Die Wiederkehr des unerwünschten Generals: Warum der Streit um eine Statue in Washington ein Kampf um Amerikas Seele ist

Illustration: KI-generiert

Ein Gespenst kehrt zurück nach Washington, D.C. Es ist kein flüchtiger Schemen, sondern ein elf Fuß hoher Koloss aus Bronze, der bald wieder auf seinem Sockel thronen soll: Albert Pike, General der Konföderierten. Fünf Jahre, nachdem Demonstranten ihn im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste vom Podest stürzten und in Flammen aufgehen ließen, hat die Trump-Administration die Wiederaufstellung angeordnet. Diese Entscheidung ist weit mehr als ein bürokratischer Akt der Denkmalpflege. Sie ist ein politisches Fanal, das eine tiefe Wunde in der amerikanischen Gesellschaft wieder aufreißt und den erbitterten Kampf um die Deutungshoheit über die Geschichte des Landes mit neuer Schärfe entfacht. Die Rückkehr der Pike-Statue ist kein Akt der Versöhnung, sondern die bewusste Restauration eines Symbols, das für viele Amerikaner nicht für ehrenvolles Gedenken, sondern für Verrat, Rassismus und eine bis heute unbewältigte Vergangenheit steht.

Ein Denkmal als politisches Programm: Die Restauration der Vergangenheit

Die Anordnung des National Park Service, die Statue zu restaurieren und wieder zu installieren, ist kein isolierter Vorgang. Sie ist vielmehr das Aushängeschild einer umfassenden politischen Agenda der Trump-Regierung. Diese zielt darauf ab, jene Symbole der Konföderation, die in der Folge der landesweiten Proteste nach dem Tod von George Floyd aus dem öffentlichen Raum entfernt wurden, systematisch wiederherzustellen. Es ist eine Politik, die unter dem Deckmantel der „Verschönerung der Hauptstadt“ und der Wahrung historischer Denkmäler eine klare ideologische Botschaft sendet. Wenn auf Befehl des Präsidenten Militärbasen wieder die Namen von Konföderierten-Generälen annehmen sollen und das Niederreißen einer Statue als „Schande für unser Land“ gebrandmarkt wird, dann geht es nicht um Geschichte. Es geht um die Zementierung einer ganz bestimmten Version von Geschichte – einer Version, in der die Rebellion zur Verteidigung der Sklaverei zu einem ehrenhaften Erbe umgedeutet wird.

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Das Trugbild des edlen Südens: Wie der ‚Lost Cause‘ in Bronze gegossen wurde

Um die Wucht dieses Konflikts zu verstehen, muss man den Ursprung dieser Denkmäler beleuchten. Sie sind, wie die Historikerin Karen L. Cox in ihrer Forschung aufzeigt, keine organisch gewachsenen Erinnerungsorte. Stattdessen waren sie das Ergebnis einer konzertierten Kampagne, die vor allem von Organisationen wie den „United Daughters of the Confederacy“ (UDC) Jahre nach dem Bürgerkrieg vorangetrieben wurde. Ihr Ziel war es nicht, Geschichte zu dokumentieren, sondern sie umzuschreiben. Sie verbreiteten die revisionistische Erzählung vom ‚Lost Cause‘ – die Lüge, der Süden habe nicht für den Erhalt der Sklaverei, sondern für edle Prinzipien wie die Rechte der Bundesstaaten gekämpft.

Jede Statue, die auf einem prominenten Platz errichtet wurde, war ein in Stein gemeißeltes Statement. Für weiße Südstaatler wurden sie zu Symbolen des Trotzes gegen eine sich wandelnde Welt und gegen die Einmischung der Bundesregierung. Für Afroamerikaner hingegen waren sie eine ständige, unübersehbare Drohung – ein Monument der weißen Vorherrschaft, das ihnen signalisierte, dass die alte Ordnung auch nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei weiterlebte. Die Errichtungswellen dieser Denkmäler korrelierten oft mit Phasen, in denen die weiße Dominanz infrage gestellt wurde, etwa während der Jim-Crow-Ära oder dem Aufstieg des Ku-Klux-Klans. Sie waren Instrumente der Einschüchterung.

Albert Pike: Die unbequeme Wahrheit hinter der Fassade des Gelehrten

Die Figur des Albert Pike selbst ist ein Mikrokosmos dieser verdrängten Widersprüche. Auf dem Sockel seiner Statue wird er als „Poet, Gelehrter, Soldat, Redner, Jurist und Philanthrop“ gepriesen. Diese Inschriften verschweigen jedoch gezielt seine zentrale Rolle im Dienst der Konföderation. Pike war nicht nur irgendein General. Als Diplomat der Konföderierten handelte er Allianzen mit indigenen Stämmen aus, die selbst Sklaven besaßen. Eine Bedingung dieser Bündnisse war die ausdrückliche Anerkennung der Sklaverei als legale und „seit undenklichen Zeiten“ bestehende Institution. Später kommandierte er als Brigadegeneral Truppen dieser Stämme im Kampf für die Konföderation. Seine Geschichte belegt eindrücklich, wie tief die Verteidigung der Sklaverei in der DNA der Konföderation verwurzelt war und wie sie auch die indigenen Nationen spaltete.

Hinzu kommen die hartnäckigen, wenn auch nicht zweifelsfrei bewiesenen Vorwürfe, Pike sei nach dem Krieg am Aufbau des Ku-Klux-Klans beteiligt gewesen. Unbestritten ist jedoch seine rassistische Haltung, die sich etwa in seiner Weigerung zeigte, Freimaurerlogen für Afroamerikaner zu öffnen. Die glänzende Fassade des Denkmals bröckelt bei der leisesten Berührung mit den historischen Fakten und offenbart eine bewusste Inszenierung, die das Unbequeme ausblendet und den Täter zum Helden verklärt.

Ein ungeliebter Gast: Der jahrzehntelange Kampf gegen Pikes Statue

Der Widerstand gegen diese Geschichtsklitterung ist so alt wie das Denkmal selbst. Schon als die Pläne für die Errichtung Ende des 19. Jahrhunderts bekannt wurden, regte sich Protest bei Veteranen der Union. In den 1990er-Jahren forderten Kritiker und der Stadtrat von Washington wiederholt die Entfernung. Die Statue war nie unumstritten. Sie war immer ein Stachel im Fleisch der Hauptstadt der siegreichen Union.

Wie toxisch Pikes Erbe ist, zeigt sich auf fast tragikomische Weise in der Tatsache, dass ihn nach seiner Demontage niemand haben wollte. Er wurde zu einem heimatlosen Konföderierten. Selbst die Freimaurer vom Schottischen Ritus, die das Denkmal einst in Auftrag gaben und Pike als Helden verehren, zögerten, die Verantwortung für den gestürzten Koloss zu übernehmen. Diese weit verbreitete Einigkeit, dass die Statue eigentlich verschwinden sollte, stieß jedoch an die Grenzen der Bürokratie und der politischen Realität. Da das Denkmal auf Bundesland steht, sind den lokalen Behörden die Hände gebunden, was die föderale Kontrolle zu einer entscheidenden Hürde für Veränderungen macht.

Der Sturm auf das Podest: Ein Symbol fällt

Der Akt der Zerstörung im Sommer 2020 war vor diesem Hintergrund mehr als bloßer Vandalismus. Er war eine physische und symbolische Abrechnung. Es war der Moment, in dem eine neue Generation die Geduld mit den leisen, oft ignorierten Protesten der Vergangenheit verlor und eine unübersehbare Tatsache schuf. Das Niederreißen der Statue war eine laute Forderung nach einer ehrlicheren Geschichtsschreibung, eine Weigerung, die Symbole der Unterdrückung weiterhin widerspruchslos im Zentrum der Macht zu dulden. Die Flammen, die an jenem Junitag an der Statue züngelten, beleuchteten den tiefen Riss, der durch Amerika geht: auf der einen Seite jene, die in den Monumenten ehrenhafte historische Marker sehen, auf der anderen Seite die wachsende Zahl von Amerikanern aller Hautfarben, für die sie verhasste Symbole einer Ideologie der weißen Vorherrschaft sind.

Die Entscheidung, dieses Monument nun wiederzuerrichten, ignoriert diesen gesamten Kontext. Sie ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die auf Heilung und eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hoffen. Und der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Dass selbst seit dem Jahr 2000 noch 35 neue Denkmäler zu Ehren der Konföderation eingeweiht wurden, zeigt, dass die Kräfte, die an der Verklärung der Vergangenheit arbeiten, weiterhin aktiv sind. Die Rückkehr von Albert Pikes Statue nach Washington ist somit nicht das Ende einer Geschichte. Sie ist der Beginn eines neuen, lauten Kapitels in dem andauernden Ringen Amerikas um seine eigene Identität. Ein Kampf, der auf den Straßen und Plätzen des Landes ausgetragen wird – in Bronze, Stein und im Herzen einer gespaltenen Nation.

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