
Was geschieht, wenn das mächtigste Amt der Welt nicht von einer politischen Vision, sondern von einer tiefen persönlichen Verletzung angetrieben wird? Wenn Entscheidungen, die das Schicksal von Nationen und Millionen von Menschen beeinflussen, nicht auf strategischen Analysen, sondern auf impulsiven Reaktionen und dem unstillbaren Bedürfnis nach Vergeltung beruhen? Die Präsidentschaft von Donald Trump, so legt es eine genaue Betrachtung nahe, liefert eine beunruhigende Fallstudie für genau dieses Szenario. Es ist das Porträt einer Regierung, in der die Logik der Macht durch die Psychologie des Gekränkten ersetzt wurde. Statt eines politischen Kompasses scheint ein rohes Bündel an Emotionen – Wut, Angst und vor allem eine alles durchdringende Kleinlichkeit – den Kurs vorzugeben. Dieser Beitrag zeichnet nach, wie persönliche Animositäten zur inoffiziellen Währung im Weißen Haus wurden und das Fundament der amerikanischen Regierungsführung erodierten, von den innersten Zirkeln der Macht bis an die Frontlinien der internationalen Politik. Es ist die Geschichte einer Präsidentschaft, die weniger ein Programm verfolgte, als vielmehr eine Liste offener Rechnungen abarbeitete.
Der verletzte Stolz: Der Abend, der Amerikas Schicksal mitbestimmte
Um die Wurzeln dieses Regierungsstils zu verstehen, muss man in der Zeit zurückgehen, zu einem Abend im Jahr 2011. Im großen Ballsaal des Washington Hilton Hotels fand das jährliche Galadinner der White-House-Korrespondenten statt, eine traditionelle Veranstaltung, bei der sich Politik und Medien mit selbstironischem Humor begegnen. An diesem Abend jedoch wurde die Atmosphäre eisig. Präsident Barack Obama nutzte die Bühne, um sich über den Geschäftsmann Donald Trump lustig zu machen, der im Publikum saß und seit Wochen die rassistisch grundierte „Birther“-Verschwörungstheorie befeuert hatte, wonach Obama nicht in den USA geboren sei. Obamas Spott war scharf, präzise und vor den Augen der gesamten Washingtoner Elite zutiefst demütigend. Während der Saal lachte, versteinerte sich Trumps Miene.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Dieser Moment, so wird argumentiert, war mehr als nur eine peinliche Episode. Er war ein zündender Funke. Auch wenn Trump schon früher mit dem Gedanken an eine Präsidentschaft gespielt hatte, kristallisierte sich hier womöglich der Groll, der seine politische Ambition in eine unerbittliche Mission verwandelte. Seine spätere Obsession mit Obama, die so weit ging, dass er sich Jahre später versprach und behauptete, er habe Obama und nicht Hillary Clinton besiegt, wirkt wie das späte Echo dieser öffentlichen Herabsetzung. Die politische Karriere Trumps erscheint somit nicht als Ergebnis eines ideologischen Erweckungserlebnisses, sondern als der langwierige Versuch, eine tief sitzende persönliche Schmach zu tilgen. Die Demütigung von damals wurde zum Treibstoff für den Aufstieg von morgen, und die Politik zum Instrument der persönlichen Rache.
Das System der Kleinlichkeit: Wenn Loyalität das Staatsinteresse verdrängt
Einmal im Amt, verwandelte sich diese persönliche Veranlagung in ein administratives Prinzip. Eine Kultur der Vergeltung und permanenter Loyalitätstests sickerte von der Spitze in den gesamten Regierungsapparat. Während frühere Präsidenten wie Harry Truman oder Richard Nixon ebenfalls für ihre hitzigen Temperamente bekannt waren, besaßen sie dennoch eine Vorstellung von Regierungshandeln und politische Ziele, die über ihre Person hinauswiesen. Unter Trump hingegen schien die wichtigste Qualifikation für ein hohes Amt nicht mehr die Kompetenz, sondern die bedingungslose persönliche Ergebenheit zu sein. Illoyalität, oder auch nur der Verdacht darauf, wurde systematisch geahndet.
Nirgendwo wird die fast surreale Natur dieses Systems deutlicher als in einer Episode um den ehemaligen nationalen Geheimdienstkoordinator James Clapper. Clapper, ein hochrangiger Militärveteran, hatte eine Patenschaft für einen Rettungshund übernommen, der bei der CIA als Arbeitstier ausgebildet werden sollte. Er nannte den Hund „Susan“, zum Gedenken an seine verstorbene Frau, eine Tierliebhaberin. Doch als Clapper an der Abschlussfeier des Hundes auf dem CIA-Gelände teilnehmen wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt. Der Grund: Trump verachtet Clapper und macht ihn für die Russland-Ermittlungen verantwortlich. Einem achtzigjährigen Mann, der seinem Land ein halbes Jahrhundert gedient hatte, wurde verboten, einer Zeremonie für einen Hund beizuwohnen, den er selbst gestiftet und nach seiner verstorbenen Frau benannt hatte. Dieser Vorfall ist mehr als nur eine bizarre Anekdote; er ist ein Mikrokosmos einer Regierung, in der persönliche Animositäten des Präsidenten selbst die grundlegendsten Regeln des Anstands und Respekts außer Kraft setzen.
Die Konsequenzen dieser Kultur spürten Beamte im gesamten Staatsdienst. Beim FBI wurde der erfahrene Spionageabwehr-Agent Michael Feinberg vor die Wahl gestellt, entweder eine Degradierung zu akzeptieren oder zu kündigen. Sein Vergehen war kein dienstliches Fehlverhalten, sondern seine Freundschaft zu Peter Strzok, einem vor Jahren entlassenen Agenten, der zu einer Hassfigur für Trump geworden war. Hier wird deutlich: Es ging nicht mehr darum, was man tat, sondern wen man kannte. Das Prinzip der Sippenhaftung, angewandt auf die sensibelsten Bereiche der nationalen Sicherheit, untergräbt nicht nur die Moral, sondern auch die Professionalität ganzer Behörden.
Politik als Impuls: Wenn globale Krisen auf persönliche Launen treffen
Die verheerendsten Auswirkungen zeigte dieser Regierungsstil jedoch dort, wo strategische Weitsicht am wichtigsten ist: in der Wirtschafts- und Außenpolitik. An die Stelle kohärenter Doktrinen traten emotionale Kurzschlussreaktionen. Ein Paradebeispiel ist der Umgang mit dem Krieg in der Ukraine. Nachdem die Regierung monatelang Waffenlieferungen blockiert hatte und eine offene Nähe zu Wladimir Putin zur Schau stellte, vollzog Trump eine plötzliche Kehrtwende und versprach die Lieferung modernster Raketenabwehrsysteme.
Was war der Auslöser für diesen abrupten Schwenk? Ein strategisches Umdenken im nationalen Interesse Amerikas? Kaum. Der Grund war persönlicher Natur: Wladimir Putin hatte es gewagt, Trump schlecht aussehen zu lassen. Anstatt Trumps Wunsch nach einem Waffenstillstand nachzukommen, hatte der russische Präsident die Angriffe auf die Ukraine brutal intensiviert – eine Geste, die im Weißen Haus als persönliche Provokation, als erhobener Mittelfinger, verstanden wurde. Man kann in Trumps Welt viele Vergehen begehen, aber das Schlimmste ist, ihn schwach oder dumm erscheinen zu lassen. Die amerikanische Ukraine-Politik wurde so zum Spielball einer verletzten Eitelkeit, ihre Richtung bestimmt nicht vom Geschehen auf dem Schlachtfeld, sondern von der Gefühlslage im Oval Office.
Ein ähnliches Muster zeigte sich in der Wirtschaftspolitik. Trump wollte den Vorsitzenden der US-Notenbank, Jerome Powell, entlassen, weil dieser sich weigerte, die Zinsen zu senken, um die Wirtschaft kurzfristig besser dastehen zu lassen und Trumps Wiederwahlchancen zu erhöhen. Da eine grundlose Entlassung rechtlich schwierig ist, wurde Berichten zufolge nach einem Vorwand gesucht – einer erfundenen Anschuldigung wegen angeblichen Fehlverhaltens bei einem Bauprojekt, die eine Amtsenthebung rechtfertigen könnte. Auch hier wird die Logik offenbar: Institutionelle Unabhängigkeit und wirtschaftliche Vernunft sind zweitrangig, wenn sie den persönlichen politischen Zielen des Präsidenten im Wege stehen.
Rotes Tuch statt roter Faden: Die Strategie der permanenten Ablenkung
Wo eine klare politische Vision fehlt, muss die Leerstelle gefüllt werden. Trumps Methode dafür war der gezielte Einsatz von Kulturkampfthemen, die als rotes Tuch für seine Basis dienten. So verlagerte er seine Aufmerksamkeit etwa auf die Forderung, Football- und Baseball-Teams wie die Washington Commanders und Cleveland Guardians sollten ihre alten, als rassistisch kritisierten Namen „Redskins“ und „Indians“ wieder annehmen. Oberflächlich betrachtet mag dies wie eine Reaktion auf eine nostalgische Strömung wirken. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich um eine kalkulierte Ablenkungsstrategie handelte. Indem er bewusst an alten, rassistisch aufgeladenen Wunden kratzte, konnte er die Aufmerksamkeit seiner Anhänger von unangenehmeren Themen ablenken – in diesem Fall von Berichten über seine Verbindung zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein. Es ist eine Regierungsform, die nicht auf dem Aufbau von Konsens, sondern auf der permanenten Mobilisierung von Groll basiert.
Dieser Ansatz war eine Zeit lang erfolgreich. Die ständige Provokation, die kalkulierte Grausamkeit, die Inszenierung als Kämpfer gegen die angebliche politische Korrektheit – all das erzeugte eine Art politischer Achterbahnfahrt, die seine Wähler in den Bann zog. Doch Achterbahnen, so die treffende Metapher, bieten zwar Nervenkitzel, aber sie haben kein Ziel. Sie enden immer dort, wo sie begonnen haben. Eine Regierung, die im Kreis fährt, angetrieben von den Dämonen der Vergangenheit und den Animositäten ihres Anführers, kann kurzfristig mobilisieren. Aber sie kann keine Nation in die Zukunft führen. Früher oder später, so die unausgesprochene Warnung, werden selbst die treuesten Mitfahrer aussteigen wollen, wenn sie erkennen, dass die Fahrt nirgendwo hinführt. Zurück bleibt die Frage, was von einer Demokratie übrig bleibt, deren höchstes Amt als Arena für persönliche Fehden missbraucht wird.