
Es gibt Momente in der Politik, die sich anfühlen wie das abrupte Umblättern eines Drehbuchs, mitten in einer entscheidenden Szene. Ein solcher Moment entfaltet sich gerade im Herzen der amerikanischen Tech-Industrie. Noch vor wenigen Wochen donnerte die Stimme des Präsidenten durch die digitalen Kanäle: Der Chef des Chip-Giganten Intel, Lip-Bu Tan, sei ein Sicherheitsrisiko, ein Mann mit untragbaren Verflechtungen nach China, der seinen Posten sofort zu räumen habe. Heute, nur einen Wimpernschlag der Geschichte später, sitzt ebenjener Präsident am Verhandlungstisch, um den amerikanischen Staat zum Miteigentümer ebenjenes Unternehmens zu machen. Dieser verblüffende Schwenk ist mehr als eine politische Volte. Er ist das Symptom eines tiefgreifenden Wandels, einer Neudefinition des Verhältnisses von Macht und Markt in den USA. Die Causa Intel wird zur Bühne, auf der Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit demonstriert, was sein „America First“ im Kern bedeutet: ein Staat, der nicht mehr nur Schiedsrichter ist, sondern zum aktiven, unberechenbaren Spieler wird – ein Deal-Maker, für den Ideologien verhandelbar, aber nationale Interessen und persönliche Loyalitäten alles sind.
Ein gefallener Titan im Visier der Politik
Um die Dimension dieses Vorgangs zu verstehen, muss man einen Blick in den Maschinenraum der digitalen Welt werfen. Intel, einst der unangefochtene König der Mikroprozessoren, dessen Name für eine ganze Ära der Computertechnologie stand, ist ein Gigant in der Krise. Das Unternehmen, dessen Chips jahrzehntelang das Herz des Personal Computers bildeten, hat die entscheidenden technologischen Revolutionen der jüngeren Vergangenheit verschlafen. Den Siegeszug des Smartphones, eingeläutet 2007 durch Apples iPhone, hat man in Santa Clara ebenso verpasst wie den darauf folgenden Tsunami der künstlichen Intelligenz. Während Konkurrenten wie Nvidia mit ihren Grafikprozessoren zum unverzichtbaren Treibstoff der KI-Ära aufstiegen und an der Börse in astronomische Höhen schossen, kämpfte Intel mit sinkenden Umsätzen und schmerzhaften Verlusten. Im Jahr 2024 stand ein Minus von fast 19 Milliarden Dollar in den Büchern; der einstige Pionier war zum Sorgenkind geworden, das Tausende Mitarbeiter entlassen musste.

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Diese wirtschaftliche Schieflage allein wäre schon Grund zur Sorge. Doch sie fällt zusammen mit einer geopolitischen Erkenntnis, die in Washington über Parteigrenzen hinweg geteilt wird: Die Abhängigkeit der USA von hochentwickelten Halbleitern, die mehrheitlich in Asien – vor allem in Taiwan – gefertigt werden, ist eine strategische Achillesferse. Chips sind das Fundament moderner Volkswirtschaften und Militärtechnologien. Wer die Produktion kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Vor diesem Hintergrund erscheint Intels Status als letzter verbliebener US-Hersteller von Spitzen-Chips als eine Frage der nationalen Sicherheit. Die Biden-Regierung versuchte, dieser Herausforderung mit dem „CHIPS and Science Act“ zu begegnen, einem gewaltigen Subventionsprogramm, das die heimische Produktion ankurbeln sollte und aus dem Intel Milliarden an Fördergeldern erhielt. Doch Geld allein schien die Talfahrt des Unternehmens nicht stoppen zu können.
Die Abkehr vom Dogma: Trumps transaktionaler Staat
Hier betritt die Trump-Administration die Bühne – und zerreißt das traditionelle republikanische Drehbuch. Jahrzehntelang predigte die Partei Ronald Reagans das Evangelium des freien Marktes. Der Staat sollte sich aus der Wirtschaft heraushalten, Regularien abbauen und den Unternehmen freie Hand lassen. Staatliche Industriepolitik, gar eine Beteiligung an einem Privatunternehmen, galt als Teufelszeug, als ein Schritt in Richtung Sozialismus. Doch diese Dogmen scheinen in der Ära Trump ihre Gültigkeit verloren zu haben.
Der geplante Einstieg bei Intel ist kein isolierter Akt, sondern die konsequente Fortsetzung einer Politik, die sich nicht an ideologischen Lehrbüchern, sondern an einer Logik des Deals orientiert. Für Trump ist alles ein Geschäft. Die Wirtschaft ist kein sich selbst regulierendes System, sondern eine Arena, in der er als oberster Deal-Maker Amerikas Interessen durchsetzt. Das zeigt sich auch im Umgang mit Intels Konkurrenten: Nvidia und AMD wurde die Lizenz für den Verkauf ihrer KI-Chips nach China nur gegen eine Gebühr von 15 Prozent auf die dortigen Umsätze gewährt – eine Art staatliche Provision, ausgehandelt in einem persönlichen Gespräch zwischen dem Präsidenten und Nvidia-Chef Jensen Huang.
Diese Herangehensweise verkehrt die klassische Rollenverteilung. Der Staat wird zum Geschäftspartner, der für seine Unterstützung eine direkte Gegenleistung fordert. Handelsminister Howard Lutnick formulierte diese neue Maxime unmissverständlich: Man verschenke kein Geld. „Amerika sollte von dem Geschäft profitieren“, erklärte er. Die Milliarden aus dem CHIPS Act, von Lutnick als „Giveaway“ der Vorgängerregierung abgetan, sollen nun in Aktienkapital umgewandelt werden. Dahinter steckt weniger eine durchdachte Industriestrategie als vielmehr ein tief sitzender Instinkt des Geschäftsmanns im Oval Office: Wenn der Staat investiert, muss er auch einen Anteil am potenziellen Gewinn erhalten.
Ein Pakt mit dem Unberechenbaren: Die Causa Lip-Bu Tan
Nichts illustriert die Willkürlichkeit und persönliche Natur dieser neuen Politik so eindrücklich wie der Umgang mit Intel-CEO Lip-Bu Tan. Im März 2025 als Sanierer angetreten, geriet der renommierte Tech-Investor und Manager schnell ins Fadenkreuz nationalistischer Hardliner. Senator Tom Cotton warf ihm vor, über seine frühere Tätigkeit als Risikokapitalgeber in chinesische Technologiefirmen mit Verbindungen zum Militär investiert zu haben. Als zudem bekannt wurde, dass ein von Tan früher geführtes Unternehmen, Cadence Design Systems, wegen illegaler Technologielieferungen an eine chinesische Militäruniversität strafrechtlich belangt wurde, schaltete sich der Präsident persönlich ein.
Trumps öffentliche Forderung nach Tans sofortigem Rücktritt am 7. August war ein beispielloser Eingriff in die Personalautonomie eines börsennotierten Unternehmens. Die Botschaft war klar: Wer in den Augen des Präsidenten nicht hundertprozentig loyal ist, wer als „KONFLIKTIERT“ gilt, hat an der Spitze eines strategisch wichtigen US-Konzerns nichts verloren. Doch was folgte, war keine Entlassung, sondern eine Einladung ins Weiße Haus. Nach einem persönlichen Treffen vollzog Trump eine 180-Grad-Wende. Tans Werdegang sei eine „erstaunliche Geschichte“, verkündete der Präsident. Der Konflikt war beigelegt, der CEO rehabilitiert. Diese Episode enthüllt den Kern des Systems Trump: Es geht weniger um objektive Kriterien oder politische Prinzipien als um persönliche Chemie und direkte Verhandlungen. Wer sich dem Präsidenten stellt, ihm seine Loyalität versichert und bereit ist, einen Deal zu machen, kann aus der Schusslinie geraten und sogar zum Partner werden. Für die Unternehmenslenker bedeutet das eine Gratwanderung auf einem Hochseil ohne Netz. Die Planungssicherheit, die für milliardenschwere Langzeitinvestitionen in der Chipbranche unerlässlich ist, weicht einer permanenten Unsicherheit.
Wenn der Präsident zum Investor wird: Risiken und offene Fragen
Der Plan, zehn Prozent an Intel zu übernehmen, wirft fundamentale Fragen auf. Rechtlich ist unklar, wie bereits ausgezahlte Subventionen einfach in Aktien umgewandelt werden können, ohne die Rechte bestehender Aktionäre zu verletzen. Es wäre ein massiver Eingriff, vergleichbar allenfalls mit der Rettung der Autoindustrie während der Finanzkrise 2008. Doch der Vergleich hinkt. Damals ging es um die Abwendung eines drohenden Kollapses der Gesamtwirtschaft. Heute handelt es sich um eine strategische Intervention in einem Sektor, der zwar wichtig ist, aber keine akute Systemkrise auslöst. Die damalige Rettung von General Motors endete für den Steuerzahler zudem mit einem Verlust von rund 10 Milliarden Dollar – eine mahnende Erinnerung an die Risiken staatlicher Unternehmensbeteiligungen.
Auch wenn die Regierung beteuert, sich über stimmrechtslose Aktien nicht ins operative Geschäft einmischen zu wollen, bleibt die Gefahr subtiler Einflussnahme. Könnten andere Unternehmen sich unter Druck gesetzt fühlen, bevorzugt Intel-Chips zu kaufen, um sich die Gunst der Regierung zu sichern? Und was passiert, wenn Intels Sanierungskurs scheitert? Der Staat wäre dann Miteigentümer eines weiter strauchelnden Unternehmens, und der politische Druck, mit noch mehr Steuergeldern einzugreifen, würde wachsen. Die Grenze zwischen strategischer Investition und kostspieliger Dauersubventionierung könnte schnell verschwimmen.
Die neue Doktrin des transaktionalen Staates schafft eine Landschaft, in der die Regeln des Spiels permanent neu verhandelt werden – oft direkt zwischen den CEOs und dem Präsidenten. Es ist eine Rückkehr zu einer Form von personalisierter Herrschaft, die der komplexen, globalisierten Wirtschaft des 21. Jahrhunderts fremd ist. Für die amerikanische Chipindustrie mag dieser Kurs kurzfristig politische Unterstützung und finanzielle Mittel bringen. Langfristig jedoch droht er, das Fundament zu untergraben, auf dem der Erfolg des Silicon Valley aufgebaut wurde: ein verlässlicher Rechtsrahmen, freier Wettbewerb und die Unabhängigkeit von politischer Willkür. Die Frage, die über der Causa Intel schwebt, ist daher größer als die Zukunft eines einzelnen Unternehmens. Es ist die Frage, ob die größte Volkswirtschaft der Welt auf dem Weg ist, ihre Prinzipien für einen vermeintlich guten Deal zu opfern.