
Es gibt Orte in Washington, D.C., die lange Zeit als sakral galten, als Bastionen einer gewissen überparteilichen Erhabenheit. Das John F. Kennedy Center for the Performing Arts war ein solcher Ort. Unter seinen riesigen Kronleuchtern und hinter den marmornen Fassaden suchte das Publikum Schutz vor der Hektik des politischen Tagesgeschäfts, fand Zuflucht in der Oper, im Ballett, in der Symphonie. Doch an diesem Freitag im Dezember 2025 weicht die Stille der Kunst einem gänzlich anderen Spektakel. Der rote Teppich wird nicht für Tenöre oder Primaballerinen ausgerollt, sondern für die Funktionäre des Weltfußballs und, allen voran, für den Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Die Auslosung der Gruppen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2026, jenes bürokratische Vorspiel, bei dem Kugeln aus Glasschalen gezogen werden, hat sich in eine politische Machtdemonstration verwandelt. Ursprünglich sollte das Event in den glitzernden Hallen von Las Vegas stattfinden, einer Stadt, die für Showeffekte ohne politischen Ballast steht. Doch Donald Trump wollte es anders. Er drängte auf eine Verlegung in die Hauptstadt, in seine unmittelbare Nähe, und die FIFA, stets bedacht auf die Gunst der Mächtigen, folgte diesem Wunsch bereitwillig. Was wir an diesem Wochenende erleben, ist weit mehr als die Zuteilung von Spielpaarungen. Es ist der definitive Beweis dafür, dass der Weltfußballverband unter Gianni Infantino die politische Neutralität nicht nur aufgegeben, sondern ins Gegenteil verkehrt hat: in eine aktive Komplizenschaft mit der Macht.

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Eine Freundschaft aus Kalkül und Gold
Im Zentrum dieses Schauspiels steht eine Beziehung, die man in ihrer Offenheit fast als grotesk bezeichnen muss: die „Männerfreundschaft“ zwischen Donald Trump und Gianni Infantino. Der FIFA-Präsident, der sich rühmt, Trump seit langem zu kennen, nennt den US-Präsidenten „einen wirklich engen Freund“ und lobt dessen Energie und Engagement. Trump revanchiert sich mit Jovialität, nennt Infantino „my boy“ und genießt die öffentliche Nähe zu einer Organisation, die ihm das bietet, was er am meisten liebt: globale Aufmerksamkeit und goldene Trophäen.
Diese Symbiose gipfelt an diesem Freitag in einer Geste, die an Absurdität kaum zu überbieten ist. Nachdem Donald Trump bei der Vergabe des Friedensnobelpreises leer ausgegangen war – ein Umstand, für den Infantino zuvor noch öffentlich Lobbyarbeit betrieben hatte –, schritt die FIFA zur Tat. Ohne den üblichen Gremienweg, ohne Konsultation des FIFA-Rats oder der Vizepräsidenten, stampfte der Weltverband einen eigenen „FIFA Peace Prize“ aus dem Boden. Dass dieser inaugurale Preis an Trump gehen wird, gilt als offenes Geheimnis. Es wirkt wie ein Trostpreis aus der eigenen Werkstatt, eine Maßanfertigung für das Ego des Gastgebers.
Kritiker und Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch stehen fassungslos vor dieser Entwicklung. Sie fragen nach Kriterien, nach einer Jury, nach einem Nominierungsprozess – und erhalten Schweigen. Die Intransparenz ist hier kein Unfall, sie ist das Design. Indem die FIFA einen politischen Akteur für Verdienste um den Frieden auszeichnet, während dessen Administration gleichzeitig eine Verschärfung der Konfliktrhetorik betreibt, macht sie sich angreifbar. Sie entwertet ihre eigenen ethischen Richtlinien, die politische Neutralität fordern, und degradiert sich selbst zu einem Werkzeug der Imagepflege für das Weiße Haus.
Die Eroberung der Kultur
Dass diese Inszenierung ausgerechnet im Kennedy Center stattfindet, ist kein Zufall, sondern Teil eines größeren Kulturkampfes. Das Center, einst ein Symbol für parteiübergreifenden Konsens, wurde in den letzten Monaten systematisch umgebaut. Trump entließ Vorstandsmitglieder, installierte Loyale wie Ric Grenell und sprach offen davon, „woke“ Programme zu beenden. Die Folge war ein Exodus des Personals und ein Einbruch der Ticketverkäufe, da sich das traditionelle Publikum von der neuen Ausrichtung abgestoßen fühlte.
Für die FIFA ist das Kennedy Center nun ein Schnäppchen – zumindest auf dem Papier. Der Mietvertrag weist eine Gebühr von null Dollar aus. Stattdessen fließen Millionenbeträge über undurchsichtige „Sponsoring“-Konstruktionen und Spenden, um die Kosten zu decken. Es ist ein Geschäft, das beiden Seiten dient: Trump kann das Center als Bühne für „seine“ WM nutzen und es so weiter in seinem Sinne umdeuten, während die FIFA sich mit einem prestigeträchtigen Ort schmückt, ohne die üblichen Marktpreise zahlen zu müssen. Die Kritik aus der US-Kulturwelt, die das Center als „heiligen“ Ort der Kunst sieht, verhallt dabei ungehört.
Einwanderungspolitik trifft auf „Football Unites the World“
Der vielleicht schärfste Widerspruch dieser Tage liegt jedoch in der Diskrepanz zwischen dem Slogan der FIFA, „Football Unites the World“, und der Realität der US-amerikanischen Einwanderungspolitik. Während Infantino von Einheit und Frieden spricht, zieht die US-Regierung die Zügel an den Grenzen straffer denn je.
Für die Weltmeisterschaft wurde zwar ein sogenannter „FIFA Pass“ eingeführt, der Visa-Interviews für Ticketinhaber beschleunigen und priorisieren soll. Doch dieses System schafft eine Zweiklassengesellschaft. Fans aus Ländern, die kein Visum benötigen – wie Deutschland –, können bequem online einreisen. Für Bürger aus Ländern, die auf Trumps „No-Travel-Liste“ stehen, wie der Iran oder Haiti, bleiben die Türen hingegen oft verschlossen. Selbst offiziellen Delegationen, wie der des iranischen Fußballverbandes, wurde die Einreise zur Auslosung zunächst verweigert, bevor in letzter Minute zumindest für den Trainer eine Lösung gefunden wurde.
Es entsteht ein Bild der selektiven Gastfreundschaft: Willkommen sind die, die politisch genehm sind oder wirtschaftlichen Nutzen versprechen. Andrew Giuliani, der Sohn des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters und Leiter der WM-Taskforce des Weißen Hauses, macht aus dieser Haltung keinen Hehl. Er betont, dass jede Visa-Entscheidung eine Frage der nationalen Sicherheit sei und dass es keine pauschalen Ausnahmen für Fans aus sanktionierten Ländern geben werde.
Noch beunruhigender ist die Rhetorik bezüglich der Sicherheit in den Stadien. Auf die Frage nach möglichen Razzien durch die Einwanderungsbehörde ICE bei WM-Spielen antwortete Giuliani ausweichend, aber vielsagend: Der Präsident schließe nichts aus, was die Sicherheit amerikanischer Bürger erhöhe. Die Vorstellung, dass in den Halbzeitpausen von Fußballspielen Einwanderungskontrollen stattfinden könnten, hängt wie ein Damoklesschwert über dem Turnier. Sie steht im krassen Gegensatz zu früheren Turnieren wie in Russland oder Katar, wo Ticketinhabern visafreie Einreise gewährt wurde.
Die MAGA-Show und das Schweigen der Gäste
Die Atmosphäre, die die Besucher in Washington erwartet, wird weniger an ein globales Sportfest erinnern als an eine Wahlkampfveranstaltung. Die Village People sollen auftreten und ihren Hit „Y.M.C.A.“ performen – jenen Song, der untrennbar mit Trumps Rallyes verbunden ist. Es ist eine kulturelle Markierung des Reviers: Dies ist keine neutrale Weltmeisterschaft, dies ist eine MAGA-Veranstaltung.
Wie reagieren die Gäste auf diese Vereinnahmung? Die Mitgastgeber Kanada und Mexiko befinden sich in einer delikaten Lage. Kanadas Nationaltrainer Jesse Marsch bezeichnete Trumps Rhetorik zwar als „respektlos“, doch auf diplomatischer Ebene übt man sich in Zurückhaltung. Man will das Turnier nicht gefährden, will gute Miene zum bösen Spiel machen. Ähnlich verhalten sich die geladenen Sportlegenden. Tom Brady und Wayne Gretzky, die als Assistenten bei der Auslosung fungieren, normalisieren durch ihre Anwesenheit die politische Aufladung des Events. Sie dienen als schillernde Fassade, die den politischen Kern der Veranstaltung überstrahlen soll.
Strategisches Kalkül: Der Blick nach 2034
Warum lässt sich die FIFA auf diesen Tanz ein? Warum riskiert Gianni Infantino den Ruf seiner Organisation für die Nähe zu einem polarisierenden Präsidenten? Die Antwort liegt in der Strategie. Infantino versteht Macht als Währung. Die USA sind nicht nur der wichtigste Markt für das Wachstum des Fußballs, sie sind auch ein geopolitisches Schwergewicht, dessen Unterstützung die FIFA für ihre zukünftigen Pläne benötigt.
Der Blick richtet sich dabei bereits auf das Jahr 2034 und die Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien. Die Allianz mit Trump, der ebenfalls enge Beziehungen zum saudischen Kronprinzen pflegt, ist für Infantino ein strategischer Hebel. Es ist kein Zufall, dass Infantino Verspätungen bei FIFA-Treffen in Kauf nimmt, um mit Trump und den Herrschern der Golfregion Zeit zu verbringen. Es bildet sich eine Achse des pragmatischen Autoritarismus im Sport, in der Menschenrechte und demokratische Werte als störende Variablen betrachtet werden, die man durch PR-Aktionen wie den „Friedenspreis“ zu übertünchen versucht.
Gleichzeitig setzt Trump den Fußball als Druckmittel in der Innenpolitik ein. Er droht offen damit, Spiele aus Städten abzuziehen, die von demokratischen Bürgermeistern regiert werden, sollten diese ihm als „unsicher“ oder „radikal links“ erscheinen. Seattle und Boston wurden bereits ins Visier genommen. Für die FIFA ist das ein finanzielles Risiko, da kurzfristige Planänderungen Kosten verursachen, doch Infantino spielt mit. Er sekundiert Trump mit Aussagen zur Sicherheit als oberster Priorität und lässt den Präsidenten gewähren.
Ein historischer Echoraum
Die Geschichte des Fußballs ist reich an Beispielen politischer Instrumentalisierung. Mussolini nutzte die WM 1934, um den Faschismus zu glorifizieren; die argentinische Junta versuchte 1978, ihre Verbrechen durch sportlichen Erfolg zu überstrahlen. Doch was wir 2026 erleben, hat eine neue Qualität. Es ist nicht nur die Nutzung des Sports durch ein Regime zur internen Propaganda, es ist die Verschmelzung einer globalen Marke (FIFA) mit der politischen Marke eines einzelnen Führers in einer etablierten Demokratie.
Wenn Donald Trump an diesem Freitag auf die Bühne des Kennedy Centers tritt, um seinen selbst geschaffenen Preis entgegenzunehmen, wird das Bild um die Welt gehen. Es wird signalisieren, dass der Fußball nicht mehr allen gehört, sondern denen, die die Macht haben, ihn sich zu kaufen oder zu nehmen. Die FIFA hat sich entschieden: Sie ist nicht mehr der neutrale Verwalter des Spiels, sondern ein aktiver politischer Akteur, der seine Prinzipien der Taktik unterordnet.
Für die Fans bleibt die bittere Erkenntnis, dass ihr Spiel nur noch Mittel zum Zweck ist. Während sie in Warteschleifen für Visa hängen oder sich Sorgen um Kontrollen im Stadion machen müssen, feiern oben auf der Bühne die Funktionäre und Politiker ihre eigene Größe. Der Ball rollt zwar noch, aber die Spielregeln werden längst anderswo gemacht.


