
Es ist der Moment, in dem die Fassade Risse bekommt, durch die man nicht mehr das Licht, sondern nur noch die Schwärze dahinter sieht. Amerika im Jahr 2025 ist kein Land mehr, das sich in zyklischen Wellen zwischen Fortschritt und Konservatismus bewegt. Wir sind Zeugen eines historischen Bruchs, der das Ende der demokratischen Illusionen markiert und eine Nation in den Zustand einer Zombie-Demokratie versetzt, die lebendig dem Anschein nach ist, doch innerlich längst entseelt.
Wer heute durch die politische Landschaft der Vereinigten Staaten blickt, sieht Trümmer. Nicht unbedingt physische Ruinen, auch wenn die Infrastruktur vielerorts bröckelt, sondern die Trümmer jener Gewissheiten, die das Land über Generationen zusammenhielten. Die Roosevelt-Republik, jenes fortschrittliche Zeitalter, das Wohlfahrt und Gleichberechtigung ausdehnte, ist längst Geschichte. Auch die darauf folgende Reagan-Revolution, die individuelle Freiheit und freie Märkte predigte, scheiterte spätestens in der Finanzkrise 2008. Was wir nun erleben, ist keine bloße politische Pendelbewegung mehr. Wir leben in der Trump-Reaktion. Und gemessen an historischen Maßstäben stehen wir nicht am Ende, sondern erst ganz am Anfang dieser Ära.
Diese neue Epoche lässt sich mit den alten Begriffen kaum noch greifen. Sie ist weder progressiv noch konservativ im herkömmlichen Sinne. Der Konservatismus wollte bewahren; die Trump-Reaktion will zerstören. Ihr organisierendes Prinzip ist eine reaktionäre Wendung gegen den schwindelerregenden Wandel des letzten halben Jahrhunderts, gegen die Globalisierung, gegen den demografischen Wandel, gegen das Ende der traditionellen Familie. Es ist der Versuch, die Geschichte nicht nur anzuhalten, sondern sie gewaltsam umzukehren, zurück zu einem imaginären goldenen Zeitalter, in dem das Land noch seinen vermeintlich rechtmäßigen Eigentümern gehörte.

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Der Mythos der Institutionen und die Geburt der Zombie-Demokratie
Lange Zeit klammerte sich das liberale Amerika an die Hoffnung, die Institutionen würden halten. Man vertraute auf die Checks and Balances, jene mechanische Gewaltenteilung, die wie eine gut geölte Maschine Tyrannei verhindern sollte. Doch diese Hoffnung hat sich als fataler Irrtum erwiesen. Das System ist zerbrechlicher, als wir glaubten, denn Institutionen sind keine autonomen Festungen; sie bestehen aus Menschen. Wenn die Individuen im Kongress, in den Gerichten oder in der Verwaltung nicht mehr den Willen oder die Integrität besitzen, einen Präsidenten zu stoppen, der nach absoluter Macht greift, dann sind die Gesetze nur noch Papier.
Das Resultat ist das, was George Packer als Zombie-Demokratie bezeichnet. Es sieht noch aus wie eine Demokratie. Man kann immer noch Football-Spiele im Fernsehen schauen, es gibt noch Wahlen, und Richter sprechen noch Urteile. Aber der Geist, der diese Hülle beleben müsste, der Respekt vor Normen, die Anerkennung der Wahrheit, der zivile Diskurs, ist entwichen. Faktisch gibt es kaum noch Kontrolle über die Exekutive. Ein Präsident, der die Verfassung und Gesetze ignoriert, wird nicht von einem magischen Gott aufgehalten, der vom Himmel herabsteigt. Er wird gar nicht aufgehalten.
In dieser Zombie-Demokratie verschwimmen die Grenzen zum Autoritarismus. Es ist kein Faschismus im Stile des 20. Jahrhunderts, mit seinen straffen Ideologien und paramilitärischen Aufmärschen, dafür ist die heutige Bewegung zu zynisch, zu sehr auf Unterhaltung und Chaos bedacht. Der moderne Autoritarismus tötet die Demokratie nicht mit einem Schlag, er lässt sie erodieren. Seine dominierenden Emotionen sind Gleichgültigkeit und Zynismus. Die Öffentlichkeit wird nicht mobilisiert, sondern durch Ablenkung, Verwirrung und Spaltung abgestumpft, bis sie nicht mehr unterscheiden kann, was real ist und was nicht.
Das Scheitern der demokratischen Illusionen
Dass es so weit kommen konnte, liegt auch am kolossalen Versagen der Opposition. Die Demokratische Partei hat sich jahrelang in einen Kokon aus Illusionen eingesponnen, der sie blind machte für die Realität des Landes. Die erste Illusion war die Demografie: Der Glaube, dass die wachsende Mehrheit der Minderheiten, ein Land, das weniger weiß wird, automatisch politisch blauer, also demokratischer werden würde. Man verließ sich auf eine Metaphysik der Gruppenidentität, die annahm, dass alle People of Color aufgrund gemeinsamer Unterdrückungserfahrungen als monolithischer Block links wählen würden. Die Wahlen von 2024 haben diese Illusion brutal zerschlagen: Fast die Hälfte der Latinos und ein Viertel der schwarzen Männer stimmten für Trump. Identität ist kein politisches Schicksal.
Die zweite Illusion war die der Mehrheit. Demokraten redeten sich ein, sie seien eigentlich die Mehrheitspartei, die nur durch archaische Strukturen wie das Electoral College oder Gerrymandering von der Macht ferngehalten werde. Doch als Trump schließlich auch den Popular Vote gewann, wurde klar: Das Land ist nicht heimlich progressiv. Es ist tief gespalten, und die Demokraten stehen oft auf der falschen Seite des historischen Schwenks.
Diese Illusionen entbanden die Partei von der harten Arbeit, zu überzeugen und zuzuhören. Stattdessen wandelte sie sich von der einstigen Anwältin der Arbeiterklasse zur Partei der Institutionalisten. Ihre Basis sind heute die akademischen Eliten in den Metropolen, während die Republikaner die Arbeiterklasse als ihre Kernwählerschaft übernommen haben. Die Demokraten wurden zur Partei des Status quo, während Trump, so grotesk es klingen mag, zur Stimme der Entfremdeten wurde. Er bot Disruption, sie boten Steuererleichterungen für Kleinunternehmer.
Fiktion als letzter Zufluchtsort der Wahrheit
Wenn Fakten ihre Macht verlieren, weil sie sofort im Nebel von Verschwörungstheorien und algorithmischer Manipulation untergehen, stößt der klassische Journalismus an seine Grenzen. In einer Welt, in der die gemeinsame Realität zerfallen ist, muss man die Wahrheit manchmal erfinden, um sie sichtbar zu machen. George Packer wählte für sein Werk The Emergency bewusst die Form der Fabel, um jene Ebenen der Erfahrung zu erreichen, die Nachrichtenmeldungen nicht mehr durchdringen können.
In dieser Allegorie zerfällt ein namenloses Imperium in zwei verfeindete Stämme: die urbanen Burghers und die ländlichen Yeomen. Die Burghers, gefangen in ihrer Ideologie des Together, repräsentieren einen woken Totalitarismus, in dem Sprache und Gedanken streng reglementiert sind und der paradoxerweise genau jene ausschließt, die er zu schützen vorgibt. Ihnen gegenüber stehen die Yeomen mit ihrem Dirt Thought, einer brutalen Blut-und-Boden-Ideologie, die Intellekt verachtet und rohe Stärke verherrlicht.
Die Fabel spitzt die realen Konflikte zu grotesken Bildern zu, die erschreckend prophetisch wirken. Im Roman greifen die ländlichen Rebellen die Stadt mit Katapulten an, die Fäkalien schleudern, sogenannten shitapults. Was wie eine überzogene Satire klingt, wurde von der Realität eingeholt, als Trump ein KI-generiertes Video teilte, in dem er selbst Fäkalien auf seine Gegner regnen lässt. Diese Lust an der Entweihung, am buchstäblichen Beschmutzen des Gegners und der eigenen Institutionen, offenbart die tiefste Triebfeder der Trump-Bewegung: Es geht nicht nur um Macht, es geht um Erniedrigung.
Der Hai und die Intellektuellen
An der Spitze dieser Bewegung steht kein Ideologe, sondern eine Figur, die Packer metaphorisch als Hai beschreibt. Donald Trump bewegt sich nicht im selben moralischen Universum wie die meisten Menschen. Er jagt, er tötet, er frisst, getrieben von reinen Instinkten, jenseits von Gut und Böse. Er ist eine prämoralische Kreatur. Doch um ihn herum hat sich ein Ökosystem aus Intellektuellen und Opportunisten gebildet, die versuchen, diesem nihilistischen Willen zur Macht einen philosophischen Unterbau zu geben.
Von den Straussianern des Claremont Institute bis zu den Techno-Monarchisten des Silicon Valley wie Peter Thiel und Curtis Yarvin: Sie alle haben eine faustische Wette abgeschlossen. Sie sehen in Trump, dem vulgären Immobilienmakler, das Vehikel, um den Liberalismus und die Demokratie endgültig zu zerstören. Diese Furious Minds sind keine Konservativen; sie sind Revolutionäre von rechts, die glauben, dass die amerikanische Gesellschaft durch Pluralismus und Gleichheit moralisch verrottet ist. Doch statt den Tyrannen zu lenken, wurden sie von ihm korrumpiert, hineingezogen in einen Strudel aus Verschwörungstheorien und Bigotterie.
Eine Generationenkluft, die das Land zerreißt
Während die alten Eliten ringen, öffnet sich bei der Jugend ein neuer, tiefer Graben. Ein massiver Gender Gap prägt die Generation Z. Junge Frauen wenden sich in überwältigender Mehrheit, bis zu über 80 Prozent in manchen Wahlen, den Demokraten zu, abgestoßen von der Misogynie der MAGA-Welt und dem Angriff auf ihre reproduktiven Rechte. Junge Männer hingegen driften nach rechts, lassen sich red-pillen und finden in der Anti-Woke-Rhetorik und den maskulinen Fantasien der Manosphere eine neue Heimat.
Diese Gruppen leben nicht nur politisch, sondern auch algorithmisch in getrennten Welten. Sie konsumieren unterschiedliche Medien, hören unterschiedliche Podcasts und verlieren zunehmend die Fähigkeit, und den Willen, miteinander zu sprechen oder gar Beziehungen zu führen. Wenn die Demografie das Schicksal ist, dann deutet dieser Riss auf eine Zukunft hin, in der der Geschlechterkampf die politische Polarisierung noch weiter verschärft.
Der imperiale Blitzkrieg und das Ende der Pax Americana
Auf der Weltbühne vollzieht die Trump-Reaktion einen ebenso radikalen Bruch. Der Internationalismus, der seit 1945, bei aller Heuchelei, darauf setzte, amerikanische Macht durch Allianzen und Kooperation zu mehren, wird durch einen nackten Imperialismus ersetzt. Trump betrachtet Außenpolitik als Nullsummenspiel. Warum Dänemark oder Kanada respektieren, wenn man sie erpressen kann? Er agiert wie ein Mafia-Boss, der Schutzgeld fordert und Schwäche verachtet.
Im Inneren führt seine Regierung einen Blitzkrieg gegen den eigenen Verwaltungsapparat. Figuren wie Elon Musk nutzen ihre Macht, um Behörden wie USAID nicht nur zu beschneiden, sondern durch gezieltes Chaos lahmzulegen, ein Testlauf für die Zerschlagung des gesamten Deep State.
Für Europa ist dies eine existenzielle Warnung. Die Hoffnung mancher Regierungen, man könne mit Trump einen Deal machen, mehr Gas kaufen gegen Sicherheitsgarantien, ist verantwortungsloses Wunschdenken. In der neuen Ära der Großmachtkonkurrenz wird Europa entweder selbst zur Macht oder zum Spielball. Die Zeiten, in denen man sich auf den amerikanischen Schirm verlassen konnte, sind vorbei. Es gibt keinen Weg zurück in die behagliche Welt vor 2016.
Fazit: Das Ende der Unschuld
Wir stehen an einem Punkt, an dem die Geschichte nicht mehr rückwärtsläuft. Die demokratischen Illusionen sind zerplatzt, und was bleibt, ist die harte Realität eines Kampfes um die Seele der Nation. Die Opposition muss aufhören, auf einen Deus ex machina zu warten, sei es die Demografie oder ein Gerichtsurteil, der sie rettet. Sie muss lernen, wieder Politik zu machen, die Menschen jenseits der eigenen akademischen Blase erreicht, ohne dabei in die Falle einer moralischen Selbstüberhöhung zu tappen, die jeden Diskurs erstickt.
Die Trump-Reaktion ist brüchiger, als sie scheint; sie wird von Inkompetenz und internem Chaos geplagt. Doch solange ihr kein überzeugendes Gegenangebot gegenübersteht, wird der Hai weiterschwimmen. Das 20. Jahrhundert endete im Jahr 2025. Was jetzt beginnt, ist eine Ära der Dunkelheit, in der wir lernen müssen, ohne die tröstlichen Lügen der Vergangenheit zu leben, und vielleicht, ganz vielleicht, darin die Kraft finden, etwas Neues aufzubauen.


