Der Pakt des Misstrauens: Wie Robert F. Kennedy Jr. Amerikas Gesundheit umkrempelt – und die Wissenschaft an den Abgrund führt

Illustration: KI-generiert

Es ist eines jener politischen Vexierbilder, die nur das heutige Washington hervorbringen kann: Robert F. Kennedy Jr., Spross der berühmtesten demokratischen Dynastie Amerikas, dient als Gesundheitsminister in der zweiten Regierung von Donald Trump. Ein Mann, dessen gesamte Karriere auf dem Fundament des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Verunreinigung von Wasser und Luft gebaut wurde, steht nun an der Spitze einer Bewegung, die sich „Make America Healthy Again“ (MAHA) nennt. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Nation von der Geißel chronischer Krankheiten zu befreien, die sich wie ein Schatten über das Land gelegt haben. Doch während das Versprechen von Heilung und Vitalität in der Öffentlichkeit widerhallt, vollzieht sich hinter den Kulissen ein systematischer Umbau, der nicht auf Heilung, sondern auf die Zerstörung des wissenschaftlichen Fundaments der modernen Medizin abzuzielen scheint.

Die MAHA-Bewegung ist kein plötzliches Phänomen. Sie ist das Kind einer traumatisierten Zeit, genährt von dem tiefen Riss, den die Covid-19-Pandemie im Vertrauen der Amerikaner in ihre Institutionen hinterlassen hat. Angetrieben von der politischen Symbiose aus Trumps Zerstörungslust und Kennedys Sendungsbewusstsein, opfert diese neue Gesundheitsdoktrin die langfristige wissenschaftliche Stabilität und die kollektive Sicherheit auf dem Altar einer ideologisch aufgeladenen Vorstellung von individueller Reinheit. Die zentrale These, die sich aus den Handlungen und der Rhetorik dieser Regierung herausschält, ist daher beunruhigend: MAHA ist nicht die Antwort auf Amerikas Gesundheitskrise, sondern ihr gefährlichstes Symptom.

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Der Nährboden der Krise: Warum das Misstrauen tiefer wurzelt als jede Krankheit

Um die unwahrscheinliche Machtfülle eines Robert F. Kennedy Jr. zu verstehen, muss man zurückblicken auf die Jahre, in denen die Welt den Atem anhielt. Die Covid-19-Pandemie war mehr als eine virologische Katastrophe; sie war ein Katalysator für soziale und psychologische Verwerfungen, die bis heute nachwirken. Die Lockdowns, die Maskenpflicht, die widersprüchlichen Botschaften von Behörden und die allgegenwärtige Angst hinterließen ein Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlusts. In diesem Klima der Verunsicherung wurde das Vertrauen in die traditionellen Autoritäten – die CDC, die NIH, die Wissenschaftler im Fernsehen – nicht nur erschüttert, es erodierte.

Die Pandemie funktionierte wie ein Brandbeschleuniger für bereits schwelende Konflikte: die Spannung zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung, die Skepsis gegenüber „Big Pharma“ und die Angst vor einem übergriffigen Staat. Die öffentliche Gesundheitskommunikation, die oft zuversichtlich verkündete, was sich später als komplexer oder gar falsch herausstellte – etwa die langanhaltende sterilisierende Immunität durch Impfungen –, schuf ein Vakuum. In dieses Vakuum stießen Akteure wie Kennedy, die eine einfache, aber kraftvolle Erzählung anboten: Ihr wurdet belogen. Von den Institutionen, den Konzernen, den Experten. Die Krankheit ist real, aber die angebotenen Lösungen sind Teil des Problems.

Diese Botschaft traf einen Nerv. Sie sprach Menschen an, die sich von den Eliten bevormundet fühlten, deren Leben durch die Pandemiemaßnahmen aus den Fugen geraten war und die in einer komplexen Welt nach klaren Feindbildern suchten. MAHA bot ihnen genau das: eine Bewegung, die versprach, die Kontrolle zurückzugeben und den Körper von den „Giften“ der Moderne zu reinigen – seien es Impfstoffe, Pestizide oder Lebensmittelzusätze. Die Bewegung ist somit das direkte Ergebnis einer Gesellschaft, die nach einer kollektiven Traumaerfahrung den Kompass verloren hat und nun bereit ist, denjenigen zu folgen, die den einfachsten Weg aus dem Labyrinth versprechen, selbst wenn dieser direkt in den Abgrund führt.

Eine pragmatische Allianz: Wie Trump und Kennedy ihre Interessen vereinen

Die Partnerschaft zwischen Donald Trump und Robert F. Kennedy Jr. ist auf den ersten Blick ein politisches Paradoxon. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sie sich als eine hochfunktionale, fast symbiotische Beziehung, die auf einer Mischung aus politischem Kalkül, persönlicher Chemie und gemeinsamen Feindbildern beruht.

Für Donald Trump ist Kennedy ein unschätzbarer Gewinn. Erstens verleiht der Name „Kennedy“ seiner Regierung einen Hauch von überparteilicher Legitimität und signalisiert eine symbolische Eroberung des alten liberalen Establishments. Trump, der brandbewusste Präsident, weiß um die Macht dieses Namens und setzt ihn gezielt ein, um seine eigene politische Reichweite zu demonstrieren. Zweitens liefert Kennedy ihm eine treue Anhängerschaft, die über die klassische MAGA-Basis hinausgeht und unabhängige Wähler sowie enttäuschte Demokraten anspricht, die sich von den Themen Gesundheit und Ernährung mobilisieren lassen. Drittens, und vielleicht am wichtigsten, ist Kennedy für Trump das perfekte Werkzeug, um eine seiner zentralen Missionen voranzutreiben: die Zerschlagung des von ihm verhassten „Deep State“ in den Bundesbehörden. Kennedy führt mit quasi-religiösem Eifer einen Feldzug gegen die Gesundheitsbürokratie, den Trump aus rein politischem Machtinstinkt unterstützt.

Für Kennedy wiederum ist Trump der Schlüssel zur Macht. Nach Jahrzehnten als Aktivist am Rande des politischen Systems, oft als Außenseiter und Verschwörungstheoretiker abgetan, hat er nun eine beispiellose Plattform. Trump gewährt ihm eine bemerkenswert lange Leine und die Freiheit, das Gesundheitssystem nach seinen Vorstellungen radikal umzubauen – eine Chance, die ihm keine andere Regierung geboten hätte. Kennedy kann nun seinen lebenslangen Kreuzzug gegen das, was er als toxische Kontamination der modernen Welt ansieht, von der höchsten Regierungsebene aus führen. Diese Verbindung ist also kein Zufall, sondern ein Deal: Kennedy liefert Trump politische Deckung und eine neue Wählerkoalition, und Trump liefert Kennedy die Macht, seine radikale Agenda umzusetzen.

Der Angriff auf die Wunderwaffe: Warum die Zukunft der Medizin geopfert wird

Das vielleicht alarmierendste Kapitel in Kennedys bisheriger Amtszeit ist sein frontaler Angriff auf die mRNA-Technologie. Mit der Streichung von 500 Millionen Dollar an Forschungsgeldern hat die Regierung nicht nur ein prestigeträchtiges Programm beendet, sondern eine der vielversprechendsten medizinischen Plattformen des 21. Jahrhunderts ins Visier genommen. Diese Entscheidung ist weit mehr als eine haushaltspolitische Maßnahme; sie ist ein ideologisches Statement.

Die wissenschaftliche Evidenz, die Kennedy für diesen Schritt anführt, ist dünn und selektiv. Er argumentiert, die mRNA-Covid-Impfstoffe hätten die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, da sie keine dauerhafte sterilisierende Immunität böten. Das ist zwar korrekt, ignoriert aber vollkommen die Tatsache, dass sie Millionen von Leben gerettet und unzählige schwere Verläufe verhindert haben. Die MAHA-Bewegung verengt die komplexe Realität auf einen einzigen, enttäuschten Aspekt, um die gesamte Technologie zu diskreditieren. Dies offenbart eine tief sitzende Skepsis gegenüber technologischen Lösungen für biologische Probleme, die an eine fast prophetische Sehnsucht nach einer „natürlicheren“ Lebensweise grenzt.

Die langfristigen Risiken dieser Politik sind immens und betreffen die nationale Sicherheit direkt. Die mRNA-Technologie ist unsere schnellste Waffe gegen zukünftige Pandemien. Ihre Flexibilität ermöglichte die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 in Rekordzeit. Indem man diese Forschungsgelder streicht, demontiert die Regierung sehenden Auges die Feuermelder und Sprinkleranlagen für den nächsten globalen Flächenbrand. Doch der Schaden geht noch tiefer. Die mRNA-Forschung zeigte enormes Potenzial bei der Behandlung von Krebs, indem sie das körpereigene Immunsystem darauf trainiert, Tumorzellen zu bekämpfen, sowie bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV und Grippe. Diese potenziell lebensrettenden Durchbrüche werden nun verzögert oder ganz verhindert – ein unkalkulierbarer Verlust, der auf einer wissenschaftlich kaum haltbaren, ideologisch aber umso gefestigteren Position beruht.

Das Déjà-vu der Ernährungspolitik: Mehr Rhetorik als Reform

Auf den ersten Blick scheint die Ernährungspolitik von MAHA Neuland zu betreten. Mit martialischer Rhetorik geißelt Kennedy die Lebensmittelindustrie als „herzlos und räuberisch“ und wirft ihr vor, amerikanische Kinder zu vergiften. Im Vergleich zu Michelle Obamas sanfter „Let’s Move“-Kampagne, die auf Kooperation und prominente Unterstützung setzte, wirkt MAHA wie eine Kriegserklärung. Doch bei genauerem Hinsehen wiederholt Kennedys Ansatz exakt die zentralen strategischen Fehler der Obama-Ära und droht aus denselben Gründen zu scheitern.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Tonalität, nicht in der Methode. Während Obama auf sanfte Anstöße und positive Anreize setzte, nutzt Kennedy öffentlichen Druck und die Dämonisierung einzelner Inhaltsstoffe wie künstliche Farbstoffe, Maissirup oder Samenöle. Das Ergebnis ist jedoch dasselbe: Statt verbindlicher gesetzlicher Regelungen setzt man auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Konzerne. Unternehmen wie General Mills oder Kraft Heinz kündigen medienwirksam an, auf bestimmte Farbstoffe zu verzichten, und präsentieren dies als Antwort auf „Verbraucherbedürfnisse“ – ein leichter Sieg für Kennedy, der aber an den strukturellen Problemen nichts ändert.

Die Geschichte von „Let’s Move“ hat gezeigt, wie wirkungslos solche Handschlag-Deals sind. Konzerne wie Darden Restaurants (Olive Garden) versprachen damals, Kalorien und Natrium zu reduzieren, konnten Jahre später aber keinerlei Fortschritte nachweisen. MAHA konzentriert sich zudem auf wissenschaftlich umstrittene oder nebensächliche Themen, während die erwiesenermaßen größten Probleme – der exzessive Konsum von Zucker und Salz – kaum eine Rolle spielen. Die Besessenheit von „giftigen“ Farbstoffen lenkt von den eigentlichen Ursachen der Fettleibigkeitsepidemie ab. Am Ende bleibt es eine performative Politik: Der Minister isst medienwirksam mit einem konservativen Moderator Pommes frites in einer Fast-Food-Kette, um zu signalisieren, dass er auf der Seite des Volkes steht – während die systemischen Treiber der Volkskrankheiten unangetastet bleiben.

Der Preis der „Reinheit“: Wer am Ende die Rechnung zahlt

Die Rhetorik von MAHA verspricht Gesundheit für alle Amerikaner, doch die konkrete Politik droht, die Kluft zwischen Arm und Reich weiter zu vertiefen. Während die Bewegung einerseits einen Kreuzzug für saubere Lebensmittel führt, unterstützt sie andererseits politische Maßnahmen, die den Ärmsten den Zugang zu grundlegender Versorgung und Nahrungsmitteln erschweren. Dieser Widerspruch entlarvt den elitären Kern einer Ideologie, die Gesundheit primär als Ergebnis individueller Tugend und richtiger Konsumentscheidungen begreift, statt als Resultat sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen.

Die Unterstützung für Kürzungen bei Medicaid und die Verschärfung der Regeln für das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), Amerikas größtes Lebensmittelhilfeprogramm, sind hierfür die deutlichsten Belege. Einerseits wird der Verzehr von Junkfood beklagt, andererseits werden Gesetze befürwortet, die dazu führen könnten, dass Kinder hungern müssen. Diese Politik ignoriert die Realität, dass chronische Krankheiten wie Diabetes und Fettleibigkeit überproportional in einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen verbreitet sind. Für viele dieser Menschen ist der Zugang zu frischen, gesunden Lebensmitteln keine Frage der Willenskraft, sondern des Geldes, der Zeit und der Verfügbarkeit in ihrem Wohnumfeld.

Indem MAHA den Fokus auf die Eliminierung einzelner Inhaltsstoffe legt und gleichzeitig das soziale Sicherheitsnetz demontiert, verlagert die Bewegung die gesamte Verantwortung auf das Individuum. Wer krank ist, hat demnach die falschen Entscheidungen getroffen. Diese Logik der individuellen Schuld verkennt, dass die Gesundheitskrise in den USA tief in sozioökonomischer Ungleichheit verwurzelt ist. Ein alternativer, ernsthafter Ansatz müsste genau hier ansetzen: bei der Ausweitung des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, der Subventionierung gesunder Lebensmittel und einer Bildungspolitik, die nicht nur auf Verbote, sondern auf Befähigung setzt. Stattdessen liefert MAHA eine Politik für diejenigen, die es sich leisten können, ihre Gesundheit zu optimieren, während die Verletzlichsten zurückgelassen werden. Der Preis für diese ideologische Reinheit wird am Ende von denen bezahlt, die die Bewegung zu retten vorgibt.

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