
In den stillen, ehrwürdigen Hallen, in denen das Gedächtnis einer Nation aufbewahrt wird, knirscht es. Es ist kein lautes Bersten, sondern ein leises, zersetzendes Geräusch, das von den Orten ausgeht, an denen Geschichte und Kunst auf die harte Realität der Macht treffen. Die jüngsten Ereignisse rund um das Smithsonian in Washington sind mehr als nur kulturpolitische Scharmützel; sie sind die sichtbaren Erschütterungen eines tiefgreifenden Konflikts. Es ist der Kampf um die Deutungshoheit über die amerikanische Vergangenheit und Gegenwart, geführt von einer Trump-Administration, die entschlossen scheint, die unabhängigen Kulturinstitutionen des Landes auf eine stramm nationalistische Linie zu bringen. Die Entfernung historischer Fakten und die gefühlte Zensur von Kunst sind dabei keine unglücklichen Zufälle. Sie sind vielmehr Symptome einer systematischen Strategie, die das Fundament dessen angreift, was ein Museum sein soll: ein Ort der kritischen Auseinandersetzung, nicht der unkritischen Verherrlichung. Dieser Beitrag zeichnet nach, wie das Weiße Haus einen beispiellosen Druck aufbaut und das Smithsonian in eine gefährliche Zerreißprobe zwischen institutioneller Integrität, vorauseilendem Gehorsam und mutigem Widerstand zwingt.
Wenn die Geschichte zur Verhandlungssache wird: Der Fall des Impeachment-Schildes
Es beginnt oft im Kleinen, mit einer Geste, die kaum bemerkt wird. Im Juli entfernte das National Museum of American History eine unscheinbare Informationstafel aus seiner Ausstellung „The American Presidency: A Glorious Burden“. Diese Tafel, die erst seit September 2021 dort hing, dokumentierte die beiden Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump und reihte ihn damit historisch korrekt in die kurze Liste der Präsidenten ein, die sich einem solchen Verfahren stellen mussten. Plötzlich war die Geschichte wieder auf dem Stand von 2008, und die Tafel, die auch die Verfahren gegen Andrew Johnson und Bill Clinton sowie die drohende Anklage gegen Richard Nixon erwähnte, verschwunden.

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Die Begründungen des Smithsonian für diesen Akt historischer Bereinigung waren ein Lehrstück in Widersprüchlichkeit und defensiver Kommunikation. Zuerst hieß es, die Tafel sei ohnehin nur eine temporäre Ergänzung gewesen, ein Platzhalter mit der Aufschrift „Case under redesign (history happens)“. Später wurde argumentiert, die gesamte Sektion über die „Grenzen der präsidialen Macht“ sei veraltet, und man habe die Ausstellung daher in ihren Zustand von 2008 zurückversetzt, bis eine grundlegende, aber teure und zeitaufwändige Überarbeitung möglich sei. In einer weiteren Volte erklärte man, die Tafel habe schlicht nicht den ästhetischen Museumsstandards entsprochen und den Blick auf die Objekte verstellt.
Diese Erklärungen wirken fadenscheinig, wenn man den Kontext betrachtet. Eine Person, die mit den Plänen vertraut war, brachte die Entfernung direkt mit einer „Content Review“ in Verbindung, zu der sich das Smithsonian nach Druck aus dem Weißen Haus bereit erklärt hatte – Druck, der sich ursprünglich gegen die Direktorin eines Kunstmuseums richtete. Obwohl die Institution offiziell bestritt, von Regierungsbeamten zur Entfernung aufgefordert worden zu sein, bleibt der zeitliche Zusammenhang erdrückend. Das Museum beugte sich einer Überprüfung auf „Parteilichkeit“, die vom Board of Regents angeordnet wurde, nachdem Trump die Institution als Hort „anti-amerikanischer Ideologie“ gebrandmarkt hatte. Die Rückkehr ins Jahr 2008 ist somit keine neutrale kuratorische Entscheidung, sondern ein politischer Rückzug. Sie suggeriert, dass unbequeme, aber unbestreitbare Fakten über den amtierenden Präsidenten – den einzigen, der zweimal des Amtes enthoben wurde – verhandelbar sind, wenn der politische Wind rau weht.
Die rote Linie der Kunst: Amy Sheralds Absage als Akt des Widerstands
Wenn die Geschichtsschreibung ins Wanken gerät, ist die Kunstfreiheit oft die nächste, die fällt. Der zweite Akt dieses Dramas spielte sich nicht im Museum für Geschichte, sondern in der National Portrait Gallery ab, und er hatte ein Gesicht: das der gefeierten Künstlerin Amy Sherald. Sherald, die durch ihr ikonisches Porträt von Michelle Obama weltberühmt wurde, zog ihre mit Spannung erwartete Solo-Ausstellung „American Sublime“ zurück, die im September eröffnen sollte. Ihre Entscheidung war keine Laune, sondern ein unmissverständliches Statement gegen eine Atmosphäre der Angst und Selbstzensur.
Sherald erklärte, sie sei darüber informiert worden, dass innerhalb der Museumsleitung Bedenken gegen eines ihrer zentralen Werke geäußert wurden: das Gemälde „Trans Forming Liberty“, das eine transgender Frau in der Pose der Freiheitsstatue zeigt. Die Angst, dieses Werk könnte Präsident Trump provozieren, führte offenbar zu Überlegungen, es aus der Schau zu entfernen. Für Sherald, deren Kunst darauf abzielt, jenen Sichtbarkeit zu verleihen, die aus der amerikanischen Geschichte oft ausgeblendet wurden, war dies eine unüberschreitbare rote Linie. „Es ist klar“, so die Künstlerin, „dass institutionelle Furcht, geformt durch ein breiteres Klima politischer Feindseligkeit gegenüber trans Leben, eine Rolle spielte“.
Der Versuch der Smithsonian-Führung, die Situation zu retten, machte sie nur noch schlimmer. Der Vorschlag, das Gemälde durch ein Video zu ersetzen, das Reaktionen auf das Bild und eine Debatte über Transgender-Themen – inklusive anti-trans Stimmen – zeigen sollte, war für Sherald inakzeptabel. Es hätte den Wert von trans Sichtbarkeit zur Debatte gestellt, anstatt ihn zu affirmieren. Die spätere Behauptung des Smithsonian, das Video habe das Bild nur begleiten, nicht ersetzen sollen, konnte den Vertrauensbruch nicht mehr heilen. Sheralds Absage war ein Akt der Integrität. „Ich kann nicht guten Gewissens einer Kultur der Zensur zustimmen“, erklärte sie, „besonders wenn sie auf verletzliche Gemeinschaften abzielt“. In einer Zeit, in der die Rechte von Transgender-Personen politisch bekämpft werden, sei Schweigen keine Option.
Die Neuvermessung der Nation: Trumps Feldzug gegen die „spaltende Ideologie“
Die Vorfälle um das Impeachment-Schild und Amy Sheralds Kunst sind keine isolierten Ereignisse. Sie sind die direkten Ergebnisse einer konzertierten Kampagne der Trump-Administration, die darauf abzielt, Amerikas kulturelle Institutionen ideologisch neu auszurichten. Im März unterzeichnete der Präsident eine Executive Order, die das Smithsonian anwies, „anti-amerikanische Ideologie“ zu eliminieren. Die Institution sei, so der Vorwurf, unter den Einfluss einer „spaltenden, rassenzentrierten Ideologie“ geraten, die die amerikanische Geschichte umschreibe, anstatt sie zu feiern. Das Ziel: die Wiederherstellung des Smithsonian als „Symbol der Inspiration und amerikanischen Größe“.
Diese Rhetorik wurde von konkreten Taten begleitet. Die Administration versuchte, Kim Sajet, die Direktorin der National Portrait Gallery, zu feuern, und warf ihr Parteilichkeit und Unterstützung für Diversitätsprogramme vor. Obwohl das Smithsonian die rechtliche Autorität Trumps bestritt, trat Sajet Wochen später zurück und erklärte, ihre Anwesenheit sei zu einer Ablenkung von der Mission des Hauses geworden. Kurz darauf schloss das Smithsonian sein Diversitätsbüro. Die Botschaft war unmissverständlich: Wer nicht auf Linie ist, wird zur Zielscheibe. Das Weiße Haus feierte die Absage von Sheralds Ausstellung als „prinzipientreuen und notwendigen Schritt“ und bezeichnete ihr Gemälde als Versuch, „eines der heiligsten Symbole unserer Nation durch eine spaltende und ideologische Linse neu zu interpretieren“.
Im Auge des Sturms: Wie der Oberste Richter die Balance zu wahren versucht
Inmitten dieses politischen Sturms agiert eine Figur, deren Rolle faszinierender und heikler kaum sein könnte: John G. Roberts Jr., der Oberste Richter der USA und qua Amt Kanzler des Smithsonian. Roberts, ein überzeugter Institutionalist, der politische Grabenkämpfe scheut, findet sich plötzlich an der Spitze einer Kultureinrichtung wieder, die zum Schlachtfeld geworden ist. Sein Vorgehen ist bezeichnend. Als bei einer Sitzung des Board of Regents ein republikanisches Mitglied den Antrag stellte, Museumsdirektorin Sajet wie von Trump gefordert zu entlassen, blockte Roberts den Vorstoß kühl ab. Seine Begründung war nicht politisch, sondern rein prozedural: Es liege bereits ein anderer Antrag auf dem Tisch.
Dieser Moment offenbart Roberts‘ Strategie: den Schutz der Institution durch das strikte Festhalten an Regeln und Verfahren. Er versucht, das Smithsonian aus der direkten Schusslinie zu nehmen, indem er die Debatte entpolitisiert und auf eine formale Ebene hebt. Doch dieser Balanceakt auf dem Hochseil der Neutralität wird zunehmend schwieriger. Der Druck des Präsidenten ist direkt und persönlich, und Roberts‘ Rolle als Kanzler, die er einst als „großartigen Nebenjob“ bezeichnete, wird zu einer schweren Bürde. Er ist der Hüter zweier Institutionen, des Supreme Court und des Smithsonian, die beide auf ihre Unabhängigkeit angewiesen sind – eine Unabhängigkeit, die nun offen infrage gestellt wird.
Das Zittern der Säulen: Das Smithsonian zwischen Widerstand und vorauseilendem Gehorsam
Wie reagiert eine so große und traditionsreiche Institution auf einen derartigen Angriff? Die Antwort des Smithsonian ist von einer beunruhigenden Ambivalenz geprägt. Einerseits versucht das Board of Regents, seine Autonomie zu behaupten. In einer Resolution bekräftigte es, dass allein das Smithsonian über Personalentscheidungen verfügen könne – ein klarer, wenn auch indirekter, Widerspruch zur versuchten Entlassung Sajets durch Trump. Andererseits macht es genau die Zugeständnisse, die das Weiße Haus fordert. Dieselbe Resolution ordnete eine umfassende Überprüfung aller Ausstellungsinhalte auf „Parteilichkeit“ an.
Dieses Vorgehen ist ein prekärer Kompromiss, ein Versuch, den Wolf zu füttern, in der Hoffnung, nicht gefressen zu werden. Man opfert ein Stück kuratorische Freiheit, um die institutionelle Kontrolle zu wahren. Dahinter steht die kalte Realität der finanziellen Abhängigkeit: Der US-Kongress stellt den Löwenanteil des Budgets bereit, was der Regierung ein mächtiges, wenn auch indirektes, Druckmittel in die Hand gibt. Die Reaktion des Smithsonian ist daher eine Mischung aus Rückgrat und vorauseilendem Gehorsam, die zeigt, wie tief die Verunsicherung bereits in die Grundfesten der Institution eingedrungen ist.
Wem gehört die Geschichte? Das Museum als Spiegel eines gespaltenen Landes
Was wir im Fall des Smithsonian beobachten, ist weit mehr als eine Auseinandersetzung zwischen einer Regierung und einem Museum. Es ist ein Symptom für den Zustand einer tief gespaltenen Nation, die um ihre eigene Identität und Geschichte ringt. Historiker beschreiben den aktuellen Konflikt als beispiellos. Frühere Kontroversen, etwa um die Darstellung des schwarzen Richters Clarence Thomas, wurden intern und mit einer gewissen Diskretion gelöst. Was heute geschieht, ist ein „direkter Frontalangriff“ der höchsten politischen Ebene.
Die Trump-Administration versucht, ein Narrativ der nationalen Größe durchzusetzen, das komplexe, widersprüchliche und schmerzhafte Aspekte der amerikanischen Geschichte ausblendet. Kunst und Geschichte sollen nicht mehr herausfordern, sondern bestätigen. Sie sollen nicht mehr zum Denken anregen, sondern ein Gefühl des Stolzes erzeugen, das auf einer selektiven und bereinigten Version der Vergangenheit basiert. Damit wird das Museum von einem Ort des Dialogs und der Entdeckung zu einem Instrument der Indoktrination. Die skeptischen und kritischen Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Entscheidungen des Smithsonian zeigen, dass viele Bürger genau das erwarten, was die Regierung zu unterbinden versucht: eine ehrliche und ungeschönte Auseinandersetzung mit der eigenen Nation.
Am Ende geht es um die Frage, ob das Gedächtnis der Nation ein offenes Archiv für alle Bürger bleibt oder zu einer Trophäe im Schaukasten des Siegers wird. Die Antwort, die das Smithsonian in diesen Tagen formuliert – durch das, was es zeigt, und das, was es verbirgt –, wird weit über die Mauern seiner Museen hinaus hallen. Sie wird darüber entscheiden, ob die Seele Amerikas noch im Museum zu finden ist oder nur noch davor.