Diplomatie als Schauspiel: In Washington wird der Frieden geprobt – doch der Vorhang könnte jederzeit fallen

Illustration: KI-generiert

Ein halbes Jahr ist eine Ewigkeit in der Politik, genug Zeit für Wunden, um zu Narben zu werden, und für Demütigungen, um sich in strategische Meisterschaft zu verwandeln. Wer am Montag das Weiße Haus betrat, um Zeuge des eilig anberaumten Ukraine-Gipfels zu werden, der spürte, dass sich die tektonischen Platten der Macht verschoben hatten. Es war nicht einfach nur ein Treffen; es war die Premiere eines sorgfältig inszenierten Stücks mit dem Titel „Umgang mit Donald Trump“. Die Hauptrollen spielten ein ukrainischer Präsident, der seine militärische Uniform gegen die Rüstung der Schmeichelei getauscht hatte, und eine Phalanx europäischer Führer, die angereist waren, nicht um zu verhandeln, sondern um zu verhindern. Sie alle hatten ihre Lektion gelernt, die ihnen im Februar in eben diesen Räumen erteilt worden war: In der Welt des Donald Trump zählen nicht Argumente, sondern Anerkennung; nicht Prinzipien, sondern persönliche Siege.

Der Gipfel von Washington war somit weniger ein diplomatischer Durchbruch als vielmehr eine meisterhaft choreografierte Darbietung angewandter „Trumpology“. Es gelang der europäisch-ukrainischen Allianz, durch das geschickte Bespielen der Klaviatur von Eitelkeit und Geschäftssinn eine unmittelbare Katastrophe abzuwenden und vage Zusagen zu sichern. Doch dieser kurzfristige Erfolg verschleiert eine beunruhigende Wahrheit: Der nun angestoßene „Friedensprozess“ ist ein fragiles Kartenhaus, errichtet auf dem Treibsand des Egos eines einzigen Mannes. Er ignoriert die brutale Realität des Krieges und die unüberbrückbar scheinenden Gegensätze der Kriegsparteien. Man hat in Washington gelernt, wie man das Schauspiel überlebt. Ob man damit auch den Frieden gewinnt, ist eine gänzlich andere Frage.

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Die Kunst der Unterwerfung: Eine Lektion in Trumpology

Um die Dynamik dieses Gipfels zu verstehen, muss man sich die Szene vom Februar ins Gedächtnis rufen: ein gedemütigter Wolodymyr Zelensky, der von Trump und seinem Vizepräsidenten wegen mangelnder Dankbarkeit und unpassender Kleidung gescholten und schließlich des Weißen Hauses verwiesen wurde. Es war ein diplomatisches Desaster, das Kiew und den europäischen Hauptstädten eine schmerzhafte Wahrheit vor Augen führte: Die alte Sprache der Diplomatie, des Völkerrechts und der gemeinsamen Werte ist im Washington der zweiten Trump-Ära eine Fremdsprache. Man spricht hier die Grammatik der Stärke, der Loyalität und vor allem der persönlichen Ehrerbietung.

Die Verwandlung des Wolodymyr Zelensky zwischen diesen beiden Besuchen war daher das vielleicht stärkste Symbol für die neue strategische Ausrichtung. Der Mann, der drei Jahre lang seine olivgrüne Militärkluft als Zeichen des Widerstands und der Solidarität mit seinen Truppen getragen hatte, erschien nun in einem dezenten, schwarzen Ensemble. Es war eine Kapitulation im Kleiderschrank, die sich als strategischer Sieg erweisen sollte. Trump, ein Mann, für den die äußeren Insignien der Macht und des Respekts von höchster Bedeutung sind, bemerkte die Veränderung sofort und mit offenkundiger Genugtuung. Der rechte Journalist, der Zelensky im Februar noch wegen seines „respektlosen“ Outfits angegangen war, lobte ihn nun für sein „fabelhaftes“ Aussehen. Diese scheinbar triviale Episode war der Schlüssel zum Verständnis des ganzen Tages: Zelensky und seine Verbündeten signalisierten von der ersten Minute an, dass sie die Regeln des Spiels verstanden hatten und bereit waren, sie zu spielen.

Dieses Spiel bestand vor allem aus einem sorgfältig orchestrierten Lobgesang. Wo im Februar noch Vorwürfe und Rechtfertigungen den Ton angaben, floss nun ein Strom der Dankbarkeit. Zelensky allein dankte Trump in den wenigen öffentlichen Minuten rund elfmal – für die Einladung, für das Gespräch, ja sogar für eine Landkarte seines eigenen Landes. Die europäischen Führer stimmten in diesen Chor mit ein. NATO-Generalsekretär Mark Rutte pries den „lieben Donald“ für seine Führungsstärke, Ursula von der Leyen dankte ihm für die Erwähnung der verschleppten ukrainischen Kinder, und die Regierungschefs von Großbritannien bis Italien huldigten ihm als dem großen Zusammenführer. Es war eine konzertierte Aktion, die darauf abzielte, Trumps Ego zu nähren und ihn in die Rolle des wohlwollenden, aber unantastbaren Friedensfürsten zu heben.

Doch Schmeichelei allein genügt nicht in der Welt der Transaktionen. Ein Deal braucht eine Währung. Diese wurde in Form eines gigantischen Waffengeschäfts auf den Tisch gelegt. Die Ukraine, so die Offerte, sei bereit, amerikanische Waffensysteme im Wert von 90 bis 100 Milliarden Dollar zu erwerben, finanziert durch Europa. Dieses Angebot war von bestechender Genialität: Es bediente Trumps Abneigung gegen direkte Finanzhilfen („Aid“), passte zu seiner Präferenz für Waffengeschäfte („Sales“) und gab ihm einen greifbaren, bezifferbaren „Sieg“, den er seiner Basis präsentieren konnte. Es war der Preis für Amerikas vage Zusage, an der zukünftigen Sicherheit der Ukraine „mitzuwirken“ – ein teuer erkauftes Ticket für den Eintritt in einen Verhandlungsprozess, dessen Ausgang völlig offen ist.

Eine Symphonie der Dissonanz: Was ungesagt blieb

Hinter der Fassade der zur Schau gestellten Harmonie klafften die Gräben der ungelösten Konflikte jedoch tiefer denn je. Der Moment, in dem die Kulisse Risse bekam, war die Debatte über einen sofortigen Waffenstillstand. Nachdem Trump tagelang selbst ein solches Ultimatum an Wladimir Putin gerichtet hatte, vollzog er nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten in Alaska eine Kehrtwende. Plötzlich war eine Waffenruhe keine notwendige Vorbedingung mehr für Verhandlungen, sondern ein potenzieller strategischer Nachteil für eine der Seiten.

Es war der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, der es wagte, diesen Dissens offen anzusprechen und mit Nachdruck einen „Ceasefire“ zu fordern, um das Töten zu beenden. Unterstützt von Emmanuel Macron, stieß er bei Trump auf taube Ohren. Der US-Präsident wiegelte ab, verwies auf andere Konflikte, die er angeblich ohne Waffenruhe gelöst habe, und beharrte darauf, direkt auf einen dauerhaften Frieden hinzuarbeiten, während in der Ukraine weiter Bomben fielen und Kinder starben. In diesem Wortwechsel offenbarte sich der fundamentale strategische Konflikt: Während die Europäer versuchten, die humanitäre Katastrophe einzudämmen und eine stabile Verhandlungsbasis zu schaffen, schien Trump primär an einem schnellen, spektakulären Abschluss interessiert zu sein – die Details und die menschlichen Kosten waren sekundär.

Dieser Eindruck wurde durch die geisterhafte Anwesenheit Wladimir Putins im Raum verstärkt. Trump agierte zeitweise weniger als neutraler Vermittler denn als Fürsprecher des Kremlchefs. Immer wieder betonte er, Putin wolle den Krieg beenden, sei zu einem Deal bereit und habe ein gutes Verhältnis zu ihm. Er unterbrach das Treffen mit den versammelten europäischen Staats- und Regierungschefs sogar für ein vierzigminütiges Telefonat mit Moskau. Diese Darstellung stand in einem surrealen Kontrast zur Realität: Russlands unerbittliche Angriffe gingen weiter, und die offiziellen Verlautbarungen aus dem Kreml waren von einer eisigen Zurückhaltung geprägt. Wo Trump von einem fest vereinbarten Treffen zwischen Putin und Zelensky sprach, erwähnte der Kreml-Berater Juri Uschakow lediglich die vage Idee, man könne eine „Anhebung des Niveaus der Repräsentanten“ prüfen. Die Diskrepanz zwischen Trumps optimistischem Narrativ und der russischen Realpolitik war mit Händen zu greifen und nährte den Verdacht, dass der US-Präsident entweder die Signale aus Moskau fehlinterpretierte oder bewusst im Sinne seines eigenen Wunsches nach einem schnellen Deal zurechtbog.

Das zentrale Ergebnis des Gipfels, die Zusage amerikanischer Sicherheitsgarantien, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ähnlich nebulös. Trump sprach davon, die USA würden „helfen“ und „involviert sein“, die Europäer stünden aber an „vorderster Verteidigungslinie“. Sein Social-Media-Post präzisierte, die Garantien würden von Europa „in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten“ bereitgestellt. Was das konkret bedeutet – Truppen am Boden, nachrichtendienstliche Unterstützung, eine Verpflichtung nach Art des NATO-Artikels 5 –, blieb völlig offen. Für die Ukraine und Europa war allein die verbale Zusage ein Durchbruch, weil sie den Preis für einen Friedensschluss für Moskau potenziell in die Höhe treibt. Doch ein Versprechen von Donald Trump ist eine Währung von notorisch schwankendem Wert. Es ist an seine Laune und seine politischen Interessen geknüpft, nicht an vertragliche Verpflichtungen. Die Umsetzung solcher Garantien würde massive innenpolitische Hürden in den USA und auch in zögerlichen europäischen Staaten wie Deutschland bedeuten, wo die Entsendung von Truppen höchst unpopulär wäre.

Der Preis des Friedens: Was auf dem Spiel steht

Die heikelsten Themen wurden in Washington gar nicht erst laut ausgesprochen. Der Elefant im Raum war die Frage nach territorialen Zugeständnissen. Obwohl sie in den öffentlichen Statements vermieden wurde, deuten Berichte darauf hin, dass Zelensky im Gespräch mit Trump hinter verschlossenen Türen die Möglichkeit „proportionaler Tauschgeschäfte“ nicht gänzlich ausgeschlossen hat. Dies mag eine pragmatische Verhandlungsoption sein, doch sie birgt immense Gefahren. Jede Abtretung von souveränem Territorium wäre für Zelensky innenpolitisch kaum zu überleben und würde einen verheerenden Präzedenzfall schaffen. Die Vorstellung, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln oder Verfassungshürden zu überwinden, ist ein Albtraum, der den Keim für zukünftige Konflikte in sich trägt.

Die treibende Kraft hinter diesem riskanten Prozess ist Trumps offenkundiges Bedürfnis, sich als der ultimative Dealmaker zu inszenieren, der den Krieg beendet, den sein Vorgänger nicht beenden konnte. Dieses Streben nach einem persönlichen, historischen Sieg macht ihn anfällig für die Schmeicheleien Putins und ungeduldig gegenüber den komplexen Details, die einem gerechten und dauerhaften Frieden im Wege stehen. Er will die Trophäe, und die Gefahr ist groß, dass die Ukraine den Preis dafür zahlen muss.

Die Zukunft dieses Prozesses hängt an einem seidenen Faden. Ein Kipppunkt könnte eine erneute Eskalation Russlands sein, die Trumps Narrativ vom friedenswilligen Putin Lügen straft. Ein anderer könnte die Weigerung Zelenskys sein, rote Linien bei der territorialen Integrität zu überschreiten, was ihn in Trumps Augen zum Friedensverhinderer machen könnte. Die größte Gefahr ist jedoch Trump selbst. Seine Stimmung kann sich, wie die Kehrtwende nach dem Alaska-Gipfel zeigte, über Nacht ändern. Sollte dieser von ihm initiierte Prozess scheitern, stünden die Europäer vor einer Zerreißprobe. Ihre Alternativen sind begrenzt: eine massive Aufstockung der eigenen Militärhilfe für die Ukraine, verbunden mit noch schärferen Sanktionen gegen Russland. Doch ohne die Führung und die Ressourcen der USA wäre dies ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang.

Am Ende des Tages verließen die Europäer und der ukrainische Präsident Washington mit einem Gefühl der Erleichterung. Sie hatten eine Katastrophe abgewendet und Zeit gekauft. Der Vorhang war gefallen, das Stück vorerst zu Ende. Doch draußen, jenseits der klimatisierten Räume des Weißen Hauses, tobte der Krieg weiter. Die Aufführung in Washington hat gezeigt, dass die westliche Allianz gelernt hat, im Theater der Trump-Diplomatie zu überleben. Sie hat aber auch gezeigt, dass das Drehbuch für den Frieden noch lange nicht geschrieben ist – und der Hauptdarsteller es jederzeit nach Belieben umschreiben kann.

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