zu entschärfen und Trump in eine „Verhandlungsfalle“ zu locken. Die Angst ist, dass Russland am Ende eine „weichgespülte Version des Friedens zu russischen Bedingungen“ verkauft, die der Ukraine dann aufgezwungen wird.

Diese Angst wird durch die Stimmung im eigenen Land noch verstärkt. Aktuelle Umfragen zeigen ein Land im Zwiespalt. Während die Bereitschaft, bis zum Sieg zu kämpfen, im Vergleich zu 2022 deutlich abgenommen hat und eine grosse Mehrheit nun eine Verhandlungslösung befürwortet, lehnt eine ebenso grosse Mehrheit von rund drei Vierteln der Bevölkerung einen Frieden, der die Abtretung von Territorium vorsieht, kategorisch ab. Für die ukrainische Regierung unter Selenskyj entsteht daraus ein kaum lösbares Dilemma: Sie steht unter dem Erwartungsdruck der eigenen Bevölkerung, die nach Frieden dürstet, aber nicht um den Preis der nationalen Souveränität, und gleichzeitig unter dem Druck aus Washington, eine schnelle Lösung zu finden, deren Bedingungen möglicherweise inakzeptabel sind.

Der vergiftete Apfel – Warum ein Waffenstillstand nicht gleich Frieden ist

Selbst die scheinbar konkreten Vorschläge für eine Deeskalation erweisen sich bei näherer Betrachtung als strategisch vergiftet. Die von Belarus‘ Präsident Lukaschenko ins Spiel gebrachte Idee einer „Luft-Waffenruhe“ (air truce), also einem Stopp der Raketen- und Drohnenangriffe, klingt für die leidgeprüfte Zivilbevölkerung zunächst verlockend. Doch für die ukrainische Armee wäre ein solcher Deal fatal. Er würde ihr eine ihrer wirksamsten Waffen nehmen: die Drohnenangriffe auf russische Ölraffinerien, Munitionsdepots und strategische Stützpunkte, mit denen sie die russische Kriegslogistik empfindlich stört. Gleichzeitig würde der Bodenkrieg weitergehen, wo Russland aufgrund seiner personellen Überlegenheit im Vorteil ist, während die Ukraine unter einem chronischen Mangel an Soldaten leidet. Ein solcher Teilerfolg wäre also ein strategischer Vorteil für Russland, der es Trump gleichzeitig erlauben würde, innenpolitisch einen Sieg zu verkünden („Ich habe das Töten unschuldiger Zivilisten gestoppt“), ohne den Krieg wirklich zu beenden.

Die Bilanz dieses diplomatischen Pokerspiels ist bereits jetzt, bevor die Präsidenten sich überhaupt die Hände geschüttelt haben, ernüchternd. Allein die Aussicht auf einen bilateralen Gipfel mit dem US-Präsidenten ist für Wladimir Putin ein enormer Gewinn. Sie bricht seine internationale Isolation, stellt ihn auf eine Stufe mit Trump und liefert triumphale Bilder für das heimische Publikum. Er hat es geschafft, die Dynamik zu seinen Gunsten zu drehen, den Druck in eine Chance zu verwandeln und die Agenda zu bestimmen.

Die entscheidende Frage, die über den Hauptstädten des Westens schwebt, ist daher nicht nur, ob ein Abkommen zustande kommt, sondern zu welchem Preis. Ist dies der Anfang vom Ende des Krieges oder nur das Ende der westlichen Einigkeit? Der Pfad, den Washington eingeschlagen hat, ist schmal und der Abgrund auf beiden Seiten tief. Ein Scheitern würde die Beziehungen zu Russland weiter vergiften. Ein „Erfolg“ jedoch, der auf den Bedingungen des Kremls beruht und die Sicherheitsinteressen der Ukraine und Europas missachtet, wäre möglicherweise noch verheerender. Er würde ein gefährliches Signal senden: dass Aggression sich am Ende auszahlt, wenn man nur lange genug durchhält und den richtigen Verhandlungspartner findet.

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