
Zehn Jahre sind eine kurze Zeit in der Weltgeschichte, aber eine Ewigkeit in der Politik. Ein Jahrzehnt ist vergangen, seit sich die Welt in Le Bourget bei Paris in einem Akt historischer Einigkeit auf ein gemeinsames Ziel verpflichtete: die Rettung des Planeten. Das Pariser Abkommen war mehr als ein Vertragswerk; es war das Versprechen einer neuen Ära globaler Kooperation, getragen von der Überzeugung, dass die Menschheit ihre größten Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen kann. Damals, im Herbst 2015, schien ein neuer Multilateralismus möglich, in dem Nachhaltigkeit zur moralischen Leitlinie des 21. Jahrhunderts aufsteigen würde, so wie es die Menschenrechte für das 20. waren. Heute, im Herbst 2025, liegt dieser Optimismus in Trümmern. Das Pariser Versprechen ist einer tiefen, globalen Ernüchterung gewichen, einem stillen Rückzug aus der gemeinsamen Verantwortung, der weit über die laute Rhetorik eines Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit hinausreicht.
Doch während die politische Architektur von Paris erodiert, vollzieht sich im Verborgenen eine andere, eine technologische und ökonomische Revolution. Angetrieben nicht von diplomatischen Gipfeltreffen, sondern von den unerbittlichen Kräften des Marktes und der industriellen Macht Chinas, schreitet die Dekarbonisierung in einem atemberaubenden Tempo voran. Dieser paradoxe Zustand – politischer Kollaps bei gleichzeitigem technologischem Fortschritt – ist die zentrale Signatur unserer Zeit. Er bietet einen kalten Trost, denn er verdeckt eine unbequeme Wahrheit: Wir retten möglicherweise das Klima, aber wir opfern dabei die Idee einer gerechten und solidarischen Weltordnung. Die lautlose Revolution der grünen Energie hat einen hohen Preis, und er wird in der Währung geopolitischer Abhängigkeiten und aufgegebener Ideale bezahlt.

USA Politik Leicht Gemacht: Politik in den USA – einfach erklärt.
Der groĂźe Kater nach der Pariser Euphorie
Wer heute die jährlichen Klimakonferenzen verfolgt, blickt in das müde Gesicht einer Diplomatie, die den Glauben an sich selbst verloren hat. Die jüngsten Gipfel, wie jener in Aserbaidschan, waren geprägt von der Abwesenheit der führenden Staats- und Regierungschefs der Welt. Weder der amerikanische Präsident noch die Spitzen der Europäischen Kommission oder Chinas Führungspersönlichkeiten gaben sich die Ehre. Diese Leere ist symptomatisch. Sie spiegelt eine tiefere Abkehr von der Klimapolitik als Priorität wider, eine Entwicklung, die sich in konkreten Zahlen manifestiert. Die Zahl der neu verabschiedeten Klimaschutzgesetze weltweit ist dramatisch eingebrochen, von über 300 pro Jahr zwischen 2019 und 2021 auf kaum mehr als 50 im Jahr 2024. Noch alarmierender ist der Zustand der nationalen Klimapläne (NDCs), dem Herzstück des Pariser Abkommens. Zur Zehnjahresfrist im Frühjahr 2025 hatten nur verschwindend wenige Staaten ihre aktualisierten Pläne vorgelegt; mehr als die Hälfte der eingereichten Dokumente stellten sogar einen Rückschritt gegenüber früheren Zusagen dar.
Die USA unter Präsident Trump sind dabei nur die sichtbarste Manifestation eines globalen Trends. Trumps Zerstörung des Inflation Reduction Act und sein Feldzug gegen erneuerbare Energien sind zwar der radikalste Ausdruck dieses Rollbacks, doch das Phänomen ist keineswegs rein amerikanisch. In Kanada, dem Musterknaben liberaler Politik, schaffte der neue Premierminister als eine seiner ersten Amtshandlungen die nationale CO₂-Steuer ab. In Mexiko, geführt von einer ehemaligen Klimawissenschaftlerin, wird die „Energiesouveränität“ durch eine forcierte Öl- und Gasförderung zelebriert, was der Präsidentin höchste Zustimmungswerte sichert. Selbst in Europa, dem einstigen Vorreiter, geraten bestehende Gesetze unter den Druck neuer politischer Koalitionen, die im Namen eines vermeintlichen „Pragmatismus“ und „Realismus“ die Axt an die mühsam errungenen klimapolitischen Errungenschaften legen.
Dieser Wandel ist das Ergebnis einer Kaskade von Krisen, die den Geist von Paris erstickt haben. Die Covid-19-Pandemie untergrub die globale Solidarität, die anschließende Inflation und die Zinswende beendeten die Ära des billigen Geldes, das für grüne Investitionen zur Verfügung gestanden hätte. Die Kriege in der Ukraine und in Gaza zerschlugen die Illusion einer friedlicheren Weltordnung und führten zu einer massiven Re-Militarisierung. Europa reagiert auf die Bedrohungen, indem es seine Militärausgaben auf ein Niveau anhebt, das – Ironie der Geschichte – fast exakt dem entspricht, was einst für eine globale Klimamobilisierung als notwendig erachtet wurde. Die Prioritäten haben sich verschoben. An die Stelle des gemeinsamen Kampfes gegen eine existenzielle Bedrohung ist der atavistische Rückfall in die Logik nationaler Sicherheit und des unmittelbaren Eigeninteresses getreten. Die Politik hat kapituliert vor der Komplexität der Aufgabe und der mangelnden Bereitschaft der Wähler, für die Dekarbonisierung spürbare Kosten zu tragen.
Chinas Aufstieg zum grĂĽnen Hegemon
Doch während die politische Welt den Rückzug antritt, entfaltet sich auf den globalen Märkten eine Dynamik von ungeahnter Wucht. Die Energiewende findet statt – nicht weil Politiker sie anordnen, sondern weil sie sich ökonomisch rechnet. Die Geschwindigkeit dieser Transformation ist schwindelerregend. Es dauerte fast 70 Jahre, bis die Welt ihr erstes Terawatt an Solarenergie installierte; das zweite wurde in nur zwei Jahren erreicht, das dritte könnte noch in diesem Jahr folgen. Im Jahr 2024 stammten bereits über 40 Prozent des weltweiten Stroms aus erneuerbaren Quellen, und fast 95 Prozent aller neu installierten Stromkapazitäten waren sauber. Diese Entwicklung wird von einem einzigen Akteur dominiert: China.
Peking hat die strategische Schwäche des Westens, dessen Klimapolitik oft mehr Rhetorik als Substanz war, konsequent ausgenutzt und sich in weniger als einem Jahrzehnt zum unangefochtenen globalen Hegemon für grüne Technologien entwickelt. Die Zahlen sprechen eine erdrückende Sprache. 74 Prozent aller weltweiten Solar- und Windprojekte werden heute in China oder von chinesischen Firmen gebaut. Allein in den letzten zwölf Monaten hat China innerhalb seiner Grenzen mehr Solarkapazität installiert, als die USA in ihrer gesamten Geschichte errichtet haben. Das Land kontrolliert die gesamte Lieferkette, von den Rohstoffen über die Fertigung bis zur Installation. Es ist, wie es Analysten formulieren, auf dem Weg, der erste „Elektrostaat“ der Welt zu werden – eine Supermacht, dessen Einfluss nicht mehr auf Ölfeldern, sondern auf der Fähigkeit zur Produktion und zum Export billiger, sauberer Energie beruht.
Die geopolitischen Konsequenzen sind immens. Was einst als selbst auferlegte Bürde für ambitionierte Klimaschützer galt – die Dekarbonisierung –, erweist sich nun als Chinas größter strategischer Vorteil. Mit massiven Auslandsinvestitionen, die seit 2022 das Volumen des Marshallplans übersteigen, schafft Peking weltweit neue Abhängigkeiten und eine Form von Soft Power, die auf der Lieferung von günstiger Energie basiert. Das Beispiel Pakistan illustriert diese neue Weltordnung eindrücklich. Nach der Energiekrise 2022 begannen Millionen Pakistaner, ohne staatliche Koordination, massenhaft billige chinesische Solarpaneele zu importieren, was zu einer „stillen Energierevolution“ führte. Das Land, einst ein energiepolitisches Entwicklungsland, ist heute der sechstgrößte Solarmarkt der Welt – ein Wandel, der so schnell vonstattenging, dass er zunächst in keiner offiziellen Statistik auftauchte. Experten schätzen, dass Dutzende weitere Länder an der Schwelle zu einer ähnlichen Entwicklung stehen, angetrieben von chinesischer Technologie. Der Westen, so die bittere Erkenntnis, ist in der wichtigsten Zukunftstechnologie erstmals seit zwei Jahrhunderten nicht mehr Führer, sondern Folgender.
Ein Abschied von der globalen Solidarität
Ist diese Entwicklung also Grund zum Optimismus? Führt der unpolitische, marktgetriebene Weg am Ende doch zum Ziel? Nur wenn man das Ziel allein in Gigawatt und CO₂-Reduktionen misst. Betrachtet man jedoch, was in Paris auf dem Spiel stand, offenbart sich die Tragödie dieses Wandels. Der Geist von Paris basierte auf der Einsicht, dass der Klimawandel eine zutiefst ethische Dimension hat – eine Frage der Gerechtigkeit zwischen den reichen Verursachern im globalen Norden und den armen, am stärksten betroffenen Nationen im Süden. Es ging um gegenseitige Verpflichtung, um den Transfer von Technologie und Finanzmitteln, um eine gemeinsame Anstrengung, die niemanden zurücklässt.
Diese Dimension ist in der neuen, pragmatischen Weltordnung vollständig verschwunden. Die Dekarbonisierung wird nun durch das Prisma des nationalen Eigeninteresses und des geopolitischen Wettbewerbs betrachtet. Für die Entwicklungsländer mag die chinesische Technologie eine Befreiung von der Abhängigkeit von volatilen fossilen Märkten und ausbeuterischen Petrostaaten bedeuten. Sie mag sogar, wie manche hoffen, die Energiearmut innerhalb eines Jahrzehnts beenden. Doch diese neue Unabhängigkeit ist trügerisch, denn sie schafft eine neue Abhängigkeit von einem einzigen technologischen und industriellen Hegemon.
Die Abkehr der USA von ihrer Führungsrolle, die von einigen Beobachtern sogar als Chance gesehen wird, hinterlässt ein Vakuum, das nicht durch einen faireren, verteilteren Multilateralismus, sondern durch die Logik des Stärkeren gefüllt wird. Die intuitive Lehre aus der Klimakrise – dass wir alle im selben Boot sitzen, verletzlich und doch durch eine geteilte Menschlichkeit verbunden – verhallt ungehört. Was bleibt, ist ein Wettlauf, in dem jede Nation versucht, ihre eigenen Interessen zu sichern. Das Pariser Abkommen mag in seinen Temperaturzielen von Anfang an unrealistisch gewesen sein, wie Kritiker stets vermuteten. Doch sein eigentlicher Wert lag in der sekundären Aspiration: der Idee, dass wir einander etwas schulden – eine bessere, gerechtere und sicherere Zukunft für alle.
Während der Planet auf eine Erwärmung von zwei Grad und mehr zusteuert, erleben wir nicht nur das Scheitern von Klimazielen, sondern die Erosion eines fundamentalen zivilisatorischen Prinzips. Die lautlose Revolution der grünen Technologie mag uns vor den katastrophalsten Klimaszenarien bewahren. Aber sie tut dies auf eine kalte, mechanische Weise, die die Menschheit in eine neue Ära der Konkurrenz und der Ungleichheit führt. Wir haben uns für die technisch einfachste Lösung entschieden und dabei die politisch und moralisch anspruchsvollste Aufgabe aus den Augen verloren: zu lernen, wie wir diesen Planeten gemeinsam bewohnen können. Das ist der wahre Preis dieser Revolution. Und er könnte am Ende höher sein als der, den wir zu zahlen bereit waren.