Der Riss in der Welt: Von Washingtons Kriegserklärung an Europa bis zur Tyrannei der Typografie

Illustration: KI-generiert

Es war eine Woche, in der sich die geopolitischen und innenpolitischen tektonischen Platten nicht nur verschoben haben, sondern mit einem lauten Knall aufeinanderprallten. Wer in diesen Dezembertagen geglaubt hatte, die zweite Amtszeit von Donald Trump würde sich in einer gewissen Routine einpendeln, wurde eines Besseren belehrt. Was wir in den letzten sieben Tagen beobachteten, war der systematische Abriss alter Gewissheiten. Sei es die transatlantische Wertegemeinschaft, die Unantastbarkeit richterlicher Beschlüsse oder sogar die Lesbarkeit diplomatischer Depeschen. Von den eisigen Fluren des Weißen Hauses, wo Europa nicht mehr als Partner, sondern als Saustall definiert wird, über die stürmische Karibik, in der das Völkerrecht im Kielwasser von Drogenjägern untergeht, bis hin zu den Supermarktkassen in Pennsylvania, wo die Inflation die politischen Versprechen der America First-Doktrin Lügen straft: Die Ereignisse dieser Woche zeichnen das Bild einer Welt im radikalen Umbruch. Es ist der Moment, in dem Ideologie die Realität nicht nur herausfordert, sondern versucht, sie neu zu schreiben.

Das Ende der Romantik: Europa als Feindbild und Ukraine als Rohstofflager

Das vielleicht erschütterndste Dokument dieser Woche wurde fast beiläufig, in der Dunkelheit der Nacht, auf die Website des Weißen Hauses hochgeladen. Die neue National Security Strategy (NSS) 2025 ist weit mehr als ein bürokratischer Verwaltungsakt; sie ist eine ideologische Kriegserklärung an den alten Kontinent. Donald Trump und seine Strategen haben darin eine Weltanschauung codifiziert, die den kulturellen Westen de facto aufkündigt. Europa erscheint in diesem Papier nicht mehr als unverzichtbarer Verbündeter, sondern als ein sterbender Patient, der an Überregulierung und Migration zugrunde geht. Die Rhetorik ist von einer Verachtung geprägt, die in der modernen Diplomatie ihresgleichen sucht: Trump attestiert dem Kontinent, er sei ein Saustall, der ausgemistet gehöre, und prophezeit unverhohlen den Zerfall der Europäischen Union.

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Diese Diagnose dient als Legitimation für eine aggressive Einmischungspolitik. Das Ziel Washingtons ist nicht mehr die Stabilisierung Europas, sondern ein Regime Change bei den engsten Verbündeten. Die US-Regierung plant aktiv, den Widerstand gegen zentristische Regierungen zu kultivieren und rechtspopulistische Kräfte – von Le Pen bis Weidel – zu stärken, die als Patrioten geadelt werden. Während Europa zum ideologischen Gegner erklärt wird, erfährt Russland eine bemerkenswerte Rehabilitation. Moskau wird in der neuen Doktrin nicht mehr als systemischer Rivale betrachtet, sondern als potenzieller Partner für strategische Stabilität. Wladimir Putin, dessen Angriffskrieg in der Ukraine zur Randnotiz verkommt, darf sich über ein Washington freuen, das pragmatische Deals über Völkerrecht stellt. Trump brüstet sich damit, dass die NATO ihn Daddy nenne, was ein tiefes hierarchisches Verständnis und Paternalismus offenbart.

Die praktischen Konsequenzen dieses Paradigmenwechsels spürt niemand schmerzhafter als die Ukraine. Während in Kiew der Winter hereinbricht, wird das Land auf dem Altar des neuen amerikanischen Realismus geopfert. Der Friedensplan, den die US-Regierung forciert, liest sich für Präsident Selenskyj wie eine Kapitulationsurkunde: Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft und faktische Aufgabe des Donbass. Doch hinter den Kulissen geht es längst nicht mehr nur um Territorium, sondern um ein Geschäft. US-Investoren und Trumps Umfeld betrachten den Krieg als Gelegenheit für eine feindliche Übernahme der ukrainischen Ressourcen. Im Fokus stehen Seltene Erden und die Erschließung der Arktis im Tausch gegen Frieden – ein kalter Handel, bei dem amerikanisches Kapital auf russische Rohstoffe trifft und die Ukraine zur bloßen Verfügungsmasse verkommt. Dass Selenskyj gleichzeitig von internen Korruptionsskandalen erschüttert wird, bei denen Millionenbeträge im Energiesektor veruntreut wurden, schwächt seine Verhandlungsposition dramatisch. Der Westen, wie wir ihn kannten, existiert in dieser neuen Logik nur noch als Marktplatz, nicht mehr als Wertegemeinschaft.

Der Imperiale Zugriff: Wenn die Exekutive das Recht bricht

Während die Außenpolitik neu vermessen wird, erleben die USA im Inneren einen Stresstest ihrer verfassungsmäßigen Ordnung, der die Gewaltenteilung an ihre Grenzen bringt. Der Fall Tina Peters dient hierbei als Rammbock gegen den Föderalismus. Präsident Trump hat der ehemaligen Standesbeamtin aus Colorado, die wegen Wahlmanipulation nach bundesstaatlichem Recht verurteilt wurde, eine volle Begnadigung ausgesprochen. Dieser Schritt bricht mit dem seit Gründung der Republik geltenden Konsens, dass die Begnadigungsmacht des Präsidenten nur für Bundesverbrechen gilt. Um diesen Eingriff in die Souveränität eines Bundesstaates zu rechtfertigen, bemühen Trumps Anwälte eine abenteuerliche linguistische Theorie: Sie argumentieren, dass die United States in der Verfassung ursprünglich als Plural verstanden wurden und der Präsident somit auch über die Justiz der Einzelstaaten herrschen müsse. Es ist der Versuch, durch semantische Archäologie die absolute Macht der Exekutive zu etablieren.

Parallel dazu nutzt die Administration den Regierungsapparat als Waffe gegen jene, die sich ihrem Willen widersetzen. Das Justizministerium übt massiven Druck auf die Behörden in Colorado aus, droht mit Untersuchungen der Gefängnisbedingungen und versucht, Peters in Bundesgewahrsam zu überführen. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer Einwanderungspolitik, die sich zunehmend vom Boden des Rechtsstaats löst. In einer beunruhigenden Entwicklung ignorieren Behörden wie das Heimatschutzministerium offen Gerichtsbeschlüsse. Obwohl Bundesrichter Abschiebeflüge untersagten, hoben die Maschinen ab, legitimiert durch den Rückgriff auf den Alien Enemies Act – ein Gesetz aus Kriegszeiten, das nun gegen Zivilisten in Friedenszeiten gewendet wird.

Die Razzien in amerikanischen Städten treffen dabei längst nicht mehr nur kriminelle Aliens, wie es das offizielle Narrativ behauptet. Daten zeigen, dass über 80 Prozent der Festgenommenen keinerlei Vorstrafen haben. Schlimmer noch: Durch die Lockerung der Regeln für Racial Profiling geraten zunehmend US-Staatsbürger ins Visier der Fahnder. Fälle wie der des 15-jährigen Diego Rosales, einem gebürtigen Amerikaner, der vor bewaffneten Agenten fliehen musste, oder Familien, die beim Einkaufen mit Pfefferspray attackiert wurden, zeugen von einer Atmosphäre der Willkür. Die amerikanische Identität wird hierbei ethnisch neu codiert; der blaue Pass bietet keinen Schutz mehr, wenn das Aussehen nicht ins Raster passt. Es etabliert sich ein System, in dem Loyalität zur Exekutive über dem Gesetz steht.

Die ökonomische Illusion: Zölle, Inflation und der Trugschluss der Entkopplung

Das zentrale Versprechen der Trump-Regierung – Wohlstand durch Protektionismus – kollidierte in dieser Woche frontal mit der ökonomischen Realität. Ein Jahr nach Amtsantritt verspricht der Präsident zwar ein goldenes Zeitalter und verweist auf den Aktienmarkt, doch an den Ladenkassen herrscht Katerstimmung. Die aggressive Zollpolitik, die eigentlich China in die Knie zwingen und die US-Produktion stärken sollte, entpuppt sich als Bumerang. Statt die Staatsschulden zu tilgen, wirken die Zölle wie eine Verbrauchssteuer, die die amerikanischen Haushalte belastet. Die Inflation hat sich bei rund 3 Prozent festgefressen, und die Preise für lebensnotwendige Güter bleiben hoch. Trumps Versuch, die Debatte über Lebenshaltungskosten als Hoax abzutun und den Bürgern zynisch zu raten, einfach weniger zu kaufen – man brauche keine 37 Puppen –, verfängt bei der eigenen Basis immer weniger. In Swing States wie Pennsylvania kippt die Stimmung; die Menschen fühlen sich trotz der politischen Rhetorik pleite.

Gleichzeitig zeigt sich im Handelskrieg mit China ein Paradoxon historischen Ausmaßes. Trotz der US-Zölle hat China einen Rekord-Handelsüberschuss von über einer Billion Dollar angehäuft. Peking nutzt eine massive Währungsabwertung des Renminbi, um seine Waren künstlich zu verbilligen und die Weltmärkte zu fluten. Die Strategie der Entkopplung wird zudem durch neue Handelsrouten unterlaufen: Chinesische Waren gelangen über Umwege wie Vietnam oder Mexiko in die USA – ein Phänomen, das die Lieferketten nicht sicherer, sondern nur komplexer und teurer macht. Amerikanische Unternehmen, die ihre Produktion zurückverlagern wollten, sehen sich mit explodierenden Kosten konfrontiert, während die Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen wie Wolfram bestehen bleibt.

Die Reaktion der US-Administration auf diese ökonomischen Zwänge ist ein erratisches Hin und Her, das Planungssicherheit unmöglich macht. Mal werden Zölle als Verhandlungshebel eingesetzt, mal wieder gelockert, begleitet von staatlichen Eingriffen, die eher an Planwirtschaft erinnern – etwa wenn John Deere Umweltauflagen erlassen werden, um Preise zu drücken. Während Washington versucht, die Globalisierung mit der Brechstange zurückzudrehen, passt sich China an und lernt, auch ohne den direkten US-Markt zu wachsen. Der Leidtragende ist der amerikanische Mittelstand, der den Preis für diesen geopolitischen Machtkampf zahlt.

Schattenkriege und asymmetrische Antworten

In den Grauzonen der internationalen Politik, fernab des offiziellen diplomatischen Parketts, eskalieren in dieser Woche die Konflikte. Die Ukraine, militärisch und politisch in die Enge getrieben, greift zu immer verzweifelteren Mitteln der asymmetrischen Kriegsführung. Kiew hat begonnen, die russische Schattenflotte im Schwarzen Meer direkt militärisch anzugreifen – eine Strategie der kinetischen Sanktionen. Da westliche Finanzsanktionen versagen, sollen Seedrohnen und Raketen den russischen Ölexport physisch stoppen. Fünf Tanker wurden in kürzester Zeit attackiert, was die Versicherungskosten in die Höhe treibt, aber auch enorme ökologische Risiken birgt und Anrainerstaaten wie die Türkei provoziert. Es ist ein Vabanquespiel einer Nation, die um ihre bloße Existenz kämpft und dabei keine roten Linien mehr akzeptiert.

Auch in der westlichen Hemisphäre verschwimmen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden. Die Flucht der venezolanischen Oppositionsführerin María Corina Machado nach Oslo, codiert als Golden Dynamite, offenbart die Risse im Machtgefüge Lateinamerikas. Ihre Exfiltration über das stark militarisierte karibische Meer, vorbei an US-Drohnen und Kriegsschiffen, war ein diplomatischer Drahtseilakt. Machados Ankunft in Europa und ihre Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis zwingen den Westen zu einer unangenehmen Debatte: Kann man eine Frau ehren, die militärische Interventionen und Trump-Sanktionen befürwortet?. Ihr Fall zeigt, dass der Kampf gegen Autokratien wie das Maduro-Regime im 21. Jahrhundert oft nicht mehr mit den Mitteln des pazifistischen Idealismus gewonnen werden kann.

Gleichzeitig öffnet sich in Mexiko eine neue Front im Schattenkrieg. Das Land hat sich zu einer Operationsbasis für russische Spione entwickelt, die von dort aus die USA ins Visier nehmen. Begünstigt durch die geografische Nähe und eine mexikanische Regierung, die Warnungen aus Washington ignoriert oder als Einmischung abtut, operiert der Kreml südlich des Rio Grande mit einer beunruhigenden Freiheit. Die diplomatische Überpräsenz Russlands in Mexiko-Stadt und die Rekrutierung von Wissenschaftlern wie Hector Cabrera Fuentes zur Spionage in Miami zeigen, dass Moskau den Konflikt direkt vor die Haustür der USA trägt. Es ist die Wiederkehr des Kalten Krieges, ausgetragen unter Palmen und inmitten von Touristenströmen.

Der Krieg der Buchstaben: Wie Serifen zur Staatsräson wurden

Inmitten dieser globalen Krisen leistete sich die US-Regierung einen Kulturkampf im Mikrokosmos, der in seiner Skurrilität fast satirisch wirkt, aber eine tiefe symbolische Bedeutung trägt. Außenminister Marco Rubio ordnete die Rückkehr zur Schriftart Times New Roman für alle offiziellen Dokumente an und verbannte die serifenlose Calibri. Was wie eine administrative Lappalie klingt, ist ein präzise kalkulierter Schlag gegen die Wokeness und Inklusion. Die Einführung von Calibri durch die Vorgängerregierung war primär durch Barrierefreiheit motiviert, da serifenlose Schriften für Menschen mit Sehbehinderungen besser lesbar sind.

Rubio und die neue Administration rahmen diese Rücksichtnahme nun politisch um: Barrierefreiheit gilt als verschwenderische Ideologie und Teil einer DEI-Agenda, die es zu schleifen gilt. Die Rückkehr zu den Serifen der Times New Roman soll Dekorum, Würde und eine Verbindung zur römischen Antike simulieren – eine Ästhetik der Macht, die Tradition über Funktionalität stellt. Dass diese Umstellung weltweit tausende Arbeitsstunden für neue Vorlagen kostet und technische Probleme bei der digitalen Verarbeitung verursacht, wird als Kollateralschaden in Kauf genommen. Es ist der Sieg der Nostalgie über die Moderne: Eine Regierung, die Professionalität durch das richtige Schriftbild definiert, während sie gleichzeitig funktionale Hürden für behinderte Mitarbeiter aufbaut. Ein deutliches Signal: Wir kümmern uns mehr um die Form als um den Menschen.

Der Ausverkauf der Institutionen: Vom Kennedy Center bis zum Hollywood-Deal

Dieser Wille zur kulturellen Umdeutung macht auch vor den heiligen Hallen der amerikanischen Hochkultur nicht halt. Die Kennedy Center Honors, einst ein Symbol parteiübergreifenden Konsenses, wurden in dieser Woche zur Bühne für Donald Trumps Machtdemonstration. Unter der Leitung seines Vertrauten Richard Grenell wurde der Vorstand von Demokraten gesäubert, Mitarbeiter entlassen und das Programm auf eine konservative Linie getrimmt. Die Veranstaltung selbst glich weniger einer Ehrung der Künste als einer Trump-Rallye, bei der der Präsident das Publikum beschimpfte und gleichzeitig feierte. Symbolisch wurde dies durch den Austausch der traditionellen Regenbogen-Medaillen gegen solche von Tiffany & Co. besiegelt – eine ästhetische Bereinigung, die Vielfalt durch Luxus ersetzt. Zwar feiert das Center Rekordeinnahmen durch Großspender, doch der reguläre Spielbetrieb leidet unter Besucherschwund; die Kunst wird zur Geisel politischer Gönner.

Ein ähnlicher Kampf um die Seele der Kulturindustrie tobt in Hollywood. Die Übernahmeschlacht um Warner Bros. Discovery – hier Netflix mit seiner algorithmischen Logik, dort Paramount mit dem alten Geld der Ellison-Familie – ist auch ein Ringen um politische Einflussnahme. Trumps offene Einmischung gegen den Netflix-Deal und die Verflechtungen seines Schwiegersohns Jared Kushner mit der Finanzierung der Paramount-Offerte werfen Fragen nach der Unabhängigkeit der Medien auf. Wenn Nachrichtensender wie CNN zur Verhandlungsmasse in Deals werden, die von politisch motivierten Akteuren finanziert sind, droht die vierte Gewalt weiter zu erodieren.

Systemversagen und menschliche Kosten: Veteranen und das Cannabis-Experiment

Abseits der großen geopolitischen Bühne offenbarten sich in dieser Woche die Risse im sozialen Gefüge der USA, wo gut gemeinte Systeme an ihrer eigenen Komplexität und Gier scheitern. Das Department of Veterans Affairs (VA) kämpft mit einem fatalen Paradox: Während Milliarden an Steuergeldern in Invaliditätsleistungen fließen, kollabiert die medizinische Versorgung an der Frontlinie. Ein perverses Anreizsystem belohnt Krankheit höher als Genesung, was zu einer Explosion von Diagnosen führt – das Claim Stacking ist zur Norm geworden. Gleichzeitig kostet das IT-Desaster der neuen elektronischen Patientenakte Menschenleben, weil Rezepte im digitalen Nirwana verschwinden. Veteranen sitzen in einem goldenen Käfig, finanziell versorgt, aber medizinisch und administrativ im Stich gelassen.

Ein weiteres gescheitertes Experiment zeigt sich in der Cannabis-Legalisierung. Was als Sieg der Freiheit gefeiert wurde, hat sich zu einem unregulierten Markt entwickelt, der Profite privatisiert und Risiken vergesellschaftet. Senioren landen in Notaufnahmen, weil hochpotente Produkte mit ihren Medikamenten interagieren, und Kinder vergiften sich an Gummibärchen, die wie Süßigkeiten aussehen. Die ökologische Bilanz des energieintensiven Indoor-Anbaus ist verheerend, und in Staaten wie New York versinkt der legale Markt in Korruption und Inkompetenz. Beide Themenfelder – VA und Cannabis – zeigen symptomatisch, was geschieht, wenn Lobbyismus und bürokratisches Versagen auf die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen treffen: Das System schützt nicht mehr den Bürger, sondern verwaltet nur noch den Mangel oder maximiert den Profit.

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