
In den Korridoren des Pentagons, jenem fünfzackigen Nervenzentrum der amerikanischen Militärmacht, herrscht eine neue, unheimliche Stille. Es ist nicht die Ruhe strategischer Konzentration, sondern das Schweigen, das entsteht, wenn Fenster und Türen zur Außenwelt systematisch verriegelt werden. Unter der Führung von Verteidigungsminister Pete Hegseth verwandelt sich das US-Verteidigungsministerium von einer Institution, die einst den kritischen Austausch suchte, in eine ideologische Echokammer. Persönliche Loyalität zum Präsidenten wird zur höchsten Tugend erhoben, während Expertise und unabhängiges Denken als potenzielle Bedrohung gelten. Die folgenden Entwicklungen sind keine zufälligen Ausrutscher, sondern Mosaiksteine eines beunruhigenden Gesamtbildes: Das amerikanische Militär schottet sich ab und riskiert damit, blind zu werden für die komplexen Gefahren einer Welt, die sich nicht an parteipolitische Drehbücher hält.
Der Loyalitätseid: Wenn Generäle zum Vorsprechen müssen
Es ist ein Vorgang, der mit jahrzehntelangen Traditionen bricht und die feine Membran zwischen politischer Führung und militärischer Professionalität zu zerreißen droht. Verteidigungsminister Hegseth hat eine neue Regelung eingeführt: Jeder Offizier, der für den Rang eines Vier-Sterne-Generals oder -Admirals nominiert wird, muss sich einem persönlichen Gespräch mit Präsident Donald Trump stellen. Was das Weiße Haus als Maßnahme darstellt, um sicherzustellen, dass die obersten Militärs „Krieger und keine Bürokraten“ sind, wird von erfahrenen Beobachtern als das gesehen, was es ist: ein politischer Lackmustest.

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Früher trafen Präsidenten allenfalls eine kleine Auswahl von Kandidaten für die allerhöchsten und sensibelsten Posten. Die neue, pauschale Interviewpflicht für alle der rund drei Dutzend Vier-Sterne-Positionen schafft jedoch einen gefährlichen Eindruck: dass diese Offiziere nicht mehr aufgrund ihrer militärischen Kompetenz ausgewählt werden, sondern aufgrund ihrer persönlichen Ergebenheit und parteipolitischen Ausrichtung. Es ist ein subtiler, aber fundamentaler Wandel. Die Generäle, die eine Nation schützen sollen, werden zu „meinen Generälen“, wie Trump sie schon in seiner ersten Amtszeit nannte, persönlich ausgewählt und potenziell auch persönlich verpflichtet. Die Sorge, die in den Gängen des Pentagons umgeht, ist, dass diese Gespräche weniger der strategischen Abstimmung dienen und mehr dazu, die Reaktion der Offiziere auf die politische Agenda des Präsidenten zu testen.
Wie unmittelbar dieser neue Wind weht, zeigt der Fall von Jen Easterly. Die hochqualifizierte Cybersicherheitsexpertin und Armeeveteranin, die in früheren Regierungen beider Parteien gedient hatte, sollte einen angesehenen Posten an der Militärakademie West Point antreten. Doch ihre Ernennung überlebte kaum einen Tag. Eine einzige Anklage der rechtsradikalen Aktivistin Laura Loomer auf sozialen Medien, Easterly habe daran gearbeitet, „Trump-Unterstützer zum Schweigen zu bringen“, genügte. Der Verteidigungsminister griff persönlich ein und befahl West Point, das Angebot zurückzuziehen. Ein Social-Media-Post wiegt nun schwerer als ein beeindruckender Lebenslauf. Es offenbart einen Entscheidungsprozess, der nicht mehr auf interner Prüfung und fachlicher Eignung beruht, sondern auf den Zurufen ideologischer Einflüsterer von außen.
Die gezogene Zugbrücke: Eine neue intellektuelle Isolation
Diese Politisierung des Personals ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die aktive Abschottung des gesamten Verteidigungsapparats von Ideen, die nicht dem Weltbild der Regierung entsprechen. Hegseths Pentagon hat dem intellektuellen Austausch mit der zivilen Welt den Kampf angesagt. Das prominenteste Beispiel war das plötzliche Verbot für sieben hochrangige Generäle und Admirale, am renommierten Aspen Security Forum teilzunehmen – einer Konferenz, die seit Jahren eine zentrale Plattform für den Dialog zwischen Militär, Politik und Wissenschaft ist. Die Begründung des Pentagon-Sprechers entlarvte die neue Doktrin in ihrer ganzen Rohheit: Das Forum werde von einer Organisation veranstaltet, die „die Übel des Globalismus, die Verachtung für Amerika und den Hass auf unseren großartigen Präsidenten Donald J. Trump“ fördere.
Daraufhin wurde eine pauschale Überprüfung aller zukünftigen Teilnahmen an Veranstaltungen angeordnet, um sicherzustellen, dass das Ministerium seinen Namen nicht Organisationen leiht, die den „Werten dieser Regierung“ entgegenlaufen. Diese vage Anweisung hat eine Welle der Verunsicherung und präventiven Selbstzensur ausgelöst. Militärangehörige sagen reihenweise Teilnahmen an Konferenzen ab, aus Angst, gegen unklare Regeln zu verstoßen. Die Verwirrung ist so groß, dass sogar interne Meetings abgesagt wurden, weil unklar war, ob sie als „Event“ oder „Forum“ unter das Verbot fallen könnten.
Damit kappt das Pentagon eine lebenswichtige Ader. Über Jahrzehnte hinweg hat das US-Militär, insbesondere nach den strategischen Sackgassen im Irak und in Afghanistan, die Notwendigkeit des Blicks von außen betont. Konferenzen und der Austausch mit Denkfabriken waren die Ventile, durch die frische Luft in das oft starre System gelangen konnte. Sie waren die Orte, an denen unbequeme Annahmen hinterfragt und Strategien auf ihre unbeabsichtigten Folgen abgeklopft wurden. Diese symbiotische Beziehung, in der die operative Welt des Militärs von der strategischen Weitsicht der Wissenschaft profitierte, wird nun aufs Spiel gesetzt.
Tödlichkeit statt Strategie: Die Gefahr des strategischen Tunnelblicks
Kritiker warnen, dass diese selbstgewählte Isolation einen hohen Preis hat. Der pensionierte Armeeoberst Pete Mansoor, der während des Irak-Kriegs als rechte Hand von General David Petraeus diente, bringt die Gefahr auf den Punkt. Er erinnert daran, dass der Fokus allein auf „Tödlichkeit“ und Waffensysteme, bei gleichzeitiger Vernachlässigung des strategischen und politischen Kontexts, den Krieg im Irak beinahe zum Scheitern verurteilt hätte. Ironischerweise war es damals ein von einem Think Tank – dem American Enterprise Institute – entwickelter Plan, der die Blaupause für die erfolgreiche „Surge“-Strategie lieferte. Ein anderes Beispiel ist ein Kriegsspiel des Center for Strategic and International Studies, das die massiven Verwundbarkeiten der USA bei einer chinesischen Invasion Taiwans aufzeigte und zu einem dringenden Umdenken in der Militärplanung führte.
Genau diese Art von externem Korrektiv wird nun abgeschafft. Ein Verteidigungsbeamter fragt anonym, aber treffend: „Wann sind unsere Ideen so zerbrechlich geworden, dass sie niemandem standhalten können, der andere Ansichten hat?“. Indem sich das Pentagon von kritischen Stimmen abschottet, nähert es sich gefährlich den Militärs autoritärer Staaten wie Russland oder China an, wo der Austausch nur noch mit staatlich sanktionierten Akademikern erlaubt ist. Die russische Armee, so Mansoors zynischer Verweis, betont sicher auch die Tödlichkeit – doch ihre Generäle wurden auf der Grundlage von einer Million eigener Verluste in der Ukraine geschult. Strategische Brillanz entsteht nicht im Vakuum, sondern im Ringen der besten Ideen.
Angriff als Verteidigung: Die Demontage interner Kontrolle
Die Mauern werden nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hochgezogen. Wer die externe Kritik zum Schweigen bringt, muss auch sicherstellen, dass die interne Kontrolle nicht zur Last wird. Das zeigt sich exemplarisch am Umgang von Hegseths Team mit der „Signalgate“-Affäre. Der Generalinspekteur des Pentagons, eine unabhängige Kontrollinstanz, untersucht den Vorwurf, dass Hegseth über eine unverschlüsselte kommerzielle App geheime Details über bevorstehende Luftangriffe im Jemen geteilt hat.
Die Reaktion aus dem Büro des Ministers ist ein Frontalangriff auf die Legitimität des Ermittlers. Die Untersuchung wird öffentlich als „politischer Hexenjagd“ und „Schwindel“ denunziert, der von „Überbleibseln der Biden-Regierung“ inszeniert werde. Diese Rhetorik, direkt aus dem Handbuch des Präsidenten entlehnt, ist ein Versuch, die Ergebnisse zu diskreditieren, noch bevor sie vorliegen. Sie steht im scharfen Widerspruch zu Hegseths eigenen Versprechen während seines Bestätigungsverfahrens, die Unabhängigkeit des Generalinspekteurs zu schützen. Es ist ein Muster, das sich wiederholt: Präsident Trump hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt den amtierenden Generalinspekteur des Verteidigungsministeriums im Rahmen einer umfassenden Säuberungsaktion bei staatlichen Aufsichtsbehörden entlassen.
Die Botschaft ist klar: Wer die Führung kritisch prüft, ist kein Kontrolleur, sondern ein politischer Feind. Die Institutionen, die als demokratische Leitplanken dienen sollen, werden als Hindernisse auf dem Weg zur uneingeschränkten Machtausübung umgedeutet und delegitimiert.
Eine Festung ohne Zukunft
Die Trump-Regierung baut das Pentagon zu einer Festung um. Doch es ist eine Festung ohne Fenster, deren dicke Mauern nicht nur Feinde abhalten, sondern auch das Licht der Realität. Indem sie Loyalität über Kompetenz stellt, den Dialog mit der Außenwelt abbricht und interne Kontrolleure als Verräter brandmarkt, schafft sie ein Militär, das zwar nach innen ideologisch geeint, aber nach außen hin blind und strategisch verarmt sein könnte. Die größte Ironie liegt vielleicht darin, dass selbst die Teilnahme an der Ronald-Reagan-Sicherheitskonferenz, die das von Hegseth so oft zitierte Motto „Frieden durch Stärke“ feiert, aufgrund seiner eigenen Direktiven nun ungewiss ist.
Die langfristige Gefahr reicht weit über die Effektivität einzelner Militäroperationen hinaus. Es geht um die Seele einer der wichtigsten demokratischen Institutionen: eine unparteiische Armee, die der Verfassung und der Nation dient, nicht einem Mann oder einer Partei. Wenn die Mauern der Festung Pentagon zu hoch und zu dick werden, sperren sie am Ende nicht die Welt aus, sondern sich selbst ein – in einer gefährlichen Isolation, in der die einzigen Echos die der eigenen Überzeugung sind.