
Es ist eine Szene von beinahe shakespearescher Tragik, die sich da im November beim Mittagessen im Weißen Haus abspielte. Während Donald Trump seine Krabbenkuchen verspeiste, versuchte ihm ein Mann die Realität zu erklären, die jenseits der gepflegten Rasenflächen der Pennsylvania Avenue herrscht. Mark Mitchell, der Chef-Meinungsforscher von Rasmussen Reports, saß dem Präsidenten gegenüber und beschwor ein Bild herauf, das sich in das kollektive Gedächtnis der Nation eingebrannt hat: der blutende Trump in Butler, Pennsylvania, die Faust in den Himmel gereckt, ein Symbol des Trotzes nach dem Attentatsversuch im Juli 2024.
„Sir, Sie sagten: ‚Kämpft, kämpft, kämpft‘. Aber niemand hat je geklärt, was das bedeutet“, wagte Mitchell einzuwenden. Seine Diagnose war so scharf wie schmerzhaft: Der Präsident führe derzeit einen erbitterten Kampf gegen Marjorie Taylor Greene – seine einstmals loyalste Prätorianerin –, anstatt diesen Kampf für die Amerikaner zu führen, die ihn gewählt haben.
In diesem intimen Moment am Mittagstisch offenbart sich der fundamentale Riss, der sich im Dezember 2025 durch die amerikanische Politik zieht. Der Präsident, der seine zweite Amtszeit dem Versprechen verdankt, die steigenden Lebenshaltungskosten zu bekämpfen, wirkt seltsam entrückt. Als Mitchell versuchte, das Gespräch auf eine pragmatische wirtschaftliche Populismus-Agenda zu lenken, zeigte sich Trump desinteressiert. Stattdessen schwenkte er auf sein Lieblingsthema um: Golf. Er schwärmte von seinen Golfpartnern, darunter Senator Lindsey Graham, eine Figur, die in den Augen der MAGA-Basis den Inbegriff des verhassten Establishments darstellt.
Diese Anekdote ist mehr als nur Klatsch aus dem West Wing. Sie ist das Symptom einer politischen Krankheit, die die republikanische Partei von innen heraus zerfrisst. Während der Präsident seine „Konzepte eines Plans“ wälzt und sich in den Erfolgen vergangener Fundraising-Events sonnt, steuert seine Wählerbasis auf eine existenzielle ökonomische Katastrophe zu. Es ist der Zusammenprall von populistischer Rhetorik mit der harten, kalten Wand der Realität.

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Die ökonomische Zeitbombe: Wenn der 1. Januar zur Klippe wird
Draußen im Land, weit entfernt von den Golfplätzen und Banketten, tickt eine Uhr unerbittlich. Der 31. Dezember dieses Jahres markiert für Millionen amerikanischer Familien nicht nur das Ende eines Kalenderjahres, sondern das potenzielle Ende ihrer finanziellen Sicherheit. An diesem Tag laufen die erweiterten Steuergutschriften für den Affordable Care Act (ACA) aus, die während der Pandemie eingeführt wurden und die Einschreibungen in die Marktplätze von 11 auf über 24 Millionen mehr als verdoppelt haben.
Die menschlichen Kosten dieser gesetzgeberischen Lähmung lassen sich nicht in abstrakten Milliardenbeträgen messen, sondern in den verzweifelten Anrufen, die das Büro des republikanischen Abgeordneten Mike Flood in Nebraska erreichen – bis zu 300 am Tag. Flood, der sich selbst als pragmatischen Konservativen sieht, erzählt die Geschichte eines Ehepaares aus Butler County: Er ist 62, sie 64. Ihre monatliche Versicherungsprämie liegt bereits bei schmerzhaften 2.200 Dollar. Ohne eine Verlängerung der Subventionen wird dieser Betrag im Januar auf 3.000 Dollar springen.
„3.000 Dollar im Monat sind obszön“, sagt Flood. „Dafür bekommt man das beste Haus in Butler County“.
Für diese Menschen ist die „Bezahlbarkeit“, über die in Washington so viel theoretisiert wird, keine Floskel, sondern eine Frage des Überlebens. Die KFF schätzt, dass das Auslaufen der Subventionen die jährlichen Kosten für die Betroffenen im Durchschnitt mehr als verdoppeln würde. Schlimmer noch: Das unparteiische Congressional Budget Office prognostiziert, dass über die nächsten zehn Jahre mehr als vier Millionen Menschen ihre Krankenversicherung komplett verlieren würden. Das Resultat wäre eine humanitäre und ökonomische Abwärtsspirale: Unversicherte Kranke strömen in die Notaufnahmen, was wiederum die ohnehin finanziell wackeligen Krankenhäuser – besonders in ländlichen Gebieten – mit unkompensierten Kosten belastet.
Die politische Ironie ist kaum zu überbieten. Die meisten der betroffenen Bürger leben in Kongressbezirken, die von Republikanern gehalten werden. Jene Partei, die seit über einem Jahrzehnt „Obamacare“ verteufelt, sieht sich nun mit der Realität konfrontiert, dass ihre eigene Basis von genau diesem Gesetz abhängig geworden ist. Umfragen zeigen mittlerweile, dass fast zwei Drittel der Amerikaner eine positive Meinung zum ACA haben. Doch in Washington herrscht Paralyse. Ein demokratischer Vorschlag zur Verlängerung der Subventionen scheiterte im Senat ebenso wie ein republikanischer Gegenvorschlag, der steuerfreie Konten vorsah.
Und der Präsident? Donald Trump, dessen Wahlsieg maßgeblich auf der Sorge um die Lebenshaltungskosten fußte, bietet kaum mehr als vage Aussagen. Er denunziert das Gesetz weiterhin als „totales Desaster“ und wiederholt seit Jahren das Mantra, er habe ein „Konzept eines Plans“, um es zu ersetzen. Während seine Wähler um ihre Existenz fürchten, verliert sich die politische Führung in ideologischen Grabenkämpfen. Selbst Senator Mitt Romney, dessen Gesundheitsreform in Massachusetts einst als Blaupause für den ACA diente , mahnt heute resigniert, dass es für das Gesundheitsproblem keine einfachen Antworten gibt – ein direkter Widerspruch zu den simplen Parolen des Populismus.
Der „Broligarch“-Präsident: Ein kultureller Bruch
Doch die Entfremdung zwischen Trump und seiner Basis ist nicht rein ökonomischer Natur. Sie ist kulturell, fast ästhetisch. Der Mann, der einst antrat, um den „Sumpf trockenzulegen“, wirkt in seiner zweiten Amtszeit zunehmend wie ein fester Bestandteil genau jener Elite, die er zu bekämpfen vorgab. Die Warnung von Mark Mitchell beim Mittagessen war eindeutig: Die Basis wolle sehen, wie er die Oligarchie zerschlägt, nicht, wie er selbst zur Oligarchie wird.
„Milliardärsfinanzierte Ballsäle zu bauen, um die Welt zu jetten und Billionen-Dollar-Investmentdeals abzuschließen, sieht verdammt nach Oligarchen-Kram aus“, so Mitchells beißende Kritik.
Es hat sich ein neues Machtgefüge um den Präsidenten gebildet, das Steve Bannon, Trumps einstiger Chefstratege, süffisant als „Broligarchs“ bezeichnet. Diese Tech-Mogule und ultrareichen Investoren haben den Platz der Arbeiterklasse im Orbit des Präsidenten eingenommen. Bannon warnt eindringlich: Diese neuen Eliten haben sich nicht für die „Drecksarbeit“ der modernen Politik eingeschrieben und werden die ersten sein, die den Bus verlassen, wenn es ungemütlich wird.
Besonders deutlich wird dieser Verrat am populistischen Kern in der Einwanderungspolitik. Als Trump auf Fox News erklärte, die USA bräuchten ausländische Arbeitskräfte, weil es im Land nicht genügend „talentierte Menschen“ gäbe, ging ein Aufschrei durch die MAGA-Reihen. Raheem Kassam, ein einflussreicher rechter Kommentator, berichtete, wie sein Telefon vor Beschwerden glühte. Zwar ruderte Trump später halbherzig zurück und behauptete, seine Umfragewerte würden bei „klugen Leuten“ steigen, doch der Schaden war angerichtet. Die Botschaft, die bei der Basis ankam, war verheerend: Euer Präsident hält euch nicht für talentiert genug; er zieht die globale Elite vor.
Dieser kulturelle Bruch wird durch Trumps Verhalten im Alltag verstärkt. Dass er öffentlich damit prahlt, wie viel Geld er bei einem Golf-Fundraiser für Lindsey Graham eingesammelt hat, wirkt wie eine bewusste Provokation gegenüber jenen Anhängern, die Graham als Verräter an der konservativen Sache betrachten. Der „Krieger für den kleinen Mann“ scheint den Golfschläger dem Schwert vorgezogen zu haben.
Die Meuterei der Gläubigen: Wenn die Loyalsten gehen
Die Konsequenzen dieses doppelten Verrats – ökonomisch und kulturell – sind keine theoretischen Szenarien mehr. Sie manifestieren sich in einer offenen Revolte innerhalb der Bewegung. Marjorie Taylor Greene, einst das ungestüme Aushängeschild der MAGA-Bewegung im Kongress, ist zum Symbol dieses Risses geworden. Nachdem ihre Kritik dazu führte, dass Trump sie im letzten Monat öffentlich verleugnete („disavowed“), trat sie aus dem Kongress zurück.
Greene sieht sich selbst als „Wetterfahne“. „Ich sage es, und vier bis sechs Monate später sagen alle dasselbe“, prophezeit sie. Ihre Diagnose ist vernichtend: „Die Basis ist abgestumpft“ („jaded“). Die Wähler wissen genau, wofür sie Trump gewählt haben, und sie sehen nun mit schmerzhafter Klarheit, dass er es nicht tut.
Es sind nicht nur Politiker, die sich abwenden. Auch die Garde der konservativen Influencer, die Trumps Botschaft in die digitalen Kanäle trugen, zeigt sich desillusioniert. Savanah Hernandez, eine Mitarbeiterin von Turning Point USA, beschreibt die zweite Amtszeit als „unterwältigend“. Ihre Kritik trifft den wunden Punkt der modernen politischen Kommunikation: „Alles, was wir wirklich gesehen haben, sind knackige Tweets und coole Video-Edits, aber wirklich keine Umsetzung der Versprechen“. Für den Durchschnittsbürger, der immer noch Schwierigkeiten hat, Lebensmittel zu kaufen, wirken Milliardenzahlungen ins Ausland wie ein Verrat.
Diese Enttäuschung schlägt sich in harten Zahlen nieder. Trumps Zustimmungswerte sind in den Keller gerutscht. Eine aktuelle Umfrage des Economist/YouGov zeigt, dass nur noch 41 Prozent der Amerikaner seine Arbeit gutheißen, während 55 Prozent sie ablehnen – ein Netto-Negativwert von 14 Punkten. Selbst innerhalb der Republikanischen Partei bröckelt die einst monolithische Unterstützung und ist unter die übliche 90-Prozent-Marke gefallen.
Die Wut an der Basis ist greifbar. Jessie Meadows, eine 36-jährige Trump-Wählerin aus Georgia, ist so frustriert über die anhaltend hohen Preise und Trumps Weigerung, die Epstein-Akten vollständig freizugeben, dass sie im November für demokratische Kandidaten gestimmt hat. Trumps Online-Posts, in denen er günstige Umfragewerte feiert und behauptet, die Inflation besiegt zu haben, erscheinen ihr mittlerweile wie seine eigene Version von „Fake News“. „Wenn ich gewusst hätte, zu was Trump jetzt werden würde, wäre ich zu Hause geblieben“, sagt sie. Ein Satz, der in den Ohren der republikanischen Strategen wie ein Totenglöckchen klingen muss.
Die Hybris des Palastes: „Trump-Zeit“ gegen die Realität
Im Weißen Haus jedoch scheint man diese Warnsignale als bloßes Hintergrundrauschen abzutun. Die Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit schwankt zwischen Arroganz und Realitätsverweigerung. JD Vance und Pressesprecherin Karoline Leavitt verteidigen den Kurs des Präsidenten vehement. Leavitt nennt Trump den „unbestrittenen Anführer“ der „größten politischen Bewegung der amerikanischen Geschichte“ und betont, er halte seine Versprechen gegenüber den 80 Millionen Patrioten, die ihn gewählt haben.
Interne Berater tun die Kritik als „zyklisch“ ab. Man geht davon aus, dass die Beschwerden zwar lauter werden könnten, wenn die Zwischenwahlen näher rücken, aber schließlich verstummen werden, sobald mehr politische Maßnahmen greifen. Ein Berater scherzte sogar, dass der Zyklus dann einfach mit neuen Kritikpunkten von vorne beginnen werde.
Diese Haltung offenbart eine gefährliche Hybris. Trump selbst scheint zu glauben, er operiere in einer anderen Zeitrechnung. Er bezeichnete seine verbleibenden drei Jahre im Amt kürzlich als eine „Ewigkeit“ in „Trump-Zeit“. Doch für die Familie in Nebraska, deren Gesundheitskosten in wenigen Wochen explodieren, sind drei Jahre keine Ewigkeit – der 1. Januar ist die Deadline.
Trumps Umgang mit dem Thema „Bezahlbarkeit“ („Affordability“) ist dabei bezeichnend für seine Entkopplung von der Lebensrealität seiner Wähler. Bei einem Auftritt in einem Casino in Pennsylvania verspottete er das Wort zunächst und spielte die Sorgen herunter, bevor er widerwillig einräumte: „Ich kann nicht sagen, dass Bezahlbarkeit ein Schwindel ist, weil ich zustimme, dass die Preise zu hoch waren“. Es ist dieses Zögern, dieses fast widerwillige Anerkennen der Not, das die Authentizität seiner populistischen Marke untergräbt.
Die Strategie, diesem Unmut zu begegnen, wirkt altbacken: Trump plant, wieder nahezu wöchentliche Rallies abzuhalten, um seine Errungenschaften zu preisen. Es ist der Versuch, die alte Magie durch schiere Präsenz wiederzubeleben. Doch Jack Posobiec, ein langjähriger Aktivist, räumt ein, dass es immer eine Gruppe geben werde, die „mehr, mehr, mehr“ wolle. Die Frage ist nur: Handelt es sich wirklich nur um eine „kleine Gruppe“ von sehr aktiven Internet-Nutzern, oder ist es das Grollen eines Erdbebens?
Fazit: Mit 80 Meilen gegen die Wand
Donald Trump hat seine politische Karriere darauf aufgebaut, die Sorgen des „vergessenen Mannes“ zu artikulieren. Doch im Winter 2025 scheint er vergessen zu haben, wer ihn in den Palast getragen hat. Die Ironie ist bitter: Jener Präsident, der seinen zweiten Wahlsieg der Wut über die Lebenshaltungskosten verdankte, riskiert nun, genau diese Wähler durch legislative Untätigkeit und elitäre Abgehobenheit in den Ruin zu treiben.
Marjorie Taylor Greene fand für die Situation ein Bild von brutaler Klarheit: „Dies ist ein Land, das mit 80 Meilen pro Stunde auf eine Ziegelmauer zufährt“. Diese Mauer ist der 1. Januar, wenn die Gesundheitskosten für Millionen explodieren.
Steve Bannon, der Architekt des MAGA-Nationalismus, blickt düster in die Zukunft: „Es wird von hier bis November 2026 nur noch härter“. Wenn der Präsident nicht lernt, zuzuhören – wirklich zuzuhören, anstatt beim Mittagessen über Golfpartner zu schwadronieren – dann könnte die MAGA-Bewegung nicht an ihren Gegnern zerbrechen, sondern an ihrem eigenen Erfolg. Die Basis fordert Resultate, keine Inszenierung. Sie will Überleben, keine „coolen Video-Edits“. Und sie verzeiht vieles, aber nicht das Gefühl, dass ihr Champion die Seite gewechselt hat.


