Der kalte Start: Wie künstliche Intelligenz eine Generation vom Arbeitsmarkt verdrängt und der Staat die Risiken ignoriert

Illustration: KI-generiert

Es ist ein Paradox, das Ökonomen und Gesellschaftspolitiker gleichermaßen beunruhigt: Während die Gesamtwirtschaft robuste Züge aufweist, bricht für eine ganze Generation von Hochschulabsolventen der Boden unter den Füßen weg. Der vermeintlich sichere Weg von der Universität in eine stabile Angestelltenkarriere erweist sich zunehmend als Sackgasse. Dahinter steckt keine gewöhnliche Konjunkturdelle, sondern der Beginn einer tektonischen Verschiebung, angetrieben durch die disruptive Kraft der künstlichen Intelligenz. Diese Revolution entfaltet sich an zwei Fronten gleichzeitig und mit beängstigender Geschwindigkeit. Im Privatsektor demontieren Unternehmen in einem fieberhaften Effizienzwahn die Einstiegslevel für Wissensarbeiter und zerschlagen damit die traditionelle Karriereleiter, bevor neue Pfade überhaupt sichtbar sind. Parallel dazu treibt die US-Regierung unter der Prämisse technologischer Überlegenheit die Implementierung von unausgereifter KI in hochsensiblen Bereichen wie Militär, Flugsicherung und Steuerwesen voran – und scheint dabei die erheblichen Risiken bewusst auszublenden.

Dieser doppelte Ansturm, getragen von einer fast ideologischen Technikgläubigkeit, die kritische Sicherheits- und Ethikfragen als zweitrangig erachtet, schafft eine gefährliche Asymmetrie. Während die Ausbildung zukünftiger Experten untergraben wird, werden Entscheidungen über Sicherheit und Menschenleben zunehmend an fehleranfällige Algorithmen delegiert. Es ist die Geschichte eines kalten Starts in eine neue Ära, auf die wir als Gesellschaft denkbar schlecht vorbereitet sind – ein ungesteuertes Experiment mit offenem Ausgang für die Zukunft der Arbeit und der öffentlichen Sicherheit.

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Generation KI: Warum der Aufzug nach oben stillsteht

Die Alarmglocken schrillen bereits. Daten der New Yorker Federal Reserve zeigen eine „bemerkenswerte Verschlechterung“ der Arbeitsbedingungen für junge Akademiker, deren Arbeitslosenquote auf einen ungewöhnlich hohen Wert von 5,8 Prozent gestiegen ist. Besonders betroffen sind Absolventen technischer Fächer wie Informatik und Finanzen – genau jene Felder, in denen KI die schnellsten Fortschritte macht. Das vielleicht beunruhigendste Signal ist der „Recent-Grad Gap“: die Differenz zwischen der Arbeitslosenquote junger Akademiker und jener der gesamten Erwerbsbevölkerung. Historisch gesehen hatten Hochschulabsolventen fast immer bessere Karten auf dem Arbeitsmarkt. Doch diese Lücke hat sich nicht nur geschlossen, sie hat sich ins Negative verkehrt. Absolventen von heute betreten einen Arbeitsmarkt, der für sie relativ schlechter ist als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten vierzig Jahren.

Natürlich gibt es alternative Erklärungsansätze. Einige Ökonomen verweisen auf die Spätfolgen der Großen Rezession und der Corona-Pandemie, von denen sich der Arbeitsmarkt für Angestellte nie vollständig erholt habe. Andere sehen einen strukturellen Wandel, der bereits um 2010 einsetzte, als der Lohnvorsprung von Akademikern gegenüber Nicht-Akademikern aufhörte zu wachsen. Doch die Wucht und Geschwindigkeit der aktuellen Entwicklung deuten auf einen neuen, dominanten Faktor hin: die Automatisierung von Einstiegsaufgaben durch generative KI.

Es sind nicht mehr nur Anekdoten. Führungskräfte berichten offen, dass ihre Unternehmen keine Softwareentwickler unterhalb eines mittleren Erfahrungslevels mehr einstellen, weil KI-Codierungswerkzeuge die Aufgaben von Junioren übernehmen können. Beratungsfirmen stellen fest, dass ein kleines Team mit ChatGPT die Arbeit erledigen kann, für die früher ein Dutzend Absolventen nötig war. Der Fokus der Automatisierung liegt präzise auf jenen Tätigkeiten, die jahrzehntelang das Brot-und-Butter-Geschäft von Berufsanfängern waren: Informationen und Daten lesen, synthetisieren und in Berichten oder Präsentationen aufbereiten. Eine „KI-zuerst“-Mentalität greift um sich, bei der Manager angehalten werden, vor jeder Neueinstellung zu prüfen, ob die Aufgabe nicht von einer KI erledigt werden kann. Diese Entwicklung ist keine ferne Zukunftsvision mehr; für die Generation, die jetzt auf den Markt drängt, ist sie bereits eine bittere Realität.

Das Ende der Lehrjahre: Wenn die erste Stufe der Karriereleiter zerbricht

Die Erosion der Einstiegsjobs hat eine Konsequenz, die weit über individuelle Schicksale hinausgeht: Sie droht die gesamte „Talent Pipeline“ der Wirtschaft zu zerstören. Unternehmen, die heute kurzfristig Lohnkosten sparen, indem sie Berufsanfänger durch Algorithmen ersetzen, sägen am Ast, auf dem ihre zukünftige Führungsebene sitzen sollte. Denn eine Karriere ist mehr als die Summe erledigter Aufgaben. Die ersten Berufsjahre sind traditionell die Zeit, in der nicht nur technische Fähigkeiten, sondern vor allem unschätzbares „stillschweigendes Wissen“ (tacit knowledge) erworben wird.

Dieses Wissen lässt sich nicht in einem Online-Kurs oder von einem Chatbot vermitteln. Es geht darum, durch Beobachtung älterer Kollegen zu lernen, wie man mit typischen Fallstricken einer Branche umgeht, wie man ethische Grauzonen navigiert, was gutes Management ausmacht oder wie man Konflikte mit schwierigen Kollegen löst. Wenn diese menschliche Interaktion und das Lernen am Modell wegfallen, woher sollen dann die erfahrenen, umsichtigen und sozial kompetenten Fach- und Führungskräfte von morgen kommen?

Diese Krise der praktischen Ausbildung trifft auf ein Hochschulsystem, das selbst unter enormen Druck gerät. Seit Jahrzehnten rechtfertigen Universitäten stetig steigende Studiengebühren mit dem Versprechen eines besseren Einkommens – dem Lohnvorteil eines Abschlusses. Doch was ist dieser Abschluss noch wert, wenn die Kernkompetenzen, die er vermittelt – die Fähigkeit zur Recherche, zum kritischen Lesen und zum Verfassen kohärenter Texte – von KI-Systemen zunehmend deklassiert werden? Universitäten stehen vor der existenziellen Herausforderung, ihre Lehrpläne radikal zu überdenken. Sie müssen sich darauf konzentrieren, Fähigkeiten zu fördern, die KI (noch) nicht beherrscht: echtes kritisches Denken, komplexe Problemlösung in unstrukturierten Umgebungen und die Fähigkeit, KI-Werkzeuge als kompetenter Gutachter zu bewerten, statt nur als Anwender zu bedienen. Gelingt dieser Wandel nicht, droht dem Hochschulwesen eine massive Abwertung, die viele Institutionen nicht überleben werden.

Staatsexperiment KI: Effizienzgewinn gegen Sicherheitsrisiko

Während der Privatsektor die Grundlagen der Wissensarbeit neu ordnet, vollzieht sich im staatlichen Sektor eine nicht minder dramatische Entwicklung. Die Trump-Administration treibt mit Nachdruck eine aggressive Agenda zur Automatisierung der Bundesverwaltung voran. Unter dem Banner von Effizienz und „amerikanischer KI-Dominanz“ werden Behörden gedrängt, KI-Systeme schnell und umfassend zu übernehmen. Dafür wurden sogar Sicherheitsvorkehrungen und ethische Leitplanken der Vorgängerregierung gezielt demontiert.

Die Bandbreite der Projekte ist atemberaubend und berührt die Kernaufgaben des Staates. Das Pentagon erweitert massiv den Einsatz von KI-Systemen wie NGA Maven, die Satelliten- und Drohnenbilder analysieren, um potenzielle Ziele zu identifizieren und zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden. Dafür wurden Verträge im Wert von Hunderten Millionen Dollar mit führenden KI-Anbietern wie Google, OpenAI, Anthropic und auch Elon Musks umstrittenem Unternehmen xAI geschlossen, dessen Chatbot Grok erst kürzlich durch antisemitische Ausfälle negativ auffiel. Die Federal Aviation Administration (FAA) testet den Einsatz von KI zur Unterstützung von Fluglotsen, auch um Personalengpässe zu kompensieren. Die Steuerbehörde IRS prüft die Automatisierung von Steuerprüfungen, und an Flughäfen wird die Gesichtserkennung der TSA zur Standardprozedur.

Dieser unbedingte Wille zur Automatisierung schafft einen fundamentalen Zielkonflikt. Auf der einen Seite steht das Versprechen, den Staat schlanker, schneller und kostengünstiger zu machen. Auf der anderen Seite stehen die enormen Risiken einer Technologie, die nachweislich unzuverlässig und voreingenommen sein kann. Die dokumentierten Fälle sind alarmierend. Der bereits erwähnte Ausfall von Grok zeigt, wie schnell KI-Modelle toxische Inhalte produzieren können. Noch besorgniserregender ist der Fall des REACH VET-Algorithmus des Veteranenministeriums. Dieses System sollte suizidgefährdete Veteranen identifizieren, priorisierte aber systematisch weiße Männer und ignorierte Risikofaktoren für weibliche Veteranen, sodass diese seltener die dringend benötigte Hilfe erhielten. Solche Vorfälle sind keine Kinderkrankheiten. Sie stellen die gesamte Strategie der schnellen, unkritischen Implementierung in Frage und werfen die beunruhigende Frage auf, ob der Staat im Rausch der Effizienz seine Fürsorgepflicht gegenüber den Bürgern aufs Spiel setzt.

Der menschliche Faktor: Überlebensstrategien im Zeitalter der Automatisierung

Angesichts dieser doppelten Disruption durch Privatwirtschaft und Staat stellt sich für jeden Einzelnen in einem Wissensberuf die drängende Frage nach der eigenen Zukunft. Die Passivität der Masse, die das Thema KI achselzuckend abtut, ist dabei die gefährlichste Haltung. Stattdessen, so argumentieren Vordenker, muss jeder zu einer Art „KI-Prepper“ werden – nicht im Sinne eines Weltuntergangspropheten, sondern im Sinne einer strategischen Vorbereitung auf den unvermeidlichen Wandel.

Die empfohlene „Go-Bag“ für die neue Arbeitswelt enthält drei wesentliche Elemente. Erstens: die aktive und tiefe Beherrschung der KI-Werkzeuge. Es reicht nicht, ChatGPT als besseres Google zu benutzen. Man muss die neuesten Entwicklungen verfolgen, wöchentlich mit den Systemen experimentieren und ihre Grenzen – und die eigenen – ausloten. Der Versuch, die KI den eigenen Job machen zu lassen, ist nur der erste Schritt. Zweitens muss man sich auf jene Fähigkeiten konzentrieren, die KI ergänzen, anstatt mit ihr zu konkurrieren. Das bedeutet eine bewusste Abkehr von reiner Daten- und Textanalyse und eine Hinwendung zu Aufgaben, die auf menschlicher Interaktion und physischer Präsenz basieren. Für einen Journalisten könnte das bedeuten, mehr Zeit auf den Aufbau von Quellen zu verwenden als auf die Analyse von Regierungsdaten. Die These lautet: In einer Welt voller automatisierter Analysen wird authentische menschliche Verbindung zur wertvollsten Ressource.

Doch selbst diese Strategie ist mit Unsicherheit behaftet. Das dritte Element im Überlebenspaket ist daher die radikale Akzeptanz, dass alle Prognosen falsch sein könnten. Vielleicht stellt sich heraus, dass ein perfekt programmierter Roboter für viele Menschen ansprechender ist als „authentische Menschlichkeit“. Ein Experiment auf der Plattform Reddit, bei dem Chatbots signifikant überzeugender argumentierten als menschliche Nutzer, ist ein beunruhigender Hinweis in diese Richtung. Permanente Wachsamkeit und die Bereitschaft, die eigene Strategie jederzeit über den Haufen zu werfen, werden zur Schlüsselkompetenz.

Eine Revolution im Zeitraffer: Warum uns die Zeit zur Anpassung davonläuft

Was diesen technologischen Wandel von allen früheren industriellen Revolutionen unterscheidet, ist seine schwindelerregende Geschwindigkeit. Der Entwicklungszyklus von KI ist kürzer als bei jeder Technologie zuvor. Die Annahme, man könne die Entwicklung beobachten und sich dann in Ruhe anpassen, ist ein Trugschluss. Selbst wenn die KI-Forschung heute auf dem aktuellen Niveau stagnieren würde, würde es nach Einschätzung von Experten ein Jahrzehnt dauern, allein die bereits vorhandenen Möglichkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren – ein Jahrzehnt tiefgreifender Umbrüche wäre also bereits „eingebacken“.

Diese Geschwindigkeit setzt Unternehmen unter enormen Druck, was zu überhasteten Entscheidungen führt. Das schwedische Finanzunternehmen Klarna ersetzte seine Kundendienstmitarbeiter durch KI-Chatbots, nur um nach massiven Kundenbeschwerden wieder Menschen einstellen zu müssen – ein Lehrstück über die Risiken einer verfrühten Implementierung. Manche Firmen gehen diese Wette bewusst ein, in der Hoffnung, dass sich die Systeme schnell genug verbessern und die kurzfristigen Einsparungen den Ärger der Kunden aufwiegen. Langfristig droht jedoch ein Vertrauensverlust. Noch kritischer ist, dass selbst die bloße Erwartung, dass Einstiegsjobs bald automatisiert werden, Unternehmen dazu verleitet, schon heute Investitionen in Ausbildung und Mentoring für junge Mitarbeiter zurückzufahren. Man investiert nicht in eine Ressource, die man bald abzuschreiben gedenkt.

Wir erleben eine Revolution im Zeitraffer, die Gesellschaft, Politik und Bildungssystemen kaum Zeit zur Reaktion lässt. Die gemächlichen Anpassungsprozesse, die frühere technologische Umbrüche begleiteten, greifen hier nicht mehr. Die Investment- und Adaptionszyklen geschehen in einem atemberaubenden Tempo. Dieser Umstand allein erfordert ein völlig neues Denken in der Politik und bei den Sozialpartnern. Doch anstatt eine breite gesellschaftliche Debatte über die Steuerung dieser Entwicklung zu führen, scheinen wir uns einem technologischen Determinismus zu ergeben, bei dem die kurzfristigen Interessen von Unternehmen und geopolitischen Strategen die Weichen für die Zukunft aller stellen. Der kalte Start in die KI-Ära ist vor allem deshalb so gefährlich, weil er ohne Plan, ohne Leitplanken und ohne ein gemeinsames Verständnis für die langfristigen Konsequenzen erfolgt. Die größte Herausforderung besteht nicht darin, die KI aufzuhalten, sondern sie endlich klug zu gestalten.

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