
Es war eine Szene, die sich liest wie das Drehbuch eines Action-Thrillers, doch sie markierte den vorläufigen Höhepunkt einer sehr realen geopolitischen Eskalation. Mitten in den internationalen Gewässern der Karibik, irgendwo zwischen Grenada und Trinidad, seilten sich schwer bewaffnete US-Spezialkräfte in Tarnkampfanzügen von einem Hubschrauber ab. Ihr Ziel: die Skipper. Ein Öltanker, der fast zwei Millionen Barrel venezolanisches Rohöl geladen hatte. Die Crew, mehrheitlich russische Staatsbürger, leistete keinen Widerstand, als die amerikanischen Beamten das Schiff enterten, das zuvor Teil der iranischen Schattenflotte gewesen war und nun im Auftrag Havannas und Pekings operierte.
Doch dieser Zugriff am helllichten Tag war kein isolierter Schlag gegen den Schmuggel. Er war der Auftakt für etwas weit Größeres, das Präsident Donald Trump kurz darauf in seiner bevorzugten Form der Diplomatie verkündete – in Großbuchstaben auf einer Social-Media-Plattform. Er ordnete eine „TOTALE UND VOLLSTÄNDIGE BLOCKADE“ aller sanktionierten Öltanker an und sprach von der „größten Armada, die je in der Geschichte Südamerikas versammelt wurde“. Was sich hier vor den Küsten Venezuelas zusammenbraut, ist weit mehr als eine Verschärfung der Sanktionspolitik. Es ist die einseitige Erklärung eines Seekrieges, bei dem die Grenzen zwischen militärischer Intervention, wirtschaftlicher Erpressung und dem Kampf um Ressourcen fließend werden. Die USA haben das Zeitalter der verdeckten Nadelstiche verlassen und setzen nun auf die rohe Gewalt einer Seeblockade, um ein Regime in die Knie zu zwingen, das sich als erstaunlich resilient erwiesen hat.
Die Fassade – „Drogenkrieg“ und das Terror-Label
Wenn man den offiziellen Verlautbarungen aus dem Weißen Haus Glauben schenkt, dann führen die Vereinigten Staaten in der Karibik einen moralisch unabweisbaren Feldzug. Das Narrativ ist simpel: Es geht um die nationale Sicherheit, um den Schutz der amerikanischen Bevölkerung vor einer Flut aus Drogen und Kriminalität. Präsident Trump bezeichnet den venezolanischen Machthaber Nicolás Maduro öffentlich als „Narco-Terroristen“ und suggeriert, das Land entleere seine Gefängnisse in Richtung USA. Um dieser Rhetorik Nachdruck zu verleihen, wurde die „Operation Southern Spear“ ins Leben gerufen – ein massiver militärischer Aufmarsch, angeführt vom Flugzeugträger USS Gerald R. Ford und flankiert von rund 15.000 Soldaten.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Die Gangart ist tödlich. Seit September haben US-Raketenangriffe auf mutmaßliche Schmugglerboote mehr als 20 Ziele getroffen und über 95 Menschenleben gefordert. Susie Wiles, Trumps Stabschefin, formulierte die Strategie mit einer brutalen Offenheit: Der Präsident wolle „so lange Boote in die Luft jagen, bis Maduro ‚Gnade‘ ruft“. Um diesen militärischen Druck juristisch zu legitimieren, griff die Administration zu einem scharfen Schwert: der Einstufung des venezolanischen Regimes – oft synonym verwendet mit dem nebulösen „Cartel de los Soles“ – als „Ausländische Terrororganisation“ (FTO). Diese Bezeichnung schafft erst den rechtlichen Rahmen für extraterritoriale Militärschläge, die sonst völkerrechtlich kaum zu rechtfertigen wären.
Doch wer hinter diese martialische Fassade blickt, erkennt Risse in der Argumentation. Selbst innerhalb der Administration regen sich Zweifel, ob die Bedrohung durch Maduro auch nur ansatzweise in einem Verhältnis zu dieser massiven militärischen Antwort steht. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Venezuela ist primär ein Transitland für kolumbianisches Kokain, das seinen Weg meist nach Europa findet, nicht in die USA. Das Land spielt in der direkten Versorgungskette illegaler Drogen in die Vereinigten Staaten eine vergleichsweise kleine Rolle. Dass eine Supermacht die größte Armada der südamerikanischen Geschichte mobilisiert, um ein Transitproblem zu lösen, wirkt wie der Einsatz eines Vorschlaghammers gegen eine Mücke. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der „Drogenkrieg“ nur das moralische Feigenblatt für eine ganz andere Agenda ist.
Das wahre Motiv – „Take the Oil“
Wenn der Nebel des Drogenkrieges sich lichtet, offenbart sich das archaische Motiv hinter der Blockade: Es ist ein Raubzug. Venezuela sitzt auf den größten bekannten Ölreserven der Welt – etwa 17 Prozent des globalen Vorkommens – sowie auf nahezu unerschlossenen Mengen an kritischen Mineralien und Seltenen Erden. Für eine Administration, die Geopolitik oft durch die Brille der Bilanzbuchhaltung betrachtet, ist dies eine unwiderstehliche Beute. Donald Trump hat aus diesem Begehren nie einen Hehl gemacht. Bereits in seiner ersten Amtszeit und im Wahlkampf 2023 wiederholte er mantraartig: „Ich habe immer gesagt: Nehmt das Öl“. Er bedauerte offen, dass die USA Venezuela nicht schon früher „übernommen“ hätten, als das Land vor dem Kollaps stand.
Die neue Eskalation folgt einer merkantilistischen Logik, die Regierungsbeamte hinter vorgehaltener Hand als „Financial Shakedown“ – eine finanzielle Erpressung – bezeichnen, die „primär aus Profitgründen“ erfolgt. In Trumps Weltsicht hat Venezuela diese Ressourcen unrechtmäßig an sich gerissen. Er fordert die Rückgabe von „Öl, Land und anderen Vermögenswerten“, die das Land angeblich „gestohlen“ habe. Dies ist eine kaum verhüllte Anspielung auf die Verstaatlichung der Ölindustrie in den 1970er Jahren, bei der westliche Konzerne enteignet wurden.
Doch es geht nicht nur um Vergangenheitsbewältigung, sondern um die strategische Zukunft. China kauft derzeit rund 80 Prozent des venezolanischen Öls und hat sich damit Zugriff auf jene kritischen Rohstoffe gesichert, die für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts essenziell sind. Die Blockade zielt also direkt auf die Halsschlagader der chinesischen Versorgung in der westlichen Hemisphäre. Das Endziel – nennen wir es „Phase 3“ – ist der Aufbau einer neuen Regierung in Caracas, die den USA exklusiven Zugang zu diesen Schätzen gewährt und die strategischen Konkurrenten Peking und Moskau vor die Tür setzt. Es ist ein geopolitisches Nullsummenspiel: Was China verliert, sollen die USA gewinnen. Der Weg dorthin führt über den wirtschaftlichen Strangulationstod Venezuelas.
Das doppelte Spiel – Chevron, Korruption und der „Maduro-Loophole“
Während Trump öffentlich den eisernen Blockade-Präsidenten gibt, vollzieht sich im Hintergrund ein bizarres Schauspiel der Doppelmoral, in dessen Zentrum der US-Ölgigant Chevron steht. Trotz der angekündigten totalen Blockade setzt Chevron seine Operationen in Venezuela fort, geschützt durch eine neu verlängerte, vertrauliche Lizenz der US-Regierung. Das Unternehmen beteuert, seine Geschäfte liefen „ohne Unterbrechung“ weiter, völlig unbeeindruckt von den Drohgebärden auf Social Media.
Hier zeigt sich die ganze Widersprüchlichkeit der US-Politik. Unter der Biden-Administration war Chevron verpflichtet, Gewinne über private Banken zu leiten, um sicherzustellen, dass Dollars in die venezolanische Wirtschaft fließen, ohne direkt in Maduros Taschen zu landen. Doch nach Trumps Rückkehr ins Weiße Haus wurden die Spielregeln geändert – mit fatalen Folgen. Die neue, im Juli erteilte Lizenz zwang Chevron dazu, den staatlichen Ölkonzern PDVSA nicht mehr in Geld, sondern in Sachleistungen – also direkt in Öl – zu bezahlen.
Diese Änderung öffnete Tür und Tor für massive Korruption. Das Öl, das PDVSA nun direkt von Chevron erhielt, wurde exklusiv über eine obskure Handelsfirma namens Shineful Energy verkauft. Hinter dieser Firma steht Ramón Carretero, ein panamaischer Geschäftsmann mit engen Verbindungen zur Familie von Maduros Ehefrau Cilia Flores. Interne Daten belegen, dass Carretero seit Juli Öl im Wert von rund 500 Millionen Dollar verkauft hat. Die Ironie ist beißend: Während Trump öffentlich den „Druck maximiert“, hat seine eigene Administration durch die Änderung der Lizenzbedingungen dafür gesorgt, dass ein halbe Milliarde Dollar direkt in das Netzwerk um Maduro fließen konnte. Erst jetzt, nachdem der Schaden angerichtet ist, versucht die US-Regierung hastig, dieses selbst geschaffene Schlupfloch durch Sanktionen gegen Carretero wieder zu schließen. Es ist ein Lehrstück darüber, wie inkonsistente Politik genau jene Gegner stärkt, die man zu bekämpfen vorgibt.
Die „OPEC der Sanktionierten“ – Ein globales Netzwerk
Die Beschlagnahmung des Tankers Skipper wirft ein Schlaglicht auf ein globales Phänomen, das durch die westliche Sanktionspolitik erst richtig erblüht ist: die Entstehung einer Schattenwirtschaft, einer Art „OPEC der Sanktionierten“. Die Skipper selbst ist ein Symbol dieser Allianz der Geächteten. Bevor sie venezolanisches Öl lud, war sie jahrelang Teil der iranischen Geisterflotte und transportierte Öl nach Syrien und China. Die Besatzung war russisch, die Ladung venezolanisch, das Ziel kubanisch oder chinesisch – eine multinationale Kooperation des Widerstands gegen Washington.
Besonders die Achse zwischen Caracas und Havanna verdeutlicht die Symbiose der Notwendigkeit. Venezuela liefert Öl zu stark subventionierten Preisen an das verarmte Kuba. Im Gegenzug stellt Havanna das Überleben des Regimes sicher: Kubanische Sicherheitskräfte, Geheimdienstoffiziere und Leibwächter bilden den innersten Schutzring um Nicolás Maduro, der sich zunehmend vor der eigenen Bevölkerung und dem US-Militär verschanzt.
Doch auch hier trügt der Schein der sozialistischen Bruderhilfe. Da Kuba dringend Devisen benötigt, wird ein Großteil des venezolanischen Öls gar nicht auf der Insel verbraucht, sondern direkt weiterverkauft – vornehmlich an China. Die Skipper sollte offiziell Kuba ansteuern, lud aber nur eine kleine Menge auf ein anderes Schiff um und nahm dann Kurs auf Asien. Diese Staaten haben voneinander gelernt, wie man Sanktionen umgeht: durch Schiff-zu-Schiff-Transfers auf offener See, manipulierte Transpondersignale und Zahlungen in Kryptowährungen. Russland nutzt heute Techniken für seine Ukraine-Kriegskasse, die venezolanische Händler unter dem Druck der ersten Trump-Administration perfektioniert haben. Je enger die USA das Netz ziehen, desto engmaschiger und professioneller wird das Gegennetzwerk.
Kollateralschaden und regionale Komplizen (Trinidad & Tobago)
Der Konflikt bleibt nicht auf Venezuela beschränkt; er zieht die gesamte Region in einen Strudel der Militarisierung. Besonders der kleine Inselstaat Trinidad & Tobago, nur elf Kilometer vor der venezolanischen Küste gelegen, gerät dabei zwischen die Fronten. Die Regierung in Port-of-Spain hat dem US-Militär Zugang zu ihren Flughäfen gewährt und die Stationierung eines hochmodernen mobilen Radarsystems (G/ATOR) auf der Insel Tobago erlaubt. Offiziell dient das Radar der Drogenbekämpfung. Doch Experten und der Hersteller Northrop Grumman bestätigen, dass dieses Gerät primär dazu dient, Marschflugkörper, Drohnen und Flugzeuge zu erfassen und Zieldaten für Luftschläge zu liefern – für den Kampf gegen Drogenschmuggler auf See ist es technisch gar nicht ausgelegt.
Die diplomatische Quittung für diese Allianz folgte prompt. Venezuela warf dem Nachbarland „Vassallentum“ und eine „feindselige Agenda“ vor und stornierte umgehend wichtige Erdgas-Deals, auf die Trinidads Wirtschaft dringend angewiesen ist. Premierministerin Kamla Persad-Bissessar verstrickt sich derweil in Widersprüche. Mal soll das US-Militär nur „ein bisschen Straße bauen“ helfen, mal geht es um „Routinerotationen“, dann wieder um den Kampf gegen Ölschmuggel.
Kritiker im eigenen Land warnen davor, dass Trinidad & Tobago durch diese Unterwürfigkeit gegenüber Trump seine Souveränität opfert und sich zur Zielscheibe in einem heißen Krieg macht. Das Radar wäre im Ernstfall ein legitimes militärisches Ziel. Die Episode zeigt, wie der Druck aus Washington kleine Nationen dazu zwingt, ihre gutnachbarschaftlichen Beziehungen und wirtschaftlichen Interessen für die Sicherheitsarchitektur der USA zu opfern. Trinidad hat sich entschieden – und zahlt nun den Preis der Parteilichkeit.
Das Gespenst von Bagdad – Planlos in den „Regime Change“
Das beunruhigendste Element an Trumps Strategie ist nicht das, was sichtbar ist, sondern das, was fehlt. Es gibt einen klaren „Phase 1“-Plan: militärischer Druck, Tötung von Schmugglern, Destabilisierung. Es gibt ein klares „Phase 3“-Ziel: Zugriff auf das Öl mit einer neuen Regierung. Doch „Phase 2“ – der Übergang, das „Day After“ – ist ein einziges, gähnendes Loch. Selbst hochrangige Beamte geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass es kaum substanzielle Planungen für die Zeit nach einem möglichen Sturz Maduros gibt. „Es ist wie die Invasion im Irak“, warnt ein Insider, „der Zug ist abgefahren, bevor die Vorbereitungen getroffen wurden“.
Trump scheint auf eine schnelle Implosion des Regimes zu wetten; er glaubt, Maduros „Tage sind gezählt“. Doch das ist ein gefährliches Wunschdenken. Maduro hat das Militär systematisch gesäubert und stützt sich auf eine loyale Prätorianergarde sowie die asymmetrische Kriegsführung durch Guerilla-Gruppen. Sollte der Diktator tatsächlich fallen, droht kein geordneter Übergang, sondern ein Machtvakuum, das von bewaffneten Banden und rivalisierenden Generälen gefüllt wird.
Die Konsequenzen eines solchen Chaos wären für die USA paradoxerweise genau das Gegenteil dessen, was Trump versprochen hat. Ein Bürgerkrieg oder ein „Failed State“ Venezuela würde eine neue, massive Flüchtlingswelle auslösen, die sich unweigerlich nach Norden in Richtung USA bewegen würde. Zudem warnen Ökonomen wie Francisco Rodríguez eindringlich: Eine totale Blockade, die dem Land jegliche Einnahmen entzieht, könnte zur „ersten großen Hungersnot der modernen Geschichte in der westlichen Hemisphäre“ führen. Die USA setzen politisch auf die Opposition um Edmundo González und María Corina Machado, doch es ist höchst zweifelhaft, ob diese ohne massive und dauerhafte US-Militärpräsenz in einem solchen Umfeld regieren könnten. Man steuert sehenden Auges auf ein Debakel zu, das die Fehler von Bagdad und Tripolis vor der eigenen Haustür wiederholt.
Fazit: Der Preis der Gier
Donald Trump mag behaupten, er wolle keine endlosen Kriege und kein „Nation Building“. Doch seine Handlungen in der Karibik sprechen eine andere Sprache. Getrieben von einer Mischung aus Ressourcenhunger und dem Wunsch, China auszustechen, riskiert er die Destabilisierung eines ganzen Subkontinents. Die Lektionen der Geschichte – dass Regime Changes ohne tragfähigen Plan fast immer in Katastrophen enden – werden zugunsten einer „To the victor belong the spoils“-Mentalität (Dem Sieger gehört die Beute) ignoriert.
Die Blockade und die terroristische Brandmarkung des venezolanischen Staates sind die letzten Stufen vor einer direkten militärischen Konfrontation. Es gibt keinen diplomatischen Ausweg mehr, keine Rückzugslinie. Wenn der ökonomische Würgegriff Maduro nicht zu Fall bringt – und wenig spricht dafür, dass er das schnell tun wird –, bleibt nur die Eskalation oder der Gesichtsverlust. Ein Beamter der Administration fasste das Dilemma düster zusammen: Selbst wenn Maduro geht, „wird es wahrscheinlich schlimmer, bevor es besser wird. Wir müssen bereit sein“. Doch alles deutet darauf hin, dass Washington für dieses „Schlimmer“ absolut nicht bereit ist. Die USA könnten bald Besitzer der größten Ölreserven der Welt sein – in einem Land, das nur noch aus Trümmern besteht.


