
Es ist ein Dokument, das weniger wie eine staatstragende Doktrin wirkt, sondern eher wie das Fieberdiagramm einer veränderten Weltordnung. Die „National Security Strategy“ 2025 der Trump-Administration markiert nicht bloß eine Kurskorrektur, sondern den Abriss der transatlantischen Architektur. Bestätigt durch ein explosives Interview, in dem der US-Präsident den „Zerfall“ Europas prophezeit, steht der Kontinent vor einer existenziellen Wahl: Emanzipation oder Bedeutungslosigkeit.
Wenn Regierungen Strategiepapiere veröffentlichen, geschieht dies meist mit der drögen Verlässlichkeit bürokratischer Routine. Es sind Texte, die Kanten glätten und Kontinuität beschwören. Doch das, was nun aus dem Weißen Haus unter dem Titel „National Security Strategy“ (NSS) 2025 die Weltbühne betreten hat, bricht mit dieser Tradition so radikal wie ein Vorschlaghammer mit einer Porzellanvase. Es landet nicht mit dem gewichtigen Aufschlag intellektueller Brillanz, wie man es einst von Vordenkern wie Kissinger kannte, sondern eher mit einem verstörenden, fast schmierigen Flattern. Wer geglaubt hatte, die zweite Amtszeit Donald Trumps würde durch die normative Kraft des Amtes gemäßigt, sieht sich getäuscht.
Dieses Papier ist mehr als eine Strategie; es ist eine psychologische Landkarte des Präsidenten und seiner Berater. Es offenbart eine Weltanschauung, in der traditionelle Bündnisse als Last und Autokraten als potenzielle Geschäftspartner gelten. Bestätigt wird dieser radikale Schwenk durch Trumps jüngste Äußerungen in einem Interview mit Politico und WELT, die jeden Zweifel ausräumen: Der amerikanische Schutzschirm, unter dem Europa jahrzehntelang wohlhabend und bequem geworden ist, wird nicht nur eingerollt – er wird ersetzt durch eine Politik der aktiven Einmischung und der ideologischen Bevormundung.

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Der Paradigmenwechsel: Kulturkampf statt Kanonenboot
Die fundamentalste Verschiebung in diesem Dokument und den begleitenden Aussagen des Präsidenten liegt in der Neudefinition dessen, was Sicherheit überhaupt bedeutet. Jahrzehntelang basierte die westliche Sicherheitsarchitektur auf der Abwehr militärischer Bedrohungen und der Eindämmung rivalisierender Großmächte. Die NSS 2025 verschiebt diesen Fokus dramatisch. Die wahre Gefahr lauert demnach nicht mehr in den Atomsilos Russlands oder den Expansionsbestrebungen Pekings, sondern im vermeintlichen zivilisatorischen Verfall des Westens selbst.
Im Interview wird Trump hierbei erstaunlich konkret und persönlich. Er attestiert Europa, dass es zerstört werde und Gefahr laufe, ein völlig anderer Ort zu werden. Seine Diagnose ist gnadenlos: Europa stirbt an seiner eigenen Überregulierung und vor allem an einer unkontrollierten Migration. Mit dem Finger zeigt er dabei direkt auf Deutschland und dessen ehemalige Kanzlerin Angela Merkel, der er zwei historische Fehler vorwirft: die Migrationspolitik und die Energiewende. Es sind Sätze, die sitzen wie Hiebe. Trump zeichnet das Bild von einst sicheren Ländern wie Schweden und Deutschland, die nun von Kriminalität heimgesucht würden.
Diese Rhetorik ist kein bloßes Hintergrundrauschen eines Wahlkämpfers mehr, sondern staatliche Doktrin. Indem die US-Administration den Kulturkampf zur Frage der nationalen Sicherheit erhebt, legitimiert sie eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten, die in der modernen Diplomatie ihresgleichen sucht. Trump macht keinen Hehl daraus, wen er als Vorbild sieht: Viktor Orbán, der niemanden ins Land lasse, und den radikalen Reformer Javier Milei in Argentinien. Das Ziel ist nicht mehr die Stabilisierung der Europäischen Union, sondern deren ideologische Umformung nach dem Vorbild der MAGA-Bewegung. Man will den Widerstand gegen den Brüsseler Kurs in den Nationalstaaten fördern und sieht in rechtspopulistischen Parteien die eigentlichen Hoffnungsträger.
NATO-Daddy und der russische Bär
Vielleicht am verstörendsten für den klassischen Transatlantiker ist die neue psychologische Dynamik innerhalb des Bündnisses, die Trump mit einer Mischung aus Paternalismus und Verachtung beschreibt. Im Interview brüstet er sich damit, dass die NATO ihn Daddy nenne. Diese infantile Metapher offenbart ein tiefes hierarchisches Verständnis: Hier agieren keine Partner auf Augenhöhe, sondern ein patriarchaler Anführer und seine abhängigen Schutzbefohlenen, die nur dann gehorchen – oder zahlen –, wenn der Vater streng wird.
Korrespondierend dazu wird Russland in der neuen Strategie entdämonisiert. Wo frühere Doktrinen Moskau als revisionistische Bedrohung identifizierten, sucht man in der NSS 2025 vergeblich nach klaren Feindbildern. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine erscheint nicht mehr als Völkerrechtsbruch, sondern als bedauerliche Störung einer Beziehung, die eigentlich auf strategische Stabilität ausgelegt sein sollte. Trump selbst beschreibt sein Verhältnis zu Autokraten wie Erdogan oder Putin als pragmatisch, fast freundschaftlich. Man könne Dinge regeln, so der Tenor.
Diese Haltung hat verheerende Konsequenzen für die Ukraine. Der geforderte Realismus ist nichts anderes als die Chiffre für die Akzeptanz territorialer Verluste. Trump drängt Kiew offen, sich mit dem Status quo abzufinden, da Russland aufgrund seiner schieren Größe und Ressourcen ohnehin im Vorteil sei. Seine persönliche Abneigung gegen Wolodymyr Selenskyj, dem er vorwirft, Friedenspläne nicht zu lesen, sowie eine gewisse Bewunderung für die autokratische Härte Putins scheinen hier die strategische Analyse zu überlagern. Es ist eine Einladung an Moskau, den Einfluss in Europa auszuweiten, solange man Washington nicht direkt in die Quere kommt.
Die Maginot-Linie des 21. Jahrhunderts
Während die Strategie sich obsessiv an Migrationsströmen, Wokeness und kulturellen Fragen abarbeitet, klafft an anderer Stelle eine gefährliche Lücke. Kritische Analysten vergleichen die NSS 2025 bereits mit der französischen Maginot-Linie vor dem Zweiten Weltkrieg: Man baut eine gewaltige Festung gegen eine Gefahr, die man sieht und versteht – in diesem Fall Migration und Handelsdefizite –, während man für die wahren, technologisch komplexen Bedrohungen blind bleibt.
Die Welt hat sich längst in ein digitales Schlachtfeld verwandelt. Massive chinesische Cyberoperationen wie Salt Typhoon oder Volt Typhoon, bei denen staatliche Akteure tief in die amerikanische Telekommunikations- und Wasserinfrastruktur eingedrungen sind, finden in der Strategie kaum Erwähnung oder werden heruntergespielt. Auch die rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz und deren militärische Nutzung werden ignoriert.
Noch gravierender ist das Ignorieren der neuen Achse der Autokraten. Dass Russland, China, Nordkorea und der Iran längst eine militärisch-technologische Allianz geschmiedet haben, in der Drohnen, Raketentechnologie und nukleares Know-how ausgetauscht werden, passt nicht in das Weltbild des Weißen Hauses. China wird fast niedlich auf einen rein wirtschaftlichen Konkurrenten reduziert, mit dem man Deals aushandeln kann. Die Vorstellung, dass Xi Jinpings China und Putins Russland systemische Rivalen sind, die eine hegemoniale Ablösung der USA anstreben, wird zugunsten der Hoffnung auf vorteilhafte Handelsabkommen beiseitegewischt. Es ist eine Wette auf die Zukunft, bei der der Einsatz die Sicherheit der gesamten freien Welt ist.
Europa zwischen Schockstarre und heilsamer Kränkung
Wie reagiert nun Europa auf diese Ohrfeige? Die Reaktionen spiegeln die Zerrissenheit des Kontinents wider. Auf der einen Seite steht die Empörung der liberalen Mitte, der Grünen und der Sozialdemokraten. Für sie ist die Strategie ein inkohärentes Geschwafel und ein Angriff auf die europäische Souveränität. Die Vorstellung, dass Washington sich anmaßt, über die Qualität der Demokratie in Deutschland zu urteilen, während man selbst demokratische Institutionen aushöhlt, wirkt auf sie wie ein schlechter Scherz. Außenpolitiker warnen davor, dass Trump gezielt versuche, Europa zu spalten und autoritäre Kräfte zu stärken.
Doch es gibt eine zweite Lesart, die nicht nur bei der rechtspopulistischen AfD auf fruchtbaren Boden fällt, sondern auch in konservativen und wirtschaftsliberalen Zirkeln Widerhall findet. Es ist die These von der heilsamen Kränkung. Hat Trump in der Sache nicht vielleicht recht? Ist Europa nicht tatsächlich wirtschaftlich zurückgefallen, gelähmt von Bürokratie, überaltert und unfähig, seine eigenen Grenzen zu schützen? Stimmen aus der Finanzwelt, wie die von JPMorgan-CEO Jamie Dimon, warnen schon lange, dass Europa durch Überregulierung Innovationen vertreibt und den Anschluss verliert. Auch Trump verweist im Interview auf den wirtschaftlichen Niedergang und die Abhängigkeit von russischer Energie als Kardinalfehler.
In dieser Lesart ist die brutale Kritik aus Washington kein feindseliger Akt, sondern der notwendige Tritt in den Hintern, den ein lethargisch gewordener Kontinent braucht, um endlich aufzuwachen. Wenn der große Bruder – oder Daddy – nicht mehr beschützt, muss man lernen, sich selbst zu verteidigen. Die Forderung nach strategischer Autonomie, die in Sonntagsreden oft beschworen, aber nie finanziert wurde, wird nun zur nackten Überlebensnotwendigkeit.
Fazit: Allein im Sturm
Die Nationale Sicherheitsstrategie 2025 und das sie flankierende Interview sind Dokumente des Abschieds. Sie verabschieden sich von der Idee des Westens als Wertegemeinschaft und ersetzen sie durch eine Arena konkurrierender Interessen, in der Kulturkampf wichtiger ist als Völkerrecht. Trump macht deutlich: Er liebt Europa als Herkunftsort seiner Vorfahren, aber er verachtet das politische Konstrukt der Europäischen Union und deren derzeitige Führung.
Für Europa bedeutet dies: Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Die USA sind nicht mehr der Garant für Sicherheit, sondern ein unsicherer Kantonist, der heute Zölle verhängt, morgen die NATO infrage stellt und übermorgen die EU zerschlagen will. Ob dies nun eine heilsame Kränkung ist oder der Anfang vom Ende der freien Welt, hängt allein davon ab, ob Europa die Kraft findet, aus der Schockstarre in den Handlungsmodus zu wechseln.
Die Alternative ist düster. Ein Europa, das zwischen einem neo-imperialen Russland, einem wirtschaftlich dominanten China und einem isolationistisch-aggressiven Amerika zerrieben wird, wäre tatsächlich jener völlig andere Ort, vor dem Trump warnt. Nur dass er selbst der Architekt dieses Niedergangs wäre. Die Ironie der Geschichte ist, dass Europa nun genau das tun muss, was Trump fordert – stark und souverän werden –, um sich gegen Trump behaupten zu können.


