Der Zorn der Zahlen: Trumps Feldzug gegen die unbestechlichen Rechner der Nation

Illustration: KI-generiert

Ein republikanisches Mammut-Gesetzespaket verspricht Steuersenkungen, doch unabhängige Experten warnen vor explodierenden Schulden. Statt auf Argumente setzt das Trump-Lager auf eine aggressive Kampagne gegen die Überbringer der schlechten Nachrichten – mit potenziell fatalen Folgen für eine faktenbasierte Politik.

Es ist ein Kampf David gegen Goliath, nur dass in dieser Erzählung Goliath versucht, David mit aller Macht zum Schweigen zu bringen. Im Zentrum der neuesten politischen Feuersbrunst in Washington steht ein ambitioniertes Gesetzespaket der Republikaner unter Führung von Präsident Donald Trump, das massive Steuererleichterungen und tiefgreifende Ausgabenkürzungen vorsieht. Doch während die Regierungspartei das Vorhaben als Segen für die amerikanische Wirtschaft preist, schlagen unabhängige Haushaltswächter und Ökonomen Alarm: Die Zeche für die Versprechungen könnte ein Billionen- schweres Loch in den Staatshaushalt reißen. Anstatt sich der Debatte über die Zahlen zu stellen, haben Trump und seine Verbündeten einen neuen Gegner auserkoren: die Experten selbst. Ihre Strategie ist ebenso durchsichtig wie gefährlich – die Diskreditierung derjenigen, die mit unliebsamen Fakten den politischen Siegeszug stören könnten.

Die Strategie des Zweifels: Wie das CBO zur Zielscheibe wurde

Die Taktik ist nicht neu, doch unter der Ägide Trumps erreicht sie eine neue Eskalationsstufe. Bereits bevor das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) seine Analyse überhaupt vorlegte, säten führende Republikaner Zweifel an dessen Genauigkeit. „Wenn mir die Zahl nicht gefällt, bin ich gegen die Zahl“, ließ etwa der Abgeordnete Jason Smith, einer der Hauptautoren des Gesetzes, verlauten – eine bemerkenswerte Offenheit über die politische Bedingtheit der eigenen Akzeptanz von Fakten.

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Seitdem hagelt es Angriffe: Das CBO sei historisch unzuverlässig, politisch motiviert und seine Methoden fehlerhaft. Finanzminister Scott Bessent zog gar Vergleiche zum Skandalunternehmen Enron, Ex-Sprecher Newt Gingrich diffamierte das CBO als „Fake-Haushaltsbüro“. Sprecher Mike Johnson behauptete, das CBO habe die Prognosen zu Trumps Steuerreform von 2017 um eine Billion Dollar verfehlt – eine Darstellung, die von Faktencheckern als irreführend entlarvt wurde, da unvorhersehbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie, die darauffolgende Inflation und eine Einwanderungswelle die damaligen Einnahmen beeinflussten und vom CBO nicht antizipiert werden konnten. Karoline Leavitt, Pressesprecherin des Weißen Hauses, unterstellte dem CBO gar parteiische Voreingenommenheit, da seit dem Jahr 2000 kein Mitarbeiter an Republikaner gespendet habe, wohl aber viele an Demokraten. Auch diese Behauptung entpuppte sich bei genauerer Prüfung als haltlos: Nur eine verschwindend geringe Zahl von CBO-Angestellten hatte überhaupt Spenden getätigt, und der Direktor des CBO, Phillip Swagel, wurde von Republikanern ernannt und hat selbst an republikanische Kandidaten gespendet.

Die Motivation hinter dieser konzertierten Aktion scheint klar: Man will ein Gesetz im Eiltempo durchdrücken, idealerweise bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli, ohne eine umfassende öffentliche Auseinandersetzung mit dessen wahren Kosten und Konsequenzen. Es geht darum, so Kritiker, „den Schiedsrichter kaltzustellen“, um die fundamentalen Fragen nach der finanzpolitischen Verantwortung angesichts steigender Defizite und Staatsschulden zu umgehen.

Ein Chor der Warner: Was die Zahlen wirklich sagen

Trotz aller Diskreditierungsversuche zeichnen die Analysen verschiedener unabhängiger Institutionen ein erstaunlich einheitliches Bild. Das CBO selbst prognostiziert, dass die vom Repräsentantenhaus verabschiedete Version des Gesetzes die Staatsverschuldung in den nächsten zehn Jahren um rund 2,4 Billionen Dollar erhöhen würde. Die Steuersenkungen würden sich auf 3,7 bis 4,2 Billionen Dollar belaufen, während die Einsparungen lediglich 1,2 bis 1,8 Billionen Dollar betrügen.

Andere renommierte Institute kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Das Budget Lab der Yale University erwartet eine Schuldenzunahme von 2,4 Billionen Dollar bis 2034. Das Penn Wharton Budget Model kalkuliert mit 2,8 Billionen Dollar zusätzlichen Defiziten über zehn Jahre. Die Tax Foundation, die tendenziell eher für niedrigere Steuern eintritt, sieht eine Schuldensteigerung von über 2,5 Billionen Dollar. Das Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB) schätzt die ungedeckten Kosten gar auf 3,3 Billionen Dollar über neun Jahre. Der Tenor all dieser Analysen: Die erhofften positiven Effekte auf das Wirtschaftswachstum werden bei weitem nicht ausreichen, um die Kosten der Steuersenkungen zu kompensieren. Die Behauptung, Steuersenkungen finanzierten sich quasi von selbst – ein Kernargument der Befürworter, oft unter dem Stichwort „Dynamic Scoring“ geführt – wird von den meisten Experten zurückgewiesen. Selbst dynamische Modelle, die Wachstumseffekte berücksichtigen, zeigen oft nur marginale Verbesserungen oder, wie im Fall der Analyse von Penn Wharton zu diesem Gesetz, sogar noch höhere Defizite.

Risse im republikanischen Bollwerk und soziale Kälte

Die düsteren Prognosen sorgen selbst innerhalb der Republikanischen Partei für Unbehagen und offenbaren tiefe Gräben. Während die Trump-Administration und Teile der Parteiführung auf Konfrontationskurs zu den Experten gehen, äußern fiskalkonservative Senatoren erhebliche Bedenken und drohen, dem Gesetzespaket in seiner jetzigen Form die Zustimmung zu verweigern. Dies könnte den ambitionierten Zeitplan gefährden, da die Republikaner im Senat nur wenige Stimmen verlieren dürfen. Auch um Detailfragen wie die Anhebung der Obergrenze für den Abzug von Staats- und Kommunalsteuern (SALT) ist ein Streit zwischen Repräsentantenhaus und Senat entbrannt.

Die geplanten Ausgabenkürzungen, die die massiven Steuersenkungen zumindest teilweise gegenfinanzieren sollen, treffen vor allem soziale Sicherungssysteme. So rechnet das CBO damit, dass durch Einschnitte bei Medicaid und dem Affordable Care Act über zehn Millionen Amerikaner ihre Krankenversicherung verlieren könnten. Auch bei Lebensmittelmarken (SNAP) sind erhebliche Kürzungen vorgesehen, die Millionen Menschen betreffen würden. Neue, verschärfte Arbeitsanforderungen für Bezieher von Medicaid und SNAP sollen ab Ende 2026 greifen und die Ausgaben weiter senken. Während die Republikaner beteuern, es gehe darum, Missbrauch zu bekämpfen und die Programme für wirklich Bedürftige zu stärken, sehen Kritiker wie der demokratische Minderheitsführer im Senat, Charles Schumer, darin den Versuch, das Gesundheitswesen „abzuwürgen“ und eine kalte Klientelpolitik zu betreiben, die vor allem den Superreichen nütze.

Wall Street wird nervös, Musk schießt quer

Die Debatte um die Staatsfinanzen hat längst auch die Finanzmärkte erreicht. An der Wall Street wächst die Nervosität angesichts der steigenden Schuldenlast. Die Ratingagentur Moody’s stufte die Kreditwürdigkeit der USA bereits herab und verwies dabei explizit auf die Risiken durch die geplanten Steuersenkungen. Sollte das Vertrauen der globalen Investoren in amerikanische Staatsanleihen schwinden, könnten die Zinskosten für den Staat und die gesamte Wirtschaft empfindlich steigen. Auch die von der Trump-Regierung als zusätzliche Einnahmequelle gepriesenen Zölle sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet: Viele stehen nach Gerichtsentscheidungen auf der Kippe, und neue Handelsabkommen könnten die Zollsätze senken.

Für zusätzlichen Zündstoff in der Debatte sorgte ausgerechnet Elon Musk. Der Tech-Milliardär, der einst Trumps Bemühungen um Ausgabenkürzungen anführte, bezeichnete das Gesetzespaket als „abscheuliche Monstrosität“, die Amerika mit „erdrückend untragbaren Schulden“ belasten und „in die Schuldensklaverei treiben“ werde. Seine scharfe Kritik sorgte für erhebliche Aufmerksamkeit und brachte die republikanische Führung sichtlich in Verlegenheit. Sprecher Johnson versuchte, Musks Motive anzuzweifeln und deutete an, der Unternehmer sei verärgert, weil seine Firmen nicht ausreichend vom Gesetz profitierten – eine Darstellung, der Musk widersprach.

Die Angriffe auf das CBO und andere unabhängige Analyseinstitutionen sind mehr als nur politisches Geplänkel. Sie sägen am Fundament einer evidenzbasierten Politikgestaltung. Wenn Fakten zur Verhandlungssache werden und Experten mundtot gemacht werden sollen, droht, wie es ein ehemaliger CBO-Direktor formulierte, „Chaos“. Der aktuelle Feldzug gegen die unbestechlichen Rechner der Nation könnte so nicht nur die Staatsfinanzen der USA nachhaltig schädigen, sondern auch das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen weiter untergraben. Die Frage, die am Ende bleibt, ist, ob die Verlockung kurzfristiger politischer Erfolge den langfristigen Schaden für die Stabilität und Glaubwürdigkeit des Landes wert ist.

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