Der Irrtum von Arizona: Amerikas Griff nach der Chip-Macht

Illustration: KI-generiert

Die Bilder aus Arizona sind für die zweite Amtszeit von Donald Trump Gold wert. Einhundert Milliarden Dollar will die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), der unangefochtene Weltmarktführer für Mikrochips, in der US-Wüste investieren. Sechs Fabriken sollen dort entstehen, wo Washington die technologische Unabhängigkeit Amerikas wiederherstellen will. Nach Jahren der Subventionen unter der Biden-Administration, die den CHIPS Act initiierte, zwingt die Trump-Regierung den taiwanischen Giganten nun mit der Androhung drakonischer Zölle endgültig in die Knie. Der Präsident feiert die Schaffung von 25.000 Arbeitsplätzen und die Rückkehr der wichtigsten Lieferkette der Welt auf amerikanischen Boden.

Doch dieser Triumph ist trügerisch. Er basiert auf einem fundamentalen Mißverständnis dessen, was die globale Dominanz von TSMC eigentlich ausmacht. Washington kauft Maschinen, Gebäude und Prozesse; es kauft die Hardware. Aber es kauft nicht die „Software“ – jene einzigartige, fast unheimliche Verbindung aus kulturellem Gehorsam, ingenieurtechnischer Besessenheit und einer 100-Stunden-Arbeitswoche, die das wahre Geheimnis von Hsinchu, dem taiwanischen Silicon Valley, ist.

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Während Amerika versucht, eine Kopie von TSMC in der Wüste zu errichten, bröckelt in Taiwan selbst das soziale Fundament dieses Erfolgsmodells. Und während der Westen sich im Kampf um die 2-Nanometer-Technologie zerfleischt, bereitet China, durch Sanktionen vom High-End-Markt ausgesperrt, die strategische Übernahme der globalen Märkte für „dumme“ Chips vor. Amerikas Strategie, die Abhängigkeit von Asien zu beenden, könnte am Ende nur die Art der Abhängigkeit verschieben und den wahren Rivalen stärken.

Intels technologische Hybris

Um die amerikanische Chip-Politik zu verstehen, muß man den Zustand des einstigen nationalen Champions betrachten: Intel. Der Konzern, der einst Silicon Valley definierte, ist ein gefallener Gigant. Er hat den technologischen Anschluß an TSMC verloren, insbesondere bei der Implementierung der entscheidenden ASML-Lithografiemaschinen. Während TSMC 90 Prozent der modernsten Chips für Apple, Nvidia und die gesamte KI-Revolution produziert, kämpft Intel um seine Existenz.

Die Antwort des Konzerns ist eine Wette, die man nur als Hybris bezeichnen kann. Unter dem Vorgänger des heutigen CEO Lip-Bu Tan wurde eine Strategie ausgerufen, die Branchenkenner den Kopf schütteln läßt: Fünf neue Produktionsprozesse sollen in nur vier Jahren eingeführt werden. Intel bricht damit seine eigene goldene Regel, technologische Sprünge bei der Fertigung und beim Chip-Design zu staffeln. Stattdessen versucht man nun beides gleichzeitig: Der neue 18a-Prozeß und das neue Design „Panther Lake“ sollen zeitgleich die Wende bringen – eine Operation am offenen Herzen, bei der die kleinste Abweichung, ein Staubkorn, Milliardenverluste bedeuten kann.

Die Realität ist ernüchternd. Ende 2024 lag die „Yield Rate“ – der wichtigste Effizienzwert, der den Anteil funktionierender Chips pro Wafer mißt – bei Intels 18a-Prozeß bei unter zehn Prozent. TSMC erreichte zur selben Zeit bei seinem vergleichbaren Prozeß bereits 30 Prozent. Intel muß potenzielle Kunden durch seine neue „Fab 52“ in Arizona führen und um Vertrauen werben, das es längst verloren hat. Es muß beweisen, daß es seine eigenen Chips fehlerfrei fertigen kann, bevor es hoffen darf, „Anker-Kunden“ wie Nvidia oder Apple von TSMC abzuwerben.

Der Widerspruch der Trump-Administration

In dieses Vakuum stößt der Staat. Die Trump-Administration pumpte im August 8,9 Milliarden Dollar aus den Mitteln des CHIPS Act in das Unternehmen und erhielt dafür 10 Prozent der Anteile. Intel ist nun ein teilverstaatlichter Konzern. Diese massive Intervention zeigt die Panik in Washington, offenbart aber auch die tiefen Widersprüche der amerikanischen Industriepolitik.

Wie verzweifelt die Lage ist, zeigten Gespräche, die im Vorfeld stattfanden. Frank Yeary, Intels Interimschef, verhandelte mit der Trump-Administration und TSMC-Führungskräften über einen radikalen Plan: die Abspaltung von Intels maroder Fertigungssparte und deren Übergabe an ein Konsortium, das von TSMC angeführt werden sollte. Howard Lutnick, Trumps Handelsminister, war in diese Gespräche involviert. Man erwog ernsthaft, Amerikas letzten großen Chiphersteller ausgerechnet jenem taiwanischen Rivalen zu unterstellen, dessen Dominanz man eigentlich brechen will. Dieses Manöver scheiterte, doch es entlarvt das Kalkül. Der Trump-Administration ging es nie um die Rettung von Intel als Unternehmen, sondern um die Kontrolle über die physischen Fabriken auf US-Boden. Ob diese nun „Intel“ oder „TSMC“ heißen, ist zweitrangig.

Diese Politik, eine Mischung aus Subvention und Erpressung, gipfelte in der 100-Milliarden-Dollar-Ankündigung von TSMC. Das Unternehmen hatte zuvor bereits 65 Milliarden Dollar zugesagt, um die Gelder aus dem CHIPS Act zu erhalten. Trumps Androhung von Zöllen von 25 Prozent oder mehr war die Peitsche, die TSMC-Chef C.C. Wei dazu brachte, die Investition zu erhöhen und die Produktion modernster KI-Chips in Arizona zuzusagen. TSMC mußte sich entscheiden: Entweder es verliert seine wichtigsten Kunden durch Zölle oder es transferiert seine Kronjuwelen in die USA. Es wählte letzteres und opfert damit ein Stück seines „Silikonschilds“ – jener strategischen Doktrin, die besagt, daß der Westen Taiwan verteidigen muß, solange die Weltwirtschaft von dessen Chips abhängt.

Das unkopierbare Rezept von Hsinchu

Die entscheidende Frage, die in Washington ignoriert wird, lautet: Kann eine TSMC-Fabrik in Arizona überhaupt wie eine TSMC-Fabrik in Hsinchu funktionieren? Die Quellen legen nahe: Nein. Das Geheimnis von TSMC ist nicht die Technologie allein. Es ist, wie die Britische BBC es einmal verglich, der Unterschied zwischen einem Rezept und einem Sternekoch. TSMC ist der Sternekoch. Das Erfolgsgeheimnis heißt „Genauigkeit“ und „Fertigungsexzellenz“, erreicht durch eine Form von „Fleißarbeit“, die im Westen kaum vorstellbar ist.

Mitarbeiter wie der Ingenieur Kevin Lin sind der Schlüssel. Lin arbeitet 70 bis 80 Stunden pro Woche, Kollegen bis zu 100. Er ist für 40 Prozeßschritte an 20 Maschinen verantwortlich. Wenn ein Fehler auftritt, muß er ihn sofort beheben, die Maschine kalibrieren, Berichte schreiben. Für kleinste Fehler wird ihm der Bonus gekürzt, der zwei Drittel seines Lohns ausmacht. Er wird vor dem Team zur Rede gestellt. Das System basiert auf persönlicher Verantwortung und permanentem Druck, die „Yield Rate“ zu maximieren.

Dieser Ansatz ist kulturell tief verwurzelt. Er geht zurück auf die „Pioniere“ wie Chintay Shih, der in den 1970er Jahren eine Gruppe junger Ingenieure in die USA führte, um die Halbleitertechnologie von RCA zu lernen. Für sie war es eine Mission, getrieben von der Verzweiflung, Taiwans Zukunft zu sichern. „Scheitern ist keine Option“, war die Devise. Diese Mentalität ist bis heute spürbar. Insider berichten, daß bei einer Taifun-Warnung die Straßen zu den Fabriken in Hsinchu verstopft sind, weil die Ingenieure hinfahren, um die Maschinen vor Erschütterungen zu schützen und neu zu kalibrieren. Das Wort, das in der Recherche immer wieder fällt, ist „Obedience“ – Gehorsam, Fügsamkeit. Es ist eine Arbeitsmoral, die, wie mehrere Gesprächspartner betonen, in Europa oder Amerika „nicht möglich“ wäre.

Die soziale Erosion des „Silikonschilds“

Genau dieses Fundament beginnt in Taiwan zu erodieren. Das „Geheimrezept“ geht zur Neige. Die neue Generation von Ingenieuren ist nicht mehr bereit, den Preis zu zahlen, den die Pioniere zahlten. Wenn man Kevin Lin fragt, ob er stolz auf seine Arbeit ist, lautet die Antwort: „Vor allem bin ich müde“. Er will finanziell unabhängig werden – das Gehalt ist mit rund 100.000 Euro exzellent – und dann kündigen. Viele seiner Mitstudenten sind schon weg. Hsinchu, das Zentrum des Wunders, wird als soziale Wüste beschrieben, ein Ort, der ausschließlich für die Bedürfnisse der Chipindustrie gebaut wurde. Ab 20 Uhr sind die Bürgersteige hochgeklappt. Die Work-Life-Balance, nach der Gründer Morris Chang (94) in einem Museumsvideo gefragt wird, quittiert dieser mit Unverständnis.

Die Konsequenzen dieser eindimensionalen Kultur sind dramatisch. Im „Mama Team Up“ treffen sich Ehefrauen von Ingenieuren, die ihre Männer so gut wie nie sehen. Die Väter seien für die Firma permanent erreichbar, für die Familie nie. Die Frauen berichten von Burn-out und zerrütteten Beziehungen. TSMC verliert schleichend seine wichtigste Ressource: die bedingungslose Aufopferung seiner Mitarbeiter. Gleichzeitig wird das Unternehmen durch Spionage verwundbar. Erst im August 2025 wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen durch Mitarbeiter am sensiblen Standort Hsinchu bekannt.

Chinas strategische Flut

Der geopolitische Wettlauf wird durch die Strategie Pekings zusätzlich verkompliziert. China ist durch internationale Sanktionen von den modernsten Maschinen, etwa für die 3-Nanometer-Produktion, abgeschnitten. Doch statt zu kapitulieren, verfolgt Peking einen brillanten, wenn auch ökonomisch absurden Plan: Die Kommunistische Partei investiert Unsummen in die Produktion sogenannter „ausgereifter“ Chips – jener Halbleiter, die nicht in iPhones oder KI-Servern stecken, sondern in Autos, Waschmaschinen, Industriesteuerungen und Militärtechnik. Während westliche Firmen 30 bis 50 Prozent des Gewinns reinvestieren, liegen die Raten chinesischer Firmen bei 80 bis 140 Prozent.

Das Ziel ist nicht Profit, sondern Marktverdrängung. Aktuell produziert Taiwan noch rund 45 Prozent dieser reifen Chips, China etwa 30 Prozent. Prognosen zufolge wird sich das Verhältnis bis 2027 umkehren: China steigt auf 47 Prozent, Taiwans Anteil fällt auf 36 Prozent. Peking kopiert damit exakt die Strategie, mit der Taiwan selbst in den 1980er Jahren (damals mit Chips für Telefone) den Markt aufrollte. China flutet den Weltmarkt und greift Taiwans wirtschaftliches Fundament an, während die USA sich auf das High-End-Segment fokussieren.

Gekaufte Hardware, fehlende Software

Hier schließt sich der Kreis. Die Trump-Administration hat TSMC gezwungen, seine modernsten Fabriken in ein Land zu verpflanzen, dessen Arbeitskultur mit der taiwanesischen inkompatibel ist. Man importiert die Hardware, aber die Software – der „Gehorsam“, die Präzision, die 100-Stunden-Woche – läßt sich nicht verpflanzen. TSMC in Arizona wird bestenfalls eine teure, subventionierte Zweitniederlassung bleiben, aber niemals das Herz der Innovation ersetzen.

Gleichzeitig wird der nationale Champion Intel mit Milliarden künstlich beatmet, während er eine technologische Wette eingeht, die selbst im ErfolgsFalle Jahre brauchen wird, um TSMCs „Yield Rate“ auch nur zu erreichen. Howard Lutnicks Vorschlag, die Produktion 50/50 zwischen den USA und Taiwan aufzuteilen, ignoriert die Realität, daß die Kosten und die Innovationsgeschwindigkeit untrennbar mit dem Ökosystem Hsinchu verbunden sind.

Taiwans „Silikonschild“ erodiert derweil von zwei Seiten: von außen durch die erzwungene Technologiediversifizierung durch die USA, und von innen durch die soziale Erschöpfung der eigenen Bevölkerung. Washingtons Politik, so erfolgreich sie kurzfristig bei der Ansiedlung von Fabriken erscheinen mag, ist gefährlich kurzsichtig. Sie könnte Amerikas Abhängigkeit von Taiwan lediglich durch eine Abhängigkeit von einer dysfunktionalen Intel oder einer kulturell entkernten TSMC-Dependance ersetzen. Der wahre Gewinner dieses Titanenkampfes könnte in Peking sitzen, das zusieht, wie sich die Konkurrenten im High-End-Segment aufreiben, während es selbst still und leise die Kontrolle über die fundamentalen Bausteine der globalen Industrie übernimmt.

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