
Es gibt Momente in der Geschichte einer Demokratie, die weniger durch ihren Lärm als durch die ohrenbetäubende Stille auffallen, mit der fundamentale Prinzipien zu Grabe getragen werden. Die Anklageerhebung gegen James B. Comey, den einstigen Direktor des Federal Bureau of Investigation, ist ein solcher Moment. Auf den ersten Blick mag sie wie der späte, juristisch verbrämte Höhepunkt einer langjährigen politischen Fehde erscheinen. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sich dieser Akt nicht als juristische Notwendigkeit, sondern als politisches Fanal. Er ist weit mehr als die persönliche Rache eines Präsidenten an einem unliebsamen Beamten; er ist die konsequente Umsetzung einer autoritären Logik, die das Recht nicht als neutrale Instanz begreift, sondern als Beute, die dem Sieger der politischen Auseinandersetzung zusteht. Was wir in diesen Tagen erleben, ist kein isolierter Tabubruch, sondern die öffentliche Demonstration eines neuen Regierungsparadigmas: die Unterwerfung des Justizapparats unter den Willen des Exekutivherrn und seine Umfunktionierung zu einer Waffe gegen dessen Kritiker. Die Causa Comey ist damit die Blaupause für einen postkonstitutionellen Zustand, in dem Loyalität über Gesetzestreue triumphiert und der Rechtsstaat zur Kulisse für die Inszenierung absoluter Macht verkommt.
Ein Exempel wird statuiert
Die Anatomie dieser Anklageerhebung legt die Pervertierung des Rechtssystems schonungslos offen. Der Prozess begann nicht, wie es die Norm vorsieht, mit der Entdeckung einer potenziellen Straftat durch Ermittler, sondern mit dem öffentlich formulierten politischen Willen des Präsidenten. Donald Trump identifizierte das Ziel – James Comey – und befahl daraufhin seinem Justizministerium, das Verbrechen zu finden. Dieser von der Exekutive ausgehende Jagdinstinkt stellt eine radikale Umkehrung des rechtsstaatlichen Verfahrens dar. Die institutionellen Brandmauern, die nach der Watergate-Ära mühsam errichtet wurden, um die Unabhängigkeit der Strafverfolgung vor politischer Willkür zu schützen, wurden nicht nur ignoriert, sondern demonstrativ niedergerissen.

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Die administrative Säuberung, die der Anklage vorausging, offenbarte eine fast schon chirurgische Präzision bei der Beseitigung institutionellen Widerstands. Der amtierende US-Staatsanwalt für den Eastern District of Virginia, Erik Siebert, ein Mann des Apparats, erkannte die juristische Haltlosigkeit des Vorhabens. Gemeinsam mit seinen erfahrenen Karriere-Staatsanwälten kam er zu dem Schluss, dass die Beweise für eine Anklage wegen Falschaussage nicht ausreichten – ein Urteil, das in einem funktionierenden System das Ende der Untersuchung bedeutet hätte. In der Ära Trump jedoch war diese professionelle Integrität lediglich ein personelles Problem, das es zu lösen galt. Siebert wurde aus dem Amt gedrängt. An seine Stelle trat mit Lindsey Halligan eine Figur, deren vornehmliche Qualifikation nicht in ihrer Erfahrung als Anklägerin bestand – sie besaß keine –, sondern in ihrer rückhaltlosen Loyalität zum Präsidenten, dem sie zuvor als persönliche Anwältin gedient hatte. Ihre Ernennung war ein unmissverständliches Signal: Die Zeit der juristischen Bedenkenträger war vorbei; die Zeit der politischen Exekutoren hatte begonnen. Halligan lieferte prompt. Sie ignorierte ein internes Memo ihrer eigenen Untergebenen, das die Schwächen des Falls detailliert auflistete, und trieb die Anklage im Eilverfahren voran, um die kurz bevorstehende Verjährungsfrist abzufangen.
Die Logik der Loyalität
Um die Triebkräfte hinter diesem beispiellosen Vorgang zu verstehen, muss man den Blick auf die tief sitzende, fast obsessive Feindschaft richten, die Donald Trump für James Comey hegt. Comey ist für Trump nicht nur ein politischer Gegner; er ist die Personifizierung des „Deep State“ und der Inbegriff des Verrats. In Trumps Weltbild ist die von Comey geleitete Untersuchung der russischen Einmischung in den Wahlkampf 2016 – der „Russia Hoax“ – die Ursünde, die seine erste Präsidentschaft delegitimierte und ihn als Opfer einer Verschwörung darstellte. Die Anklage ist somit die späte Korrektur dieser vermeintlichen historischen Ungerechtigkeit, eine persönliche Genugtuung, die neun Jahre nach Beginn des Konflikts eingefordert wird.
Diese persönliche Vendetta ist jedoch untrennbar mit einem größeren politischen Projekt verbunden: der vollständigen Unterordnung des Staatsapparats unter das Primat der präsidialen Loyalität. Trump fordert von seinen Untergebenen nicht nur professionelle Pflichterfüllung, sondern bedingungslose Gefolgschaft, wie sie ein Mafiaboss von seinen Capos verlangt. Comeys Weigerung, ihm diese „Loyalität“ zu schwören, war der eigentliche Sündenfall, der zu seiner Entlassung 2017 führte. Die jetzige Anklage ist die konsequente Fortsetzung dieses Prinzips mit juristischen Mitteln. Sie sendet eine unmissverständliche Botschaft an jeden Beamten im Regierungsapparat: Widerstand gegen den Willen des Präsidenten wird nicht geduldet und kann Jahre später strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Justiz wird so zu einem Disziplinierungsinstrument, das nicht mehr das Gesetz, sondern die persönliche Macht des Präsidenten schützt.
Ein juristisches Kartenhaus
Ironischerweise steht die politische Wucht, mit der diese Anklage durchgesetzt wurde, in krassem Gegensatz zu ihrer juristischen Fragilität. Selbst für juristische Laien ist erkennbar, dass das Verfahren auf tönernen Füßen steht. Die Staatsanwaltschaft muss nicht nur beweisen, dass Comeys Aussage vor dem Kongress im Jahr 2020 objektiv falsch war, sondern auch, dass er wissentlich und vorsätzlich gelogen hat. Dies ist eine extrem hohe Hürde, insbesondere bei Aussagen über komplexe, Jahre zurückliegende Vorgänge, die zudem in einem konfusen Frage-Antwort-Spiel mit Senator Ted Cruz fielen.
Die Schwäche des Falles manifestierte sich bereits im Verfahren vor der Grand Jury. Dieses Gremium, das üblicherweise als „Gummistempel“ für die Staatsanwaltschaft gilt, da es nur deren Seite der Geschichte hört, zeigte bereits erhebliche Skepsis. Nur 14 der 23 Geschworenen stimmten für die Anklage – knapp über der erforderlichen Schwelle von zwölf Stimmen. Zudem lehnte die Jury einen von Halligan vorgelegten dritten Anklagepunkt gänzlich ab. Dieser seltene Akt des Widerstands einer Grand Jury ist ein starkes Indiz dafür, wie dünn die Beweislage tatsächlich ist.
Für Comeys hochkarätiges Verteidigerteam, angeführt vom ehemaligen Bundesstaatsanwalt Patrick Fitzgerald, eröffnet dies eine Fülle von strategischen Optionen. Die aussichtsreichste dürfte ein Antrag auf Abweisung der Klage wegen „vindictive prosecution“ sein – einer missbräuchlichen, von Rachegelüsten getriebenen Strafverfolgung. Die Beweislast für einen solchen Antrag ist normalerweise schwer zu erbringen, doch in diesem Fall hat der Präsident selbst das Beweismaterial in Form zahlloser öffentlicher Posts und Äußerungen geliefert. Seine Forderungen nach einer Anklage, seine Vorverurteilung Comeys und der politisch motivierte Austausch des zuständigen Staatsanwalts schaffen eine beispiellose Grundlage, um die politische Instrumentalisierung des Verfahrens vor Gericht zu dokumentieren.
Die Waffe des Verfahrens
Die entscheidende und zynischste Erkenntnis ist jedoch, dass eine juristische Verurteilung für das Weiße Haus möglicherweise nur ein sekundäres Ziel ist. Der eigentliche Sieg liegt bereits in der Anklage selbst. Donald Trump hat stets verstanden, dass der Prozess die Strafe ist. Unabhängig vom Ausgang wird James Comey gezwungen, immense Summen für seine Verteidigung aufzuwenden, seine Reputation wird öffentlich beschädigt, und er wird über Monate, wenn nicht Jahre, in einem zermürbenden juristischen Kampf gebunden. Dieser Akt der „Lawfare“ – der Kriegsführung mit juristischen Mitteln – zielt darauf ab, Gegner zu zermürben, finanziell auszubluten und als warnendes Beispiel für andere zu inszenieren.
Dieser Ansatz offenbart einen tiefen Zielkonflikt innerhalb des Rechtssystems. Während das System auf Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit ausgelegt ist, wird es hier zu einem reinen Instrument der politischen Schikane umfunktioniert. Der Zweck ist nicht die Verurteilung, sondern die Belästigung und Einschüchterung. Für die Betroffenen bedeutet dies eine existenzielle Belastung. Auch wenn Comey aufgrund seines Profils und seiner finanziellen Mittel besser gewappnet sein mag als andere, sendet der Vorgang ein klares Signal an weniger prominente Kritiker: Legt euch nicht mit der Macht an, sonst könnte euch der gesamte Apparat des Staates auf den Hals gehetzt werden, ganz gleich, ob ihr schuldig seid oder nicht.
Die Erosion der Institutionen
Die Comey-Anklage ist nur möglich, weil die institutionellen Schutzmechanismen, die eine solche Politisierung verhindern sollten, systematisch ausgehöhlt wurden. Justizministerin Pam Bondi und FBI-Direktor Kash Patel agieren nicht als Hüter unabhängiger Institutionen, sondern als loyale Vasallen des Präsidenten. Sie stellen die Rhetorik des Rechtsstaats in den Dienst seiner Zerstörung und legitimieren einen Prozess, der im Kern rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht. Diese Komplizenschaft an der Spitze führt zu einer Implosion der institutionellen Kultur. Erfahrene, integre Beamte verlassen den Dienst, während Opportunisten und Loyalisten aufsteigen. Dieser Aderlass an Expertise und ethischem Kompass beschleunigt den Verfall von innen heraus und hinterlässt Behörden, die zwar noch die alte Fassade tragen, aber einen neuen, politisierten Kern besitzen. Die Reaktion der beiden Kontrahenten auf die Anklage spiegelt diesen fundamentalen Konflikt wider: Trump feiert auf Truth Social die „GERECHTIGKEIT IN AMERIKA!“, einen triumphalen Schrei der Vergeltung. Comey hingegen antwortet mit einer stoischen Videobotschaft, in der er seine Unschuld beteuert und zum Prozess aufruft („Lasst uns einen Prozess haben“), sich aber als Verteidiger der bedrohten Demokratie inszeniert. Es ist ein Kampf zweier unvereinbarer Narrative.
Die nächste Stufe der Eskalation
Die vielleicht beunruhigendste Dimension dieses Falles ist, dass er kein Ende, sondern einen Anfang markiert. Comey ist der prominenteste, aber bei Weitem nicht der einzige Name auf Trumps Liste. Die New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James, der Senator Adam Schiff und der ehemalige Nationale Sicherheitsberater John Bolton wurden bereits öffentlich als nächste Ziele benannt. Die Anklage gegen Comey dient als Präzedenzfall und Testlauf. Wenn die Justiz erfolgreich als Waffe gegen einen ehemaligen FBI-Direktor eingesetzt werden kann, warum dann nicht auch gegen andere politische Widersacher?
Dies droht, einen verheerenden Zyklus der Vergeltung in Gang zu setzen, in dem jede neue Regierung die Justiz nutzt, um mit ihren Vorgängern abzurechnen. Ein solches System, in dem der politische Sieg die Lizenz zur Strafverfolgung der Verlierer beinhaltet, ist das Kennzeichen illiberaler Demokratien und autoritärer Regime. Es markiert den Übergang von einem politischen Wettbewerb zu einem Vernichtungskampf, in dem die Opposition nicht mehr als legitimer Gegner, sondern als krimineller Feind betrachtet wird. Sollte sich diese Praxis etablieren, wäre dies ein Kipppunkt für die amerikanische Demokratie. Die politische Auseinandersetzung würde von einer lähmenden Angst vor Strafverfolgung überschattet, die freie Meinungsäußerung und politischen Mut erstickt. Die Frage, welche Reaktionen von Justiz, Kongress oder Zivilgesellschaft dieser Entwicklung noch Einhalt gebieten können, ist drängender denn je. Der Fall Comey ist somit mehr als nur ein politisches Drama; er ist ein Stresstest für das Fundament der amerikanischen Republik. Sein Ausgang wird zeigen, ob die Institutionen noch stark genug sind, um das Recht vor der Macht zu schützen – oder ob die Justiz endgültig zur Beute der Politik geworden ist.