
Ein Milliardär erklärt dem politischen Establishment den Krieg. Elon Musks Ankündigung, mit der „America Party“ die US-Politik aufzumischen, ist der vorläufige Höhepunkt einer spektakulären Fehde mit seinem einstigen Verbündeten Donald Trump. Doch hinter der Fassade des Kampfes für die schweigende Mehrheit offenbart sich ein Vorhaben voller Widersprüche. Es ist die Geschichte eines Mannes, der glaubt, mit Geld alles kaufen zu können – selbst eine politische Bewegung. Eine Analyse zeigt: Die größten Hürden sind nicht nur das starre System, sondern auch der Gründer selbst.
Es ist ein Paukenschlag, der perfekt in unsere Zeit der politischen Inszenierungen passt. Elon Musk, der reichste Mann der Welt, einstiger Megadonor und Berater von Präsident Donald Trump, verkündet via Social Media die Gründung einer neuen politischen Kraft: der „America Party“. Die Mission, so Musk, sei es, der schweigenden Mehrheit, den „80 Prozent in der Mitte“, eine Stimme zu geben und ihnen ihre Freiheit zurückzugeben. Der unmittelbare Auslöser für diesen dramatischen Bruch ist ein von Trump und den Republikanern durchgesetztes Ausgabengesetz, das Musk als „widerliche Abscheulichkeit“ und Sargnagel für den amerikanischen Staatshaushalt geißelt. Was auf den ersten Blick wie ein ideologischer Kreuzzug für fiskalische Vernunft erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein hochkomplexes Geflecht aus persönlicher Kränkung, strategischem Kalkül und einem möglicherweise fundamentalen Missverständnis der politischen Realität. Die entscheidende Frage, die sich durch alle Analysen zieht, ist daher nicht, ob Musk das Geld, sondern ob er die Geduld, die Glaubwürdigkeit und das politische Gespür für ein solches Mammutprojekt besitzt. Vieles deutet darauf hin, dass die „America Party“ weniger der Beginn einer politischen Erneuerung als vielmehr ein teures und riskantes Spiel eines Mannes ist, der es gewohnt ist, nach seinen eigenen Regeln zu spielen – und nun auf das widerstandsfähigste System von allen trifft: die amerikanische Demokratie.

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Der Zorn des Milliardärs: Mehr als nur ein Streit um Schulden?
Offiziell ist die Gründung der „America Party“ ein Akt der Notwehr gegen eine verschwenderische politische Klasse, die das Land in den Ruin treibt. Musk inszeniert sich als Retter vor dem „Einparteiensystem“ aus Demokraten und Republikanern, das er für die explodierende Staatsverschuldung verantwortlich macht. Doch Beobachter und politische Kommentatoren zeichnen ein deutlich vielschichtigeres und persönlicheres Bild seiner Motivation. Die plötzliche Leidenschaft für Haushaltsdisziplin wirkt für viele vorgeschoben, insbesondere da Musk selbst als Chef von Unternehmen wie SpaceX und Tesla massiv von Regierungsaufträgen und Subventionen profitiert hat. Dieser offensichtliche Widerspruch nährt den Verdacht, dass seine Motive weniger im Staatswohl als in gekränkter Eitelkeit und knallharten Geschäftsinteressen zu suchen sind.
Der Kern des Konflikts ist die dramatische öffentliche Trennung von Donald Trump. Noch vor kurzem war Musk ein enger Vertrauter im Orbit des Präsidenten, einflussreicher Berater und der größte einzelne Geldgeber seiner Kampagne. Der Bruch über das neue Gesetz war daher nicht nur politischer Dissens, sondern eine persönliche Konfrontation. Einige Analysten spekulieren, dass Musks Zorn weniger der Staatsverschuldung an sich gilt, sondern eher ganz konkreten Kürzungen von Subventionen für erneuerbare Energien, die seine Unternehmen direkt treffen könnten. Andere sehen darin eine noch strategischere, fast schon existenzielle Dimension: die Angst davor, dass eine zukünftige demokratische Regierung mit einer aggressiven Anti-Konzern-Agenda seine Geschäftsmodelle existenziell gefährden könnte. Aus dieser Perspektive wäre der Aufbau einer eigenen Partei ein präventiver Akt, um politischen Druck aufzubauen und sich gegen künftige Regulierungen zu wappnen. Die Fehde mit Trump wäre dann nur der willkommene Anlass, um ein längerfristiges Projekt zu starten, das letztlich vor allem dem Schutz des eigenen Imperiums dient.
Systemmauern und Charakterfragen: Ein Kampf an zwei Fronten
Selbst wenn Musks Motive hehrer Natur wären, türmen sich vor ihm gewaltige Hindernisse auf, die schon unzählige politische Projekte vor ihm haben scheitern lassen. Die erste und vielleicht größte Hürde ist die Struktur des amerikanischen Politsystems selbst. Das gnadenlose „Winner-take-all“-Prinzip, bei dem nur der Kandidat mit den meisten Stimmen ein Mandat gewinnt, ist Gift für jede dritte Partei. Anders als in parlamentarischen Systemen, wo eine neue Partei mit 20 Prozent der Stimmen bereits eine signifikante Machtbasis im Parlament aufbauen kann, geht man in den USA bei einer Niederlage komplett leer aus. Die Geschichte ist voll von prominenten Beispielen: Der Milliardär Ross Perot erhielt 1992 beeindruckende 19 Prozent der Wählerstimmen, aber keinen einzigen Wahlmann im Electoral College.
Hinzu kommt ein Dschungel aus bürokratischen und juristischen Hürden. Jeder Bundesstaat hat eigene, oft extrem komplizierte Regeln für die Wahlzulassung, die das Sammeln von Tausenden von Unterschriften erfordern. Selbst etablierte kleinere Parteien wie die Libertären oder die Grünen schafften es bei der letzten Präsidentschaftswahl nicht, in allen 50 Staaten auf dem Wahlzettel zu stehen. Während Musks unerschöpfliche finanzielle Mittel diese Hürde durch das Anheuern von spezialisierten Teams theoretisch überwinden könnten, bleibt die Frage nach dem politischen Willen.
Und hier kommt die zweite Front ins Spiel: die Persönlichkeit von Elon Musk selbst. Beobachter beschreiben ihn als genialen, aber auch extrem ungeduldigen und sprunghaften Akteur. Politik ist jedoch ein Geschäft, das einen langen Atem, Frustrationstoleranz und die Fähigkeit zum mühsamen Aufbau von Netzwerken und Vertrauen erfordert. Eigenschaften, die Musk bisher kaum gezeigt hat. Ein desaströs verlaufener Versuch, mit über 20 Millionen Dollar eine Richterwahl in Wisconsin zu beeinflussen, endete in einer Niederlage und Musks anschließender Aussage, er wolle sein politisches Engagement zurückfahren. Dieses Verhalten steht im krassen Gegensatz zu der Beharrlichkeit, die für den Aufbau einer Partei von Grund auf nötig wäre. Experten bezweifeln, dass er die Geduld hat, Niederlagen auszuhalten, Kandidaten sorgfältig auszuwählen und die Niederungen der Basisarbeit zu ertragen.
Der selbsternannte Volkstribun und die scheue Mitte
Das vielleicht größte Paradoxon in Musks Plan ist der klaffende Widerspruch zwischen seinem Ziel und seiner Person. Er will die große, moderate Mitte der Wählerschaft ansprechen, jene 80 Prozent, die sich von den Extremen der beiden großen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Doch Musk selbst wird von vielen Kritikern als polarisierende, teils extrem agierende Figur wahrgenommen. Seine Verbreitung von Verschwörungstheorien auf seiner Plattform X und sein bisweilen als autoritär beschriebener Führungsstil passen kaum zum Bild eines besonnenen Brückenbauers. Wie kann derjenige, der Regierungsbehörden zerlegen und Kritiker mundtot machen will, glaubwürdig zum Schiedsrichter der politischen Mäßigung werden?
Die Antwort liegt möglicherweise in einem grundlegenden Missverständnis dessen, was die „Mitte“ eigentlich ist. Analysten weisen darauf hin, dass diese Wählergruppe keineswegs ein homogener, ideologisch gefestigter Block ist. Vielmehr handelt es sich oft um eine Ansammlung von Wählern mit sehr widersprüchlichen Einzelpositionen – etwa der Forderung nach niedrigeren Steuern bei gleichzeitigem Erhalt aller Sozialleistungen und dem Abbau der Staatsschulden. Es ist eine funktionale Inkohärenz, die es politischen Parteien so schwer macht, diese Gruppe dauerhaft zu binden. Musk scheint diese Wählergruppe als unbeschriebenes Blatt zu sehen, das er mit seinen Vorstellungen von Deregulierung, Technologie-Begeisterung und Nationalismus füllen kann. Doch er übersieht dabei, dass diese Wähler zwar mit den Parteien frustriert, aber dennoch in deren traditionellen Lagern emotional und sozial verankert sind. Es gibt keine klar definierte Wählerschaft, die nur auf einen Erlöser wie Musk gewartet hat.
Kollateralschaden im Politzirkus: Wer profitiert vom Störfeuer?
Unabhängig von den langfristigen Erfolgsaussichten könnte Musks „America Party“ kurzfristig erhebliche Verwerfungen auslösen. Seine erklärte Strategie, sich wie ein antiker griechischer General auf wenige, präzise Punkte auf dem Schlachtfeld zu konzentrieren – also auf eine Handvoll umkämpfter Kongress- und Senatswahlen –, zielt darauf ab, als „Spoiler“ das Zünglein an der Waage zu spielen. Die Frage ist nur: zu wessen Lasten? Die Analysen hierzu sind uneins, doch die meisten Indizien deuten auf einen größeren Schaden für die Republikaner hin. Musks unmittelbarer Zorn richtet sich gegen jene GOP-Abgeordneten, die für das von ihm verhasste Ausgabengesetz gestimmt haben. Ein von ihm finanzierter Gegenkandidat könnte in einem knappen Rennen genau die entscheidenden Prozentpunkte kosten, um den Sitz an die Demokraten zu verlieren. Diese Gefahr ist so real, dass sich bereits erste Super-PACs aus dem Trump-Lager formieren, um Musks Einfluss gezielt zu bekämpfen.
Gleichzeitig gibt es aber auch die These, dass die Demokraten betroffen sein könnten. Ein Teil ihrer Wählerschaft, insbesondere die sogenannten „Never-Trump“-Republikaner, die nur widerwillig für die Demokraten stimmen, könnten sich von einem finanzstarken, zentristisch auftretenden Kandidaten angezogen fühlen. Sollte es Musk gelingen, diese kleine, aber in manchen Staaten wahlentscheidende Gruppe auf seine Seite zu ziehen, könnte dies die Siegeschancen der Demokraten bei Präsidentschaftswahlen empfindlich schmälern. Musks Störfeuer ist also eine unkalkulierbare Variable, die das ohnehin fragile Gleichgewicht des Zweiparteiensystems weiter destabilisieren könnte. Am Ende könnte sich sein Projekt als genau das erweisen, was er zu bekämpfen vorgibt: ein Faktor, der nicht den Willen des Volkes, sondern das politische Chaos befördert. Denn eines ist sicher: Eine authentische Bewegung lässt sich nicht einfach kaufen, und politisches Vertrauen wächst nicht auf dem Boden von persönlichem Groll und verletztem Stolz.