Das Fest der zwei Geschwindigkeiten: Wenn das Steak zum Statussymbol wird und der Algorithmus den Preis diktiert

Illustration: KI-generiert

Es ist ein stiller Riss, der sich in diesem Winter durch die Gesellschaft zieht. Während in den Hinterzimmern der gehobenen Gastronomie die Korken knallen und das Filet Mignon trotz Rekordpreisen reißenden Absatz findet, werden in den Wohnzimmern der Mittelschicht Windeln und Spülmittel als Weihnachtsgeschenke verpackt. Die Feiertage 2025 markieren eine ökonomische Zäsur: Sie zeigen uns eine Welt, in der der Preis für das Abendessen nicht mehr nur von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, sondern von der Willkür digitaler Algorithmen und der harten Realität einer gespaltenen Kaufkraft.

Der November brachte für Tommy Hall, den Präsidenten einer Kette von Steakhäusern im Südosten der USA, einen Moment der Wahrheit – einen Code Red. Er stand vor der Entscheidung, die Preise für sein Filet Mignon auf 61 Dollar und für das Rib-Eye auf 85 Dollar anzuheben. Es sind Momente wie diese, die Unternehmern Schmetterlinge im Bauch bescheren, getrieben von der bangen Frage, ob der Gast diesen Weg noch mitgeht. Doch Halls Sorge, so berechtigt sie individuell sein mag, erzählt nur die halbe Geschichte. Denn während er die Preise erhöhte, blieben seine Reservierungsbücher für den Dezember voll. Die teuersten Schnitte – das Tomahawk-Steak, das Bone-in Filet – fließen in unverminderter Menge auf die Teller derjenigen, die es sich leisten können.

Hier, im warmen Licht der Kronleuchter, scheint die Welt noch in Ordnung. Doch einen Blickwinkel weiter, jenseits der Prime-Qualität, zeigt sich ein anderes Bild. Die amerikanische Rinderherde ist auf den niedrigsten Stand seit den 1950er Jahren geschrumpft. Das Ergebnis ist ein Preisschock an der Kühltheke, wo USDA Choice Steaks im vergangenen Jahr um 20 Prozent teurer wurden. Für Familien, deren Einkommen nicht mit der Inflation Schritt gehalten hat, bedeutet das: Das Steak verschwindet vom Tisch. Es wird ersetzt durch Schweinekoteletts oder Huhn. Die kulinarische Landkarte des Landes wird neu gezeichnet, nicht nach Geschmack, sondern nach Solvenz.

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Die Erosion der Mitte und der Aufstieg des Nützlichen

Diese Zweiteilung beschränkt sich nicht auf den Teller. Sie frisst sich tief in die Traditionen des Schenkens und Konsumierens hinein. Die Daten zum diesjährigen Black Friday lesen sich wie ein pathologischer Befund einer erkrankten Volkswirtschaft. Haushalte mit einem Einkommen von über 150.000 Dollar erhöhten ihre Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent. Sie kaufen Weinkühlschränke und Massagepistolen. Am anderen Ende der Skala, bei Haushalten unter 40.000 Dollar Jahreseinkommen, herrscht Rezession: Die Ausgaben sanken um zwei Prozent. Viele Familien, die früher die Rabattschlachten nutzten, um sich einzudecken, blieben den Geschäften in diesem Jahr ganz fern.

Was übrig bleibt, ist ein pragmatischer, fast schmerzhafter Rückzug auf das Notwendige. Der Wunschzettel vieler Amerikaner hat sich radikal gewandelt. Was ich mir zu Weihnachten wünsche, ist, dass mir jemand Toilettenpapier und Spülmittel kauft, ist kein satirischer Einwurf mehr, sondern bittere Realität. Die Verkaufszahlen sprechen eine deutliche Sprache: Am Cyber Monday stiegen die Online-Verkäufe von Kühlschränken und Gefriertruhen um unglaubliche 1.700 Prozent im Vergleich zum Oktober. Auch Staubsauger und Kochgeschirr verzeichneten massive Zuwächse.

Es ist eine Rückkehr zum Utilitarismus, geboren aus der Not. Eltern verpacken Windeln und Babyshampoo, nur damit unter dem Baum überhaupt etwas zum Auspacken liegt. Socken, früher der Inbegriff des langweiligen Notgeschenks, werden plötzlich aktiv nachgefragt. Diese Verschiebung hin zu Gebrauchsgegenständen statt Wünschen ist mehr als eine statistische Anomalie; sie ist ein kultureller Verlust. Wenn der Luxus des Unnötigen, der den Zauber des Schenkens oft ausmacht, dem Zwang des Nützlichen weicht, verliert das Fest einen Teil seiner Seele.

Der Geist in der Maschine: Algorithmische Willkür

Doch während die Knappheit bei Rindfleisch noch mit biologischen Zyklen und Dürren erklärbar ist, lauert im digitalen Raum eine neue, künstlich erzeugte Unsicherheit. Das alte Versprechen des Marktes – ein Preis für alle, zur gleichen Zeit – löst sich auf. Eine beunruhigende Untersuchung zeigte kürzlich, wie fragil das Vertrauen in den Preis geworden ist: Testkäufer, die zur exakt gleichen Zeit im selben Online-Supermarkt einkauften, erhielten für identische Produkte unterschiedliche Preise.

Das Phänomen, bekannt als Dynamic Pricing, hat den Sprung von Flugtickets und Fahrplattformen in den Alltagskonsum geschafft. Algorithmen scannen das Kaufverhalten, testen Zahlungsbereitschaften und passen Preisschilder in Echtzeit an. Für den Verbraucher ist dies ein Spiel mit gezinkten Karten. Ein Glas Erdnussbutter kostet für den einen 2,99 Dollar, für den anderen 3,59 Dollar – ohne erkennbaren Grund.

Ökonomen warnen vor einer algorithmischen Nötigung. Wenn Unternehmen wissen, dass Konkurrenten ihre Preise in Millisekunden anpassen, schwindet der Anreiz, Kunden durch günstige Angebote zu locken. Statt Wettbewerb entsteht eine Spirale der Extraktion, die darauf abzielt, den maximalen Preis aus jedem einzelnen Konsumenten herauszupressen. Diese Praxis macht Inflation volatiler und unberechenbarer. Sie hinterlässt beim Bürger das dumpfe Gefühl, übervorteilt zu werden – eine Bestätigung für all jene, die ohnehin glauben, dass das System gegen sie arbeitet. Transparenz, einst die Basis vertrauensvollen Handels, wird zur Business Opportunity für Opazität umgedeutet.

Die politische Dimension des Preisschilds

Diese ökonomischen Verwerfungen bleiben nicht ohne politische Resonanz. Während Präsident Trump auf einer Erschwinglichkeitstour verkündet, die Preise kämen gewaltig herunter, erleben die Menschen im Supermarktregal eine andere Wahrheit. Lebensmittelpreise sind in den letzten fünf Jahren um mehr als 25 Prozent gestiegen. Die Inflation mag sich statistisch abkühlen, doch das Preisniveau hat sich auf einem Plateau eingependelt, das für viele unerreichbar geworden ist.

Die Reaktion der Politik wirkt dabei oft hilflos oder aktionistisch. Task Forces werden gegründet, um Preisabsprachen zu untersuchen, und Senatoren wettern gegen Preistreiberei. Doch die strukturellen Probleme – von der Monopolisierung der Fleischindustrie bis zur Black Box der Preisalgorithmen – lassen sich durch Dekrete kaum kurzfristig lösen.

Es entsteht eine gefährliche Diskrepanz zwischen makroökonomischen Erfolgsmeldungen und der mikroökonomischen Realität der Mittelschicht. Die oberen zehn Prozent der Amerikaner verantworten mittlerweile fast die Hälfte aller Konsumausgaben. Wenn eine Volkswirtschaft so stark von der Ausgabenfreude einer wohlhabenden Elite abhängt, während die breite Masse den Gürtel enger schnallen muss, wird das Fundament brüchig. Mittelpreisige Ketten wie Outback Steakhouse oder Bloomin‘ Brands spüren dies bereits schmerzhaft: Ihre Aktienkurse stürzen ab, weil ihre Kernkundschaft wegbleibt.

Strategien des Überlebens und der stille Wandel

Wie reagieren die Menschen auf diesen Zangengriff aus Inflation und Technologie? Sie passen sich an, oft mit bemerkenswerter Resilienz, aber auch mit Resignation. Experten raten zu finanzieller Ehrlichkeit und dem Setzen von Grenzen. Es wird empfohlen, Traditionen neu zu erfinden, die kein Geld kosten – Pfannkuchenbacken statt teurer Ausflüge, Spieleabende statt Materialschlachten. Das klingt idyllisch, ist aber oft nur eine Romantisierung des Verzichts.

Viele Verbraucher werden zu strategischen Jägern. Sie nutzen Browser-Erweiterungen, um Coupons zu finden, und kaufen Fleisch nur noch, wenn es im Angebot ist, um es einzufrieren. Doch selbst diese Strategien stoßen an Grenzen, wenn Algorithmen die Preise schneller ändern, als der Mensch klicken kann. Die Vorratshaltung, die Unternehmen wie Omaha Steaks hilft, die Preise stabil zu halten, ist für den Endverbraucher, der auf frische Ware angewiesen ist, kaum replizierbar.

Was uns diese Feiertagssaison lehrt, ist, dass die Einheit des Marktes eine Illusion geworden ist. Wir leben nicht mehr in einer Wirtschaft, sondern in zwei parallel existierenden Realitäten. In der einen wird das 85-Dollar-Rib-Eye bestellt, ohne mit der Wimper zu zucken. In der anderen wird das Spülmittel unter den Baum gelegt und gehofft, dass der Algorithmus beim nächsten Einkauf gnädig ist.

Diese Entwicklung birgt sozialen Sprengstoff. Wenn Konsum, der in westlichen Gesellschaften oft auch Teilhabe bedeutet, so stark vom Einkommen und von intransparenten Technologien abhängt, erodiert das Gefühl der Gemeinsamkeit. Das Steak auf dem Teller und der Preis im Warenkorb sind keine unpolitischen Größen mehr. Sie sind Symbole einer Ordnung, die dabei ist, ihre Mitte zu verlieren. Und während wir uns auf das neue Jahr vorbereiten, bleibt die bange Frage, ob dieser Zustand der Code Red nur eine Phase ist – oder die neue Normalität.

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