Die Aristopopulisten: Wie JD Vance und eine neue Elite MAGA für die Zeit nach Trump rüsten

Illustration: KI-generiert

In den stillen Korridoren der Macht, weit abseits der lauten Bühnen von Donald Trump, wird an einer neuen Maschine gebaut. Es ist ein Projekt, das die flüchtige Energie eines singulären Mannes in eine langlebige politische Infrastruktur umwandeln soll. Dies ist die Geschichte der Professionalisierung des MAGA-Lagers, einer Bewegung, die lernt, über ihren Schöpfer hinaus zu denken. Im Zentrum dieses tektonischen Wandels steht Vizepräsident JD Vance – nicht nur als Erbe, sondern als aktiver Architekt.

An seiner Seite operiert ein Mann, der bisher weitgehend im Schatten agierte: Chris Buskirk, ein Unternehmer aus Arizona. Gemeinsam haben sie ein Ökosystem geschaffen, das auf einer ebenso simplen wie radikalen Formel basiert: „Brains-plus-money-plus-base“. Sie schmieden eine neue Elite, die sich selbst nicht als Oligarchie, sondern als „Aristokratie“ im „klassisch griechischen Sinne“ versteht – eine „produktive Elite“, die das Land führt, damit alle prosperieren. Diese Philosophie hat jetzt einen Namen: Aristopopulismus. Es ist der Versuch, eine Brücke zwischen schwerreichen Kapitalgebern und der Arbeiterklasse zu schlagen, die sie zu vertreten beanspruchen.

Doch während diese neue Maschinerie aus geheimen Geldgeber-Netzwerken, „patriotischen“ Risikokapitalfonds und loyalen Medienfiguren Gestalt annimmt, offenbart sie einen tiefen, vielleicht unheilbaren Riß. Denn um die Basis zu mobilisieren, öffnet dieses System Tür und Tor für extremistische Stimmen, deren rassistisches und antisemitisches Gedankengut immer lauter und unverblümter wird. Die entscheidende Frage, die über die Zukunft der amerikanischen Rechten entscheiden wird, ist nicht mehr, ob MAGA Trump überlebt. Die Frage ist, ob die neue, von JD Vance geführte Bewegung den Pakt mit dem Extremismus überlebt, den sie zu seiner Konsolidierung stillschweigend eingeht.

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Die Architekten: „Aristopopulismus“ und das Rockbridge-Netzwerk

Wenn eine politische Bewegung ihre chaotische Geburtsstunde überwindet, braucht sie eine Ideologie, die über Slogans hinausgeht. Chris Buskirks Konzept des „Aristopopulismus“ ist genau das: der Versuch einer intellektuellen Überhöhung. Es ist keine Abkehr von der MAGA-Bewegung, sondern deren logische Fortführung in eine institutionalisierte Form. Buskirk argumentiert, jede Gesellschaft habe eine Elite; die Frage sei nur, ob sie „extraktiv“ (eine Oligarchie) oder „produktiv“ (eine Aristokratie) sei.

Dieser Gedanke ist der ideologische Zement für das Rockbridge Network, eine 2019 von Buskirk, Vance und dem Tech-Milliardär Peter Thiel ins Leben gerufene Organisation. Es ist eine Art Anti-Establishment-Establishment.

Im Gegensatz zu traditionellen republikanischen Geldgeber-Netzwerken, wie dem der Koch-Brüder, das sich einem ideologischen Libertarismus verschrieben hat, ist Rockbridge explizit im Bilde Trumps geformt: nationalistisch, protektionistisch und zutiefst loyal zur „America First“-Agenda. Die Kochs widersetzten sich vielen Handelspolitiken Trumps; Rockbridge wurde gegründet, um sie zu zementieren.

Die Mechanismen von Rockbridge sind ein Meisterstück modernen politischen Marketings. Anstatt Wähler mit teuren Werbespots kurz vor Wahlen zu „brutalisieren“, verfolgt das Netzwerk einen viel subtileren Ansatz. Es ist die „Brains-plus-money-plus-base“-Strategie in Reinform. Zunächst fokussiert man sich auf die Basis, indem Rockbridge über Jahre hinweg tiefe Wählerprofile aufbaut und sich in nicht-politische Mitgliedsorganisationen einklinkt. Man zielt auf Zielgruppen wie Kirchenbesucher, Kleinunternehmer oder „outdoorsmen“ (Jäger und Angler). Im zweiten Schritt wird das Vertrauen gefestigt. Indem man diesen Gruppen einen echten Nutzen oder eine Gemeinschaft bietet, baut man eine Beziehung auf und zielt auf demografische Gruppen, die einst demokratisch wählten, aber für Trump empfänglich wurden. Erst wenn dieses Vertrauen etabliert ist, erfolgt die eigentliche Mobilisierung: Die politische Bitte wird ausgesprochen. Zur Präsidentschaftswahl 2024 identifizierte der zugehörige Super-PAC „Turnout for America“ Millionen von Wählern mit geringer Wahlbeteiligung in Swing States und schickte 3.000 Canvasser los, um sie an die Urnen zu bringen – mit einer Erfolgsquote, die die internen Ziele übertraf.

Die strategische Bedeutung dieses Netzwerks wird durch einen Blick auf die Gästelisten seiner Treffen unterstrichen. Wenn hochrangige Regierungsbeamte wie Finanzminister Scott Bessent, Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. und Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard bei Rockbridge-Treffen als Redner auftreten, signalisiert dies eine Machtverschiebung. Rockbridge ist nicht mehr nur ein Geldgeber-Kreis; es ist der innere Zirkel, das neue Gravitationszentrum der republikanischen Spenderwelt.

Das Kapital: 1789 und die „Pay-to-Play“-Maschinerie

Eine politische Bewegung braucht eine Ideologie, aber sie läuft auf Geld. Das ökonomische Gegenstück zu Rockbridge ist 1789 Capital, eine Risikokapitalfirma, die Buskirk ebenfalls mitgegründet hat. Ihr erklärtes Ziel ist „patriotischer Kapitalismus“, eine Investment-Strategie, die explizit „Anti-Woke“-Firmen bevorzugt.

Die Firma investiert in Unternehmen, die dem „America First“-Geist entsprechen: Firmen, die Raketentreibstoff 3D-drucken (Firehawk Aerospace), KI-Fabriken für den Krieg bauen (Hadrian) oder Online-Waffenmarktplätze betreiben (GrabAGun). Sie investiert sogar in die „Enhanced Games“, eine Art Olympiade, die Doping erlaubt.

Diese Strategie hat tiefgreifende wirtschaftliche und politische Folgen. Sie schafft ein paralleles Ökosystem für Unternehmer, die sich von den als „liberal“ empfundenen Werten des Silicon Valley abwenden. Es ist der Versuch, Amerikas industrielle Basis wiederzubeleben, aber nicht durch Stahlwerke, sondern durch Hochtechnologie für die Verteidigung.

Die Trennlinie zwischen politischer Bewegung und privatem Profit verschwimmt dabei bis zur Unkenntlichkeit. Im November 2024 stieg Donald Trump Jr. als Partner bei 1789 Capital ein. Seitdem hat die Firma Hunderte Millionen Dollar eingesammelt und verwaltet nun über 1 Milliarde Dollar an Vermögen.

Kritiker sehen hier ein offenes „Pay-to-Play“-System, und die Indizien sind stark: Kurz nach dem Einstieg von Trump Jr. stellte die Regierung zwei Bundesuntersuchungen gegen Polymarket ein, eine Blockchain-basierte Wett-Plattform, in die 1789 investiert hat und in deren Beirat Trump Jr. nun sitzt. Gleichzeitig hat die Trump-Administration eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die den Tech-Unternehmern im Umfeld von Rockbridge direkt zugutekommen, etwa die Aufhebung von Exportkontrollen für KI-Technologie und die Förderung von Kryptowährungen.

Hier klafft die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Wie paßt das Versprechen, der Arbeiterklasse zu dienen, zu einer Politik, die vor allem wohlhabenden Gründern, Tech-Titanen und Krypto-Investoren nützt? Kritiker argumentieren, das Ziel sei nicht die Stärkung der Nation, sondern die Bereicherung von Individuen, die dem Präsidenten nahestehen. Die „Aristopopulismus“-Bewegung droht so, die ökonomische Agenda der Republikaner in ein Instrument zur Förderung einer neuen, loyalen Tech-Elite zu verwandeln, während die Interessen der Arbeiterklasse zur Rhetorik verkommen.

Das Megaphon: Jack Posobiec und die Normalisierung des Extremen

Keine politische Maschine läuft ohne einen Motor, der die Basis antreibt. Im MAGA-Ökosystem ist dieser Motor die Medienpräsenz. Und hier hat ein spektakulärer Aufstieg stattgefunden: der von Jack Posobiec.

Noch vor wenigen Jahren war Posobiec eine Randfigur, ein „Stunt-Artist“, der für die Verbreitung der „Pizzagate“-Verschwörungstheorie bekannt war oder Shakespeare-Aufführungen im Park unterbrach. Heute ist er, besonders nach dem Tod des TPUSA-Gründers Charlie Kirk, vielleicht der wichtigste Influencer der Bewegung.

Wie war dieser Wandel möglich? Posobiec hat seine Taktik geändert. Statt platter Stunts betreibt er nun einen einflußreichen Podcast und nutzt X (ehemals Twitter) mit meisterhafter Effizienz. Doch während die Form professioneller wurde, ist der Inhalt so extrem geblieben, wenn nicht sogar extremer geworden. In seinem Buch „Unhumans“, für das JD Vance ein Vorwort schrieb, bezeichnet er Progressive als „unmenschlich“ und verteidigt den chilenischen Diktator Pinochet.

Das Erschreckende ist nicht Posobiecs Extremismus – es ist sein Zugang. Trotz einer Vergangenheit, die Referenzen an die Neonazi-Zahl 1488 und die Verbreitung gefährlicher Falschmeldungen (wie über „Rohrbomben“ in DC) einschließt, ist Posobiec ein gern gesehener Gast im innersten Zirkel. Er postet Fotos aus dem Oval Office neben Trump und Vance. Er reist mit dem Verteidigungs- und dem Finanzminister im Pressekorps. Das Weiße Haus bestätigt, er sei eine „vertrauenswürdige Stimme“.

Die Faktoren für diesen Aufstieg sind ein Lehrstück über die neue Machtstruktur. Einerseits zeichnet ihn seine Loyalität aus: Anders als andere Provokateure vermeidet Posobiec parteiinterne Kämpfe und ist unerschütterlich loyal zu Trump und der Administration. Andererseits ist da seine enorme Reichweite: Mit Millionen Followern ist er ein direktes Sprachrohr zur Basis, das die Administration nutzt, um Botschaften zu testen und zu verbreiten. Hinzu kommt sein Stilwandel. Sein Stil ist, anders als der von Charlie Kirk, der sich als „Einiger“ sah, rein „adversar“, also feindselig und konfrontativ. Dies bedient das Bedürfnis der Basis nach einem permanenten Kampfmodus, einem „based ritual“, bei dem Loyalität durch immer extremere Rhetorik bewiesen wird.

Der Erbe: JD Vance und das Schweigen vor dem Abgrund

Und so laufen alle Fäden bei Vizepräsident JD Vance zusammen. Er ist der Gründer des Rockbridge Networks. Er ist der Mann, der eine Allianz mit den einflußreichsten und extremsten Medienfiguren der Rechten schmiedet. Er schrieb das Vorwort für Posobiecs Buch und gilt als langjähriger Verbündeter von Tucker Carlson, dessen Sohn sogar in Vances Büro arbeitet.

Die strategische Bedeutung dieser Allianz ist klar: Vance positioniert sich, um die „Carlson-Linie“ und damit die ideologische Führung der Bewegung nach Trump zu übernehmen. Doch dieser Weg hat einen Preis. Er erfordert eine strategische Toleranz gegenüber dem Extremismus, der mit diesen Verbündeten einhergeht. Tucker Carlson hat sich in den letzten Jahren zu einer Schlüsselfigur bei der Mainstreamisierung antisemitischer Verschwörungstheorien entwickelt. Er interviewte den Holocaust-Leugner Nick Fuentes und verbreitete selbst antisemitische Tropen, etwa als er bei Kirks Beerdigung von einer Kabale sprach, die „Hummus ißt“ und Jesus getötet habe.

JD Vance steht nun wiederholt vor der Wahl: Distanzierung oder Duldung. Seine Reaktion ist bisher immer dieselbe: Ablenkung. Zwei Vorfälle illustrieren dies perfekt. Da waren zum einen die rassistischen Group-Chats. Als 2025 Chats von jungen republikanischen Führungskräften öffentlich wurden, die rassistische Beleidigungen („Wassermelonen-Esser“) und Gewaltfantasien („in die Gaskammer schicken“) enthielten, weigerte sich Vance, dies zu verurteilen. Stattdessen wählte er die Ablenkung: „Werdet erwachsen! Konzentriert euch auf die wirklichen Probleme. Konzentriert euch nicht darauf, was Kinder in Gruppenchats sagen“. Der Analyst Jonathan Chait sieht darin eine kalkulierte Antwort: Das Verhalten sei zu toxisch, um es zu verteidigen, aber die Täter seien zu weit verbreitet und wichtig für die Basis, als daß Vance es sich leisten könnte, sie zu kritisieren. Zum anderen war da die antisemitische Frage. Bei einer Veranstaltung der Turning Point USA wurde Vance von einem Studenten im MAGA-Hut gefragt, warum die USA Israel unterstützen sollten, wenn deren Religion „offen die Verfolgung der unseren unterstützt“ – eine klassische antisemitische Täter-Opfer-Umkehr. Es war ein Moment, der die Luft im Raum gefrieren ließ. Vance antwortete ausführlich auf den geopolitischen Teil der Frage, aber den antisemitischen Kern – den Angriff auf Juden als angebliche Christenverfolger – ignorierte er vollständig. Er erwähnte ihn nicht. Er wies ihn nicht zurück.

Hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zu seinem Vorgänger als Organisator der Jugendbewegung, Charlie Kirk. Kirk, obwohl selbst ein Hardliner, zog eine rote Linie. Er stritt sich öffentlich mit Nick Fuentes‘ Anhängern und sagte klar: „Ich verbünde mich nicht mit Judenhassern“. Er nannte deren Ideologie ein „Gehirn-Fäule“ (brain rot), die junge Menschen zerstört.

JD Vance tut das nicht. Sein Schweigen ist kein Versäumnis; es ist eine Strategie. Er steht vor einer schicksalhaften Wahl: Um die „Aristopopulisten“ von Rockbridge und die extremistische Basis von Posobiec und Carlson zusammenzuhalten, muß er den Abgrund des Hasses, der sich vor ihm auftut, ignorieren. Er setzt darauf, die Wählerstimmen, die durch offenen Judenhass und Rassismus motiviert sind, zu gewinnen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Es ist ein hochriskantes Spiel. Das Risiko besteht darin, daß die „Gehirn-Fäule“, vor der Kirk warnte, nicht nur die Anhänger, sondern auch die Bewegung selbst von innen zerfrißt. Die neue MAGA-Maschine ist beeindruckend konstruiert, doch sie läuft mit einem Treibstoff, der am Ende alle vergiften könnte – und der Mann, der sie steuern will, blickt bewußt zur Seite.

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