
Es gibt Momente in der Politik, die auf den ersten Blick wie routinierte Personalentscheidungen wirken, bei genauerem Hinsehen aber das Fundament erschüttern, auf dem unsere Demokratien ruhen. Die Entlassung von Erika McEntarfer, der Leiterin des US-Statistikamts für Arbeit (Bureau of Labor Statistics, BLS), und die anschließende Nominierung des konservativen Ökonomen E.J. Antoni durch Präsident Donald Trump ist ein solcher Moment. Dies ist nicht nur der Austausch eines hohen Beamten. Es ist ein gezielter Vorstoß in das Herz einer der wichtigsten, über Jahrzehnte als unparteiisch geltenden Institutionen Amerikas. Was wir hier beobachten, ist der Versuch, nicht nur die Politik, sondern die Realität selbst zu kontrollieren. Es ist der Angriff auf die Idee einer gemeinsamen, faktenbasierten Wahrheit, ohne die eine funktionierende Wirtschaft und eine aufgeklärte Öffentlichkeit nicht existieren können. Die Causa Antoni ist somit weit mehr als eine Fußnote in der turbulenten zweiten Amtszeit Trumps; sie ist ein Lehrstück über die Zerbrechlichkeit von Vertrauen und die strategische Aushöhlung von Institutionen, die als Wächter der Fakten dienen sollen.
Ein Rauswurf als politisches Fanal
Alles begann mit einer Zahl, genauer gesagt mit einer Korrektur. Das BLS revidierte die Arbeitsmarktdaten für die Monate Mai und Juni nach unten – um insgesamt 258.000 Jobs. Solche Revisionen sind in der Welt der Statistik ein vollkommen normaler, ja notwendiger Vorgang. Erste Schätzungen basieren oft auf Daten von großen Unternehmen, die schnell antworten, während die Informationen von kleineren Firmen, die oft sensibler auf wirtschaftliche Schwankungen reagieren, erst später einfließen und das Bild präzisieren. Für die meisten Ökonomen ist dies ein Zeichen von Gründlichkeit, nicht von Schwäche.

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Für Präsident Trump jedoch war diese Korrektur ein Affront, ein Akt politischer Sabotage. Ohne jeden Beweis beschuldigte er die von Joe Biden ernannte und für ihre überparteiliche Professionalität geschätzte Kommissarin Erika McEntarfer, die Zahlen manipuliert zu haben, um ihm politisch zu schaden. Ihre Entlassung, die auf diese Anschuldigung folgte, löste parteiübergreifend Bestürzung aus. Es war ein offener Bruch mit der ungeschriebenen Regel, die Hüter der nationalen Statistiken aus dem tagespolitischen Kampf herauszuhalten. McEntarfers Entlassung war kein Akt der Personalpolitik; es war ein Signal. Die Botschaft lautete: Wer Zahlen liefert, die dem Narrativ des Präsidenten von einer boomenden Wirtschaft widersprechen, riskiert seinen Posten. An ihre Stelle soll nun ein Mann treten, der genau dieses Misstrauen gegenüber der Behörde seit Langem öffentlich kultiviert.
Die Anatomie des Misstrauens
E.J. Antoni, ein Ökonom der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation und Mitwirkender des „Project 2025“, ist keine zufällige Wahl. Er ist die personifizierte Kritik am Establishment des BLS. Seine Nominierung wurde von einflussreichen Trump-Beratern wie Stephen K. Bannon vorangetrieben, der ihn dafür feierte, das BLS mit seinen Analysen „fast im Alleingang zerlegt“ zu haben. Antonis öffentliche Zweifel an der Verlässlichkeit der offiziellen Daten sind zahlreich. Er argumentiert, dass die Methodik der Datenerhebung fehlerhaft sei und das Vertrauen in die Behörde in den letzten Jahren erodiert sei. Nach der Entlassung McEntarfers schrieb er, die Aufgabe des nächsten Kommissars sei es, bessere Wege zur Sammlung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten zu finden, um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen.
Hier prallen zwei grundlegend verschiedene Welten aufeinander. Auf der einen Seite steht die Gemeinschaft der Ökonomen, die in den Revisionen des BLS einen notwendigen Prozess zur Annäherung an die Wahrheit sieht. Auf der anderen Seite stehen Trump und Antoni, die in denselben Revisionen den Beweis für politische Manipulation oder zumindest für unhaltbare Ungenauigkeit sehen. Es ist ein fundamentaler Konflikt über die Natur von Fakten: Sind sie das Ergebnis eines sorgfältigen, transparenten, aber naturgemäß nie perfekten Prozesses der Annäherung? Oder sind sie Waffen im politischen Kampf, die je nach Bedarf geschmiedet oder in Zweifel gezogen werden können? Trumps Versprechen, Antoni werde für „EHRLICHE UND KORREKTE“ Zahlen sorgen, ist in diesem Kontext weniger eine Zusicherung von Qualität als eine Drohung an die Institution, sich dem gewünschten Narrativ zu fügen.
Der Wächter oder der Zensor?
Die Ironie der Situation wird besonders deutlich, wenn man die aktuelle Nominierung mit der Vergangenheit vergleicht. William W. Beach, der das BLS während Trumps erster Amtszeit leitete, war ebenfalls ein konservativer Ökonom mit langjähriger Erfahrung in Denkfabriken. Doch er wurde über die Parteigrenzen hinweg für seine unparteiische Führung und seine Verteidigung der institutionellen Integrität gelobt. Beach selbst verurteilte die Entlassung McEntarfers und die haltlosen Manipulationsvorwürfe scharf. Sein Beispiel zeigt, dass eine konservative Weltanschauung und die Leitung einer unabhängigen Statistikbehörde kein Widerspruch sein müssen. Es belegt, dass die entscheidende Qualifikation nicht die politische Gesinnung ist, sondern die Bereitschaft, die Institution und ihre Methoden gegen politischen Druck zu verteidigen.
Antoni hingegen wird von vielen Fachleuten als „völlig unqualifiziert“ und „so parteiisch wie nur möglich“ beschrieben. Die Sorge ist, dass er nicht als Wächter der Fakten, sondern als Zensor agieren könnte. Doch wie einfach wäre es für einen neuen Kommissar, die Arbeit von Tausenden von Karrierestatistikern tatsächlich zu manipulieren? Experten sind sich einig, dass eine plumpe Fälschung von Daten kaum unbemerkt bliebe. Die Mechanismen der Behörde sind zu etabliert, die externen Kontrollen zu zahlreich. Die eigentliche Gefahr liegt tiefer und ist subtiler. Sie liegt nicht unbedingt in der direkten Fälschung, sondern in der schrittweisen Erosion der Standards.
Beobachter werden daher auf bestimmte Warnsignale achten: Werden plötzlich und ohne plausible Erklärung bestimmte Datenreihen nicht mehr veröffentlicht? Werden methodische Änderungen vorgenommen, die nicht transparent dokumentiert sind und zufällig immer zu Ergebnissen führen, die der Regierung schmeicheln? Und vor allem: Kommt es zu einer Welle von Kündigungen oder Entlassungen in den Führungsebenen direkt unter dem Kommissar? Eine solche Flucht von erfahrenen Fachleuten wäre das deutlichste Alarmsignal, dass der politische Druck im Inneren der Behörde unerträglich wird.
Wenn das Fundament bröckelt
Die Nominierung Antonis kommt zu einer Zeit, in der das BLS ohnehin bereits unter erheblichem Druck steht. Die Behörde kämpft mit strukturellen Problemen, die durch die Politik der Trump-Administration noch verschärft werden. Ökonomen weisen darauf hin, dass eine echte Verbesserung der Datenqualität, wie Antoni sie fordert, vor allem eines bräuchte: mehr Geld. Mehr Ressourcen wären nötig, um die sinkenden Antwortquoten bei den Haushalts- und Unternehmensbefragungen zu bekämpfen – genau jenes Problem, das zu den großen statistischen Revisionen führt, die Trump so erzürnen. Doch statt die Behörde zu stärken, hat das Weiße Haus für das kommende Jahr eine Kürzung des BLS-Budgets um 56 Millionen Dollar vorgeschlagen.
Es entsteht ein zutiefst widersprüchliches Bild: Man kritisiert die angebliche Ungenauigkeit der Daten und entzieht der Behörde gleichzeitig die Mittel, die sie zur Verbesserung dieser Genauigkeit benötigen würde. Hinzu kommt, dass bereits vor der aktuellen Eskalation etwa ein Drittel der Spitzenpositionen im BLS unbesetzt war und ein wichtiges externes Beratungsgremium aufgelöst wurde. Antoni würde also eine geschwächte Behörde übernehmen, von der er Wunder erwartet, während seine eigene Regierung ihr die Werkzeuge dafür entzieht. Dies nährt den Verdacht, dass es nie um eine tatsächliche Verbesserung der Datenqualität ging, sondern vielmehr darum, einen Sündenbock für unliebsame Zahlen zu finden und die Institution so weit zu schwächen, bis sie keinen Widerstand mehr leisten kann.
Was auf dem Spiel steht
Der mögliche Vertrauensverlust in das BLS hätte weitreichende Konsequenzen, die weit über die politischen Zirkel Washingtons hinausgehen. Die Daten des BLS sind das Fundament für unzählige wirtschaftliche Entscheidungen. Die Federal Reserve stützt ihre Zinsentscheidungen auf die Inflations- und Arbeitsmarktdaten des BLS. Unternehmen nutzen sie für ihre Investitions- und Personalplanung. Finanzmärkte reagieren auf jede Veröffentlichung in Sekundenschnelle. Wenn dieses Fundament als politisch kompromittiert wahrgenommen wird, entsteht eine massive Unsicherheit, die die gesamte Wirtschaft lähmen kann. Wer kann noch langfristige Entscheidungen treffen, wenn die grundlegendsten Informationen über den Zustand der Wirtschaft unter politischem Vorbehalt stehen?
Am stärksten betroffen wären am Ende alle Bürger, die auf eine stabile Wirtschaft und eine vorausschauende Politik angewiesen sind. Ein Vertrauensverlust würde nicht nur die Märkte verunsichern, sondern auch die Fähigkeit des Kongresses untergraben, evidenzbasierte Gesetze zu verabschieden. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das die ökonomische Stabilität des Landes gefährdet.
Kann ein neuer Kommissar unter diesen Umständen überhaupt noch Vertrauen aufbauen? Selbst wenn E.J. Antoni die besten Absichten hätte, würde ihm der Makel seiner Nominierung anhaften. Er wurde nicht trotz, sondern wegen seiner öffentlichen Kritik und seiner politischen Nähe zum Präsidenten ausgewählt. Allein die erklärte Absicht des Präsidenten, die Zahlen durch einen loyalen Mann „korrigieren“ zu lassen, hat bereits einen Schaden angerichtet, der schwer zu reparieren sein wird. Um Vertrauen wiederherzustellen, bräuchte es, wie der ehemalige BLS-Chef Bill Beach es ausdrückte, eine Persönlichkeit, die über jeden Zweifel erhaben ist. Man bräuchte einen heiligen Petrus, keinen Parteisoldaten. Die Nominierung Antonis ist das genaue Gegenteil davon. Es ist die bewusste Entscheidung für einen Mann, der Zweifel sät, anstatt sie zu beseitigen. In einer Zeit, in der die Wahrheit ohnehin schon ein dehnbarer Begriff geworden ist, ist dies ein gefährliches Experiment mit ungewissem Ausgang. Die Vermessung der amerikanischen Wirtschaft droht zu einer reinen Vermessung der Macht zu verkommen.