
Die Regierung unter Donald Trump erwägt offen, eines der ältesten und wichtigsten Grundrechte der angloamerikanischen Rechtstradition – das Habeas Corpus – für Migranten auszusetzen. Begründet wird dies mit einer angeblichen „Invasion“. Doch der Vorstoß ist mehr als nur Wahlkampfgetöse; er ist ein Angriff auf die Gewaltenteilung und die Grundfesten des US-Rechtsstaats. Die Geschichte und die Verfassung selbst erzählen eine andere Geschichte als die, die das Weiße Haus nun schreiben will.
Es sind Worte, die aufhorchen lassen und an den Grundfesten der amerikanischen Demokratie rütteln. Stephen Miller, einflussreicher Berater im Weißen Haus von Präsident Donald Trump, bestätigte Anfang Mai 2025, dass die Administration „aktiv prüfe“, das sogenannte Habeas-Corpus-Recht für festgenommene Migranten auszusetzen. Das Argument, kaum verhüllt in juristische Termini: Das Land befinde sich im Zustand einer „Invasion“ durch Migrantenströme, was laut Verfassung eine solche drastische Maßnahme erlaube. Diese Rhetorik ist nicht neu, doch die Offenheit, mit der nun die Suspension eines Rechts erwogen wird, das seit Jahrhunderten als Bollwerk gegen willkürliche Staatsgewalt gilt, markiert eine neue Eskalationsstufe im Umgang der Trump-Regierung mit rechtsstaatlichen Prinzipien und insbesondere mit der Rolle der Justiz.
Das Habeas-Corpus-Privileg, wörtlich „Du sollst den Körper haben“, ist das Recht eines jeden Verhafteten, unverzüglich einem Richter vorgeführt zu werden. Dieser prüft dann die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung. Es ist ein Schutzmechanismus, der tief im englischen Common Law verwurzelt ist und bereits 1679 im Habeas Corpus Act festgeschrieben wurde, um die Bürger vor königlicher Willkür zu schützen. Die Gründerväter der USA übernahmen dieses Prinzip als so fundamental, dass sie es in Artikel I der Verfassung verankerten: „Das Privileg des Habeas-Corpus-Rechtsaktes darf nicht suspendiert werden, es sei denn, dass im Falle eines Aufstandes oder einer Invasion die öffentliche Sicherheit dies erfordert.“ Genau auf diese Ausnahmeklausel beruft sich nun die Trump-Administration.

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Rhetorik der „Invasion“: Eine gefährliche Umdeutung der Verfassung
Die aktuelle Argumentation der Trump-Regierung, die Zuwanderung an der Südgrenze als „Invasion“ zu deklarieren, um die Aussetzung des Habeas Corpus zu rechtfertigen, wird von den meisten Rechtswissenschaftlern und Bürgerrechtsorganisationen als höchst problematisch und verfassungsrechtlich kaum haltbar eingestuft. Die Verfassungsklausel sei, so der breite Konsens, für tatsächliche kriegerische Auseinandersetzungen oder massive bewaffnete Aufstände gedacht, nicht für Migrationsbewegungen, mögen sie auch eine Herausforderung darstellen. Bereits in der Vergangenheit scheiterte die Regierung Trump vor mehreren Bundesgerichten mit dem Versuch, die Einwanderungssituation als „Invasion“ zu definieren, um etwa den „Alien Enemies Act“ zur beschleunigten Abschiebung von Venezolanern anzuwenden. Diese Gerichte sahen keine stichhaltigen Beweise für eine Invasion im Sinne der Verfassung.
Stephen I. Vladeck, Rechtsprofessor an der Georgetown University, spitzt die Kritik zu: Die Regierung erwäge die Aussetzung des Habeas Corpus offenbar vor allem deshalb, weil sie vor Gericht mit ihrer bisherigen Strategie unterliege. Es gehe also nicht primär um die nationale Sicherheit, sondern darum, unliebsame gerichtliche Überprüfungen exekutiven Handelns auszuschalten. Dies ist eine beunruhigende Perspektive, die den Kern der Gewaltenteilung angreift. Wenn die Exekutive sich anmaßt, Grundrechte dann auszusetzen, wenn ihr gerichtliche Entscheidungen nicht passen, öffnet dies der Willkür Tür und Tor.
Historische Ausnahmen als schwache Blaupause für die Gegenwart
Befürworter einer Aussetzung verweisen gerne auf historische Präzedenzfälle. Tatsächlich wurde das Habeas-Corpus-Recht in der US-Geschichte viermal ausgesetzt: Während des Bürgerkriegs durch Präsident Abraham Lincoln, unter Präsident Ulysses S. Grant im Kampf gegen den Ku-Klux-Klan in Teilen South Carolinas, 1905 in zwei Provinzen der damals US-amerikanischen Philippinen und nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 auf Hawaii, das damals noch kein Bundesstaat war. Doch diese Vergleiche hinken gewaltig. Die Situationen damals waren geprägt von tatsächlichen bewaffneten Konflikten oder großflächiger Gewalt, die die öffentliche Sicherheit unmittelbar und existenziell bedrohten. Lincolns anfänglich unilaterale Aussetzung wurde später vom Kongress legitimiert, was die übliche Interpretation unterstreicht, dass primär der Legislative – und nicht der Exekutive allein – diese schwerwiegende Entscheidung zusteht. Selbst die zukünftige Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett vertrat vor ihrer Ernennung in einer Co-Autorenschaft die Ansicht, dass die meisten Experten davon ausgingen, nur der Kongress könne das Recht suspendieren. Angesichts der knappen republikanischen Mehrheiten im Kongress wäre eine solche Zustimmung derzeit ohnehin schwer vorstellbar. Die heutige Situation an der Grenze, so herausfordernd sie sein mag, mit diesen historischen Krisen gleichzusetzen, erscheint als eine gefährliche Überdehnung der Fakten und Rechtsbegriffe.
Der schwelende Konflikt: Exekutive versus Judikative
Die aktuelle Debatte offenbart erneut den tiefen Graben und das Misstrauen zwischen der Trump-Administration und der unabhängigen Justiz. Miller deutete an, dass die Entscheidung zur Aussetzung davon abhänge, „ob die Gerichte das Richtige tun oder nicht“ – eine kaum verhohlene Drohung und ein Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit. Die Administration versucht zudem, die Zuständigkeit der ordentlichen Bundesgerichte (Artikel-III-Gerichte) in Einwanderungsfällen zu untergraben, indem sie argumentiert, der „Immigration Nationality Act“ weise diese Fälle primär den Einwanderungsgerichten zu, die dem Justizministerium und damit der Exekutive unterstehen. Zwar enthält das Gesetz Regelungen, die bestimmte Verfahren kanalisieren, doch die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung fundamentaler Rechte wie Habeas Corpus durch unabhängige Gerichte ist ein Kernbestandteil des US-Rechtssystems. Die Idee, dass die Exekutive die Rechtmäßigkeit ihrer eigenen Inhaftierungen ohne unabhängige Kontrolle selbst bewerten könnte, ist ein Albtraum für jeden Verfechter des Rechtsstaats. Es erinnert fatal an die juristischen Auseinandersetzungen während der Präsidentschaft von George W. Bush um die Inhaftierten in Guantánamo Bay, wo der Supreme Court 2008 im Fall Boumediene v. Bush entschied, dass auch ausländischen Terrorverdächtigen außerhalb des US-Festlandes das Recht auf Habeas Corpus zusteht.
Die menschliche Dimension: Was auf dem Spiel steht
Sollte die Exekutive tatsächlich die Befugnis erhalten, Habeas Corpus im Kontext von Abschiebungen auszusetzen, wären die Folgen für die Rechte von Migranten und die rechtsstaatlichen Verfahren in den USA verheerend. Ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Haftprüfung wären Menschen potenziell willkürlicher und unbegrenzter Inhaftierung ausgesetzt, bevor sie möglicherweise abgeschoben werden. Es entfiele eine wichtige Kontrollinstanz gegen fehlerhafte Entscheidungen, unmenschliche Haftbedingungen oder politisch motivierte Festsetzungen. Die Geschichte des Habeas Corpus ist reich an Beispielen, in denen dieses Recht Menschen vor schweren Justizirrtümern bewahrt hat. So wurde etwa Shabaka Waglini 1987 nach 13 Jahren in der Todeszelle in Florida freigelassen, nachdem ein Bundesberufungsgericht aufgrund seines Habeas-Corpus-Antrags ein neues Verfahren angeordnet hatte, weil die Staatsanwaltschaft entlastendes Material zurückgehalten hatte. Solche Fälle verdeutlichen die existentielle Bedeutung dieses Rechtsinstruments. Die Vorstellung, dass Tausende von Menschen ohne diesen Schutzmechanismus einem beschleunigten Abschiebeverfahren unterworfen werden könnten, das primär von der anklagenden Exekutive kontrolliert wird, widerspricht fundamentalen Prinzipien von Fairness und „Due Process“.
Die Debatte um Habeas Corpus ist somit weit mehr als eine juristische Spitzfindigkeit. Sie berührt das Selbstverständnis der USA als Rechtsstaat und die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Die Rhetorik der „Invasion“ dient dabei als Vehikel, um eine Ausweitung exekutiver Machtbefugnisse zu legitimieren und rechtsstaatliche Kontrollmechanismen auszuhebeln. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das nicht nur die Rechte von Migranten bedroht, sondern das Fundament der amerikanischen Freiheit selbst. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Institutionen der US-Demokratie stark genug sind, diesem Angriff auf eines ihrer ältesten und wichtigsten Schutzrechte standzuhalten. Präsident Trumps eigene Aussage vor Kurzem, er wisse nicht, ob er die Verfassung während seiner Präsidentschaft einhalten müsse, lässt für diese Auseinandersetzung nichts Gutes erahnen.