Der kalte Handel: Wie der Krieg in der Ukraine zum Geschäft wird

Illustration: KI-generiert

Während in den Schützengräben des Donbass der vierte Kriegswinter hereinbricht und russische Raketen die ukrainische Infrastruktur zermürben, zeichnen sich in den Hinterzimmern der Macht die Konturen einer neuen Weltordnung ab. Es ist eine Ordnung, in der Moral zur Währung wird und Friedenspläne wie Immobilienprospekte gehandelt werden. Die Luft in Kiew ist in diesen Tagen schneidend kalt, doch die eigentliche Kälte, die durch die Regierungsflure der ukrainischen Hauptstadt zieht, hat ihren Ursprung tausende Kilometer westlich. In Washington scheint die Entscheidung gefallen zu sein, den blutigsten Konflikt auf europäischem Boden seit 1945 nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Verhandlungstisch zu beenden – und zwar zu Bedingungen, die eher an eine feindliche Übernahme erinnern als an klassische Diplomatie. US-Präsident Donald Trump zeigt sich enttäuscht, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den neuesten US-Friedensvorschlag angeblich „noch nicht gelesen“ habe. Dabei dürfte Selenskyj jedes Wort kennen, und genau das ist das Problem: Der Entwurf liest sich in weiten Teilen so, als wäre er im Kreml redigiert worden.

Moskau signalisiert bereits Zustimmung und sieht die eigenen Interessen gewahrt, während das Papier für Kiew einer Kapitulationsurkunde auf Raten gleicht. Doch während die Weltöffentlichkeit noch über Gebietsabtretungen und Sicherheitsgarantien debattiert, läuft im Hintergrund längst ein anderes Spiel. Es geht nicht mehr nur um Grenzen, sondern um Bodenschätze, um Energie und um den Zugriff auf die Ressourcen der Zukunft. Der Krieg in der Ukraine droht, zu einem bloßen Posten in einer globalen Bilanzrechnung zu verkommen.

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Die Geopolitik der Gier: Rohstoffe statt Recht

Parallel zu den offiziellen Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe haben US-Investoren längst diskrete Kanäle nach Moskau geöffnet. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet jene Sanktionsmauer, die den Westen vor russischem Einfluss schützen sollte, nun Risse bekommt – nicht durch politischen Druck, sondern durch die Verlockung des Profits. Im Fokus stehen lukrative Großprojekte: Seltene Erden aus den Weiten Sibiriens und Erdgas aus der Arktis sowie dem Ochotskischen Meer. Die Motivation der Amerikaner ist pragmatisch und strategisch zugleich: Bei den für die Hightech-Industrie unverzichtbaren Seltenen Erden sind die USA bislang in einer schmerzhaften Abhängigkeit von China gefangen. Russland verfügt über gewaltige Vorkommen – schätzungsweise ein Fünftel der weltweiten Reserven –, ist aber technologisch nicht in der Lage, diese effizient zu fördern.

Hier öffnet sich das Fenster für den „Deal“: Amerikanisches Kapital und Know-how treffen auf russische Rohstoffe. Trump selbst hat diesen Tauschhandel unverblümt skizziert und betont, er wolle Mineralien auf russischem Boden kaufen. Für den Kreml wäre eine solche Kooperation ein Geschenk des Himmels, weshalb Wladimir Putin versucht, Trump mit genau diesen Investitionsprojekten zu ködern. Die Vision reicht weit: Sogar eine Rückkehr des US-Giganten Exxon Mobil zum Sachalin-Projekt im Pazifik, das der Konzern nach der Invasion verlassen hatte, wird hinter vorgehaltener Hand bereits diskutiert. Auch die gemeinsame Erschließung der Arktis gilt als mögliches Kooperationsfeld, wobei russische Unterhändler glauben, dass eine Zusammenarbeit in allen Bereichen der Region möglich sei. Es scheint, als solle der Frieden durch Wirtschaftsinteressen erkauft werden – eine Strategie, die Putins imperiale Ziele jedoch völlig verkennt.

Der 28-Punkte-Plan: Ein Diktatfrieden?

Der diplomatische Hebel für diese wirtschaftlichen Ambitionen ist jener 28-Punkte-Plan, der in Kiew für Entsetzen sorgt. Er impliziert, dass die Ukraine Gebiete im Donbass, die Russland noch nicht einmal vollständig militärisch erobert hat, faktisch aufgeben müsste. Zudem soll Kiew auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichten. Es ist ein Szenario, das die Souveränität des Landes beschneidet und russische Gebietsgewinne zementiert. Dass Trump behauptet, Selenskyj habe das Papier nicht gelesen, während seine eigenen Leute es „lieben“ würden, ist mehr als eine rhetorische Spitze. Es ist eine bewusste Demütigung und ein taktisches Manöver, um den ukrainischen Präsidenten als Verhinderer des Friedens darzustellen, während Russland sich als kooperativ inszenieren kann.

Selenskyj versucht, in diesem rhetorischen Kreuzfeuer die Würde zu wahren, spricht von „konstruktiven“, aber „nicht einfachen“ Gesprächen und betont, dass die Ukraine eine eigene Vision für den Donbass habe. Doch der Druck ist immens. Die USA nutzen dabei perfide die Abhängigkeit der Ukraine von Waffenlieferungen, um sie an den Verhandlungstisch zu zwingen, an dem auch über die eigenen Ressourcen verhandelt wird – Kiew hatte bereits angeboten, Rohstoffe im Tausch für militärische Hilfe zu liefern.

Asymmetrische Antwort: Die Jagd auf die Schattenflotte

In die Enge getrieben, greift die Ukraine zu Mitteln der asymmetrischen Kriegsführung. Wenn der Westen die Sanktionen nicht durchsetzt, tut es Kiew eben selbst – mit Gewalt. Ziel ist die russische „Schattenflotte“, jene Armada aus oft veralteten Tankern, mit denen Moskau sein Öl an den westlichen Sanktionen vorbei verschifft und so die Kriegskasse füllt. Die Angriffe auf Tanker wie die „Kairos“ oder die „Virat“ im Schwarzen Meer sind Nadelstiche gegen die finanzielle Aorta des Kremls. Ukrainische Seedrohnen jagen diese Schiffe, setzen Maschinenräume in Brand und zwingen Reedereien, ihre Routen zu überdenken. Das Kalkül ist klar: Das Risiko für Reeder und Versicherer soll so hoch getrieben werden, dass der Transport von russischem Öl unrentabel wird; bereits jetzt steigen die Kosten für Kriegsversicherungen.

Doch diese Strategie ist ein Tanz auf der Rasierklinge. Die ökologischen Risiken sind immens; ein getroffener, voll beladener Tanker könnte eine Umweltkatastrophe im Schwarzen Meer auslösen. Politisch ist der Preis ebenfalls hoch. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wertet die Angriffe in seiner Wirtschaftszone als inakzeptable Eskalation und spricht von einer Gefährdung der Sicherheit. Putin nutzt die Vorfälle dankbar, um die Ukraine der „Piraterie“ zu bezichtigen und sich selbst als Hüter des Völkerrechts zu inszenieren – eine groteske Verdrehung der Tatsachen angesichts seines eigenen Angriffskrieges. Gleichzeitig provoziert die Beschädigung der Kaspi-Pipeline-Infrastruktur Kasachstan, einen wichtigen, wenn auch passiven Akteur, der um seine Exporterlöse fürchtet.

Europas Ohnmacht und der Paradigmenwechsel

Während Washington und Moskau die Karten neu mischen, steht Europa am Rand und sieht zu, wie seine Sicherheitsarchitektur zerbröselt. Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA gleicht einer Ohrfeige für die transatlantischen Partner: Russland wird darin nicht mehr primär als Bedrohung definiert, sondern als potenzieller Partner für „strategische Stabilität“. Die EU hingegen wird als instabiles Gebilde beschrieben, getragen von Minderheitsregierungen, deren Kurs „korrigiert“ werden müsse. In London versuchen Bundeskanzler Friedrich Merz, der britische Premier Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verzweifelt, eine gemeinsame Linie zu finden. Merz äußert sich „skeptisch“ über den US-Plan, doch die Handlungsoptionen der Europäer sind begrenzt.

Ein zentraler Streitpunkt bleibt das eingefrorene russische Staatsvermögen. Belgien, wo der Großteil der Gelder bei Euroclear lagert, blockiert die Nutzung für die Ukraine aus Angst vor rechtlichen und finanziellen Risiken. Merz versucht, diese Blockade durch das Versprechen einer europäischen Risikoteilung zu lösen, um die Ukraine finanziell über Wasser zu halten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Idee eines gemeinsamen Investitionsfonds, bei dem eingefrorene russische Gelder für den Wiederaufbau genutzt werden, klingt auf dem Papier gut – doch der Haken ist groß: Die USA sollen federführend sein und die Hälfte der Profite einstreichen. Selbst hier wird die Hilfe zum Geschäft.

Der Feind im Inneren: Korruption und Erosion

Als wäre der Druck von außen nicht genug, droht die Ukraine von innen zu erodieren. Ein massiver Korruptionsskandal erschüttert das Vertrauen der westlichen Partner und der eigenen Bevölkerung. Im Zentrum steht Energoatom, der staatliche Atomkraftwerksbetreiber, bei dem 100 Millionen Dollar veruntreut worden sein sollen. Die Spuren führen bis in den engsten Machtzirkel: Präsidentenberater Timur Minditsch und sogar der einstige Stabschef Andrij Jermak, Selenskyjs wichtigster Vertrauter und Verhandler, sind involviert. Jermak musste bereits zurücktreten. Für Selenskyj ist das eine Katastrophe. Er, der einst antrat, das System zu säubern, sieht sich nun gezwungen, Allianzen mit fragwürdigen Figuren einzugehen und Anti-Korruptions-Standards unter dem Deckmantel des Kriegsrechts aufzuweichen.

Die Folgen sind fatal: Wichtige Reformen bei Zoll und Steuerbehörden werden verschleppt, weil sie die Pfründe der Korrupten gefährden würden. Das Resultat: Die EU und der IWF halten dringend benötigte Milliardenhilfen zurück, da Reformzusagen nicht eingehalten wurden. Das Haushaltsloch für 2026 klafft weit: Allein 45 Milliarden Dollar fehlen. Ohne westliches Geld kollabiert der Staat, noch bevor die Armee besiegt ist. Die Ukraine kämpft an zwei Fronten – gegen die russischen Invasoren und gegen die Gier der eigenen Eliten.

Schatten über Tschernobyl

Wie fragil die Lage ist, zeigt sich symbolisch an einem Ort, der wie kein anderer für Katastrophen steht: Tschernobyl. Ein russischer Drohnenangriff hat die Schutzhülle des Reaktors beschädigt. Zwar sind die Strahlenwerte noch stabil, doch eine Reparatur ist aufgrund der Strahlung unmöglich. Es ist eine Mahnung, dass in diesem Krieg keine roten Linien mehr existieren. Russland greift gezielt Staudämme wie in Petschenihi an, um Nachschubrouten zu kappen und Zivilisten zu terrorisieren. Der Winter wird, wie Kiew warnt, erneut als Waffe eingesetzt.

Fazit: Das Ende der Illusionen

Die Ukraine steht vor dem wohl dunkelsten Kapitel ihrer jungen Geschichte. Der Westen, einst Garant für Werte und Recht, droht unter der Führung Trumps in einen zynischen Pragmatismus zu verfallen, in dem Souveränität verhandelbar und Gerechtigkeit käuflich ist. Wenn Frieden nur noch bedeutet, dass die Waffen schweigen, damit die Bohrer dröhnen können, dann hat Putin sein Ziel erreicht: Er hat nicht nur Land gewonnen, sondern die Prinzipien der liberalen Weltordnung ausgehöhlt. Für Selenskyj bleibt kaum noch Spielraum. Er muss einen Krieg führen, ohne ihn finanzieren zu können; er muss verhandeln, ohne etwas anbieten zu wollen; und er muss sein Land zusammenhalten, während es von innen und außen zerrieben wird. Die Frage ist nicht mehr nur, ob die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann. Die Frage ist, ob sie den Frieden überleben wird, der ihr jetzt aufgezwungen werden soll.

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