Das Fieber: Wie Donald Trump und Robert F. Kennedy Jr. Amerikas Immunsystem lahmlegen

Illustration: KI-generiert

Es gibt Abrissarbeiten, die mit ohrenbetäubendem Lärm einhergehen, mit Staubwolken und dem Krachen berstenden Betons. Und es gibt jene, die leise vonstattengehen, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Sie beginnen nicht mit dem Presslufthammer im Fundament, sondern mit einem Federstrich in einem klimatisierten Büro. Der architektonische Abriss, der sich derzeit im Herzen der amerikanischen Gesundheitsinfrastruktur vollzieht, gehört zur zweiten Kategorie. Es ist ein stiller, methodischer und politisch kalkulierter Rückbau des Centers for Disease Control and Prevention (CDC), jener Institution, die über Jahrzehnte als das globale Gewissen der öffentlichen Gesundheit galt. Angetrieben von einer unwahrscheinlichen, aber machtvollen Allianz zwischen Präsident Donald Trump und seinem Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., erleben die USA nicht nur einen politischen Kurswechsel, sondern einen fundamentalen Angriff auf die Autorität der Wissenschaft selbst. Was wir beobachten, ist der Versuch, das Immunsystem einer Nation neu zu programmieren – weg von evidenzbasierter Prävention, hin zu einer ideologisch aufgeladenen Agenda, deren Langzeitfolgen kaum absehbar sind.

Eine unheilige Allianz: Der Pakt zwischen Kalkül und Überzeugung

Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, muss man die Mechanik dieser politischen Symbiose begreifen. Es ist ein Bündnis, das auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, bei genauerem Hinsehen aber einer zwingenden Logik folgt. Auf der einen Seite steht Donald Trump, ein Präsident, dessen politisches Überleben von der Fähigkeit abhängt, etablierte Normen zu brechen und eine loyale, regierungsskeptische Basis zu mobilisieren. Für Trump ist die Allianz mit einem Kennedy nicht nur ein persönlicher Triumph – eine Art posthume Annexion der Camelot-Ära –, sondern auch ein strategischer Geniestreich. Kennedy liefert ihm eine Brücke zu Wählern, die tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Mandaten und der Pharmaindustrie hegen – eine Gruppe, die Trump privat als die „radikale Rechte“ bezeichnet, deren Stimmen er aber dringend benötigt.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Auf der anderen Seite steht Robert F. Kennedy Jr., der Erbe eines der größten politischen Namen Amerikas, der seit Jahrzehnten einen Kreuzzug gegen die Impfstoffpolitik führt. Seine Theorien über einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft unzählige Male widerlegt, doch das hat seine Überzeugung nie erschüttert. Was ihm immer fehlte, war die institutionelle Macht, seine Thesen aus den Nischen der Alternativmedizin in den Maschinenraum der Regierung zu tragen. Diese Macht hat ihm Trump nun verliehen. Trump gibt Kennedy die präsidiale Bühne und die exekutive Gewalt, während Kennedy Trump die Aura eines legendären Namens und die ideologische Munition für seinen Kampf gegen das Establishment liefert. Es ist eine perfekte, wenn auch für die öffentliche Gesundheit potenziell verheerende, Win-win-Situation. Trumps Motivation ist primär strategisches Kalkül; Kennedys ist tief sitzende, ideologische Überzeugung. Das Ergebnis ist eine Politik, die mit der Präzision eines Chirurgen beginnt, das Nervensystem der amerikanischen Seuchenbekämpfung zu durchtrennen.

Die Anatomie der Zerstörung: Ein System wird von innen ausgehöhlt

Der Umbau der CDC geschieht nicht durch eine Gesetzesänderung im Kongress, sondern durch eine Serie gezielter administrativer Eingriffe, die das Fundament der Behörde erodieren lassen. Der Prozess begann mit einer personellen Säuberungswelle, die einem politischen Blitzkrieg glich. Die medienwirksame Entlassung der erst kurz zuvor berufenen CDC-Direktorin Susan Monarez war dabei nur die Spitze des Eisbergs. Monarez, eine langjährige Regierungswissenschaftlerin, weigerte sich, „unwissenschaftliche, rücksichtslose Direktiven“ blind abzusegnen, und wurde daraufhin direkt vom Weißen Haus gefeuert. Ihr Rauswurf sandte ein klares Signal an alle verbliebenen Mitarbeiter: Loyalität zur neuen Agenda steht über wissenschaftlicher Integrität.

An ihre Stelle trat, zumindest kommissarisch, Jim O’Neill, Kennedys Stellvertreter und ein Mann, dessen Profil Bände spricht. O’Neill ist kein Mediziner, kein Epidemiologe, kein Wissenschaftler. Er ist ein ehemaliger Investor mit libertären Überzeugungen und Verbindungen zum Tech-Milliardär Peter Thiel. Seine bisherigen Positionen zeichnen das Bild eines Mannes, der staatliche Regulierung als Hindernis für Innovation betrachtet – so schlug er einst vor, die Arzneimittelbehörde FDA solle Medikamente nur noch auf Sicherheit, nicht aber auf Wirksamkeit prüfen. Seine Ernennung ist ein klares Statement: Die CDC soll nicht länger von Gesundheitsexperten, sondern von Managern mit einer deregulierenden, politischen Agenda geführt werden.

Parallel zur personellen Neuausrichtung wurde die wissenschaftliche Beratungsstruktur der Behörde zerschlagen. Im Juni löste Kennedy das gesamte unabhängige Impfstoff-Beratungsgremium (ACIP) auf und ersetzte seine 17 Mitglieder durch handverlesene Personen, darunter bekannte Impfskeptiker und Aktivisten. Dieses Gremium, das jahrzehntelang auf Basis strenger Datenanalysen die nationalen Impfempfehlungen erarbeitete, ist nun zu einem politischen Instrument des Ministers geworden. Entscheidungen, die einst in transparenten, wissenschaftlichen Debatten getroffen wurden, werden nun hinter verschlossenen Türen oder per Dekret des Ministers verkündet – wie bei der überraschenden Einschränkung der Covid-Impfungen für gesunde Kinder und Schwangere. Ergänzt wird dies durch massive Budgetkürzungen, die Streichung ganzer Abteilungen und die Kündigung von Hunderten von Experten. Es ist ein Vorgehen, das die Behörde nicht reformiert, sondern gezielt bricht.

Fliegen im Blindflug: Wenn Daten verschwinden und Vertrauen stirbt

Die vielleicht gefährlichste Folge dieser Transformation ist der organisierte Verlust von Wissen und Daten. Eine Gesundheitsbehörde ohne verlässliche Daten ist wie ein Pilot ohne Instrumente – sie fliegt blind. Durch die Kürzungen und den personellen Exodus verliert die CDC ihre Fähigkeit, Gesundheitsrisiken zu überwachen und zu analysieren. So wurde etwa die Belegschaft des Schwangerschafts-Risiko-Überwachungssystems, das entscheidende Daten zur Müttersterblichkeit sammelte, komplett entlassen. Die Datenerfassung zur globalen Ausbreitung der Grippe, die für die jährliche Anpassung des Impfstoffs unerlässlich ist, wurde drastisch reduziert. Das bedeutet, dass künftig womöglich andere Nationen darüber entscheiden, welcher Grippe-Impfstoff in amerikanische Arme gespritzt wird.

Dieser Datenverlust hat zwei unmittelbare Konsequenzen. Erstens untergräbt er die Fähigkeit, evidenzbasierte Empfehlungen abzugeben. Wie soll man die Bevölkerung vor einer neuen Krankheitswelle warnen, wenn die Radarschirme abgeschaltet sind? Wie sollen Ärzte in den Notaufnahmen verlässliche Handlungsempfehlungen erhalten, wenn die zentrale Informationsquelle versiegt? Zweitens zerstört dieser Prozess das öffentliche Vertrauen. Wenn Bürger das Gefühl haben, dass die offizielle Gesundheitspolitik nicht mehr auf wissenschaftlichen Fakten, sondern auf den Launen eines Ministers oder den politischen Zielen eines Präsidenten beruht, erodiert die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems. Die Verwirrung um die neuen Richtlinien für Covid-Impfstoffe ist hierfür ein Paradebeispiel. An einem Tag werden die Änderungen als marginal dargestellt, am nächsten als grundlegende Neuausrichtung verteidigt. Diese Kakofonie schwächt nicht nur die CDC, sie schwächt das Vertrauen der Amerikaner in jede Form staatlicher Autorität.

Dieser Vertrauensverlust trifft bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders hart. Die Einschränkung von Impfprogrammen und die Schwächung der Krankheitsüberwachung werden voraussichtlich vor allem sozioökonomisch benachteiligte Gemeinschaften, Kinder und Menschen mit Vorerkrankungen gefährden. Bestehende gesundheitliche Ungleichheiten drohen sich weiter zu verschärfen, wenn der präventive Schutzschild des Staates löchrig wird.

Das private Rettungsnetz: Ein Flickenteppich gegen den Systemkollaps

Wo staatliche Strukturen zerfallen, entsteht oft ein Vakuum, das private und zivilgesellschaftliche Akteure zu füllen versuchen. Als Reaktion auf den Niedergang der CDC formiert sich eine Art „Schatten-Gesundheitssystem“. Wissenschaftler, Ärztevereinigungen und ehemalige CDC-Mitarbeiter gründen neue Initiativen, um die wegbrechenden Funktionen der Behörde notdürftig zu ersetzen. Das „Vaccine Integrity Project“ versucht, die evidenzbasierte Überprüfung von Impfstoffen fortzuführen. Die „Association for Dental Safety“ übernimmt die Aktualisierung von Infektionsschutz-Richtlinien für Zahnarztpraxen, eine Aufgabe, die die CDC aufgegeben hat. Entlassene Forscher gründen Beratungsfirmen, um ihr Wissen weiter zur Verfügung zu stellen.

Diese Bemühungen sind bewundernswert und von unschätzbarem Wert. Doch sie sind nicht mehr als ein Flickenteppich, der versucht, die Risse in einem zerbrechenden Damm zu kitten. Diesen Initiativen fehlen die entscheidenden Ressourcen, die nur eine Bundesbehörde wie die CDC bereitstellen kann: nachhaltige Finanzierung, gesetzliche Autorität, landesweiter Zugang zu Daten und eine etablierte globale Vernetzung. Einzelne Bundesstaaten wie Massachusetts versuchen zwar, eigene Impfempfehlungen zu erarbeiten, doch dies führt unweigerlich zu einem regulatorischen Chaos und untergräbt den nationalen Ansatz der Seuchenbekämpfung. So nobel die Motive dieser privaten Retter auch sind, sie können ein funktionierendes nationales Gesundheitssystem nicht ersetzen. Sie sind ein Symptom der Krankheit, nicht ihre Heilung.

Am Scheideweg: Ein Land ohne Immunsystem?

Was wir derzeit erleben, ist mehr als nur ein weiterer politischer Streit in Washington. Es ist ein beispielloser Bruch mit der Tradition, dass die öffentliche Gesundheit, ähnlich wie die Landesverteidigung, über parteipolitischen Grabenkämpfen stehen sollte. Während es in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen um das Budget oder einzelne Richtlinien der CDC gab, ist der aktuelle Konflikt von einer anderen Qualität. Er zielt nicht auf die Reform, sondern auf die Entkernung der Institution und die Delegitimierung der wissenschaftlichen Methode als Grundlage staatlichen Handelns.

Das wahrscheinlichste Szenario, sollte dieser Kurs beibehalten werden, ist düster. Ein Land, das seine Fähigkeit zur Überwachung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bewusst schwächt, macht sich verwundbar. Die kurzfristige Gefahr besteht im Wiederaufflammen von Krankheiten, die wir längst besiegt glaubten – von Masern bis hin zu Polio. Die langfristige Gefahr liegt im Verlust der globalen Führungsrolle Amerikas in der öffentlichen Gesundheit und in der Unfähigkeit, auf die nächste, unvermeidliche Pandemie vorbereitet zu sein. Wenn das Frühwarnsystem der Nation demontiert ist, wird der nächste Ausbruch nicht nur mehr Leben kosten, sondern auch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität in einem weitaus größeren Maße bedrohen.

Der Fiebertraum, in dem sich Amerikas öffentliche Gesundheit befindet, wird nicht von einem Virus verursacht, sondern von einer politischen Entscheidung. Der Entscheidung, eine über Jahrzehnte aufgebaute wissenschaftliche Infrastruktur den kurzfristigen Zielen einer politischen Allianz und den tief verwurzelten Überzeugungen eines einzelnen Mannes zu opfern. Die entscheidende Frage ist nicht mehr, ob die CDC überleben wird, sondern in welcher Form. Und was es für eine Nation bedeutet, wenn sie beschließt, ihr eigenes Immunsystem bewusst abzuschalten.

Nach oben scrollen