Die Ellison-Doktrin: Amerikas neue Medienmacht fordert die Demokratie heraus

Illustration: KI-generiert

In den Korridoren der Macht, sei es in Washington oder im Silicon Valley, vollziehen sich die entscheidenden Verschiebungen oft im Stillen, verborgen hinter komplexen Firmenkonstrukten und juristischen Subtilitäten. Die jüngste Metamorphose der amerikanischen Medienlandschaft ist ein solch leiser, aber fundamentaler Vorgang. Es ist die Geschichte der Entstehung eines beispiellosen Machtzentrums, geformt von der Symbiose aus altem Hollywood-Glamour, der Reichweite traditioneller Nachrichtenkanäle und der kalten, berechnenden Logik der Tech-Giganten. Vordergründig ist es die Erzählung des Aufstiegs von David Ellison, dem ambitionierten Filmproduzenten, zum neuen Mogul an der Spitze von Paramount. Doch wer die Fassade durchdringt, erkennt die wahre Architektur der Macht: Es ist sein Vater, der Oracle-Gründer Larry Ellison, ein enger Verbündeter von Präsident Donald Trump, der die Fäden dieses neuen Imperiums in der Hand hält. Die Übernahme von Paramount und die strategische Kontrolle über die US-Operationen von TikTok sind mehr als nur brillante Wirtschaftsdeals; sie sind die Bausteine einer neuen Doktrin. Sie markieren die Geburt eines politisch-medialen Machtinstruments, das die Grenzen zwischen Unterhaltung, Information und algorithmischer Beeinflussung auf eine Weise verwischt, die etablierte Dynastien wie die Murdochs beinahe antiquiert erscheinen lässt. Dies ist keine bloße Konsolidierung von Medienvermögen. Es ist die Formierung einer strategischen Waffe in einem Kulturkampf, deren langfristige Implikationen für die demokratische Öffentlichkeit noch kaum zu ermessen sind.

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Die unsichtbare Hand des Patriarchen

Die offizielle Verkündung des Paramount-Deals im Sommer zeichnete das Bild eines reibungslosen Generationenwechsels. David Ellison, der mit Blockbustern wie „Top Gun: Maverick“ sein Gespür für den Massengeschmack bewiesen hatte, wurde als visionärer Erneuerer des traditionsreichen Studios inszeniert. Ein Narrativ, das ebenso eingängig wie irreführend ist. Denn die bei der Federal Communications Commission (FCC) eingereichten Dokumente enthüllen eine gänzlich andere Realität. Sie skizzieren ein Labyrinth aus Investmentvehikeln und Trusts, an dessen Spitze unmissverständlich ein Name steht: Lawrence J. Ellison. Über die Familienholding Pinnacle Media und den Lawrence J. Ellison Revocable Trust kontrolliert der Vater den Löwenanteil der Stimmrechte, die einst das Fundament der Macht von Shari Redstone bildeten. Sein Sohn David mag der operative Geschäftsführer sein, das Gesicht des Unternehmens in der Öffentlichkeit, doch die ultimative Kontrolle liegt beim Patriarchen. Diese Konstellation ist kein Zufall, sondern System. Sie spiegelt eine Machtdynamik wider, die Larry Ellisons Karriere seit jeher prägt: eine unerbittliche, fast maschinelle Effizienz im Streben nach Dominanz, bei der persönliche Beziehungen und öffentliche Wahrnehmung strategischen Zielen untergeordnet werden. Das Verhältnis zum Sohn, der einst eine distanzierte Beziehung zum übermächtigen Vater pflegte, hat sich zu einer hochfunktionalen Allianz gewandelt. David Ellison liefert die in Hollywood so wichtige kreative Legitimität und das operative Geschick, während Larry Ellison im Hintergrund die finanzielle Feuerkraft und, was noch entscheidender ist, die politische Deckung bereitstellt. Es ist eine Arbeitsteilung, die es erlaubt, traditionelle Medienbastionen zu erobern, ohne die etablierten Eliten der Branche unnötig zu alarmieren. Doch der Eindruck einer sanften Modernisierung trügt. In Wahrheit wird hier ein Traditionskonzern dem Willen eines Tech-Milliardärs unterworfen, dessen Agenda weit über rein wirtschaftliche Interessen hinauszugehen scheint.

Washingtons willfährige Regulatoren

Die Geschwindigkeit und scheinbare Mühelosigkeit, mit der die Ellisons ihre Akquisitionen durchsetzen konnten, wäre ohne den politischen Rückenwind aus Washington undenkbar gewesen. Die zweite Amtszeit von Präsident Donald Trump hat ein Klima geschaffen, in dem regulatorische Hürden für politisch Verbündete nicht nur gesenkt, sondern aktiv abgebaut werden. Die FCC unter ihrem Vorsitzenden Brendan Carr agierte dabei weniger als unabhängige Kontrollinstanz denn als willfähriger Vollstrecker politischer Interessen. Die Übernahme von Paramount war untrennbar mit dem langjährigen Unmut des Präsidenten über die Berichterstattung von CBS News verknüpft. Trumps Klage gegen den Sender wegen angeblicher Einmischung in den Wahlkampf und der darauffolgende Druck der FCC auf das Netzwerk schufen eine Atmosphäre der Belagerung. Der millionenschwere Vergleich, dem Paramount kurz vor der Übernahme zustimmte, war mehr als nur eine juristische Kapitulation; er war das Vorspiel zur feindlichen Übernahme der redaktionellen Kultur. Die Genehmigung des Mergers durch die FCC, verbunden mit der expliziten und öffentlich geäußerten Erwartungshaltung Carrs, Skydance möge „signifikante Veränderungen“ bei CBS vornehmen, kam einer politischen Einladung gleich. Die Übernahme diente somit auch der Lösung eines politischen Problems für das Weiße Haus. Parallel dazu entfaltete sich das Drama um TikTok. Vordergründig wurde der Vorgang mit dem Schutz der nationalen Sicherheit begründet, um den vermeintlichen Einfluss der chinesischen Regierung auf den Algorithmus der Plattform zu brechen. Doch das Ergebnis der Intervention ist aufschlussreich: Die Kontrolle über die US-Daten und den mächtigen Empfehlungsalgorithmus geht an ein Konsortium über, das von Oracle, Larry Ellisons Lebenswerk, angeführt wird. Ein Unternehmen, dessen Gründer nicht nur als einer der wichtigsten finanziellen Unterstützer der Republikanischen Partei gilt, sondern auch persönlich an Strategietreffen zur Anfechtung des Wahlergebnisses von 2020 teilgenommen hat. Die Auflage, dass die US-Version des Algorithmus mit rein amerikanischen Daten neu trainiert werden soll, ist ein technokratisches Detail, das die strategische Tiefe des Manövers verschleiert. Es schafft die Möglichkeit, eine subtil modifizierte Version der weltweit süchtig machenden App zu betreiben, deren Wirkungsweise und potenzielle Beeinflussbarkeit nun in den Händen eines Trump-Verbündeten liegen. Beide Deals, Paramount und TikTok, sind keine isolierten Ereignisse. Sie sind die zwei zentralen Säulen einer koordinierten Strategie, die durch dieselben politischen Akteure ermöglicht und gefördert wurde, um eine beispiellose Konzentration medialer und technologischer Macht zu schaffen.

Eine Provokation namens Bari Weiss

Nichts offenbart die wahre Stoßrichtung des neuen Imperiums deutlicher als die Personalie an der Spitze von CBS News. Die Ernennung der meinungsstarken Journalistin Bari Weiss zur Chefredakteurin ist ein Akt von symbolischer Wucht, eine bewusste Provokation und ein unmissverständlicher Bruch mit der journalistischen Tradition des Senders. Weiss hat ihre Karriere auf der scharfen Kritik an dem aufgebaut, was sie als „woke“ Orthodoxie in den amerikanischen Mainstream-Medien bezeichnet. Ihre Berufung ist kein Versuch, die Meinungsvielfalt zu stärken, sondern ein klares Signal für eine ideologische Neuausrichtung. Es ist der Versuch, eine Bastion des liberalen Medien-Establishments von innen heraus umzugestalten und an ein neues politisches Koordinatensystem anzupassen. Die interne Reaktion, von tiefer Verunsicherung bis hin zu offener Bestürzung, war erwartbar. Sie legt den fundamentalen Kulturkonflikt offen, der dem gesamten Unternehmen nun bevorsteht. Vor diesem Hintergrund wirken die öffentlichen Beschwichtigungen von David Ellison, er wolle sein Unternehmen unter keinen Umständen politisieren, bestenfalls naiv, wahrscheinlicher jedoch zynisch. Er befindet sich in einem unauflösbaren Zielkonflikt: Einerseits muss er die kreativen und journalistischen Talente seines Unternehmens bei Laune halten, andererseits die strategischen Vorgaben umsetzen, die durch die Machtarchitektur seines Vaters diktiert werden. Die Entscheidung für Weiss zeigt, welche Seite in diesem Konflikt im Zweifel die Oberhand behält. Sie fügt sich nahtlos in das politische Profil von Larry Ellison ein, der nicht nur die Kampagnen konservativer Hardliner wie Tim Scott finanziert, sondern auch als einer der Hauptinvestoren hinter Elon Musks Übernahme von Twitter stand – einem weiteren Projekt, das unter dem Banner der „freien Rede“ eine deutliche politische Schlagseite entwickelte. Die Personalie Weiss ist somit der erste, weithin sichtbare Beweis dafür, dass die Ellison-Doktrin nicht auf eine friedliche Koexistenz mit dem bisherigen Mediensystem abzielt, sondern auf dessen Konfrontation und Transformation.

Mehr als nur ein neues Fox News

Auf den ersten Blick mag die Strategie der Ellisons an das Vorgehen von Rupert Murdoch erinnern, der mit Fox News ein enorm einflussreiches parteipolitisches Medium schuf. Doch dieser Vergleich greift zu kurz und unterschätzt die neuartige Qualität der entstehenden Machtkonzentration. Murdoch ist ein Produkt des traditionellen Zeitungs- und Fernsehgeschäfts; seine Macht basiert auf der klassischen Logik von Reichweite, Auflage und der Fähigkeit, die politische Debatte durch meinungsstarke Kommentare zu prägen. Larry Ellison hingegen entstammt dem Herzen des Silicon Valley. Seine Macht gründet auf der Kontrolle von Daten, Software und Infrastruktur. Der entscheidende Unterschied und die eigentliche Gefahr des Ellison-Imperiums liegen in der geplanten Verschmelzung dieser beiden Welten. Paramount, Skydance und CBS liefern die professionell produzierten Inhalte, die etablierten Marken und die journalistische Glaubwürdigkeit, die ein reiner Tech-Konzern niemals erreichen könnte. Oracle und die Beteiligung an TikTok liefern im Gegenzug die technologische Infrastruktur, die unermesslichen Datenschätze und den mächtigsten Distributionskanal, den die Welt je gesehen hat: einen Algorithmus, der die Aufmerksamkeit von Hunderten von Millionen Menschen steuert. Diese Symbiose ermöglicht eine Form der Einflussnahme, die weit subtiler und potenziell wirksamer ist als die offene Propaganda eines Nachrichtensenders. Narrative und Weltbilder können nicht nur gesendet, sondern direkt in den Informationskreislauf einer ganzen Generation eingespeist und durch die unsichtbare Hand des Algorithmus verstärkt werden. Die Inhalte von CBS News könnten nahtlos in den TikTok-Feed integriert, die Helden der Paramount-Blockbuster zu Ikonen in viralen Challenges werden. Die Trennlinien zwischen Journalismus, Unterhaltung und gezielter Botschaft könnten bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Gepaart mit dem schier unerschöpflichen Vermögen Larry Ellisons, das jenes von Murdoch um ein Vielfaches übersteigt, entsteht eine Durchschlagskraft, die von kommerziellen oder politischen Gegenkräften kaum noch auszubalancieren ist.

Die schleichende Erosion der vierten Gewalt

Es wäre ein Fehler, von den Ellisons eine klar deklarierte strategische Vision zu erwarten. Der Mangel an einer öffentlichen Gesamtstrategie ist womöglich die cleverste Strategie von allen. Sie erlaubt eine schrittweise, fast organisch wirkende Transformation, deren wahres Ausmaß erst erkennbar wird, wenn sie unumkehrbar ist. Die vorliegenden Fakten deuten jedoch mit erdrückender Klarheit auf das wahrscheinlichste Zukunftsszenario hin: die Schaffung eines hochentwickelten, politisch ausgerichteten Einflussinstruments, das geschickt unter dem Deckmantel von pluralistischer Unterhaltung und wiederhergestellter „Meinungsvielfalt“ operiert. Die wahre Gefahr geht nicht von einem weiteren lauten, polemischen Propagandasender aus. Sie liegt in der leisen, algorithmischen Kultivierung von Stimmungen, in der Normalisierung bestimmter politischer Narrative und in der schleichenden Erosion des Vertrauens in jede Form von unabhängiger, faktenbasierter Berichterstattung. Was wir erleben, ist der Versuch, die Prinzipien des Silicon Valley – Disruption, Skalierung, datengestützte Optimierung – auf den politischen Meinungsmarkt zu übertragen. Es ist ein Angriff auf die Grundfesten der vierten Gewalt, ausgeführt mit den Werkzeugen des 21. Jahrhunderts. Für diese neue Form der medialen Machtverschränkung fehlen der amerikanischen Demokratie bislang die regulatorischen Antikörper und vielleicht sogar das begriffliche Rüstzeug, um die Herausforderung in ihrer vollen Tragweite zu erfassen. Die Ellison-Doktrin ist somit nicht nur eine Bedrohung für die Konkurrenz in Hollywood oder die Journalisten bei CBS; sie ist eine fundamentale Herausforderung für die Resilienz der demokratischen Öffentlichkeit selbst.

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