
In den glitzernden Bankettsälen von Queens und Brooklyn, zwischen dem Klirren von Gläsern und dem Duft von Festessen, spielt sich ein Drama ab, das leiser, aber womöglich folgenreicher ist als die lauten Schlagzeilen der nationalen Politik. Es ist die Geschichte einer stillen Vereinnahmung, einer strategischen Unterwanderung, die an den Grundfesten der amerikanischen Demokratie rüttelt. Hier, im Herzen der größten Metropole der USA, hat der chinesische Staat ein subtiles, aber erschreckend effektives System etabliert, um lokale Wahlen zu beeinflussen. Er nutzt dafür das vielleicht menschlichste aller Bedürfnisse: das nach Heimat und Gemeinschaft. Doch hinter der Fassade kultureller Brauchtumspflege verbirgt sich ein politisches Kalkül, das darauf abzielt, Kritiker zum Schweigen zu bringen, loyale Politiker zu installieren und die Agenda der Kommunistischen Partei Chinas bis in die New Yorker Stadträte zu tragen.
In einer Zeit, in der die geopolitischen Spannungen zwischen Washington unter Präsident Trump und Peking einen neuen Höhepunkt erreicht haben, gewinnt diese lokale Frontlinie eine globale Bedeutung. Was in New York geschieht, ist kein isoliertes Phänomen; es ist ein Mikrokosmos, ein Testfeld für eine weitreichende Strategie, die darauf abzielt, demokratische Prozesse von innen heraus zu erodieren.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Das Doppelgesicht der Gemeinschaft: Heimatvereine als politisches Werkzeug
Für viele chinesische Einwanderer in New York sind sie die erste Anlaufstelle, ein Stück vertraute Heimat in einer fremden Welt. Die sogenannten „Heimatvereine“ (hometown associations) organisieren Paraden, heißen Neuankömmlinge willkommen und knüpfen soziale Netze, die seit über einem Jahrhundert das Rückgrat der chinesisch-amerikanischen Gemeinschaft bilden. Doch dieses Bild der unpolitischen Solidarität hat tiefe Risse bekommen. Die vorliegenden Recherchen zeichnen das beunruhigende Bild einer systematischen Instrumentalisierung: Das chinesische Konsulat in Manhattan hat diese Vereine zu seinem verlängerten Arm gemacht.
Der Mechanismus ist ebenso einfach wie genial. Konsulatsbeamte sind Ehrengäste bei den festlichen Zeremonien der Vereine, sie leiten Amtseinführungen neuer Vorsitzender und nehmen den Führungsgremien Eide ab, die einem Treueschwur auf das „Mutterland“ China gleichkommen. In auf YouTube dokumentierten Videos versprechen die Vereinsführer, die „Entwicklungsinteressen des Mutterlandes zu schützen“ oder die „große Verjüngung“ der chinesischen Nation voranzutreiben – eine direkte Übernahme der Rhetorik von Staatspräsident Xi Jinping. Ein zentraler Punkt dieser Gelöbnisse ist oft die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan, eine klare politische Positionierung im Sinne Pekings.
Diese Vereine, von denen viele als gemeinnützige Organisationen steuerbefreit sind und eigentlich keinerlei Wahlkampf betreiben dürften, werden so zu politischen Akteuren. Sie mobilisieren ihre Mitglieder für Spendenaktionen, geben Wahlempfehlungen ab und organisieren die Unterstützung für Kandidaten, die Pekings Linie nicht infrage stellen. Die Grenze zwischen kultureller Identität und politischer Mission verschwimmt, bis sie nicht mehr erkennbar ist.
Der Preis der Kritik: Wenn Karrieren gezielt zerstört werden
Wer sich diesem System widersetzt, bekommt die volle Härte der Maschinerie zu spüren. Die Geschichten von Politikern, die Pekings rote Linien überschritten haben, lesen sich wie Drehbücher politischer Thriller. Da ist der Fall von Yan Xiong, einem ehemaligen Anführer der Tiananmen-Proteste von 1989 und späterem US-Armeegeistlichen, der 2021 für den Kongress kandidierte. Seine Vergangenheit als Dissident machte ihn zu einem vorrangigen Ziel. Ein Agent des chinesischen Staatssicherheitsdienstes heuerte einen Privatdetektiv an, um kompromittierendes Material über ihn zu finden oder zu fabrizieren – notfalls auch durch eine gestellte Sexfalle oder physische Gewalt, wie abgehörte Gespräche belegen. Parallel dazu wies das Konsulat die Heimatvereine an, Xiong zu isolieren und seine Kampagne zu sabotieren. Ein ihm wohlgesonnener Vereinsführer wurde unter Druck gesetzt, indem man ihn an seine Geschäftsinteressen in China erinnerte; ein anderer entpuppte sich als Saboteur, der ihn in eine Falle lockte, um ihn in den chinesischen Medien als Verräter darzustellen. Xiong verlor die Vorwahl deutlich.
Ähnlich erging es der taiwanischstämmigen Staatssenatorin Iwen Chu. Ihre Teilnahme an einem Empfang mit der taiwanesischen Präsidentin im Jahr 2023 löste eine konzertierte Aktion aus. Zuerst lud das Konsulat die Führer der Heimatvereine vor, um sie über Chus Haltung zur Unabhängigkeit Taiwans auszufragen. Dann wurde Chu selbst zu einem Treffen mit einem Konsulatsvertreter gedrängt, der die Situation als „explosiv“ beschrieb und unmissverständlich Druck ausübte. Kurz darauf begann Pekings einflussreichster Strippenzieher in New York, der Geschäftsmann John Chan, einen Gegenkandidaten aufzubauen. Die Vereine, die Chu einst unterstützt hatten, wechselten die Seiten, und sie verlor ihren Sitz – ein entscheidender Verlust, der die demokratische Supermehrheit im Senat von New York kippte.
Diese Fälle zeigen: Die Einflussnahme ist kein abstraktes Risiko, sondern eine konkrete Realität, die politische Karrieren beendet und den Willen der Wähler untergräbt.
Der Pakt mit dem Einfluss: Das Dilemma der amerikanischen Politik
Für New Yorker Politiker wie Bürgermeister Eric Adams oder Gouverneurin Kathy Hochul entsteht dadurch eine fast unlösbare Zwickmühle. In einer Stadt, deren Wahlausgänge oft von ethnischen Wählerblöcken entschieden werden, ist die Unterstützung der großen chinesischen Gemeinschaftsorganisationen pures politisches Gold. Sie zu ignorieren, kann eine Wahlniederlage bedeuten. Doch sie zu umwerben, birgt das Risiko, sich zum Komplizen einer ausländischen Macht zu machen.
Es ist eine Gratwanderung auf Messers Schneide. Politiker erscheinen auf den Banketten der Vereine, halten Reden und sichern sich die wertvollen Wahlempfehlungen. Im Gegenzug fließt nach der Wahl nicht selten staatliches Geld zurück an ebenjene Organisationen, die sie unterstützt haben. So erhielt etwa eine gemeinnützige Organisation unter der Leitung des bereits erwähnten John Chan – eines Mannes, der wegen Heroinhandels und Menschenschmuggels verurteilt wurde – 45.000 Dollar an Corona-Hilfen, nachdem sie eine Spendenaktion für Gouverneurin Hochul mitorganisiert hatte.
Die Kampagnen der Politiker beteuern, man erwarte von allen Gruppen, dass sie sich an die Gesetze hielten und Spenden hätten keinen Einfluss auf politische Entscheidungen. Doch die Realität zeichnet ein anderes Bild: Ein System des gegenseitigen Nutzens, in dem der Zugang zu Wählern gegen politische Legitimation und später gegen öffentliche Mittel getauscht wird. Wo endet hier legitime Wählerpflege und wo beginnt die Korruption durch ausländische Interessen? Diese Frage wird von den meisten Politikern lieber nicht gestellt.
Ein Rechtssystem mit blinden Flecken
Man könnte annehmen, dass das amerikanische Rechtssystem solche Machenschaften unterbindet. Schließlich ist es gemeinnützigen Organisationen nach Bundesgesetz strengstens verboten, sich an Wahlkämpfen zu beteiligen oder Kandidaten zu unterstützen. Doch die Realität ist ernüchternd. Der Bericht zeigt, dass mindestens 19 als gemeinnützig registrierte Wohltätigkeitsorganisationen mit Verbindungen nach Peking offen gegen dieses Verbot verstoßen haben. In ihren Steuererklärungen gegenüber der Bundessteuerbehörde IRS verneinen sie jegliche politische Einmischung, während sie gleichzeitig Spenden-Dinner veranstalten und Wahlempfehlungen aussprechen.
Warum greift niemand ein? Die IRS lehnte einen Kommentar ab, und die zuständige New Yorker Steuerbehörde gab an, nicht über die Ressourcen zu verfügen, um solchen Verstößen nachzugehen. Es ist eine offene Flanke im System, ein administratives Vakuum, das China geschickt für sich nutzt. Während das FBI in spektakulären Fällen wie der Aufdeckung einer illegalen chinesischen Polizeistation in den Räumlichkeiten eines Vereins ermittelt, scheint die alltägliche, schleichende Unterwanderung des politischen Prozesses durch das Raster der Strafverfolgung zu fallen.
Die Kooperation der Vereinsführer hat tiefere Wurzeln als nur ideologische Nähe. Viele von ihnen haben Familie oder Geschäftsinteressen in China und fürchten die Konsequenzen, sollten sie sich den Anweisungen des Konsulats widersetzen. Es ist eine Mischung aus Patriotismus, wirtschaftlichem Druck und der Angst vor Repressalien, die sie zu willfährigen Helfern macht.
Was auf dem Spiel steht: Die Seele einer Gemeinschaft und die Zukunft der Demokratie
Die langfristigen Folgen dieser Einflussnahme sind verheerend und vielschichtig. Zunächst untergräbt sie die politische Meinungsvielfalt innerhalb der chinesisch-amerikanischen Gemeinschaft selbst. Kritische Stimmen werden marginalisiert, eingeschüchtert und aus dem politischen Prozess gedrängt. Ein offener Diskurs über Themen wie Menschenrechte in China, die Demokratiebewegung in Hongkong oder die Souveränität Taiwans wird im Keim erstickt. Die Gemeinschaft wird gezwungen, eine monolithische, Peking-treue Fassade zu präsentieren, die mit der Realität der vielfältigen Meinungen wenig zu tun hat.
Darüber hinaus birgt die Aufdeckung dieser Operationen die immense Gefahr, dass die gesamte chinesisch-amerikanische Gemeinschaft unter einen Generalverdacht gerät. Wenn die Loyalität von Politikern und Gemeindeführern permanent infrage gestellt wird, vergiftet das das politische Klima und fördert rassistische Stereotype. Es ist ein tragischer Bumerang-Effekt: Der Versuch Pekings, die Diaspora zu kontrollieren, könnte am Ende genau jene Menschen schädigen, deren Interessen es angeblich vertritt.
Die entscheidende Frage aber lautet: Ist New York nur der Anfang? Experten warnen davor, dass Peking eine Langzeitwette eingeht, denn man wisse nie, welcher Lokalpolitiker vielleicht irgendwann für den Kongress oder gar für das Präsidentenamt kandidiert. Die systematische Kultivierung von Politikern auf lokaler Ebene ist eine Investition in die Zukunft. Ein heute unterstützter Stadtrat könnte morgen im US-Kongress sitzen und über die nationale China-Politik entscheiden.
Es ist eine Strategie, die sich in ihrer Subtilität und ihrem tiefen Eindringen in soziale Strukturen von den Einflussversuchen anderer Nationen unterscheidet. Während der Bericht auch Fälle von türkischer oder indischer Einflussnahme erwähnt, scheint Chinas Ansatz weitaus systematischer und tiefer in den gesellschaftlichen Alltag integriert zu sein.
Die Herausforderung für die amerikanische Politik ist gewaltig. Wie kann man die Transparenz erhöhen und die illegale Einmischung stoppen, ohne die legitimen sozialen und kulturellen Funktionen der Heimatvereine zu zerstören? Wie kann man die Demokratie schützen, ohne eine Hexenjagd zu entfachen, die loyale amerikanische Bürger chinesischer Abstammung stigmatisiert? Es gibt keine einfachen Antworten, aber die Untätigkeit ist die gefährlichste aller Optionen. Denn was in den Bankettsälen von New York beginnt, zielt am Ende auf das Herz der amerikanischen Demokratie selbst.