Der Deal des Jahrhunderts oder der Ausverkauf Europas? Wenn in Florida über das Schicksal der Ukraine gewürfelt wird

Illustration: KI-generiert

Während in Kiew die Sirenen heulen und russische Drohnenschwärme den Himmel verdunkeln, wird im verregneten Florida Weltgeschichte geschrieben – oder zumindest ein Geschäft abgeschlossen. Die US-Regierung unter Donald Trump drückt aufs Tempo, um den Krieg zu beenden. Doch der Preis für diesen Frieden könnte die Souveränität einer Nation und die Sicherheitsarchitektur eines ganzen Kontinents sein.

Es ist eine Szenerie, die gegensätzlicher kaum sein könnte. Auf der einen Seite der Shell Bay Golf Club im Norden von Miami, ein exklusives Refugium für die Superreichen, wo die Aufnahmegebühr allein schon ein Vermögen kostet. Auf der anderen Seite die rauchenden Trümmer von Wohnblocks in Kiew, wo Menschen in U-Bahn-Schächten kauern, während eine zehnstündige Angriffswelle aus russischen Raketen und Drohnen über ihre Stadt hinwegrollt. Hier das sanfte Klirren von Eiswürfeln in Kristallgläsern, dort das Bersten von Glas und das Schreien von Sirenen.

Genau in diesem Spannungsfeld, zwischen dem Luxus Floridas und dem Überlebenskampf im Donbass, entscheidet sich in diesen Tagen das Schicksal der Ukraine. Eine ukrainische Delegation ist in den Sunshine State gereist, um mit den Vertretern von US-Präsident Donald Trump über einen Frieden zu verhandeln, der in seinen Grundzügen bereits auf dem Tisch liegt. Doch was als diplomatischer Durchbruch verkauft wird, wirkt bei näherer Betrachtung eher wie eine geschäftsmäßige Abwicklung einer lästig gewordenen geopolitischen Position. Denn der sogenannte 28-Punkte-Plan, der die Grundlage der Gespräche bildet, liest sich für viele Beobachter weniger wie ein Kompromiss, sondern wie eine Wunschliste des Kremls.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Die Anatomie eines diktierten Friedens

Der Entwurf, der in den vergangenen Wochen für Unruhe in den westlichen Hauptstädten sorgte, ist in seiner ursprünglichen Härte kaum zu überbieten. Die Ukraine soll demnach nicht nur auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichten und atomwaffenfrei bleiben, sondern auch ihre Armee signifikant verkleinern. Im Gegenzug versprechen die USA zuverlässige Sicherheitsgarantien – eine Formulierung, die in Kiew einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt, erinnert sie doch fatal an vergangene Versprechen, die sich als wertlos erwiesen.

Noch gravierender sind die territorialen Implikationen. Der Plan sieht vor, dass Gebiete wie Luhansk und Donezk als russisch anerkannt werden. In den Regionen Cherson und Saporischschja, die Moskau zwar annektiert hat, aber militärisch nicht vollständig kontrolliert, soll die Frontlinie eingefroren werden. Es ist eine De-facto-Kapitulation auf Raten, verpackt in diplomatisches Geschenkpapier. Zwar wurde das Papier nach heftigen Protesten der Europäer und Ukrainer in Genf leicht modifiziert – Passagen, die direkt die NATO und die EU betreffen, wurden in separate Verhandlungsstränge ausgelagert –, doch der Kern der amerikanischen Forderung bleibt bestehen: Land gegen Frieden.

Präsident Trump selbst gibt sich, ganz der Geschäftsmann, optimistisch. Er denke, es gebe eine gute Chance, dass man einen Deal machen könne, ließ er von Bord der Air Force One verlauten. Für ihn scheint der Krieg vor allem eine Transaktion zu sein, ein Deal, den man abschließen muss, um sich wieder profitableren Unternehmungen widmen zu können. Doch sein Außenminister Marco Rubio, ein Mann der eher klassischen Schule, dämpft die Erwartungen. Zwar spricht auch er von produktiven Gesprächen, betont aber im selben Atemzug, dass noch viel Arbeit vor den Unterhändlern liege. Es ist der Versuch, die Balance zu halten zwischen dem ungestümen Drang des Präsidenten nach einem schnellen Erfolg und der komplexen Realität eines blutigen Zermürbungskrieges.

Das Vakuum der Macht in Kiew

Die Position der Ukraine in diesen schicksalhaften Verhandlungen ist so schwach wie lange nicht mehr. Und das liegt nicht nur an der erdrückenden militärischen Übermacht Russlands oder der schwindenden Unterstützung aus dem Westen. Kiew hat sich selbst ins Knie geschossen. Ausgerechnet jetzt, in der wohl entscheidenden Woche des Krieges, ist Andrij Jermak, der mächtige Stabschef von Präsident Wolodymyr Selenskyj und bisherige Chefunterhändler, über einen Korruptionsskandal gestolpert.

Jermak war mehr als nur ein Beamter; er war der zweitmächtigste Mann im Staat, der Schattenpräsident, der Selenskyjs Willen exekutierte und die Drähte nach Washington hielt. Sein Rücktritt, erzwungen durch Ermittlungen rund um ein mutmaßliches Schmiergeldsystem beim staatlichen Atomkonzern Energoatom im Umfang von fast 90 Millionen Euro, reißt eine Lücke, die kaum zu füllen ist. Zwar wurde Jermak selbst in den Untersuchungen bislang nicht als Verdächtiger geführt, doch der politische Druck war zu groß geworden.

Nun muss Rustem Umerow, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, die Verhandlungen führen. Er ist ein fähiger Mann, der bereits in Istanbul mit den Russen über Gefangenenaustausche verhandelt hat. Doch ihm fehlt das jahrelang gewachsene Vertrauensverhältnis zu Selenskyj, das Jermak besaß. Für den ukrainischen Präsidenten ist der Verlust seines engsten Vertrauten ein harter Schlag, der ihn politisch isoliert und seine Verhandlungsmacht in Florida empfindlich schwächt. Es ist ein Geschenk für Moskau, das zusehen kann, wie sich die ukrainische Führung selbst zerlegt, während die eigenen Truppen an der Front Fakten schaffen.

Geschäfte statt Diplomatie: Die Arktis-Connection

Was die Verhandlungen in Florida besonders pikant macht, ist die Besetzung der amerikanischen Delegation. Neben Außenminister Rubio sitzen dort zwei Männer am Tisch, deren Hintergrund weniger in der Diplomatie als im knallharten Immobiliengeschäft liegt: Steve Witkoff, Trumps Sondergesandter, und Jared Kushner, der Schwiegersohn des Präsidenten. Beide stammen aus einer Welt, in der Handschläge mehr zählen als Verträge und in der Moral oft nur eine Fußnote in der Bilanz ist.

Recherchen legen den Verdacht nahe, dass es bei den Gesprächen mit Russland gar nicht primär um den Frieden in der Ukraine geht. Witkoff und Kushner sollen, so berichten es US-Medien, schon länger mit russischen Vertretern verhandeln – und zwar über handfeste wirtschaftliche Interessen. Im Zentrum steht dabei Kirill Dmitrijew, der Chef des russischen Staatsfonds und ein Vertrauter Putins. Die Rede ist von einer Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen, von gemeinsamen Projekten in der Arktis, ja sogar von einer Kooperation im Weltraum.

Der Verdacht steht im Raum, dass der Friedensvertrag für die Ukraine lediglich das Vehikel ist, um diese lukrativen Geschäfte politisch möglich zu machen. Es wäre die ultimative Transaktion: Die Ukraine zahlt mit ihrem Land, damit amerikanische und russische Oligarchen gemeinsam Geschäfte machen können. Dass der 28-Punkte-Plan sogar vorsieht, dass die USA einen Teil der Profite aus Investitionen erhalten sollen, passt in dieses Bild einer geopolitischen Ausbeutung. Für Europa ist dies ein Albtraumszenario: Die USA und Russland einigen sich über die Köpfe der Europäer hinweg und degradieren den alten Kontinent zum Zuschauer der eigenen Geschichte.

Der Schattenkrieg: Pokrowsk und die militärische Realität

Während in den Konferenzräumen in Florida über Linien auf Landkarten gefeilscht wird, werden diese Linien im Donbass mit Blut gezogen. Die Diskrepanz zwischen der diplomatischen Scheinwelt und der brutalen Realität an der Front könnte nicht größer sein. Die ostukrainische Stadt Pokrowsk, einst ein blühendes Industriezentrum, ist zum Symbol dieses blutigen Ringens geworden. Wladimir Putin behauptet, seine Truppen hätten die Stadt bereits eingekesselt und kontrollierten 70 Prozent des Gebiets. Kiew widerspricht vehement, spricht von anhaltenden Kämpfen im Stadtzentrum.

Doch unabhängig davon, wer gerade welche Straßenecke kontrolliert, ist die strategische Lage für die Ukraine prekär. Pokrowsk gilt als das Tor nach Donezk; fällt die Stadt, ist der Weg frei für den russischen Vormarsch auf die letzten großen Bastionen Kramatorsk und Slowjansk. Putin hat unmissverständlich klargemacht, dass er erst ruhen wird, wenn der gesamte Donbass unter russischer Kontrolle ist. Seine Verhandlungsbereitschaft wirkt vor diesem Hintergrund wie ein taktisches Manöver. Warum sollte er jetzt, wo seine Truppen die Initiative haben und Geländegewinne verzeichnen, einem Waffenstillstand zustimmen, der ihn kurz vor dem Ziel stoppt?

Die massive Angriffswelle auf Kiew und die Energieinfrastruktur des Landes, bei der Hunderttausende Haushalte vom Stromnetz abgeschnitten wurden, unterstreicht diese Botschaft. Moskau verhandelt nicht, Moskau erpresst. Die Bombardements sollen den Willen der ukrainischen Bevölkerung brechen und Selenskyj an den Verhandlungstisch zwingen – zu russischen Bedingungen. Es ist eine Strategie der verbrannten Erde, die jeden diplomatischen Fortschritt ad absurdum führt.

Europas Ohnmacht und der belgische Riegel

Und Europa? Der Kontinent, auf dessen Boden dieser Krieg tobt, wirkt in diesen Tagen seltsam abwesend, fast gelähmt. Zwar betonen EU-Vertreter gebetsmühlenartig, dass es keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine geben dürfe. Doch die Realität spricht eine andere Sprache. Die Europäer sind bei den entscheidenden Gesprächen in Florida nicht dabei; sie dürfen später lediglich die Scherben aufkehren oder, wie es diplomatisch heißt, separate Gespräche führen.

Dabei hätte die EU durchaus einen mächtigen Hebel in der Hand: die eingefrorenen russischen Vermögenswerte. Rund 210 Milliarden Euro liegen allein in der EU fest, der Großteil davon bei der Verwahrstelle Euroclear in Belgien. Doch der Plan, diese Gelder zu nutzen, um die Ukraine zu finanzieren und Russland für die Schäden zahlen zu lassen, stockt. Ausgerechnet Belgien blockiert das Vorhaben. Die Regierung in Brüssel fürchtet rechtliche Risiken und negative Auswirkungen auf den Finanzplatz.

Es ist eine groteske Situation: Während die Ukraine finanziell ausblutet und ab 2026 zahlungsunfähig zu werden droht, sitzen die Europäer auf einem gigantischen Geldberg des Aggressors und trauen sich nicht, ihn anzurühren. Diese Selbstblockade macht die EU handlungsunfähig und treibt Kiew weiter in die Abhängigkeit von den USA – und damit in die Arme von Donald Trump und seinen dubiosen Friedensplänen. Bundeskanzler Friedrich Merz und andere europäische Spitzenpolitiker versuchen zwar, den US-Plan nachzuverhandeln und Schlimmes zu verhindern, doch ohne eine eigene, kraftvolle Strategie bleiben sie Getriebene.

Das Spiel mit dem Feuer

Die kommenden Tage werden entscheidend sein. Steve Witkoff und Jared Kushner reisen weiter nach Moskau, um Putin zu treffen. Es ist der nächste Akt in diesem diplomatischen Drama. Die Gefahr ist real, dass sich die USA und Russland auf einen Deal einigen, der die Ukraine faktisch teilt und in eine Zone begrenzter Souveränität verwandelt – einen Pufferstaat, wie es der ungarische Premier Viktor Orbán, der sich gerne als Putins Sprachrohr in der EU geriert, bereits fordert.

Für Präsident Selenskyj ist dies ein fast unmöglicher Spagat. Stimmt er den Forderungen zu, riskiert er einen innenpolitischen Aufstand und möglicherweise seinen Sturz. Lehnt er ab, droht der Entzug der überlebenswichtigen US-Hilfe und der langsame militärische Kollaps. Die Ukrainer wissen, dass Sicherheitsgarantien ohne NATO-Mitgliedschaft das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Sie wissen, dass ein Waffenstillstand für Putin nur eine Atempause wäre, um seine Armee neu zu formieren.

Es steht mehr auf dem Spiel als nur der Grenzverlauf im Donbass. Es geht um die Frage, ob sich Aggression im 21. Jahrhundert wieder lohnt. Wenn der Westen zulässt, dass Grenzen gewaltsam verschoben werden und souveräne Staaten auf dem Altar von Großmachtinteressen geopfert werden, sendet dies ein verheerendes Signal an andere Autokraten – allen voran an China.

Der Frieden, der derzeit in Florida und Moskau geschmiedet wird, könnte sich als trügerisch erweisen. Ein Deal, der auf wirtschaftlichen Interessen und der Erpressung des Opfers basiert, wird keine Stabilität bringen. Er wird lediglich den Keim für den nächsten Konflikt legen. Es ist, als würde man versuchen, einen Waldbrand zu löschen, indem man Benzin in die Glut gießt – in der Hoffnung, dass das Feuer irgendwann von selbst erstickt. Die Geschichte lehrt uns, dass dies selten gut ausgeht.

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