Demokraten in der Dämmerung: Eine Partei kämpft gegen den eigenen Zerfall

Illustration: KI-generiert

Ein Hauch von Desillusionierung liegt über Minneapolis im Spätsommer 2025. Hier, in der Heimatstadt ihres neuen Vorsitzenden Ken Martin, versammelt sich die Führung der Demokratischen Partei zu einer Krisensitzung, die mehr ist als nur ein routinemäßiges Treffen. Es ist eine Bestandsaufnahme nach einem politischen Erdbeben, eine Suche nach Orientierung im Angesicht einer zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump. Martin, erst wenige Monate im Amt, spricht von einer „Bazooka“ im Kampf gegen die Republikaner, doch die Realität sieht anders aus. Seine Partei wirkt wie ein angeschlagener Boxer, der nicht nur mit dem übermächtigen Gegner im Ring, sondern vor allem mit den eigenen inneren Dämonen ringt.

Die Demokratische Partei befindet sich nicht nur in einer vorübergehenden Krise nach einer verlorenen Wahl. Sie steckt in einem fundamentalen Dilemma, einer existenziellen Zerreißprobe, die an ihren Grundfesten rüttelt. Es ist ein perfekt synchronisierter Sturm aus ideologischem Richtungsstreit, lähmendem Geldmangel und einer politischen Landkarte, deren tektonische Platten sich unaufhaltsam gegen sie verschieben. Während die Führung verzweifelt nach strategischen Allheilmitteln sucht, drohen die tiefen Risse im Fundament die gesamte Struktur zum Einsturz zu bringen. Die eigentliche Frage ist nicht mehr, ob die Demokraten die nächste Wahl gewinnen können, sondern ob sie sich als kohärente politische Kraft für die Zukunft neu erfinden können.

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Gefecht um die Seele: Die inneren Frontlinien

Nirgendwo wird die innere Zerrissenheit der Partei deutlicher als im Umgang mit dem Israel-Hamas-Krieg. Die Debatte, die in den Hinterzimmern des DNC-Treffens in Minneapolis tobt, ist mehr als nur ein außenpolitischer Meinungsstreit; sie ist ein offener Stellvertreterkrieg zwischen dem progressiven Flügel und dem etablierten Zentrum der Partei. Auf der einen Seite steht eine Resolution, die ein Waffenembargo gegen Israel und die Anerkennung Palästinas fordert – getragen von der Wut über die humanitäre Katastrophe in Gaza mit Zehntausenden Toten und fast zwei Millionen Vertriebenen. Auf der anderen Seite versucht die Parteiführung um Ken Martin einen Kompromiss, der die israelische Perspektive berücksichtigt, den Hamas-Terror vom 7. Oktober benennt und eine Zweistaatenlösung beschwört, aber die scharfen Forderungen der Progressiven vermeidet.

Das Ergebnis dieses Ringens ist eine Kapitulation vor dem eigenen Konflikt. Anstatt eine Richtung vorzugeben, zieht Martin seinen eigenen Resolutionsentwurf überraschend zurück und vertagt die Entscheidung auf unbestimmte Zeit, indem er eine Taskforce zur weiteren Prüfung des Themas einsetzt. Diese Entscheidung, getroffen nach fast 5.000 E-Mails von Aktivisten beider Seiten, ist ein Symbol für die tiefgreifende Lähmung der Partei. Sie offenbart die Angst der Führung, durch eine klare Positionierung entweder die jungen, progressiven Wähler oder die traditionell pro-israelischen Spender und Wähler zu verprellen. Indem sie es vermeidet, eine Seite zu enttäuschen, enttäuscht sie letztlich alle, die auf Führung und eine klare moralische Haltung warten. Die Unfähigkeit, in einer derart zentralen Frage eine gemeinsame Sprache zu finden, sendet ein verheerendes Signal der Schwäche und Orientierungslosigkeit aus.

Dieser ideologische Bruch wird durch einen schleichenden, aber unaufhaltsamen Generationswechsel verstärkt. Der angekündigte Rückzug des New Yorker Kongressabgeordneten Jerrold Nadler nach über drei Jahrzehnten im Repräsentantenhaus ist mehr als nur das Ende einer beeindruckenden Karriere. Es ist das Abdanken einer ganzen Ära liberaler Politik, die von den Kämpfen für Bürgerrechte und gegen die Kriege des 20. Jahrhunderts geprägt war. Nadler selbst, ein langjähriger, unerschütterlicher Unterstützer Israels, ringt öffentlich mit der Politik der Netanjahu-Regierung, spricht von „Massenmord“ und „Kriegsverbrechen“ in Gaza und kündigt an, künftig gegen die Lieferung von Offensivwaffen an Israel zu stimmen. Sein persönlicher Wandel spiegelt den tiefen Riss wider, der durch die Partei geht und die alten Gewissheiten infrage stellt. Wenn selbst eine Säule des liberalen Establishments ins Wanken gerät, wie soll die Partei dann einen stabilen Kurs für die Zukunft finden?

Im Echoraum: Eine Partei, die ihre Wähler nicht mehr versteht

Die vielleicht größte Ironie in der Krise der Demokraten liegt in einem fundamentalen Missverständnis: Während sich die politischen Eliten in Washington immer unversöhnlicher in ideologischen Schützengräben verschanzen, ist die amerikanische Wählerschaft weitaus komplexer und weniger dogmatisch, als es die Parteistrategen wahrhaben wollen. Die Vorstellung eines „politischen Zentrums“ als Hort von Wählern, die gesellschaftlich progressiv, aber wirtschaftlich konservativ sind, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Trugbild der eigenen urbanen, gebildeten Blase. Umfragen zeigen, dass dieses Klischee nur auf einen winzigen Bruchteil von etwa 5 Prozent der Wähler zutrifft.

Viel häufiger, und politisch weit relevanter, ist der umgekehrte Typus: Wähler, die gesellschaftlich eher konservative Werte vertreten, aber gleichzeitig eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft befürworten, sei es durch höhere Ausgaben oder stärkere Regulierung. Dieser Wählertypus, der rund 22 Prozent der Amerikaner ausmacht und seit Jahren wächst, passt in keine der starren Schablonen der Parteien. Er verkörpert eine pragmatische, oft widersprüchliche Haltung, die sich nicht auf einer simplen Links-Rechts-Achse verorten lässt. Es sind Menschen, die vielleicht Vorbehalte gegenüber Transgender-Rechten im Sport haben, aber gleichzeitig für bezahlbare Kinderbetreuung und eine stärkere Regulierung von Konzernen sind.

Genau an dieser komplexen Realität scheitert die Kommunikation der Demokraten. Ein prägnantes Beispiel ist der Umgang mit dem Thema innere Sicherheit. Während Präsident Trump die Städte des Landes als Brutstätten der Kriminalität darstellt und mit der Entsendung von Bundestruppen droht, versuchen demokratische Bürgermeister, eine Gegenoffensive zu starten. Sie verweisen auf sinkende Kriminalitätsstatistiken und ihre Erfolge vor Ort. Doch sie kämpfen einen ungleichen Kampf. Wie Bürgermeister Alan Webber aus Santa Fe treffend bemerkt, ist die öffentliche Wahrnehmung stärker als jede Statistik: Wer Truppen schickt, wirkt stark; wer mit Zahlen argumentiert, wirkt schwach. Trumps Fähigkeit, die gefühlte Unsicherheit der Menschen anzusprechen, überlagert die faktische Realität. Die demokratischen Bürgermeister erkennen, dass sie die Deutungshoheit über das Thema zurückgewinnen müssen, indem sie nicht nur über Demokratie und abstrakte Werte sprechen, sondern über die alltäglichen Sorgen der Bürger – Kosten und Sicherheit. Doch innerhalb einer Partei, die von sozialistischen Strömungen bis zu traditionellen „Law and Order“-Anhängern alles beheimatet, ist die Formulierung einer einheitlichen, kraftvollen Botschaft eine Herkulesaufgabe.

Die stille Katastrophe: Wenn die Demografie zur Schicksalsfrage wird

Während die Partei mit ihren internen Konflikten und Kommunikationsproblemen beschäftigt ist, vollzieht sich im Verborgenen eine stille, aber umso gefährlichere Entwicklung: eine demografische Verschiebung, die das Fundament der amerikanischen Präsidentschaftswahlen erschüttert. Die politische Macht in den USA verlagert sich unaufhaltsam von den traditionell demokratischen Hochburgen an den Küsten und im Mittleren Westen hin zu den schnell wachsenden, konservativ geprägten Bundesstaaten im Süden und Westen des Landes.

Die Zahlen zeichnen ein düsteres Bild für die Zukunft der Demokraten. Analysen von Bevölkerungsprognosen legen nahe, dass bis zur nächsten Neuzuteilung der Kongresssitze nach der Volkszählung 2030 Staaten wie Texas und Florida erheblich an Einfluss im Electoral College gewinnen werden – Texas könnte drei, Florida zwei zusätzliche Wahlleute erhalten. Auch Idaho und Utah werden voraussichtlich wachsen. Verlierer dieser Entwicklung sind demokratische Bastionen, während Kalifornien drei, New York einen und Pennsylvania ebenfalls einen Sitz und damit Wahlleute verlieren könnten.

Was wie eine trockene statistische Übung klingt, ist in Wahrheit ein politischer Albtraum. Eine Wahlstrategie, die 2024 noch zum Sieg führen konnte, könnte 2032 bereits wertlos sein. Von den 25 plausibelsten Wegen der Demokraten zum Gewinn des Weißen Hauses im Jahr 2024 würden nach diesen Prognosen nur noch fünf übrig bleiben. Diese Entwicklung ist keine ferne Zukunftsmusik; sie hat bereits begonnen. Würde die Neuverteilung heute stattfinden, würden rote Staaten bereits fünf Sitze gewinnen und blaue Staaten fünf verlieren.

Diese existenzielle Bedrohung trifft die Partei in einem Moment extremer finanzieller Schwäche. Nach den verlustreichen Wahlen von 2024 sind die großen Spender zögerlich geworden, die Kassen sind leer. Ende Juli 2025 verfügt das Democratic National Committee (DNC) über kümmerliche 14 Millionen Dollar, während das Republican National Committee (RNC) auf einem Polster von 84 Millionen Dollar sitzt. Die Parallelen zum Jahr 2017, nach der ersten Niederlage gegen Trump, sind unübersehbar. Doch die damalige Hoffnung, die sich in den Midterm-Wahlen 2018 erfüllte, wirkt heute angesichts der sich verfestigenden strukturellen Nachteile fragiler denn je.

Flucht nach vorn: Zwischen kühner Vision und purer Verzweiflung

Angesichts dieser düsteren Aussichten sucht die Parteiführung nach Auswegen. Eine der prominentesten Ideen ist die von Ken Martin vorangetriebene Strategie, massiv in traditionell rote Staaten zu investieren, um langfristig neue Schlachtfelder zu erschließen. Die Parteien in konservativen Staaten erhalten nun eine höhere monatliche Unterstützung als jene in sicheren blauen Staaten. Die Hoffnung ist, dem demografischen Wandel durch politische Überzeugungsarbeit zuvorzukommen und die wachsenden Minderheitengemeinschaften in Staaten wie Texas oder Georgia für sich zu gewinnen.

Doch die Geschichte von Brandon Presley in Mississippi 2023 dient als ernüchternde Mahnung. Hier hatte ein populärer, charismatischer Demokrat die realistische Chance, eine Gouverneurswahl im tiefen Süden zu gewinnen. Er scheiterte am Ende knapp – mit nur drei Prozentpunkten Rückstand. Der Grund: Es gab vor Ort keine etablierte, schlagkräftige Parteiinfrastruktur, die ihn hätte tragen können. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur kostet nicht nur Geld, das die Demokraten nicht haben, sondern vor allem Zeit – Jahrzehnte, wie das Beispiel Georgia zeigt. Zeit, die die Partei angesichts der rasanten Verschiebungen im Electoral College möglicherweise nicht mehr hat.

Eine weitere, unkonventionelle Idee, die in den Korridoren der Macht diskutiert wird, ist die Abhaltung eines nationalen Parteitags im Midterm-Wahljahr 2026. Ein solches Ereignis, das normalerweise nur alle vier Jahre zur Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten stattfindet, könnte die Basis mobilisieren und eine große Bühne für die aufstrebenden Talente der Partei bieten, die sich für 2028 in Stellung bringen wollen. Doch auch hier sind die Risiken immens. Ein solcher Parteitag wäre extrem kostspielig für eine klamme Partei und könnte, wenn er die tiefen internen Spaltungen nur öffentlich zur Schau stellt, mehr schaden als nutzen.

Während die Parteistrategen über große Pläne sinnieren, gibt es gelegentlich kleine Hoffnungsschimmer von der Basis, wie der überraschende Sieg bei einer Nachwahl zum Senat von Iowa. Solche Erfolge in konservativ geprägten Bezirken nähren die Erzählung, dass die Demokraten überall gewinnen können, wenn sie nur hart genug organisieren. Doch es bleibt die nagende Frage, ob dies echte Anzeichen einer politischen Wende sind oder lediglich Anomalien, begünstigt durch die geringe Wahlbeteiligung bei Sonderwahlen.

Am Ende ihres Treffens in Minneapolis stehen die Demokraten somit vor einem gewaltigen Berg an ungelösten Problemen. Die Partei ist gefangen zwischen der Notwendigkeit kurzfristiger Siege bei den Midterms 2026 und der existenziellen Aufgabe, eine langfristige Strategie für eine sich dramatisch verändernde politische Landschaft zu entwickeln. Es ist, als stünde man vor einem einst prächtigen Gebäude, in dessen Fundament sich immer tiefere Risse zeigen. Man kann versuchen, die Fassade neu zu streichen und ein paar Fenster zu reparieren, in der Hoffnung, den nächsten Sturm zu überstehen. Oder man erkennt, dass die eigentliche Gefahr von den strukturellen Fehlern ausgeht, die das gesamte Bauwerk bedrohen. Die Demokraten haben noch nicht entschieden, ob sie nur renovieren oder grundlegend neu bauen müssen. Die Zeit für diese Entscheidung läuft ihnen davon.

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