
Ein eisiger Wind weht über Alaska, wo an diesem Freitag zwei Männer zusammenkommen, dessen Handlungen das Schicksal Europas und die globale Ordnung neu definieren könnten. Auf der einen Seite Donald Trump, der sich selbst als Meister des Deals inszeniert, ein Mann, der die Welt als eine Summe von Transaktionen begreift, in der alles und jeder einen Preis hat. Auf der anderen Seite Wladimir Putin, ein Akteur aus einer anderen Zeit, dessen Denken nicht von Bilanzen, sondern von Geschichte, Macht und nationaler Demütigung geformt ist. Offiziell ist ihr Treffen auf der Joint Base Elmendorf-Richardson ein Versuch, den blutigen Krieg in der Ukraine zu beenden. Doch unter der Oberfläche dieses diplomatischen Schauspiels verbirgt sich eine weitaus gefährlichere Wahrheit: Dies ist kein Gipfel der Lösungen, sondern ein Gipfel der Illusionen. Es ist das Zusammentreffen zweier fundamental unvereinbarer Weltbilder, dessen Ergebnis nicht Frieden, sondern eine tiefere, gefährlichere Instabilität sein könnte. Die fast panische Herabstufung des Treffens zu einer bloßen „Zuhörübung“ durch das Weiße Haus ist kein Zeichen strategischer Klugheit, sondern das erste Eingeständnis, dass man in eine Falle getappt ist, die man selbst aufgestellt hat.
Das stumpfe Schwert der Sanktionen: Warum Putin nicht aufgibt
Um die trügerische Hoffnung zu verstehen, die über dem Treffen in Anchorage schwebt, muss man zunächst mit einem Mythos aufräumen: der Idee, man könne Putins Regime mit wirtschaftlichem Druck in die Knie zwingen. Seit über einem Jahrzehnt haben drei US-Administrationen – Obama, Trump I und Biden – auf das Instrument der Sanktionen gesetzt, in dem Glauben, wirtschaftliche Not würde entweder das Volk zum Aufstand oder die Eliten zum Palastputsch bewegen. Doch die Realität, wie sie die Quellen zeichnen, ist eine andere. Sanktionen haben sich als stumpfes, ja sogar kontraproduktives Schwert erwiesen.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Anstatt das Regime zu destabilisieren, haben sie die russische Gesellschaft oft gegen den Westen geeint und die Narrative des Kremls von einer belagerten Festung gestärkt. Die Eliten, deren Vermögen im Ausland eingefroren wurde, kehrten einfach nach Moskau zurück oder wichen nach Dubai aus, um sich dort um die kleiner gewordenen Reste des Kuchens zu streiten. Die breite Bevölkerung wurde ärmer, während die Propagandamaschine den fernen Feind im Westen für das Leid verantwortlich machte. Paradoxerweise haben die Sanktionen sogar Gutes für Teile der russischen Wirtschaft bewirkt: Sie kurbelten die heimische Produktion an – russische Käsemacher und Landwirte profitierten von den Importstopps der Obama-Ära. Mehr noch, der Druck aus dem Westen schmiedete neue Allianzen des Trotzes, wie etwa die vertiefte Partnerschaft mit dem Iran, der für Russlands Drohnenkrieg essenziell geworden ist. Wer also glaubt, Putin ließe sich durch weitere Zölle oder das Einfrieren von Konten von seinem Kurs abbringen, verkennt die DNA seines Systems. Der Krieg ist für ihn längst keine rein militärische Operation mehr; er ist das psychologische, politische und wirtschaftliche Zentrum seines Regimes geworden.
Der Dealmaker und der Zar: Zwei Männer, zwei Welten
Hier liegt der Kern des fundamentalen Missverständnisses, das diesen Gipfel so gefährlich macht. Donald Trump, der Immobilienmagnat, blickt auf die Ukraine und sieht „sehr erstklassiges“ Land, eine Art „Oceanfront Property“. Er denkt in Kategorien von „Land Swaps“, als wäre der Konflikt ein Immobiliengeschäft, bei dem man Parzellen tauscht, um zu einem für beide Seiten profitablen Abschluss zu kommen. Seine gesamte Weltsicht basiert auf der Annahme, dass jeder Mensch letztlich von Geld motiviert ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand Macht über Reichtum stellt.
Wladimir Putin ist dieser Jemand. Für ihn ist der Krieg kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in sein historisches Erbe. Er strebt nach ewiger Macht in seinem Land und nach einer globalen Ordnung, in der Russland gefürchtet und respektiert wird. Er vergleicht sich mit Peter dem Großen und seinen 21 Jahre andauernden Kriegen, ein deutliches Signal, dass er bereit ist, diesen Konflikt über Jahrzehnte zu führen. Während Trump einen schnellen Sieg sucht, den er seinen Wählern präsentieren kann, spielt Putin auf Zeit. Er weiß, dass allein die Tatsache, dass der amerikanische Präsident ihn um ein Treffen bittet und ihn auf einer US-Militärbasis empfängt, ein unbezahlbarer Sieg ist. Es ist die öffentliche Demonstration seiner Macht und Relevanz, die er mehr schätzt als jeden wirtschaftlichen Vorteil. Er bekommt die Anerkennung als globaler Gegenspieler, nach der er sich sehnt, und muss dafür nichts geben. Wenn Trump den Raum ohne Deal verlässt, verliert er sein Gesicht; wenn Putin ohne Deal geht, hat er alles gewonnen, was er wollte.
Ein Echo aus München: Die Geister der Vergangenheit warnen
Die Besorgnis in den europäischen Hauptstädten und in Kiew speist sich nicht nur aus der Gegenwart, sondern auch aus den dunklen Echos der Geschichte. Immer wieder fällt der Vergleich mit dem Münchner Abkommen von 1938, als die Westmächte die Tschechoslowakei an Hitler verrieten, in der vergeblichen Hoffnung, den Frieden zu erkaufen. Die Angst geht um, dass Trump in die Rolle eines modernen Neville Chamberlain schlüpfen könnte, der einen wertlosen Frieden proklamiert und damit den Aggressor nur zu weiteren Taten ermutigt.
Doch man muss nicht so weit zurückblicken. Die jüngere Vergangenheit liefert genügend warnende Beispiele für den Umgang mit Putin. Die Erinnerung an den Gipfel in Helsinki 2018 ist noch frisch, als Trump sich öffentlich auf Putins Seite gegen seine eigenen Geheimdienste stellte und die russische Einmischung in die US-Wahl abstritt – eine „schändliche Vorstellung“, wie es selbst Republikaner nannten. Frühere Präsidenten machten sich ebenfalls zum Narren: George W. Bush, der in Putins Augen blickte und „seine Seele spürte“, und Barack Obama, der nach seiner Wiederwahl „mehr Flexibilität“ versprach. Putin hat über zwei Jahrzehnte gelernt, dass er mit dem Westen spielen kann. Er hat die Fähigkeit perfektioniert, westliche Politiker zu manipulieren, ihre Eitelkeiten auszunutzen und ihre Naivität zu bestrafen. Trumps Glaube an seine überlegene Intuition und seine Verachtung für diplomatische Vorbereitung machen ihn zu einem besonders leichten Ziel für einen ehemaligen KGB-Agenten, der als Meister der Manipulation gilt.
Verhandlungen über Abwesende: Die gefährliche Leerstelle Kiews
Das vielleicht deutlichste Signal für die drohende Katastrophe ist der leere Stuhl im Verhandlungsraum. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde nicht nach Alaska eingeladen. Diese Entscheidung ist mehr als ein diplomatischer Fauxpas; sie ist eine fundamentale Bestätigung von Putins zentralem Narrativ: dass die Ukraine kein souveräner Staat sei, sondern lediglich ein Schlachtfeld im Konflikt zwischen Russland und den USA. Selenskyj selbst erkennt die bittere Ironie. Für ihn ist der Gipfel allein durch sein Stattfinden Putins „persönlicher Sieg“. „Ich weiß nicht, worüber sie ohne uns sprechen werden“, klagte er.
Die europäischen Verbündeten sehen die Gefahr ebenso klar. Sie versuchen verzweifelt, über Videokonferenzen Einfluss zu nehmen, um zu verhindern, dass über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg entschieden wird. Ihre Position ist jedoch schwach. Sie sind auf die militärische und geheimdienstliche Unterstützung der USA angewiesen und können letztlich nur „hoffen und beten“, dass Trump sich nicht zu einem verheerenden Deal hinreißen lässt, der die europäische Sicherheitsarchitektur ins Wanken bringen könnte. Die Sorge ist, dass ein Abkommen, das Selenskyj ablehnen muss, Trumps Zorn auf Kiew lenken und zu einer Einstellung der lebenswichtigen US-Hilfe führen könnte.
Die Sprache der Waffen: Wie an der Front die Wahrheit geschaffen wird
Während in den Hauptstädten diplomatische Noten ausgetauscht werden, wird an der Front in der Ostukraine die Wahrheit mit Stahl geschaffen. Russlands jüngster schneller Vormarsch nahe der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk ist kein Zufall. Es ist eine altbewährte Taktik, vor wichtigen Verhandlungen militärische Fakten zu schaffen, um die eigene Position zu stärken. Russland hat dies bereits 2015 während der Gespräche, die zum Minsker Abkommen führten, mit der Einkesselung von Debalzewe praktiziert. Die Botschaft an Trump ist unmissverständlich: Moskau ist in der Lage, jederzeit schnelle und schmerzhafte Geländegewinne zu erzielen. Dies erhöht den Druck auf Trump, einen Deal zu akzeptieren, der diese neuen Realitäten auf dem Schlachtfeld zementiert – möglicherweise eine Forderung nach der Abtretung des gesamten noch von Kiew kontrollierten Teils der Region Donezk. Gleichzeitig versucht Putin, Trump mit symbolischen Gesten zu umgarnen, etwa durch die Reduzierung der Drohnenangriffe auf ukrainische Städte im Vorfeld des Gipfels, eine durchschaubare Scharade, um guten Willen zu heucheln.
Der schmale Pfad der Stärke: Gäbe es einen anderen Weg?
Gäbe es eine Alternative zu diesem Gipfel der falschen Hoffnungen? Die Quellen skizzieren durchaus einen anderen Weg, einen Pfad der Stärke statt der Appeasement-Politik. Anstatt Putin durch ein Treffen aufzuwerten, könnte Trump einen unmissverständlich harten Kurs fahren. Dazu gehörte die Beschlagnahmung der rund 300 Milliarden Dollar an eingefrorenem russischem Staatsvermögen, um damit Waffenkäufe für die Ukraine zu finanzieren – ein Schritt, für den es unter dem International Emergency Economic Powers Act von 1977 rechtliche Grundlagen und historische Präzedenzfälle gibt. Weitere Optionen wären die Aufhebung aller Beschränkungen für den Einsatz von US-Waffen durch die Ukraine, die Lieferung zusätzlicher F-16-Kampfjets und der Abschluss eines umfassenden Verteidigungspakts nach dem Vorbild der US-Beziehungen zu Israel. Dies würde Putin vor eine klare Wahl stellen: entweder einen ehrenhaften Rückzug an die Linien von vor Februar 2022 zu akzeptieren oder sein Land in den vollständigen Ruin zu treiben. Doch dieser Weg erfordert strategische Geduld und die Bereitschaft, den Konflikt als das zu sehen, was er ist: nicht als Problem, das ein einzelner Deal lösen kann, sondern als langfristige Auseinandersetzung, die nur durch unnachgiebige Stärke gewonnen werden kann.
Am Rande des Abgrunds: Was nach dem Händedruck in Alaska bleibt
Am Ende wird der Gipfel in Alaska wahrscheinlich genau das sein, wozu er vom Weißen Haus notgedrungen herabgestuft wurde: eine Übung. Eine Übung in Machtprojektion für Putin und eine Übung in Selbstüberschätzung für Trump. Eine Deeskalation ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar, denn die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Verhandlung – ein gemeinsames Verständnis der Realität und gegenseitiger Respekt vor den roten Linien – existieren nicht. Ein Deal, der auf dem Missverständnis beruht, Putin sei käuflich, wäre auf Sand gebaut und würde bei der ersten Erschütterung zusammenbrechen.
Das wahrscheinlichste Szenario ist ein ergebnisloses Treffen, das Putin gestärkt und Trump gedemütigt zurücklässt. Das gefährlichste Szenario ist ein vages Abkommen, das die Ukraine zu territorialen Opfern zwingt und Russland Zeit gibt, sich neu zu formieren, um den Krieg zu einem späteren Zeitpunkt unter günstigeren Bedingungen wieder aufzunehmen. Was auch immer das Ergebnis sein wird, eines ist bereits klar: Der wahre Test in Alaska ist nicht, ob Trump einen Deal machen kann. Der wahre Test ist, wie viel von der westlichen Einheit und der ukrainischen Souveränität nach diesem Treffen noch übrig sein wird. Der kalte Wind Alaskas könnte sich als Vorbote eines langen, kalten Winters für die transatlantische Sicherheit erweisen.