Der hohe Preis der Illusion: Wie Trumps Wirtschaftskrieg die eigene Basis frisst

Illustration: KI-generiert

Ein Jahr nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus verspricht der Präsident ein goldenes Zeitalter, doch die Realität an den Ladenkassen erzählt eine andere Geschichte. Während Donald Trump ökonomische Kritik als Verschwörung abtut und den Aktienmarkt feiert, frisst sich die Inflation tief in den Alltag der amerikanischen Mittelschicht. Eine Analyse des Risses, der sich durch Amerika zieht – zwischen protektionistischen Träumen und der harten Währung der Realität.

Es entbehrt nicht einer gewissen literarischen Ironie, dass Donald Trump ausgerechnet ein Casino in den Pocono Mountains wählte, um den Amerikanern zu erklären, dass sie eigentlich gerade den Jackpot geknackt haben. Draußen, in der realen Welt der Supermärkte und Tankstellen von Pennsylvania, fühlt sich das Leben im Dezember 2025 jedoch ganz anders an. Dort kämpfen die Menschen nicht mit einem Überfluss an Gewinnen, sondern mit einer zähen, beständigen Teuerung, die sich wie eine Schlinge um ihr Haushaltsbudget legt.

Wir stehen fast genau ein Jahr nach Trumps zweitem Amtsantritt an einem wirtschaftlichen Scheideweg. Das zentrale Versprechen seiner Kampagne, durch radikale Zölle die nationale Ökonomie zu „befreien“ und Arbeitsplätze zurückzuholen, kollidiert frontal mit der ökonomischen Schwerkraft. Die Diskrepanz zwischen der triumphalen Rhetorik des Weißen Hauses und der Lebensrealität in den Swing States war selten größer. Was als protektionistischer Schutzwall gedacht war, entwickelt sich zunehmend zu einem Käfig aus steigenden Kosten, der ausgerechnet jene Wählerklientel einschließt, die Trump zurück ins Amt gehoben hat.

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Das mathematische Mirakel der Zolleinnahmen

Im Zentrum von Trumps wirtschaftspolitischer Erzählung steht eine Rechnung, die so verlockend wie waghalsig ist. Der Präsident suggeriert, dass die Einnahmen aus den massiv erhöhten Importzöllen – die höchsten seit 1930 – nicht nur ausreichen würden, um die Staatsschulden von über 38 Billionen Dollar abzutragen. Er geht sogar noch weiter und stellt in Aussicht, dass diese Einnahmen die Einkommensteuer in naher Zukunft gänzlich überflüssig machen könnten. Es ist eine Vision von fiskalischer Alchemie: Das Ausland zahlt, der Amerikaner profitiert.

Doch ein Blick in die Bücher des Finanzministeriums offenbart die Brüchigkeit dieser Logik. Während die US-Regierung in diesem Jahr rund 250 Milliarden Dollar an Zolleinnahmen verbuchen konnte, stehen dem Einnahmen aus der Einkommensteuer von über 2,6 Billionen Dollar gegenüber. Die Lücke ist gigantisch, die versprochene Ablösung der Steuerlast reine Fantasie. Die Zahlen gehen schlicht nicht auf. Statt eines Schuldenabbaus droht eine Verschärfung der Defizite, denn die Zölle wirken faktisch nicht als Einnahmequelle, die von China oder Europa beglichen wird, sondern als Verbrauchssteuer, die am Ende an der amerikanischen Ladenkasse fällig wird.

Die Absurdität dieser wirtschaftlichen Zirkelschlüsse zeigt sich nirgendwo deutlicher als in der Landwirtschaft. Eigentlich sollten die Zölle ausländische Märkte „aufbrechen“ und Barrieren niederreißen. Stattdessen haben sie zu vorhersehbaren Vergeltungsmaßnahmen geführt. China boykottierte über weite Strecken des Jahres US-Agrargüter, was die Preise für Sojabohnen und andere Erzeugnisse drückte. Um den politischen Schaden bei seiner Kernwählerschaft zu begrenzen, sah sich Trump gezwungen, 12 Milliarden Dollar an Nothilfen auszuschütten.

Er nennt dies euphemistisch eine „Überbrückungszahlung“ (Bridge Payment), angeblich finanziert aus den Zolleinnahmen. Ökonomisch betrachtet ist dies jedoch ein Nullsummenspiel, das eher an planwirtschaftliche Umverteilung erinnert als an freies Unternehmertum: Der Staat nimmt Geld durch Zölle ein, die die Verbraucher durch höhere Preise für Maschinen und Dünger zahlen, und reicht es als Subvention an jene Produzenten weiter, die durch eben diese Zollpolitik ihre Absatzmärkte verloren haben. Trump verkauft diesen Rettungsring als Triumph, doch für Ökonomen ist er das teure Eingeständnis, dass der Handelskrieg nach hinten losgegangen ist.

Der „Hoax“ der Bezahlbarkeit und die Inflation der Worte

Um diese Risse in der Fassade zu übertünchen, greift der Präsident zu seiner bewährtesten Waffe: der Umdeutung der Realität. Das Wort „Bezahlbarkeit“ (Affordability), das im Zentrum der Sorgen vieler Amerikaner steht, hat er zum politischen Kampfbegriff erklärt. In Trumps Narrativ ist die Debatte um hohe Kosten ein „Hoax“, ein Schwindel der Demokraten. Er besteht darauf, dass die Preise „gewaltig“ herunterkommen.

Hier vermischt sich gefährliches Halbwissen mit politischem Kalkül. Trump verwechselt sinkende Inflationsraten mit Deflation, also einem tatsächlichen Sinken des Preisniveaus. Dass die Preise langsamer steigen, bedeutet nicht, dass sie auf das Niveau von vor vier Jahren zurückfallen. Tatsächlich liegt die Inflation im Dezember 2025 wieder bei rund 3 Prozent – ein Wert, der weit entfernt ist von der versprochenen Preisstabilität und fast exakt dort liegt, wo sein Vorgänger die Amtsgeschäfte übergab.

Für die Bürger ist diese semantische Debatte irrelevant; sie spüren den Kaufkraftverlust täglich. Zwar kann Trump auf gesunkene Benzinpreise verweisen, doch dieser Entlastung stehen explodierende Kosten in anderen lebensnotwendigen Bereichen gegenüber. Besonders drastisch zeigt sich dies im Gesundheitssektor: Durch das Auslaufen von Steuergutschriften des „Affordable Care Act“ müssen viele Pennsylvanier, die ihre Versicherung selbst kaufen, mit einem Anstieg ihrer Prämien um über 21 Prozent rechnen.

Wenn Trump also auf den boomenden Aktienmarkt und die 401(k)-Altersvorsorgepläne verweist und dies als Beweis für den Erfolg seiner Politik anführt, spricht er an der Lebensrealität eines Großteils der Arbeiterklasse vorbei. Ein steigender Dow Jones hilft der Rentnerin im Supermarkt wenig, wenn das Rinderfilet unerschwinglich wird und selbst Eier zum Luxusgut avancieren. Die Schere zwischen den makroökonomischen Indikatoren, die der Präsident feiert, und der mikroökonomischen Härte, die die Wähler spüren, öffnet sich immer weiter.

Pennsylvania kippt: Wenn Loyalität teuer wird

Diese Dissonanz bleibt nicht ohne politische Folgen. In Pennsylvania, jenem Bundesstaat, der für Trumps Sieg entscheidend war, beginnt die Stimmung spürbar zu kippen. Luzerne County, einst eine demokratische Hochburg, die sich Trump zugewandt hatte, zeigt erste Anzeichen einer Rückkehr zu den Demokraten bei lokalen Wahlen. Die Geduld schwindet.

Die Menschen dort sind müde. Sie hören die Versprechungen vom „A-plus-plus“-Wirtschaftswunder, blicken dann aber auf ihre Stromrechnungen und leeren Einkaufswagen. Wähler wie Greg Buzinski, die auf sinkende Preise „am ersten Tag“ gehofft hatten, fühlen sich desillusioniert. „Wir sind alle pleite“, sagt Nick Riley, ein Wähler, der 2024 zu Hause blieb – ein Satz, der unabhängig von der Parteizugehörigkeit zum geflügelten Wort in den Diners und Werkstätten der Region wird.

Es ist bezeichnend, dass Trump selbst beginnt, die Verantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen subtil auf den Konsumenten zu verlagern. In einer bemerkenswerten rhetorischen Volte rät er den Amerikanern, einfach weniger zu kaufen. „Man braucht keine 37 Puppen für die Tochter, zwei oder drei sind auch schön“, belehrt er sein Publikum. Es ist der Ruf nach Verzicht und Genügsamkeit, gepredigt von einem Mann, der seinen Aufstieg dem Versprechen von Überfluss verdankte. Wenn der Protektionismus den Wohlstand nicht sichern kann, wird Austerität zur neuen patriotischen Pflicht erklärt.

Die Strategie des Chaos und das Sündenbock-Prinzip

Wie reagiert ein populistischer Präsident, wenn die ökonomischen Fakten sich gegen ihn wenden? Er wechselt das Thema – lautstark, aggressiv und unter der Gürtellinie. In Momenten, in denen die Fragen nach Inflation und Lebenshaltungskosten zu drängend werden, greift Trump reflexartig in die Kiste der Xenophobie. Seine Reden, die eigentlich der Wirtschaft gewidmet sein sollten, driften immer wieder in Tiraden gegen Einwanderer ab.

Die Wiederbelebung der Rhetorik über „Dreckslöcher“ (shithole countries) und die verbalen Angriffe auf die Abgeordnete Ilhan Omar dienen nicht nur der Mobilisierung der harten Basis. Sie erfüllen eine klare strategische Funktion: Ablenkung. Indem er Immigranten als Ursache für ökonomische Miseren darstellt – obwohl es keine behördlichen Belege für seine Behauptung gibt, dass „100 Prozent“ der neuen Jobs seit seinem Amtsantritt an US-Bürger gingen – kanalisiert er den Frust über hohe Preise in Wut auf das „Fremde“. Er verspricht eine „permanente Pause“ der Zuwanderung aus Ländern wie Somalia oder Afghanistan, um so angeblich Löhne zu steigern, doch bisher korreliert seine Politik vor allem mit wirtschaftlicher Angst.

Parallel dazu setzt die Administration auf die Strategie des „Churn“ – das ständige Erzeugen von Unruhe und Chaos. Mal werden Zölle auf Kaffee aufgehoben, um kurzfristig Preise zu senken, mal wird der Export von Computerchips nach China aus nationalen Sicherheitsgründen gestoppt, nur um dann gegen eine Umsatzbeteiligung doch wieder erlaubt zu werden. Diese erratische Sprunghaftigkeit hält politische Gegner und Marktbeobachter gleichermaßen in Atem. Sie verhindert, dass sich eine konsistente Kritik an der Wirtschaftspolitik festsetzen kann, da sich die Rahmenbedingungen täglich ändern. Doch für Unternehmen ist diese Unberechenbarkeit Gift. Experten beschreiben die Situation als „beispiellose, lähmende und wahrhaft wahnsinnige Komplexität“.

Staatskapitalismus und der Angriff auf die Institutionen

Hinter dem Chaos verbirgt sich jedoch auch ein struktureller Umbau der US-Wirtschaft hin zu einem Staatskapitalismus neuen Typs. Der Deal mit US Steel, bei dem sich die Regierung eine „goldene Aktie“ und damit direkten Einfluss sicherte, ist ein Paradebeispiel dafür. Es geht nicht mehr um freie Märkte, sondern um Märkte, die dem Willen des Weißen Hauses unterworfen sind.

Um die negativen Folgen dieser Eingriffe abzufedern, greift Trump zu immer wilderen Maßnahmen. Wenn Landmaschinenhersteller wie John Deere unter hohen Kosten leiden, bietet der Präsident keine Marktlösung an, sondern schlägt vor, Umweltauflagen zu streichen, um die Geräte billiger zu machen. Technologischer Rückschritt und ökologische Risiken werden so als Inflationsbekämpfung verkauft.

Gleichzeitig erodiert das Vertrauen in die neutralen Institutionen des Staates. Wenn Arbeitsmarktdaten nicht ins Bild passen, bezeichnet der Präsident sie als „manipuliert“ (rigged), was bereits zur Entlassung der Führung des Bureau of Labor Statistics führte. Noch beunruhigender sind seine Andeutungen, dass Ernennungen für das Federal Reserve Board ungültig sein könnten, weil sie per „Autopen“ unterschrieben wurden. Es ist der Versuch, die Unabhängigkeit der Geldpolitik, die letzte Bastion gegen eine völlige Entfesselung der Inflation, administrativ zu untergraben.

Fazit: Der Tanz auf dem Vulkan

Am Ende des Jahres 2025 steht Amerika vor einem Paradoxon. Die Regierung feiert eine Wirtschaft, die sie mit Bestnoten versieht, während die Bürger Coupons ausschneiden, um sich den Wocheneinkauf leisten zu können. Der Versuch, die Globalisierung durch Zölle zurückzudrehen, hat nicht zur versprochenen Renaissance der Fertigungsindustrie geführt – tatsächlich gingen seit Januar rund 50.000 Jobs in diesem Sektor verloren.

Stattdessen hat sich eine Ökonomie des „Durchwurstelns“ etabliert, gestützt auf staatliche Subventionen, aggressive Rhetorik und die Hoffnung, dass die Wähler den Sündenböcken mehr Glauben schenken als ihrem eigenen Geldbeutel. China, das weiterhin Rekordüberschüsse erzielt, scheint sich an die neue Härte angepasst zu haben und lernt, auch ohne die USA zu florieren.

Die „Brücke“, von der Trumps Berater so gerne sprechen, führt bislang nicht in ein gelobtes Land niedriger Preise und hoher Löhne. Sie führt ins Ungewisse. Solange der Präsident das Wort „Bezahlbarkeit“ als Schwindel abtut, während er gleichzeitig Milliarden verteilt, um die Folgen seiner eigenen Politik zu lindern, bleibt Amerikas Wirtschaft ein Tanz auf dem Vulkan. Die Musik spielt laut, die Börsenkurse blinken hell, doch der Boden unter den Füßen der Mittelschicht wird immer heißer.

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