Die gekränkte Supermacht: Wie Trumps verletzter Stolz Amerikas Russland-Politik diktiert

Illustration: KI-generiert

Es gibt Momente in der Weltpolitik, die sich anfühlen wie das abrupte Ende einer langen, unheimlichen Freundschaft. Ein solcher Moment entfaltete sich, als Donald Trump, der US-Präsident, der Wladimir Putin jahrelang mit einer Mischung aus Bewunderung und fast groupiehafter Faszination begegnet war, plötzlich eine neue Tonart anschlug. Der Mann, der den russischen Autokraten als „genial“ und „Friedensstifter“ bezeichnet hatte, sprach nun von „Bullshit“ aus dem Kreml und postete in Großbuchstaben die flehentliche, befehlsgleiche Aufforderung: „Vladimir, STOP!“.

Diese dramatische Wende, die in der Ankündigung neuer Waffenlieferungen für die Ukraine und der Drohung mit erdrückenden Wirtschaftssanktionen gipfelte, ist mehr als nur eine politische Kurskorrektur. Sie ist das sichtbare Beben eines tektonischen Plattenbruchs im Selbstverständnis eines Präsidenten. Wer jedoch glaubt, hier sei über Nacht ein überzeugter Transatlantiker erwacht oder eine neue strategische Klarheit über die Bedrohung durch russischen Imperialismus entstanden, verkennt die tiefere, menschlichere und weitaus fragilere Triebfeder dieser Politik. Die neue Härte Washingtons ist kein Produkt geopolitischer Weitsicht. Sie ist das direkte Resultat einer tiefen persönlichen Kränkung – die impulsive Reaktion eines Mannes, der es nicht erträgt, schwach auszusehen.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Vom erhofften Deal zur bitteren Demütigung

Um die Wurzeln von Trumps Zorn zu verstehen, muss man sich seine ursprüngliche Vision vor Augen führen. Er trat sein Amt mit der felsenfesten Überzeugung an, den Krieg in der Ukraine binnen 24 Stunden beenden zu können. Sein Kapital war nicht etwa ein ausgeklügelter Friedensplan, sondern seine vermeintlich exzellente persönliche Beziehung zu Wladimir Putin. Trump imaginierte einen grandiosen Gipfel, einen historischen Handschlag und einen triumphalen Neustart der Beziehungen, gekrönt von lukrativen Wirtschaftsdeals. In seiner Welt der Transaktionen bot er Putin einen großzügigen Ausweg an: die faktische Anerkennung russischer Gebietsgewinne und ein Ende der westlichen Unterstützung für Kiew – ein Angebot, das er selbst als unwiderstehlich empfunden haben muss.

Doch Putin spielte nicht mit. Statt auf Trumps Avancen einzugehen, ließ er dessen Emissäre ins Leere laufen und eskalierte die Angriffe auf die Ukraine. Jedes Telefonat, das Trump als „nett“ empfand, wurde mit neuen Raketeneinschlägen in Kiew quittiert. Für Trump war dies mehr als nur eine politische Zurückweisung. Es war eine öffentliche Demütigung. Putin ließ ihn wie einen naiven Juniorpartner dastehen, der die wahre Natur des Spiels nicht verstanden hatte. Denn Trump, der Geschäftsmann, hatte übersehen, dass es Putin nicht primär um Territorien ging, die man wie Immobilien verhandeln kann. Sein Ziel war und ist die vollständige Kontrolle über eine unterjochte, entmilitarisierte Ukraine – eine imperialistische Vision, die in Trumps Deal-Mentalität keinen Platz hatte. Diese Ignoranz gegenüber Putins wahren Motiven, gepaart mit der Unerfahrenheit seines Sondergesandten Steve Witkoff, der sich von Putins Charme einwickeln ließ, führte direkt in die diplomatische Sackgasse und zementierte Trumps Gefühl, an der Nase herumgeführt worden zu sein.

Putins unnachgiebiger Glaube an den Sieg

Während in Washington das Ego eines Präsidenten erzitterte, herrschte im Kreml eine kühle, unbeeindruckte Zuversicht. Putins Kalkül basiert auf der Annahme, dass Trumps Drohungen leer sind und er den längeren Atem hat. Er ist überzeugt, den Zermürbungskrieg zu seinen Bedingungen gewinnen zu können, weil er glaubt, über mehr Ressourcen, Soldaten und Waffen zu verfügen als die Ukraine und ihre wankelmütigen westlichen Partner. Aus Moskauer Sicht sind Trumps Ultimaten – erst 50 Tage, dann plötzlich nur noch 10 bis 12 – nichts als Theatralik eines unberechenbaren, aber letztlich nicht durchsetzungsstarken Akteurs.

Diese Einschätzung speist sich aus der Erfahrung. Der Kreml hat gelernt, mit Trumps Unberechenbarkeit umzugehen. Der Russlandexperte Alexander Gabuev beschreibt drei strategische Szenarien, auf die sich Moskau vorbereitet hat: Plan A, das Ideal, bei dem Trump Putins Forderungen akzeptiert und Europa aufzwingt; Plan B, bei dem Trump das US-Engagement reduziert und die Hauptlast den Europäern überlässt; und Plan C, eine Rückkehr zur konfrontativeren Politik der Biden-Ära. Die aktuelle Situation, so Gabuev, pendelt irgendwo zwischen B und C. Diese flexible Planung zeigt, dass der Kreml Trumps Wutausbrüche nicht als Beginn einer kohärenten, langfristigen Konfrontation deutet, sondern als eine weitere unvorhersehbare Laune, die man aussitzen kann.

Ein Arsenal der Zweideutigkeit: Waffen, Sanktionen und ihre Grenzen

Als direkte Antwort auf seine Demütigung präsentierte Trump nun ein neues Arsenal an Maßnahmen. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppen sich diese als ein Instrumentarium voller Zweideutigkeiten und potenzieller Fallstricke. Die zugesagten Waffenlieferungen, wie die Patriot-Abwehrsysteme, werden nicht direkt von den USA an die Ukraine geliefert. Stattdessen sollen NATO-Partner sie von den USA kaufen und ihre eigenen Bestände an Kiew weitergeben. Kritiker sehen darin ein zynisches Geschäftsmodell unter dem Motto „America First“, das zwar besser ist als ein komplettes Embargo, aber durch unklare Lieferzeiten und -mengen in seiner militärischen Wirkung höchst fraglich bleibt. Moskau jedenfalls zeigt sich unbeeindruckt und verweist darauf, dass frühere westliche Waffenlieferungen den russischen Vormarsch auch nicht aufhalten konnten.

Noch komplexer ist die Drohung mit Sekundärsanktionen – einer geopolitischen „Bazooka“, die auf Länder wie China und Indien zielt, die russisches Öl kaufen. Hier gerät Trump in ein massives wirtschaftliches und politisches Dilemma. Harte Strafzölle gegen diese Giganten könnten seine eigenen, mühsam ausgehandelten Handelsgespräche torpedieren, die Weltwirtschaft empfindlich stören und – innenpolitisch am gefährlichsten – die Lebenshaltungskosten in den USA weiter in die Höhe treiben. Damit würde er eines seiner wichtigsten Wahlversprechen brechen. Diese Zwickmühle verleiht seinen Drohungen einen Hauch von Unglaubwürdigkeit und gibt Putin weiteren Grund zu der Annahme, dass Trump am Ende zurückschrecken wird.

Ein Präsident im Fadenkreuz der Meinungen

Trumps Politik entsteht nicht im luftleeren Raum. Er steht im Zentrum eines erbitterten Machtkampfes innerhalb seiner eigenen Administration und Partei. Auf der einen Seite drängen Isolationisten wie Vizepräsident J.D. Vance und sein ehemaliger Berater Steve Bannon darauf, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen. Auf der anderen Seite fordern traditionelle Republikaner wie Senator Lindsey Graham eine härtere Gangart gegenüber Moskau. Diese Zerrissenheit macht jede Strategie instabil. Trumps Position kann sich von einem Tag auf den anderen ändern, je nachdem, wessen Stimme in seinem Ohr gerade die lauteste ist.

Die europäischen Verbündeten haben diese Dynamik erkannt und versuchen verzweifelt, durch intensive diplomatische Bemühungen einen Keil zwischen Trump und die Isolationisten zu treiben. NATO-Generalsekretär Mark Rutte und andere europäische Führer sind zu ständigen „Trump-Flüsterern“ geworden, die versuchen, den US-Präsidenten durch Schmeicheleien und Appelle an seinen Wunsch nach Stärke bei der Stange zu halten. Ihre Hoffnung ist paradox: Sie setzen darauf, dass Trumps verletztes Ego ihn zu einem zuverlässigeren Verbündeten macht als es seine politische Überzeugung je könnte.

Die „Madman-Theorie“ als Ablenkungsmanöver

In Momenten innenpolitischen Drucks greift Trump zudem auf eine Taktik zurück, die als „Madman-Theorie“ bekannt ist: der Versuch, durch unberechenbares und scheinbar irrationales Verhalten Gegner einzuschüchtern. Sein beiläufiger Social-Media-Post über die Verlegung von Atom-U-Booten als Reaktion auf die Tiraden eines unbedeutenden russischen Funktionärs wird von Analysten wie Tom Nichols nicht als strategisches Signal, sondern als durchsichtiges Ablenkungsmanöver interpretiert. Angesichts schlechter Wirtschaftsdaten und innenpolitischer Skandale ist das Spiel mit der atomaren Angst ein bequemer Weg, die Schlagzeilen zu beherrschen und von eigenen Problemen abzulenken. Es ist eine rücksichtslose Instrumentalisierung der globalen Sicherheit für den persönlichen politischen Vorteil – ein Spiel, das brandgefährlich ist, sollte ein Gegner es eines Tages ernster nehmen als beabsichtigt.

Ein Frieden, der auf Sand gebaut ist

Was bleibt, ist das Bild einer amerikanischen Außenpolitik, die nicht auf einer kohärenten Strategie, sondern auf den wechselhaften Emotionen eines einzelnen Mannes beruht. Die abrupte Wende gegenüber Russland ist kein Zeichen neuer Stärke, sondern ein Akt der Verzweiflung, getrieben von der Furcht vor dem Image der Schwäche. Trumps neue Freundlichkeit gegenüber Europa ist eine direkte Folge seines Zorns auf Putin, nicht einer wiederentdeckten Wertschätzung für Allianzen.

Ein dauerhafter Frieden in der Ukraine, so der Konsens der Analysten, wird erst dann möglich, wenn Putin auf dem Schlachtfeld unmissverständlich demonstriert wird, dass seine maximalistischen Ziele unerreichbar sind. Dies erfordert eine nachhaltige, verlässliche und strategisch kluge Unterstützung für Kiew – das genaue Gegenteil der erratischen, von persönlichen Animositäten getriebenen Ad-hoc-Politik, die Donald Trump derzeit an den Tag legt. Die Hoffnung für die Ukraine und die Stabilität Europas hängt somit an einem seidenen Faden: der Unberechenbarkeit eines gekränkten Egos, das heute Härte zeigt und morgen schon wieder einen neuen, noch besseren Deal wittern könnte.

Nach oben scrollen