
Ein als historisch verkündeter Deal entpuppt sich bei näherem Hinsehen als fragiler Waffenstillstand ohne Substanz. Die USA und China stecken in einem erbitterten Wirtschaftskonflikt fest, in dem Präsident Trump auf die brachiale Gewalt von Zöllen setzt, während Peking mit seinem Monopol auf strategisch entscheidende Rohstoffe kontert. Die Analyse der jüngsten Verhandlungen in London offenbart eine gefährliche Fehleinschätzung im Weißen Haus und zeigt, wie der amerikanische Präsident für eine vage Hoffnung auf Entspannung einen hohen strategischen Preis zahlt, während die Weltwirtschaft den Atem anhält.
Es sind die Bilder und Worte, die Donald Trump für seine politische Inszenierung liebt. Nach zweitägigen, intensiven Verhandlungen in London verkündete der US-Präsident über Social Media einen umfassenden Durchbruch: Der Deal mit China sei „erledigt“, abhängig nur noch von der finalen Zustimmung durch ihn und den chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Gekrönt wurde die Erfolgsmeldung von der Ankündigung massiver Zölle in Höhe von 55 Prozent auf chinesische Waren, während Peking im Gegenzug lediglich 10 Prozent auf US-Importe erheben dürfe. Die Botschaft war klar: Amerika, unter seiner Führung, hat den Handelskonflikt gewonnen.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Doch kratzt man nur leicht an der Oberfläche dieser triumphalen Rhetorik, zerfällt das Bild eines klaren Sieges zu Staub. Was Trump als fertigen „Deal“ verkauft, bezeichnen selbst Mitglieder seiner eigenen Verhandlungsdelegation lediglich als „Framework“ – ein Rahmenwerk, das den Weg für zukünftige, substanziellere Gespräche ebnen soll. Von einem ausgehandelten Vertragstext fehlt jede Spur. Peking seinerseits bestätigte lediglich eine Einigung „im Prinzip“ – eine diplomatische Formulierung, die signalisiert, dass die entscheidenden Details noch keineswegs geklärt sind. Auch die verkündete Zoll-Dominanz erweist sich als irreführend. Die 55 Prozent sind keine neue, einheitliche Abgabe, sondern eine kreative Zusammenrechnung bereits bestehender Zölle aus seiner ersten Amtszeit und neuerer Abgaben. Die Realität der Zollbelastungen ist weitaus komplexer, mit teilweise niedrigeren und oft deutlich höheren Sätzen.
Diese Kluft zwischen der öffentlichen Darstellung und der diplomatischen Realität ist mehr als nur politische Schönfärberei. Sie legt den Kern eines Konflikts offen, der von grundlegend unterschiedlichen Strategien, Fehleinschätzungen und einem hochriskanten Poker um wirtschaftliche und geopolitische Macht geprägt ist. Der vermeintliche Durchbruch von London ist in Wahrheit nicht mehr als eine kurze Atempause in einem Handelskrieg, den die Trump-Administration mit einer Mischung aus aggressivem Protektionismus und politischem Kalkül vom Zaun gebrochen hat – ohne die strategische Tiefe und die wahren Machtverhältnisse, insbesondere die erdrückende Abhängigkeit der eigenen Wirtschaft von China, vollständig zu erfassen.
Chinas schärfste Waffe: Die Herrschaft über Seltene Erden
Im Zentrum dieses Machtpokers steht ein unscheinbares, aber strategisch explosives Druckmittel in den Händen Pekings: die nahezu vollständige Kontrolle über den globalen Markt für Seltene Erden und die daraus hergestellten Hochleistungsmagnete. Diese Materialien sind das unsichtbare Herzstück moderner Volkswirtschaften. Sie sind unverzichtbar für die Produktion von Elektroautos, Windturbinen, Smartphones, Kampfflugzeugen und Raketensystemen. Ohne sie steht die amerikanische Automobil-, Rüstungs- und Technologieindustrie vor einem potenziellen Stillstand. Ein Experte aus der Autoindustrie formulierte es drastisch: „China really has our balls in a vise“.
Peking ist sich dieser Abhängigkeit schmerzlich bewusst. China kontrolliert rund 70 Prozent des weltweiten Abbaus und über 90 Prozent der Weiterverarbeitung dieser kritischen Mineralien. Diese erdrückende Dominanz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrzehntelangen, strategisch angelegten Industriepolitik. Seit den 1990er-Jahren überschwemmten staatlich kontrollierte und auch illegale chinesische Minen den Weltmarkt mit extrem billigen Seltenen Erden, oft unter Missachtung jeglicher Umweltstandards. Die internationalen Preise kollabierten, was westliche Produzenten systematisch aus dem Geschäft drängte. Eine japanische Raffinerie in Malaysia schloss 1992, eine französische 1994 und die letzte verbliebene amerikanische Mine in Mountain Pass, Kalifornien, stellte 1998 den Betrieb ein, weil sie mit den chinesischen Dumpingpreisen nicht konkurrieren konnte.
China hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass es bereit ist, diese Waffe auch politisch einzusetzen. Während eines Territorialstreits mit Japan im Jahr 2010 verhängte Peking ein zweimonatiges Embargo für die Lieferung von Seltenen Erden und verursachte damit massive Engpässe in der japanischen Industrie. Die jetzige Strategie im Handelskrieg mit den USA ist jedoch subtiler. Peking verfolgt einen Balanceakt: Einerseits drosselt es durch die Einführung von Exportlizenzen gezielt die Lieferungen, um den Druck auf die US-Wirtschaft zu maximieren und Washington an den Verhandlungstisch zu zwingen. Andererseits will man die USA nicht so hart treffen, dass diese sich gezwungen sehen, mit massiven, langfristigen Investitionen ihre eigene Abhängigkeit zu beenden. Die Wiedererlangung der Unabhängigkeit wäre für die USA ein steiniger und langer Weg. Experten schätzen, dass es selbst bei konzertierten Anstrengungen mindestens fünf Jahre dauern würde, eine eigene, vollständige Lieferkette von der Mine bis zum fertigen Magneten wieder aufzubauen. Chinas 30-jähriger Vorsprung in Produktion und Verarbeitung ist kaum schnell aufzuholen.
Ein Handelskrieg aus dem Bauch heraus: Trumps erratische Strategie
Der strategischen Geduld und dem gezielten Einsatz wirtschaftlicher Macht durch Peking steht ein amerikanischer Politikstil gegenüber, der von Impulsivität, innenpolitischen Motiven und einer offenkundigen Verachtung für traditionelle diplomatische Prozesse geprägt ist. Die Trump-Administration zog in den Handelskrieg mit der festen Überzeugung, dieser sei „gut und einfach zu gewinnen“. Die primäre Waffe waren und sind Zölle – nicht nur gegen den Rivalen China, sondern in einem Rundumschlag auch gegen traditionelle Verbündete wie Australien, Brasilien oder Kanada, was diese vor den Kopf stieß und potenzielle Allianzen gegen China von vornherein untergrub.
Analysten beschreiben Trumps Vorgehen als chaotisch und widersprüchlich. Harte Ankündigungen wurden oft von plötzlichen Kehrtwenden oder Pausen gefolgt, was Unternehmen und Investoren in einen Zustand permanenter Unsicherheit versetzte. Die Strategie scheint weniger einem kohärenten wirtschaftspolitischen Plan zu folgen als vielmehr den Gesetzen der innenpolitischen Auseinandersetzung. Der Handelskrieg, so die Analyse in den Quelltexten, ist zu einem Nebenschauplatz von Trumps „Kulturkrieg“ geworden. Es geht darum, Stärke für die eigene Wählerbasis zu demonstrieren und die Schuld für wirtschaftliche Probleme entweder dem Ausland oder politischen Gegnern im eigenen Land zuzuschieben. Die Zölle werden als patriotischer Akt inszeniert, als notwendiges Opfer auf dem „Altar der Nation“.
Dieser Ansatz steht in fundamentalem Widerspruch zu dem, was als rationale Strategie für einen Wirtschaftskonflikt dieser Größenordnung angesehen wird. Ein rational handelnder Präsident, so argumentiert der Kommentator David Frum, würde einen solch potenziell schmerzhaften und langwierigen Konflikt nicht ohne breite Zustimmung in der Bevölkerung und im Kongress beginnen. Er würde Verbündete suchen, statt sie zu verprellen, und Kompromisse bei anderen politischen Zielen eingehen, um das Land für die wirtschaftliche Auseinandersetzung zu einen. Trump hingegen tut das genaue Gegenteil: Er spaltet, eskaliert innenpolitische Konflikte und fordert von der Nation Opfer, während seine Politik allein seiner Basis dient. Anstatt eine breite Koalition zu schmieden, wie es unter der Obama-Regierung mit dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) versucht wurde, um China gemeinsam zur Einhaltung internationaler Regeln zu bewegen, isoliert Trump die USA und versucht, einen globalen Konflikt im Alleingang zu führen.
Die Kosten des Konflikts: Von globaler Unsicherheit zu Produktionsstopps
Die Konsequenzen dieser Politik sind bereits jetzt für beide Seiten und die globale Wirtschaft spürbar. Der eskalierende Konflikt mit Zöllen, die zeitweise auf über 100 Prozent stiegen, hat den Handel zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt drastisch einbrechen lassen. Chinas Exporte in die USA fielen im Mai um 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, der stärkste Rückgang seit 2020. Die Unsicherheit verlangsamt das globale Wirtschaftswachstum und lähmt die Investitionsbereitschaft von Unternehmen.
Die konkreten Auswirkungen treffen das Herz der Industrie. Die Lieferketten sind massiv gestört. Chinas Exportbeschränkungen für Seltene Erden führten zu einer Panik bei weltweiten Automobilherstellern, die einen Produktionsstopp befürchteten. In den USA musste ein Werk von Ford Motor die Produktion bereits zeitweise einstellen, weitere Schließungen drohten. Gleichzeitig führen die US-Zölle dazu, dass amerikanische Unternehmen, die auf Vorprodukte aus China angewiesen sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und die Preise für Konsumenten steigen. Die anfängliche Behauptung der Trump-Administration, die Zölle würden den amerikanischen Arbeitern nicht schaden, hat sich als falsch erwiesen.
In diesem Kräftemessen der Sanktionen hat jede Seite ihre empfindlichen Stellen. Die USA versuchen, China durch Exportverbote für Hochtechnologie wie Halbleiter oder Flugzeugkomponenten zu treffen. Dies zielt auf Chinas langfristige Ambitionen, zum Technologieführer aufzusteigen, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz. China ist in diesem Sektor verwundbar, da es noch nicht in der Lage ist, die modernsten Chips selbst zu produzieren. Allerdings argumentieren Experten, dass die unmittelbare Wirkung der amerikanischen Maßnahmen geringer ist als die der chinesischen. Während der Mangel an US-Technologie Chinas zukünftiges Wachstum bremst, führt der Mangel an Seltenen Erden heute zu Produktionsstillständen in den USA. Analysten sehen China daher in der Auseinandersetzung um Exportkontrollen kurzfristig in einer stärkeren Position. Peking scheint besser darauf vorbereitet gewesen zu sein, den Schmerz des Handelskrieges auszuhalten, als es die Trump-Administration erwartet hatte.
Letztlich offenbart der jüngste „Deal“ von London vor allem eines: die gefährliche Dynamik eines Konflikts, in dem es keine einfachen Lösungen und schon gar keine schnellen Siege gibt. Die Trump-Administration scheint einen Teil ihrer aggressiven Exportbeschränkungen zurückgenommen zu haben, um im Gegenzug eine Wiederaufnahme der lebenswichtigen Rohstofflieferungen aus China zu erreichen. Sie hat, wie es eine Analystin ausdrückte, offenbar einen „hohen Preis“ für die Rückkehr an den Verhandlungstisch bezahlt, indem sie nationale Sicherheitsbedenken zum Verhandlungsgegenstand gemacht hat.
Das Ergebnis ist ein äußerst instabiler Zustand, ein Frieden auf Abruf. Der Handelskrieg ist nicht beendet, er ist lediglich in eine neue, vielleicht noch unberechenbarere Phase eingetreten. Die grundlegenden Konflikte bleiben ungelöst, das Misstrauen ist tief, und die nächste Eskalation kann nur einen Social-Media-Post entfernt sein. Die Leidtragenden dieser erratischen Politik sind die Unternehmen, die Arbeiter und die Verbraucher auf beiden Seiten des Pazifiks sowie eine Weltwirtschaft, die zwischen die Fronten eines Machtkampfes geraten ist, der mit harten Bandagen, aber ohne klaren Plan geführt wird.