
Es ist ein politisches Manöver, das in seiner Dreistigkeit selbst für die an Überraschungen reiche Ära von Donald Trump hervorsticht. Während die US-Navy in der Karibik patrouilliert, um Drogenrouten gewaltsam zu kappen, und das Weiße Haus Venezuela mit einer rhetorischen und militärischen Belagerung überzieht, bereitet der Präsident im Stillen einen Federstrich vor, der das gesamte moralische Gerüst der amerikanischen Drogenbekämpfung zum Einsturz bringt. Die Ankündigung, Juan Orlando Hernández – den ehemaligen Präsidenten von Honduras, der sein Land in einen Umschlagplatz für Kokain verwandelte und dafür zu 45 Jahren US-Haft verurteilt wurde – vollständig zu begnadigen, ist mehr als eine juristische Anomalie. Sie ist ein Offenbarungseid.
Mitten in die aufgeheizte Atmosphäre kurz vor den honduranischen Präsidentschaftswahlen platzt diese Nachricht wie eine Bombe. Sie offenbart eine US-Außenpolitik, die nicht mehr Prinzipien folgt, sondern rein transaktionalen Loyalitäten und einem Freund-Feind-Schema, das die Realität bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Es ist, als würde man einem Brandstifter den Schlüssel zur Feuerwache überreichen, während man gleichzeitig dem Nachbarn droht, weil dessen Rasen zu trocken ist.
Die Anatomie der Dissonanz: Wenn „Law and Order“ zur Farce wird
Die Szenerie könnte widersprüchlicher kaum sein. Auf der einen Seite inszeniert sich die Trump-Administration als unerbittlicher Vollstrecker im Krieg gegen die Kartelle. Der Luftraum über Venezuela wird zum Sperrgebiet erklärt, US-Kriegsschiffe, darunter der Flugzeugträger USS Gerald R. Ford, werden in die Karibik entsandt, und die Rhetorik gegenüber dem Regime von Nicolás Maduro eskaliert bis hin zu Drohungen verdeckter CIA-Operationen. Die Botschaft scheint klar: Amerika duldet keine Narco-Terroristen vor seiner Haustür.

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Doch dieses Bild der Entschlossenheit zerschellt an der Realität der Begnadigung für Hernández. Hier wird ein Mann rehabilitiert, der nicht nur des Drogenhandels verdächtigt, sondern in einem der aufwendigsten Prozesse der jüngeren US-Justizgeschichte zweifelsfrei überführt wurde. Die Staatsanwaltschaft zeichnete das Bild eines Mannes, der die volle Macht des Staates – Polizei, Militär und Justiz – nutzte, um Kokainlieferungen zu schützen und seine politische Karriere mit Drogengeldern zu finanzieren. Es ist eine kognitive Dissonanz von atemberaubendem Ausmaß: Während unbekannte Fischerboote in der Karibik unter dem Verdacht des Schmuggels beschossen werden und Dutzende Menschen sterben, öffnet sich für den Mann, der prahlte, den Gringos die Drogen direkt unter die Nase zu reiben, das Gefängnistor.
Kritiker und ehemalige Justizbeamte stehen fassungslos vor diesem Scherbenhaufen der Glaubwürdigkeit. Ein DEA-Agent bezeichnete den Schritt als Wahnsinn, der das internationale Ansehen der US-Strafverfolgungsbehörden katastrophal beschädigen würde. Denn wenn die Definition eines Narco-Staates nicht mehr von Beweisen abhängt, sondern davon, ob der Machthaber ein Freund von Mar-a-Lago ist, verliert der Begriff jede legitime Bedeutung.
Der tiefe Fall eines „unverzichtbaren Verbündeten“
Um die Monstrosität dieser Begnadigung zu begreifen, muss man in den Abgrund blicken, den Juan Orlando Hernández – in Honduras oft nur bei seinen Initialen JOH genannt – hinterlassen hat. Seine Herrschaft war keine bloße Episode der Korruption; sie war die Systematisierung des Verbrechens. Über Jahre hinweg fungierte Honduras als vergoldete Brücke für das Kokain aus Südamerika auf dem Weg nach Norden. Mindestens 400 bis 500 Tonnen der Droge sollen unter seiner Ägide durch das Land geschleust worden sein.
Die Details, die im New Yorker Gerichtssaal ans Licht kamen, lesen sich wie das Drehbuch eines drittklassigen Thrillers, wären sie nicht so tragisch real. Da ist das Maschinengewehr, in das der Name des Präsidenten eingraviert war. Da sind die Plastikbündel voller Bargeld – eine Million Dollar Bestechungsgeld vom berüchtigten El Chapo persönlich, überreicht, um den freien Fluss der Ware zu garantieren. Und da sind die Leichen. Zeugen berichteten von Morden, die angeordnet wurden, um das Kartellsystem zu schützen, von einem Präsidenten, der über Leichen ging, um seine Macht zu sichern.
Doch die Tragödie von Honduras ist nicht nur eine Geschichte von Tätern, sondern vor allem von Opfern. In den Barrios von Tegucigalpa, in Vierteln wie Nueva Suyapa, bedeutet die Herrschaft der Narcos nicht politische Ränkespiele, sondern täglichen Terror. Wie Ross Halperin in seinem Buch „Bear Witness“ eindringlich schildert, ist die Gewalt dort keine abstrakte Größe, sondern eine physische Präsenz, die Familien zerreißt und Menschen in die Flucht treibt. Die USA waren lange Zeit blind für dieses Leid, weil JOH lieferte, was Washington wollte: vermeintliche Stabilität und Migrationskontrolle. Er war der nützliche Autokrat, der in Washington empfangen und gelobt wurde, während er zu Hause die Demokratie aushöhlte. Dass Trump nun ausgerechnet diesen Mann als Opfer einer politischen Verfolgung stilisiert, ist ein Schlag ins Gesicht all jener Honduraner, die unter seiner Herrschaft gelitten haben.
Das Wahlkampfmanöver: Ein vergiftetes Geschenk
Der Zeitpunkt der Begnadigung ist kein Zufall, sondern ein kalkulierter Eingriff in die Souveränität eines fremden Staates. Honduras steht unmittelbar vor einer richtungsweisenden Wahl. Das politische Feld ist polarisiert: Auf der einen Seite die regierende Linke unter der Partei Libre, auf der anderen die konservative Nationale Partei, der auch Hernández angehört. Trumps Intervention ist dabei doppelt codiert. Er begnadigt nicht nur den gefallenen Ex-Präsidenten, er spricht auch eine explizite Wahlempfehlung für Nasry „Tito“ Asfura aus, den Kandidaten der Nationalen Partei.
Es ist ein Spiel mit hohem Einsatz. Trump verknüpft die wirtschaftliche Zukunft Honduras‘ direkt mit dem Wahlsieg seines Favoriten. Sollte Asfura verlieren, so die unverholene Drohung, werde die USA kein gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Diese Erpressung zielt auf die Urängste einer Nation, die wirtschaftlich am Tropf der Überweisungen aus den USA hängt. Doch die Strategie könnte nach hinten losgehen. In Honduras herrscht Verwirrung und Wut. Die Begnadigung erinnert die Wähler schmerzhaft an die korrupte Vergangenheit der Nationalen Partei. Für die Opposition, angeführt von Rixi Moncada, ist Trumps Schritt ein Geschenk: Sie kann den Wahlkampf nun als Kampf gegen eine von außen gesteuerte Mafia inszenieren, die ihre Kriminellen straffrei davonkommen lässt.
Die Reaktionen auf den Straßen von Tegucigalpa sind gemischt. Während Anhänger der Nationalen Partei und die Familie von Hernández jubeln und Gott danken, sehen viele Bürger darin eine Bestätigung, dass Gerechtigkeit für die Eliten nicht gilt. Die Sorge vor Unruhen wächst. Wenn eine ausländische Macht so massiv in den demokratischen Prozess eingreift, wird das Ergebnis, egal wie es ausfällt, den Makel der Illegitimität tragen.
Die Erosion der Institutionen: Loyalität über Gesetz
Was bedeutet dieser Schritt für die USA selbst? Die Begnadigung von Juan Orlando Hernández ist ein direkter Angriff auf die Unabhängigkeit der amerikanischen Justiz. Jahrelang haben Ermittler der DEA und Staatsanwälte des Southern District of New York Beweise gesammelt, Zeugen geschützt und ein komplexes Netz aus Korruption und Gewalt entwirrt. Sie taten dies oft gegen den Widerstand diplomatischer Kreise, die den Partner Hernández nicht verlieren wollten. Dass ihre Arbeit nun mit einem Tweet des Präsidenten zunichtegemacht wird, sendet eine verheerende Botschaft an den eigenen Apparat: Fakten zählen nicht, wenn sie politisch unbequem sind.
Trump argumentiert, Hernández sei sehr hart und unfair behandelt worden. Er übernimmt damit nahtlos das Narrativ der Verteidigung und ignoriert die erdrückende Beweislast. Doch hinter dieser Rhetorik verbirgt sich mehr. Indem Trump behauptet, man könne eine solche Behandlung jedem Präsidenten antun, zieht er eine beunruhigende Parallele zu seiner eigenen Situation. Die Begnadigung wird so zu einem Akt der Selbstverteidigung durch Stellvertretung. Sie normalisiert die Idee, dass Staatsoberhäupter über dem Gesetz stehen und dass juristische Verfolgung per se politisch motiviert ist.
Dabei spielen Figuren wie Roger Stone, der schon früh die These verbreitete, Hernández sei Opfer einer Verschwörung, eine Schlüsselrolle bei der Formung dieser alternativen Realität. Es ist der Sieg der Verschwörungstheorie über die Aktenlage. Die Konsequenzen für die Sicherheit von Zeugen, die gegen Hernández ausgesagt haben, sind unabsehbar. Viele von ihnen sind verurteilte Kriminelle, die auf Strafnachlass hofften, doch ihre Aussagen wurden durch physische Beweise gestützt. Wenn der Haupttäter nun freikommt, welches Signal sendet das an zukünftige Kronzeugen? Das System der Strafverfolgung, das auf Kooperation basiert, wird in seinen Grundfesten erschüttert.
Geopolitisches Schachbrett: Narcos als politische Waffe
Auf der internationalen Bühne entlarvt der Fall die völlige Willkür der US-amerikanischen Definition von Narco-Terrorismus. Der Begriff dient nicht mehr der Beschreibung einer kriminellen Aktivität, sondern als politischer Kampfbegriff. Nicolás Maduro in Venezuela wird als Narco-Terrorist gebrandmarkt, obwohl Experten die Existenz des ihm zugeschriebenen Cartel de los Soles als feste Organisation anzweifeln. Juan Orlando Hernández hingegen, dessen Verbindungen zum Sinaloa-Kartell aktenkundig sind, wird rehabilitiert.
Diese Doppelmoral ist Wasser auf die Mühlen antiamerikanischer Kräfte in der Region. Sie bestätigt das alte Vorurteil, dass die USA in Lateinamerika keine Demokratie, sondern nur Gefolgschaft suchen. Die Allianz, die sich hier andeutet – unterstützt durch den argentinischen Präsidenten Javier Milei, der ebenfalls in den Chor der Asfura-Unterstützer einstimmt –, ist eine Allianz der ideologischen Rechten, nicht der Rechtsstaatlichkeit. Sie signalisiert anderen autokratischen Führern: Solange du auf der Seite von Trump stehst, kannst du tun und lassen, was du willst. Korruption, Drogenhandel, Wahlbetrug – all das ist verzeihbar, solange die politische Ausrichtung stimmt.
Ein dunkler Ausblick
Die Begnadigung von Juan Orlando Hernández ist mehr als eine Fußnote in den Geschichtsbüchern. Sie ist ein Wendepunkt. Sie markiert den Moment, in dem die USA ihren Anspruch, eine Ordnungsmacht des Rechts zu sein, in der westlichen Hemisphäre endgültig aufgegeben haben. Die Botschaft, die von Mar-a-Lago ausgeht, ist laut und deutlich: Es gibt kein Gesetz, es gibt nur Deals.
Für die Menschen in Honduras, die am Sonntag zur Wahl gehen, ist die Situation bitter. Sie sind Geiseln eines geopolitischen Spiels, in dem ihre Sicherheit und ihre Zukunft Verhandlungsmasse sind. Ob Tito Asfura gewinnt oder verliert, der Schatten von JOH und seinem mächtigen Gönner im Norden wird noch lange über dem Land liegen. Und für die USA? Sie haben vielleicht einen loyalen Verbündeten gewonnen, aber sie haben ihre Seele verkauft. In einer Welt, in der Wahrheit optional und Gerechtigkeit verhandelbar ist, hat der Begriff Narco-Staat seine abschreckende Wirkung verloren – er ist nur noch eine Frage der Perspektive. Wenn Drogenhändler begnadigt werden, weil viele Freunde darum bitten, dann ist der Kampf gegen das Verbrechen nicht nur verloren; er wurde nie ernsthaft geführt.


