Die Festung des Schweigens: Wie das Pentagon den Krieg gegen die freie Presse erklärt

Illustration: KI-generiert

In den Korridoren des Pentagons, jenem Nervenzentrum der amerikanischen Militärmacht, dessen fünf Ecken seit jeher ein Symbol für Stärke und Wehrhaftigkeit sind, wird in diesen Tagen ein Kampf von fundamentaler, ja staatsbürgerlicher Bedeutung ausgefochten. Es ist ein Konflikt, der nicht mit Waffen, sondern mit Paragraphen, Ultimaten und einer selten gesehenen Einigkeit der sonst so zerstrittenen Medienlandschaft geführt wird. Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit inszeniert Verteidigungsminister Pete Hegseth einen präzedenzlosen Angriff auf die Pressefreiheit, der darauf abzielt, das Pentagon in eine informationelle Festung zu verwandeln und kritischen Journalismus durch ein System der kontrollierten Informationsvergabe zu ersetzen. Was sich hier abspielt, ist weit mehr als nur ein Streit um neue Zugangsregeln; es ist ein Lackmustest für die Resilienz der vierten Gewalt in einer Ära, in der die Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie systematisch unter Druck geraten.

Ein drakonisches Regelwerk als Waffe

Der Auslöser dieser Konfrontation ist ein 21-seitiges Dokument, das mit der kühlen Nüchternheit einer administrativen Vorschrift daherkommt, in seiner Wirkung jedoch die Sprengkraft einer politischen Bombe entfaltet. Es ersetzt ein bisher gültiges, einseitiges Formular und etabliert ein Regime der Kontrolle, das in der Geschichte des Pentagons ohne Beispiel ist. Vordergründig geht es um die angebliche Notwendigkeit, den Schutz klassifizierter (CNSI) und sensibler, aber unklassifizierter Informationen (CUI) zu verbessern. Doch die Mittel, die hierfür gewählt werden, demaskieren die wahren Absichten. Jahrzehntelang genossen akkreditierte Journalisten das Privileg, sich relativ frei in den öffentlichen Bereichen des riesigen Gebäudekomplexes zu bewegen – ein Umstand, der informelle Gespräche, den Aufbau von Vertrauen und damit die Grundlage investigativer Berichterstattung erst ermöglichte. Diese Praxis wird nun radikal beschnitten. Neue Pläne weisen eng definierte Zonen aus, in denen sich Reporter ohne Eskorte aufhalten dürfen. Jeder Schritt darüber hinaus erfordert einen offiziellen Begleiter. Das Pentagon wird von einem Ort der potenziellen Begegnung zu einem Labyrinth mit unsichtbaren Mauern.

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Doch die architektonische Einschränkung ist nur die physische Manifestation einer weitaus tiefergreifenden Zensurlogik. Der eigentliche Kern des Anstoßes liegt in den Klauseln, die den Umgang mit Informationen regeln. Journalisten sollen mit ihrer Unterschrift nicht nur die neuen Regeln zur Kenntnis nehmen, sondern sich de facto einem System unterwerfen, in dem jede Information, die nicht explizit von einem autorisierten Beamten zur Veröffentlichung freigegeben wurde, als Tabu gilt. Wer dagegen verstößt, kann als „Sicherheitsrisiko“ eingestuft werden – eine vage, aber hochgefährliche Definition, die als Grundlage für den sofortigen Entzug der Akkreditierung dient. Der administrative Prozess hierfür ist bewusst intransparent gehalten und verleiht der Pentagon-Führung eine immense, kaum anfechtbare Macht. Es ist die Androhung einer beruflichen Exekution für jeden, der es wagt, seine Aufgabe als Kontrolleur der Macht ernst zu nehmen.

Der Angriff auf das journalistische Handwerk

Die vielleicht perfideste Passage des neuen Regelwerks ist jene, die in einer überarbeiteten Version noch verschärft wurde und selbst das bloße „Anfordern“ (soliciting) von nicht autorisierten Informationen als potenziell sanktionierbares Verhalten definiert. Damit wird der Kern des journalistischen Handwerks – das Fragenstellen, das Nachhaken, das Bitten um Aufklärung und das Ermutigen von Quellen, Missstände aufzudecken – in die Nähe einer kriminellen Handlung gerückt. Es ist der Versuch, eine Kultur des Schweigens zu etablieren, einen „chilling effect“ zu erzeugen, der nicht nur die Reporter, sondern vor allem ihre potenziellen Gesprächspartner innerhalb des riesigen Militärapparats einschüchtern soll. Wer spricht schon mit einem Journalisten, wenn dieser Dialog vom eigenen Arbeitgeber als Anstiftung zu einer Dienstpflichtverletzung interpretiert werden kann?

Pressefreiheitsorganisationen und die Rechtsbeistände der Medienhäuser sehen hierin einen klaren Verfassungsbruch. Sie argumentieren, dass die Regeln eine Form der Vorzensur („prior restraint“) darstellen, die vom Obersten Gerichtshof als die schwerwiegendste Verletzung des Ersten Verfassungszusatzes betrachtet wird. Die Regierung versucht, die Veröffentlichung von Informationen nicht nachträglich zu bewerten, sondern sie von vornherein zu unterbinden, indem sie den Boten unter Androhung des Lizenzentzugs zur Selbstzensur zwingt. Die Behauptung des Pentagons, die Regeln richteten sich nur an die eigenen Mitarbeiter und nicht an die Journalisten, ist ein rhetorischer Trick. Indem man den Zugang als Druckmittel einsetzt, wird der Journalist faktisch zum Erfüllungsgehilfen der staatlichen Informationspolitik degradiert.

Hegseths persönlicher Feldzug

Diese konfrontative Politik ist untrennbar mit der Person des amtierenden Verteidigungsministers verbunden. Pete Hegseth, einst ein prominenter Moderator bei Fox News und ein lautstarker Unterstützer Donald Trumps, hat von Beginn seiner Amtszeit an eine offene Feindseligkeit gegenüber der etablierten Presse an den Tag gelegt. Schon vor der Einführung des neuen Regelwerks ließ er renommierte Medienorganisationen wie die New York Times, The Washington Post und NPR aus ihren angestammten Büros im Pentagon entfernen, um Platz für Trump-freundlichere Outlets wie Newsmax oder One America News Network zu schaffen. Seine öffentliche Kommunikation, etwa über die Plattform X, ist von einer abweisenden, beinahe höhnischen Attitüde geprägt. Als die größten Zeitungen des Landes ankündigten, die neuen Regeln nicht zu unterzeichnen, reagierte er mit einem simplen Hand-Winke-Emoji – eine Geste der Verachtung, die jeden ernsthaften Dialog verweigert.

Die Motive für diesen Feldzug sind vielschichtig. Offiziell wird die nationale Sicherheit ins Feld geführt, eine Begründung, die in der Post-9/11-Ära stets eine hohe suggestive Kraft besitzt. Doch es gibt gute Gründe, an dieser Darstellung zu zweifeln. Kritiker vermuten, dass Hegseths Agenda weniger dem Schutz von Staatsgeheimnissen dient als vielmehr dem Schutz seiner eigenen Person und seines Ministeriums vor kritischer Beobachtung. Berichte über internes Chaos, Machtkämpfe und peinliche Pannen, wie die versehentliche Preisgabe sensibler Informationen durch den Minister selbst in einem Chat, haben sein öffentliches Bild beschädigt. Die neuen Regeln erscheinen in diesem Licht als der Versuch, die Reihen zu schließen und den unkontrollierten Informationsfluss, der zu solchen Enthüllungen führt, trockenzulegen. Es ist der klassische Reflex eines Machthabers, der Transparenz nicht als Stärke, sondern als Bedrohung empfindet.

Eine geschlossene Front des Widerstands

Die Reaktion der amerikanischen Presselandschaft auf diesen Angriff ist bemerkenswert. In einer seltenen Demonstration der Einigkeit stellen sich Medien über das gesamte ideologische Spektrum hinweg gegen die neuen Auflagen. Von der liberalen New York Times über die Agentur Associated Press bis hin zu konservativen Bastionen wie Newsmax und der Washington Times reicht die Phalanx der Verweigerer. Sie alle haben angekündigt, das Dokument nicht zu unterzeichnen und damit den Entzug ihrer Akkreditierungen zu riskieren. Diese breite Koalition beweist, dass es hier nicht um parteipolitische Grabenkämpfe geht, sondern um die Verteidigung eines fundamentalen Prinzips. Wenn selbst Medien, die der Trump-Administration ansonsten wohlgesonnen sind, die rote Linie erkennen, unterstreicht dies die Radikalität des Pentagon-Vorstoßes. Die bezeichnende Ausnahme bildet das ultra-rechte One America News Network, das als einziges namhaftes Medium seine Bereitschaft zur Unterzeichnung signalisiert hat – und damit seine Rolle als Sprachrohr der Regierung unmissverständlich bekräftigt.

Die drohende Stille und ihre Folgen

Sollte das Pentagon seine Drohung wahr machen und den Großteil des Pressekorps aussperren, wären die Konsequenzen gravierend. Die Öffentlichkeit würde den direkten, täglichen Einblick in die Operationen einer Institution verlieren, die über ein Budget von fast einer Billion Dollar an Steuergeldern verfügt. Die kritische Begleitung militärischer Entscheidungen, die Aufdeckung von Verschwendung, Korruption oder strategischen Fehlentscheidungen würde massiv erschwert. Viele der wichtigsten investigativen Geschichten der jüngeren amerikanischen Geschichte – von der Enthüllung der katastrophalen Zustände im Walter-Reed-Militärkrankenhaus bis zum Skandal um die Gefangenenmisshandlungen in Abu Ghraib – wären unter den jetzt geplanten Regeln unmöglich gewesen. Sie basierten auf jenem unreglementierten Zugang und jenem Vertrauensverhältnis zu internen Quellen, das Hegseths Politik gezielt zerstört.

Ein Pentagon ohne kritische Presse wäre ein echokammerartiger Raum, in dem die offizielle Darstellung der Regierung unwidersprochen bliebe. Dies hätte nicht nur innenpolitische, sondern auch gravierende außenpolitische Auswirkungen. Die internationale Wahrnehmung der amerikanischen Militär- und Sicherheitspolitik würde zunehmend von der offiziellen Propaganda des Pentagons geprägt, was die Glaubwürdigkeit der USA als demokratischer Akteur weiter untergraben würde.

Ein Symptom der Ära Trump

Der Konflikt um den Pressezugang zum Pentagon ist kein isolierter Vorfall. Er fügt sich nahtlos in das Muster der zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump ein, die von einer systematischen Kampagne zur Delegitimierung und Einschüchterung unabhängiger Medien geprägt ist. Von Klagen gegen renommierte Zeitungen über Angriffe auf einzelne Journalisten bis hin zur Dämonisierung der gesamten Branche als „Feinde des Volkes“ – die Strategie ist klar: Die vierte Gewalt soll als Korrektiv der Macht ausgeschaltet werden. Das Pentagon ist in diesem Kulturkampf lediglich die neueste und vielleicht gefährlichste Front. Wenn es der Regierung gelingt, selbst in dieser traditionsreichen Institution die Prinzipien der Transparenz auszuhebeln, sendet dies ein verheerendes Signal an alle anderen Behörden.

Der Showdown, der sich nun abzeichnet, wird unweigerlich zu juristischen Auseinandersetzungen führen, deren Ausgang ungewiss ist. Doch der eigentliche Schaden ist bereits entstanden. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Militär und den Medien, das trotz aller Spannungen über Jahrzehnte ein zentraler Pfeiler der demokratischen Kontrolle war, liegt in Trümmern. Pete Hegseth mag glauben, einen Sieg für die Sicherheit und die Disziplin errungen zu haben. In Wahrheit hat er einen tiefen Graben aufgeworfen, der die Institution, die er zu schützen vorgibt, von der Öffentlichkeit entfremdet. Die Festung, die er errichtet, schützt nicht die Nation, sondern sie isoliert die Macht vor dem Volk, dem sie dienen soll. Und in der Stille, die aus ihren Mauern dringt, hallt die beunruhigende Frage wider, wie wehrhaft eine Demokratie noch ist, deren Wächter ausgesperrt werden.

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