
Eine Kabinettssitzung im Weißen Haus. Normalerweise ist das der Maschinenraum der Macht, ein Ort nüchterner Debatten und strategischer Entscheidungen, meist verborgen hinter verschlossenen Türen. Doch was sich an einem Dienstag im August abspielte, glich weniger einer Regierungssitzung als vielmehr dem Finale einer Reality-TV-Show, das live und in voller Länge ausgestrahlt wurde. Über drei Stunden lang verwandelte sich der ehrwürdige Cabinet Room in eine Bühne, auf der ein einziger Hauptdarsteller im Mittelpunkt stand: Präsident Donald Trump. Es war eine Inszenierung, die tief blicken lässt – in die Funktionsweise dieser Präsidentschaft und auf die schleichende Erosion demokratischer Normen, wenn der Staat zur Kulisse für die Ego-Pflege eines Mannes wird.
Die Veranstaltung war ein sorgfältig choreografiertes Ballett der Unterwerfung, eine fast surreale Demonstration öffentlicher Loyalität, die in der modernen Geschichte des Weißen Hauses ihresgleichen sucht. Dies war kein Austausch von Argumenten, sondern ein Wettbewerb der Schmeicheleien.

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Der Thronraum der Schmeicheleien: Ein Kabinett im Loyalitätsrausch
Einer nach dem anderen traten die Minister und Berater vor, nicht um über politische Herausforderungen zu berichten, sondern um dem Präsidenten in den schillerndsten Farben für seine angebliche Genialität zu danken. Es war ein bizarres Schauspiel, das sich mit jeder Wortmeldung steigerte. Arbeitsministerin Lori Chavez-DeRemer lud den Präsidenten ein, sein eigenes „großes, schönes Gesicht“ auf einem riesigen Banner vor ihrem Ministerium zu bewundern, und pries ihn als den „Transformationspräsidenten des amerikanischen Arbeiters“. Ihr Ministerium hatte für dieses und ein weiteres Banner rund 6.000 Dollar ausgegeben.
Die Lobpreisungen nahmen Züge an, die man sonst nur aus autokratischen Systemen kennt. Der Sondergesandte Steve Witkoff wünschte sich, das Nobelpreiskomitee möge endlich erkennen, dass Trump der „beste Kandidat“ sei, über den man je nachgedacht habe. Agrarministerin Brooke Rollins dankte ihm für die Rettung des College-Footballs, und Handelsminister Howard Lutnick erklärte das Kabinett schlicht zum „großartigsten Kabinett, das für den großartigsten Präsidenten arbeitet“. Selbst der Gesundheitsminister und einstige politische Rivale Robert F. Kennedy Jr. fügte sich in den Chor ein und attestierte Trump, er würde die Wale retten – eine Anspielung auf dessen bekannte Abneigung gegen Windkrafträder.
Was treibt gestandene Politiker und hohe Beamte zu einer derart devoten Zurschaustellung? Es ist die Erkenntnis, dass in diesem Weißen Haus nicht Kompetenz oder politische Leistung die härteste Währung sind, sondern bedingungslose, öffentlich demonstrierte Treue. Die Sitzung wurde zu einem Stresstest für die Loyalität, bei dem jeder wusste, dass der Präsident zuschaute und jederzeit bereit war, jemanden, der nicht überzeugend genug lieferte, öffentlich zu demütigen. Es ist der Preis, den man zahlt, um einen Platz am Tisch zu behalten – ein Preis, der in Stunden, Geld und vielleicht auch in einem Stück persönlicher Integrität bemessen wird.
Ein bekanntes Drehbuch: Parallelen zu Putins Machtzirkel
Für Beobachter der internationalen Politik wirkte die Szenerie beunruhigend vertraut. Analysten und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter zogen direkte Parallelen zu den Machtdemonstrationen von Wladimir Putin in Russland, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei oder dem verstorbenen Hugo Chávez in Venezuela. Auch diese personalistischen Führer nutzen medienwirksame Treffen, um sich als allwissende Problemlöser zu inszenieren, die sich persönlich um jede Kleinigkeit kümmern – seien es Schlaglöcher oder die Preise für Medikamente.
Diese Methode dient einem doppelten Zweck: Sie demonstriert dem Volk, dass der Anführer jeden Aspekt des nationalen Lebens kontrolliert, und sie macht den Untergebenen unmissverständlich klar, wer die uneingeschränkte Macht besitzt. Indem Trump eine ähnliche Show inszenierte, brach er nicht nur mit der Tradition amerikanischer Präsidenten, die ihre Kabinette selten für solche Spektakel missbrauchten. Er importierte vielmehr ein Regierungsmodell, das auf der Zentralisierung von Macht und der öffentlichen Huldigung des Anführers basiert. Er präsentierte sich als der große Puppenmeister, der alle Fäden in der Hand hält.
Die inszenierte Realität: Wenn Politik zur Fernsehshow wird
Während der mehr als drei Stunden sprang Trump von Thema zu Thema, wie ein Showmaster, der sein Publikum bei Laune halten muss. Er erklärte Siege über hohe Benzinpreise und Kriminalität in Washington, fantasierte über eine Renaissance der Möbelindustrie in North Carolina und wiederholte widerlegte Theorien über den Zusammenhang von Impfungen und Autismus. Die eigentliche Politik war dabei nur das Füllmaterial, der Vorwand für eine ausgedehnte Selbstdarstellung.
Diese „radikale Transparenz“, wie Trump seine Offenheit nannte, war bei genauerem Hinsehen eine sorgfältig konstruierte Illusion. Die anwesenden Journalisten waren keineswegs ein Querschnitt der amerikanischen Medienlandschaft. Das Weiße Haus hatte die Kontrolle über den Presse-Pool an sich gerissen und sichergestellt, dass vor allem präsidentenfreundliche Medien Zugang erhielten. So kam es, dass eine Reporterin des Falun-Gong-nahen Senders NTD die Gelegenheit nutzte, um Trump persönlich für ihre Sicherheit und die ihres ungeborenen Kindes zu danken. Die vermeintliche Transparenz entpuppte sich als eine geschlossene Echokammer, in der die Bewunderung für den Präsidenten von allen Seiten widerhallte.
Der Preis der Show: Wenn die Demokratie zur Nebensache wird
Doch was sind die Kosten, wenn das Regieren zur permanenten Performance wird? Wenn eine dreistündige Sitzung, die an jedem normalen Arbeitsplatz als grotesk ineffizient gelten würde, als normaler Regierungsakt verkauft wird? Die Risiken sind fundamental.
Zum einen droht eine Aushöhlung der Verwaltungsprozesse. Wenn politische Entscheidungen nicht mehr auf Basis von Fakten und Expertenrat getroffen werden, sondern von den Launen, Anekdoten und persönlichen Animositäten des Präsidenten abhängen, verliert der Staat seine Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen. Die Diskussion über radioaktiv verseuchte Shrimps verkam ebenso zur Kulisse für Trumps persönliche Agenda wie die Debatte über die angebliche Gefahr von Windrädern.
Zum anderen verschwimmen die Grenzen zwischen Amt und politischer Kampagne. Viele der Kabinettsmitglieder bewegten sich mit ihren lobenden Worten hart an der Grenze des Hatch Acts, eines Gesetzes, das Bundesangestellten politische Aktivitäten im Dienst verbietet. Der Regierungsapparat wird so zum Werkzeug für den permanenten Wahlkampf, bezahlt vom Steuerzahler.
Am Ende bleibt die Frage nach den langfristigen Schäden für die demokratische Kultur. Wenn Bürger sich daran gewöhnen, dass Politik wie eine Reality-Show funktioniert, in der Loyalitätsbekundungen wichtiger sind als Ergebnisse und in der ein starker Mann vorgibt, alle Probleme im Alleingang lösen zu können, gerät das Fundament der Gewaltenteilung und des institutionellen Gleichgewichts ins Wanken. Die Kabinettssitzung war mehr als nur eine bizarre Episode; sie war ein Symptom für eine Präsidentschaft, die die Institutionen, die sie führen soll, nicht als Werkzeuge der Demokratie, sondern als Requisiten für die eigene Show begreift. Die Kameras mögen an diesem Nachmittag ausgegangen sein, aber die Aufführung geht weiter. Und niemand weiß, wie das Stück am Ende ausgehen wird.