Der befohlene Brain Drain: Wie Trumps Regierung die amerikanische Aussenpolitik von innen aushöhlt

Illustration: KI-generiert

Die offizielle Sprachregelung klingt nach moderner Unternehmensberatung: Das Aussenministerium der Vereinigten Staaten müsse „schlanker“, „effizienter“ und „reaktionsschneller“ werden. Mit dieser Begründung hat die Regierung unter Präsident Donald Trump und Aussenminister Marco Rubio eine der drastischsten Personalentscheidungen in der jüngeren Geschichte der US-Diplomatie durchgesetzt und über 1.300 Mitarbeitende entlassen. Doch hinter der Fassade der technokratischen Reorganisation offenbart sich ein Bild, das Kritiker als politisch motivierte Säuberungsaktion beschreiben – ein chaotischer und willkürlicher Prozess, der bewusst institutionelles Wissen zerstört und die nationale Sicherheit der USA nachhaltig zu untergraben droht. Die Operation, so die wachsende Befürchtung in Washington, ist kein Versuch der Modernisierung, sondern ein gezielter Aderlass, der Loyalität über Kompetenz stellt und Amerikas diplomatisches Rückgrat bricht.

Ein Widerspruch in sich: Prioritäten auf dem Papier, Kahlschlag in der Realität

Die tiefgreifende Ironie dieses Umbaus liegt in der eklatanten Diskrepanz zwischen den erklärten Zielen der Administration und den tatsächlichen Konsequenzen der Entlassungen. Während Präsident Trump und Aussenminister Rubio unablässig die strategische Konkurrenz mit China als zentrale Herausforderung definieren, wurden ausgerechnet Experten mit tiefgehender Kenntnis der chinesischen Kultur und Sprache entlassen. Mindestens fünf fliessend Chinesisch sprechende Mitarbeiter und ein Spezialist für den strategischen Wettbewerb mit Peking verloren ihre Posten. Ähnlich selbstzerstörerisch agierte die Regierung im Energiesektor. Obwohl Rubio die Energiesicherheit zu einem „Herzstück der Aussenpolitik“ erklärte, wurde ein ganzes Team von Experten gefeuert, dessen Aufgabe es war, die globalen Energieinteressen der USA zu fördern und Öl- und Gasverkäufe voranzutreiben. Auch die Spionageabwehr, insbesondere mit Blick auf Russland, wurde geschwächt, indem mindestens sieben Analysten mit Spezialisierung auf Russland und die Ukraine entlassen wurden. Diese Entscheidungen wirken nicht wie strategische Justierungen, sondern wie ein gezieltes Enthaupten der eigenen Expertise in kritischen Politikfeldern. Der Widerspruch ist so offensichtlich, dass die offizielle Begründung der Effizienzsteigerung zur Farce verkommt.

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Die Architekten des Umbaus: Unerfahrenheit und der Wille, „Dinge zu zerstören“

Dass strategische Ziele und personelle Realität so eklatant auseinanderfallen, wirft die Frage nach den Verantwortlichen für diesen Prozess auf. Die Reorganisation wurde maßgeblich von einer kleinen Gruppe politischer Ernannter vorangetrieben, denen es an tiefgreifender diplomatischer Erfahrung mangelt, die sich aber durch ihre Loyalität zu Präsident Trump und ihre Bereitschaft, radikale Massnahmen umzusetzen, qualifiziert haben. Eine Schlüsselfigur ist der erst 28-jährige Jeremy Lewin, der vor seinem kometenhaften Aufstieg im Aussenministerium kaum Regierungserfahrung vorweisen konnte, aber bei der Zerschlagung der US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) seine Bereitschaft zum radikalen Umbau bewiesen hatte. Kritiker werfen der Führung vor, bewusst institutionelles Wissen zugunsten junger, weißer und männlicher politischer Ernannter abzubauen.

Unterstützt wurde Lewin von Personen wie Lew Olowski, der als Berufsanfänger im diplomatischen Dienst dank einer Sondergenehmigung der Trump-Regierung an die Spitze der Personalabteilung katapultiert wurde – ein Vorgang, der erfahrene Führungskräfte zum Rücktritt bewog. Ein Teilnehmer eines Planungstreffens beschrieb die Auswahl des Kernteams so, dass es für seine „Bereitschaft, Dinge im Namen der Trump-Administration zu zerstören“, zusammengestellt worden sei. Diese Beschreibung legt nahe, dass der entstandene Schaden kein unbeabsichtigter Kollateralschaden, sondern möglicherweise das eigentliche Ziel der Übung war. Ein hochrangiger Demokrat im Kongress nannte die Planer eine „kleine Kabale unqualifizierter MAGA-Extremisten“, deren Handeln einem „politischen Stunt“ gleiche.

Ein Prozess geprägt von Willkür, Chaos und menschlicher Kälte

Die Durchführung der Entlassungen selbst zeugt von einer Mischung aus administrativer Willkür und menschlicher Gleichgültigkeit. Das zentrale Kriterium für die Entlassung war, in welchem Büro ein Mitarbeiter am Stichtag 29. Mai registriert war. Wer zu diesem Zeitpunkt in einer zur Schliessung oder Reduzierung vorgesehenen Abteilung arbeitete, wurde entlassen – selbst wenn bereits eine neue Stelle innerhalb des Ministeriums angetreten oder angenommen worden war. Die Benachrichtigungen erfolgten nicht in persönlichen Gesprächen, sondern wurden emotionslos per Massen-E-Mail verschickt. Stundenlang saßen tausende Mitarbeiter in einem „gequälten Schwebezustand“, ohne zu wissen, ob sie die Nächsten sein würden.

Die menschlichen Kosten dieser kalten Bürokratie sind immens: Eine Mitarbeiterin wurde während ihres Mutterschutzes entlassen, ein anderer, der nach einem traumatischen Bombenanschlag in Washington zur Erholung stationiert war, verlor ebenfalls seinen Job. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kleinkindern und zwei Jahrzehnten Diensterfahrung im Ausland wurde ebenso vor die Tür gesetzt. Die chaotische Abwicklung wurde durch zahlreiche „administrative Fehler“ weiter verdeutlicht. Dutzende Mitarbeiter erhielten Tage nach ihrer Entlassung eine weitere E-Mail, die die vorherige Nachricht widerrief und sich für die „Unannehmlichkeiten“ entschuldigte. Diese Pannen, gepaart mit der öffentlichen Konfrontation zwischen Senator Cory Booker, der den zuständigen Beamten Michael Rigas der Lüge bezichtigte, zeichnen das Bild einer Operation außer Kontrolle.

Die Konsequenzen dieses Vorgehens sind bereits jetzt spürbar. Die Entlassung von über 100 Mitarbeitern in der konsularischen Abteilung, die für Pässe und Visa zuständig ist, könnte zu erheblichen Verzögerungen für amerikanische Bürger führen. Die Zerschlagung von Teams, die sich mit Visa-Betrug in Osteuropa und Mexiko befassten, schafft neue Sicherheitslücken. Doch die langfristigen Folgen wiegen noch schwerer. Kritiker sprechen vom „schwerwiegendsten Brain Drain in der modernen Geschichte des Aussenministeriums“. Es ist ein Verlust, der Amerikas Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und seine Interessen zu vertreten, auf Jahre hinaus schwächen wird. Das Vorgehen könnte zudem rechtliche Konsequenzen haben, da Experten davon ausgehen, dass die Entlassungen gegen bundesstaatliche Arbeitsschutzgesetze verstoßen und gerichtlich angefochten werden.

Letztlich deutet alles darauf hin, dass es bei dieser Reorganisation um mehr als nur um Effizienz ging. Die Einführung von „Fidelity“ (Treue) zur Exekutive als neuem Bewertungskriterium für Beförderungen und Lewins Wunsch nach „neuem Blut“, das man zu loyalen Anhängern formen könne, enthüllen das eigentliche Ziel: die ideologische Neuausrichtung des diplomatischen Korps. Es ist der Versuch, eine unabhängige, auf Fakten basierende Institution in ein gefügiges Werkzeug der politischen Führung zu verwandeln. Ein ehemaliger Diplomat fasste das Debakel treffend zusammen: „Das passiert, wenn man einen Leutnant in einen Job setzt, der normalerweise von einem Drei- oder Vier-Sterne-General ausgeübt wird“. Für die amerikanische Aussenpolitik bedeutet dieser befohlene Brain Drain einen Akt der Selbstsabotage mit globalen Auswirkungen.

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