Der National-Sicherheits-Basar: Trumps gefährliches Spiel mit TikTok

Illustration: KI-generiert

In den diplomatischen Kulissen zwischen Washington und Peking vollzieht sich derzeit ein Schauspiel, das weit mehr ist als nur der nächste Akt im schwelenden Handelskonflikt. Es ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel, dessen Konsequenzen die amerikanische Sicherheitspolitik auf Jahre hinaus prägen könnten. Die von Präsident Donald Trump und seiner Administration vorangetriebene Einigung über die Zukunft von TikTok, die vordergründig als Rettung der beliebten App vor einem landesweiten Verbot inszeniert wird, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als gefährliche Tauschbörse, auf der das höchste Gut der nationalen Sicherheit zur Verhandlungsmasse verkommt. Der vermeintliche Deal, der nach monatelangem Ringen als „grundsätzlicher Konsens“ deklariert wurde, löst nicht das ursprüngliche Problem, sondern schafft ein neues, weitaus gravierenderes: Er etabliert einen Präzedenzfall, in dem strategische Sicherheitsinteressen, die einst einen breiten parteiübergreifenden Konsens fanden, dem kurzfristigen handelspolitischen Kalkül und den persönlichen politischen Launen eines Präsidenten geopfert werden.

Trumps Kehrtwende

Um die ganze Tragweite dieses Manövers zu erfassen, muss man sich die Volte vergegenwärtigen, die Donald Trump in der Causa TikTok vollzogen hat. Es war ein breiter, von beiden Parteien getragener Konsens im Kongress, der zur Verabschiedung jenes Gesetzes führte, das ByteDance, den chinesischen Mutterkonzern von TikTok, zu einem Verkauf bis Januar 2025 zwingen sollte. Die Sorge war und ist real: die potenzielle missbräuchliche Nutzung von Daten von 170 Millionen amerikanischen Nutzern und die Möglichkeit, über den mächtigen Empfehlungsalgorithmus der App chinesische Propaganda zu verbreiten. In jener Zeit warnten namhafte Republikaner eindringlich vor TikTok als „digitalem Fentanyl“, das gezielt zur Verdummung der amerikanischen Jugend eingesetzt werde. Trump selbst versuchte in seiner ersten Amtszeit, die App zu verbieten.

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Doch diese prinzipienfeste Haltung ist einer verblüffenden Wandlung gewichen. Der Präsident, der nun seine zweite Amtszeit bestreitet, hat sich zum vehementesten Verteidiger der Plattform in Washington gewandelt. Er brüstet sich damit, ein „großer Star“ auf TikTok zu sein, und preist die App als nützliches Werkzeug im Wahlkampf. Mit einer Serie von drei aufeinanderfolgenden Anordnungen, die erste davon an seinem ersten Tag im Amt, hat er seine eigene Regierung angewiesen, die Durchsetzung des Gesetzes zu ignorieren – ein rechtlich höchst fragwürdiger Akt, da er damit ein vom Kongress beschlossenes und vom Obersten Gerichtshof bestätigtes Gesetz aushebelt. Dieser Widerspruch zwischen der ursprünglichen Bedrohungsanalyse seiner eigenen Partei und seinem jetzigen Handeln offenbart einen tiefen Zielkonflikt, in dem persönliche Eitelkeit und politisches Kalkül die strategische Vernunft verdrängt haben.

Ein Deal, der keiner ist

Die offizielle Rhetorik aus dem Weißen Haus und Peking spricht von einer Einigung, einem Durchbruch. Doch die Sprache selbst verrät die Fragilität des Konstrukts. Es ist die Rede von einem „Framework“, einem „grundsätzlichen Konsens“. Konkrete, unterzeichnete Verträge fehlen, was die öffentliche Skepsis nur allzu verständlich macht. Die Konturen dieses Rahmenwerks sehen vor, dass TikTok in eine neue US-Einheit ausgegliedert wird, an der ByteDance nur noch einen Anteil von unter 20 Prozent halten darf, um den gesetzlichen Anforderungen zu genügen. Den Rest sollen institutionelle Investoren wie General Atlantic und ein Konsortium neuer Geldgeber wie der Tech-Riese Oracle und diverse Private-Equity-Firmen übernehmen.

Dieser Plan ist jedoch nicht neu. Ein fast identischer Vorschlag stand bereits im April kurz vor der Verkündung, bevor er von der chinesischen Regierung im letzten Moment blockiert wurde. Peking forderte damals unmissverständlich, dass zuerst über die von Trump verhängten Zölle und die amerikanische Handelspolitik gesprochen werden müsse. Diese Episode war die Blaupause für das, was wir heute erleben: China hat gelernt, dass die TikTok-Frage für die Trump-Administration kein isoliertes Sicherheitsproblem, sondern ein Hebel in einem größeren wirtschaftlichen Machtspiel ist. Peking hat seine Position, die den Verkaufszwang einst als „Räuberlogik“ brandmarkte, taktisch angepasst und signalisiert nun Bereitschaft zu einer Einigung unter der Bedingung des „gegenseitigen Respekts“ – ein diplomatischer Euphemismus für die Verknüpfung mit den eigenen handelspolitischen Forderungen.

Das Gespenst im Algorithmus

Die Kardinalfrage, die in den feierlichen Verkündungen eines nahenden Deals geflissentlich übersehen wird, ist jedoch die nach dem Kernstück von TikTok: dem Empfehlungsalgorithmus. Dieser Code, der entscheidet, welche Videos den Nutzern auf ihrer „For You“-Seite angezeigt werden, ist das eigentliche Machtinstrument der Plattform. Genau hier liegt die Achillesferse des verhandelten Kompromisses. Eine im Weißen Haus diskutierte Option sieht vor, dass ByteDance die Kontrolle über diesen Algorithmus behält und ihn lediglich an die neue amerikanische Firma lizenziert oder verpachtet.

Diese Lösung wäre nicht nur eine Farce, sie würde den Geist und potenziell auch den Buchstaben des Verkaufsgesetzes ad absurdum führen. Das Gesetz verbietet explizit jede „operative Beziehung“ zwischen dem neuen TikTok und ByteDance, die den Algorithmus oder die Datensicherheit betrifft. Kritiker warnen zu Recht, dass ein solches Leasing-Modell sicherstellen würde, dass die Tür für chinesische Propaganda weit offenbleibt. Es würde eine permanente technologische und operative Abhängigkeit von einem Unternehmen schaffen, das letztlich der Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas unterliegt. Die ursprünglichen Sicherheitsbedenken, die auf der Möglichkeit des Missbrauchs basierten – auch wenn ByteDance stets betonte, die US-Regierung habe nie Beweise für eine tatsächliche Einmischung vorgelegt –, würden durch einen solchen Deal nicht ausgeräumt, sondern zementiert. Die komplexe Eigentümerstruktur wäre lediglich eine Fassade, hinter der die entscheidende Kontrollinstanz unangetastet bliebe.

Sicherheit als Verhandlungsmasse

Die Verhandlungen, die Finanzminister Scott Bessent am Wochenende in Madrid mit dem chinesischen Vize-Premier He Lifeng führte, legen die Karten offen auf den Tisch. Die offiziellen Mitteilungen beider Seiten bestätigen, dass TikTok nicht isoliert, sondern als Teil eines Gesamtpakets behandelt wird, das auch „unilaterale Zollmaßnahmen“ und „Exportkontrollen“ umfasst. Senator Mark Warner traf den Nagel auf den Kopf, als er bereits im April das Vorgehen der Administration kritisierte und davor warnte, die „nationale Sicherheit als einen handelbaren Artikel“ zu behandeln.

Genau das geschieht nun im großen Stil. Die Trump-Administration, angeführt von Vizepräsident JD Vance, inszeniert sich als Retter von TikTok und preist den Deal als Erfüllung eines Wahlkampfversprechens. Doch der Preis für diese vermeintliche Rettung ist die Degradierung eines fundamentalen Sicherheitsprinzips zu einem Posten in einer handelspolitischen Bilanz. Die strategische Logik, die besagt, dass kritische digitale Infrastrukturen vor dem Zugriff autoritärer Regime geschützt werden müssen, wird durch eine transaktionale Logik ersetzt, in der alles verhandelbar ist, solange am Ende ein medienwirksamer Handschlag steht. Die Personalie Scott Bessent ist dabei zentral, da er als Finanzminister die Autorität besitzt, sowohl über die Unternehmensübernahme als auch über die großen Linien der Wirtschafts- und Zollpolitik zu verhandeln und so die beiden Agenden nahtlos zu verschmelzen.

Ein Präzedenzfall mit Folgen

Die kurzfristigen Konsequenzen eines Scheiterns der Verhandlungen wären ein Verbot der App, das 170 Millionen Nutzer verärgern und die Tech-Beziehungen weiter vergiften würde. Doch die langfristigen Folgen des eingeschlagenen Weges sind weitaus besorgniserregender. Die explizite Verknüpfung eines erzwungenen Unternehmensverkaufs aus Sicherheitsgründen mit allgemeinen Handelsfragen schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Zukünftig könnte jede Nation versucht sein, ausländische Unternehmen im eigenen Land als Geiseln zu nehmen, um handelspolitische Zugeständnisse zu erpressen. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit der USA, wenn sie einerseits auf prinzipienfesten Sicherheitsregeln beharren, diese aber bei erstbester Gelegenheit für einen vorteilhaften Deal über Sojabohnenexporte oder reduzierte Zölle über Bord werfen.

Gleichzeitig spielt dieses Vorgehen China strategisch in die Hände. Peking kann sich als Opfer amerikanischer Willkür inszenieren und gleichzeitig seine Position in den Handelsgesprächen stärken. Der vorliegende „grundsätzliche Konsens“ könnte unter diesen Bedingungen zu einem Abkommen führen, das für China ein doppelter Sieg wäre: Es würde die drohenden Zölle abmildern und gleichzeitig über den lizenzierten Algorithmus einen entscheidenden Einflusskanal in die amerikanische Gesellschaft behalten. Für die USA wäre es ein Pyrrhussieg – ein oberflächlicher Erfolg in der Handelspolitik, erkauft durch die Aushöhlung der eigenen Sicherheitsarchitektur. Die Rolle von Unternehmen wie Oracle, dessen Gründer Larry Ellison als enger Verbündeter Trumps gilt, fügt dem Ganzen eine weitere, politisch brisante Note hinzu, die den Anschein eines politisch motivierten Deals zugunsten befreundeter Akteure verstärkt.

Der Weg, den die Trump-Administration eingeschlagen hat, ist ein Vabanquespiel. Der als großer Erfolg verkaufte TikTok-Deal ist bei näherer Betrachtung ein vergiftetes Geschenk. Er tauscht langfristige strategische Klarheit gegen kurzfristige politische Gewinne und riskiert, dass die nationale Sicherheit der USA am Ende auf dem großen Basar der internationalen Handelspolitik sturmreif geschossen wird.

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