
Es klingt wie eine absurde Anekdote aus einem Spionageroman: Ein plötzlicher Heißhunger auf Pizza im Umfeld des US-Verteidigungsministeriums soll ein untrügliches Zeichen für eine bevorstehende Militäroperation sein. Doch als sich dieses Phänomen nun kurz vor dem israelischen Großangriff auf den Iran wiederholte, erlebte der sogenannte „Pizza-Index“ ein virales Comeback. Die Theorie, die einst als eine Art „Urban Legend“ unter Journalisten in Washington kursierte, hat im Zeitalter von Social Media und Open-Source-Intelligence eine neue, schlagkräftige Dynamik entwickelt. Sie offenbart mehr über unsere Suche nach Mustern im Informationschaos als über die tatsächlichen Vorgänge hinter den Kulissen der Macht – und zeigt, wie verführerisch eine gute Geschichte sein kann, selbst wenn ihre Grundlage brüchig ist.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Die Logik hinter dem Pizza-Index entspringt einer bestechend simplen Beobachtung: Wenn eine internationale Krise die USA betrifft, erzwingen nächtliche Krisensitzungen im Pentagon eine besondere Verpflegungslogistik. Da für Kantinenbesuche keine Zeit bleibt und das Ministerium selbst über keine Pizzerien verfügt, steigt der Bedarf an schnellen Essenslieferungen von außen dramatisch an. Genau das will der X-Account „Pentagon Pizza Report“ am Abend vor dem Angriff auf den Iran festgestellt haben. Etwa eine Stunde bevor die ersten Explosionen aus Teheran gemeldet wurden, posteten die Beobachter, dass die Pizzerien nahe dem Pentagon seit 18:59 Uhr Ortszeit einen „gewaltigen Anstieg der Aktivitäten“ verzeichneten. Zur Untermauerung ihrer Analyse verwiesen sie sogar darauf, dass eine nahegelegene Schwulenbar zur gleichen Zeit auffallend schlecht besucht war – für sie ein weiteres Indiz für eine „geschäftige Nacht“ im Ministerium.
Ein Indiz mit entscheidendem Schönheitsfehler
Die scheinbar perfekte zeitliche Korrelation verleiht der Anekdote die Wucht eines Beweises. Historische Beispiele wie die US-Invasion in Panama 1989 oder die „Operation Wüstensturm“ 1991, denen ebenfalls Pizza-Bestellschübe vorausgegangen sein sollen, stützen die Legende zusätzlich. Doch die gesamte Theorie steht und fällt mit einer einzigen Annahme: dass das Pentagon das Nervenzentrum der jeweiligen Operation ist. Genau hier offenbart sich die Achillesferse des Pizza-Index im aktuellen Fall. Der Nahostexperte Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins zenith, stellt im ZDF klar, dass Israel die Aktion ohne die Billigung der Amerikaner unternommen habe.
Diese Einordnung eines Fachmanns entzieht der viralen Erzählung ihre kausale Grundlage. Wenn Washington nicht federführend war, warum dann die Hektik im Verteidigungsministerium? War der Ansturm auf die Pizzerien nur ein Zufall? Die Episode um den Pizza-Index wird damit zu einer Parabel auf den modernen Informationskonsum. Sie zeigt, wie aus öffentlich zugänglichen Daten und einer plausiblen Geschichte ein vermeintliches Prognoseinstrument entsteht, das eine befriedigende, simple Erklärung für komplexe geopolitische Vorgänge liefert. Die Wahrheit ist jedoch selten so einfach wie eine Pizza-Bestellung.