Das Denkmal der Spaltung: Wie Florida sein öffentliches Erbe für eine private Festung opfert

Illustration: KI-generiert

Es war ein bürokratischer Akt von bemerkenswerter Schnelligkeit, der sich an einem schwülen Morgen im September abspielte. Um Punkt 8:00 Uhr eröffnete Michael Bileca, der Vorsitzende des Kuratoriums des Miami Dade College, die Sitzung. Auf der Tagesordnung stand ein unscheinbarer Punkt, neutral als „Agenda Item A“ getarnt. Es gab keine Diskussion, keine Debatte, kein Innehalten. Die sieben anwesenden Mitglieder stimmten einstimmig zu. Um exakt 8:03 Uhr fiel der Hammer; die Sitzung war beendet. In diesen knapp 180 Sekunden wechselte eines der wertvollsten Grundstücke Floridas, ein Juwel an der Biscayne Bay, den Besitzer – von der öffentlichen Hand in die private Verfügungsgewalt einer Stiftung, die das Erbe des 45. und 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten zementieren soll.

Was sich in diesen drei Minuten vollzog, war weit mehr als eine simple Immobilientransaktion. Es war der Startschuss für ein Projekt, das wie kaum ein zweites die politische und kulturelle Tektonik der kommenden Jahre offenlegt. Mitten in Downtown Miami, auf einem 2,63 Acres großen Areal, das derzeit noch als Parkplatz dient, soll die Donald J. Trump Presidential Library entstehen. Doch wer hier an verstaubte Aktenordner und stille Lesesäle denkt, unterschätzt die Ambitionen der Familie Trump gewaltig. Was hier geplant ist, gleicht weniger einer Bibliothek im herkömmlichen Sinne als vielmehr einer architektonischen Manifestation politischer Macht, finanziert durch juristische Vergeltungsschläge und errichtet auf dem Boden, den der Staat seinen Bürgern entzogen hat.

Das Geschenk – Ein Immobilien-Traum für 0 Dollar

Die ökonomische Dimension dieses Deals lässt selbst erfahrene Immobilienentwickler in Miami ungläubig den Kopf schütteln. Das Grundstück am Biscayne Boulevard ist ein „Traum für jeden Entwickler“. Während der Steuergutachter von Miami-Dade County den Wert konservativ auf 67 Millionen Dollar taxiert, wissen Marktkenner, dass dies nur ein Bruchteil der Realität ist. Ein Immobilienexperte wagte die Prognose, dass das unbebaute Land auf dem freien Markt für mindestens 360 Millionen Dollar den Besitzer wechseln könnte.

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Der Grund für diese enorme Wertsteigerung liegt in den einzigartigen Rahmenbedingungen: Es handelt sich um eines der letzten unbebauten Grundstücke an diesem ikonischen Küstenabschnitt. Noch entscheidender ist jedoch das zonale Potenzial. Experten wie die Stadtplanerin Anne-Christine Carrie weisen darauf hin, dass hier Wolkenkratzer mit bis zu 100 Stockwerken und 2.500 Wohneinheiten entstehen könnten. Das Fehlen strenger Parkplatzauflagen für Wohnbauten an dieser Stelle macht das Areal zu einer wahren „Cash Cow“.

Doch die Trump-Stiftung muss für dieses Filetstück keinen einzigen Cent bezahlen. Der Staat Florida, unter der Führung von Gouverneur Ron DeSantis, orchestrierte die Übertragung als Schenkung. Die einzige Auflage, die an dieses Multimillionen-Dollar-Geschenk geknüpft ist, wirkt dabei fast wie eine Formalität: Der Bau muss innerhalb von fünf Jahren beginnen und lediglich „Komponenten“ einer Präsidentenbibliothek, eines Museums oder Zentrums enthalten.

Diese vage Formulierung öffnet Tür und Tor für eine massive kommerzielle Nutzung. Nichts in der Vereinbarung hindert die Stiftungsgründer daran, den Großteil der Fläche für lukrative Unternehmungen zu nutzen, die dem klassischen Trump-Portfolio entsprechen: Luxus-Eigentumswohnungen, Restaurants oder ein Hotel. Eric Trump, der Sohn des Präsidenten, sprach bereits von einem „ikonischen Gebäude“, das die Skyline von Miami prägen werde , während Kritiker wie der Historiker Marvin Dunn befürchten, dass die Öffentlichkeit hier Land für den Bau eines „47-stöckigen Eigentumswohnungs-Hotel-Bankettsaals“ subventioniert. Es ist eine Privatisierung öffentlichen Vermögens in atemberaubendem Ausmaß, verpackt in das Gewand bürgerlichen Gedenkens.

Transparenz als Feindbild – Die juristische Schlacht

Die Art und Weise, wie dieser Transfer durchgepeitscht wurde, wirft ein beunruhigendes Schlaglicht auf den Zustand demokratischer Kontrollmechanismen in Florida. Der Prozess war von Anfang an von einer Aura der Geheimhaltung umgeben, die eher an verdeckte Operationen erinnert als an staatliche Liegenschaftsverwaltung. Eine Woche vor der entscheidenden Sitzung im September erschien eine vage Anzeige im Miami Herald, die lediglich ankündigte, das College werde „potenzielle Immobilientransaktionen“ diskutieren. Weder wurde das konkrete Grundstück genannt, noch der Empfänger, noch der Zweck der Übereignung.

Selbst Mitglieder des Kuratoriums, wie der stellvertretende Vorsitzende Roberto Alonso, erfuhren erst kurz vor knapp, was eigentlich von ihnen verlangt wurde. Das Büro des Gouverneurs hatte die Übertragung per Brief angefordert, ohne Gründe zu nennen. Alonso gab später zu, dass man nach der Abstimmung erst realisiert habe, was der Staat eigentlich wollte.

Dieser Mangel an Transparenz rief umgehend den Widerstand der Zivilgesellschaft auf den Plan. Der Historiker Marvin Dunn reichte Klage ein, mit dem Argument, das Vorgehen verletze das „Sunshine Law“ des Staates, das Offenheit in Regierungsgeschäften garantiert. Richterin Mavel Ruiz folgte dieser Argumentation und blockierte den Transfer vorläufig. Sie stellte fest, dass die Öffentlichkeit kein „faires und angemessenes“ Recht auf Anhörung hatte, da niemand wusste, worüber eigentlich abgestimmt wurde.

Die Reaktion der Verantwortlichen auf diesen juristischen Rückschlag war bezeichnend. Statt einen offenen Dialog zu suchen, setzte das Board eine neue Abstimmung an – diesmal in Hialeah, einer Vorstadt mit starker republikanischer Wählerbasis. Zwar durften diesmal Dutzende Studenten und Bürger sprechen, doch das Ergebnis stand längst fest. Wie schon im September wurde der Beschluss einstimmig gefasst. Und wie um zu unterstreichen, dass man sich nicht in die Karten schauen lassen will, wurde im Gegensatz zur üblichen Praxis weder das erste noch das zweite Meeting per Livestream übertragen. Der juristische Kampf geht weiter, doch die Botschaft der Macht ist unmissverständlich: Transparenz ist ein Hindernis, das es zu umgehen gilt.

Symbolische Kollision – „El Refugio“ vs. Massenabschiebungen

Die Wahl des Standortes ist nicht nur ökonomisch brisant, sondern auch kulturell hochexplosiv. Das geplante Trump-Zentrum soll direkt neben dem Freedom Tower entstehen, einem Gebäude, das im kollektiven Gedächtnis Miamis einen fast sakralen Status genießt. Der 1925 errichtete Turm, einst Sitz der Miami News, wurde in den 1960er Jahren von der Regierung Kennedy genutzt, um die kubanische Flüchtlingskrise zu bewältigen.

Über 400.000 Einwanderer wurden hier über einen Zeitraum von acht Jahren registriert und versorgt. Für Generationen von Kubanoamerikanern ist das Gebäude schlicht „El Refugio“ – die Zuflucht. Es ist der Ort, an dem Tausende Kinder der „Pedro Pan“-Operation, die ohne ihre Eltern vor dem Castro-Regime flohen, ihre ersten Schritte in die Freiheit machten. Die Schwestern Mercedes und Amelia Toural, selbst Pedro-Pan-Kinder, erinnern sich an medizinische Versorgung, Essen und die lebensnotwendigen Hilfsgelder, die sie dort erhielten. „Es war unsere Rettungsleine“, sagt Mercedes Toural.

Der Kontrast könnte kaum schärfer sein. Neben diesem Monument der Aufnahme und Integration soll nun das Denkmal eines Präsidenten entstehen, dessen politische Marke untrennbar mit Massenabschiebungen und einer restriktiven Einwanderungspolitik verbunden ist. „Ich kann mir keine zwei Erzählungen vorstellen, die gegensätzlicher sind“, kritisiert Ana Sofia Pelaez vom Miami Freedom Project. Für viele Kubanoamerikaner ist die Vorstellung, dass Trumps Bibliothek Wand an Wand mit jenem Ort steht, an dem die legendäre Sängerin Celia Cruz 2003 aufgebahrt wurde, ein Schlag ins Gesicht. „Sie benutzen El Refugio für politische Spielchen“, klagt Mercedes Toural.

Doch die Gemeinschaft ist gespalten. Republikanische Stimmen wie der Abgeordnete Juan Porras sehen keinen Widerspruch, sondern eine Symbiose. Für sie verkörpert Trump jenen unternehmerischen Geist, mit dem die Exilkubaner Miami zu einer der erfolgreichsten Regionen des Landes machten. Sie verweisen darauf, dass Trump den Bezirk Miami-Dade bei der Wahl 2024 mit elf Prozentpunkten Vorsprung gewann, ein historischer Erdrutschsieg, der die einst demokratische Hochburg drehte. Generalstaatsanwalt James Uthmeier argumentiert sogar, es gäbe „keinen besseren Ort“ für die Bibliothek, da Miami unter Trump zur „Hauptstadt der Welt“ werde.

„Fake News Wing“ – Die Architektur der Rache

Wer verstehen will, was im Inneren dieses Gebäudes geplant ist, muss Eric Trump zuhören. Der Sohn des Präsidenten, der im Kuratorium der Stiftung sitzt, macht keinen Hehl daraus, dass es hier nicht um neutrale Geschichtsvermittlung geht. In Podcasts und Interviews zeichnet er das Bild einer Einrichtung, die weniger dem Lernen als der Abrechnung dient. Eric Trump feierte die Genehmigung des Projekts triumphierend und verspottete im gleichen Atemzug das Obama Presidential Center in Chicago als „Gefängnis“.

Die radikalste Idee, die derzeit kursiert, ist die Einrichtung eines „Fake News Wing“ – eines ganzen Flügels oder Stockwerks, der der Medienschelte gewidmet ist. Eric Trump bezeichnete dies als „phänomenale, verdammte Idee“. Der Plan sieht vor, dort in Dauerschleife Videoclips zu zeigen, die den angeblichen Hass der Medien auf seinen Vater belegen sollen. Explizit nannte er Ausschnitte aus der Sendung „60 Minutes“, um zu demonstrieren, wie Interviews – etwa mit Kamala Harris – angeblich manipuliert wurden.

Dieses Vorhaben bricht radikal mit der Tradition der amerikanischen Präsidentschaftsbibliotheken. Bisherige Einrichtungen, wie die von Richard Nixon, unterstanden der Aufsicht der National Archives and Records Administration (NARA). Dort sorgten überparteiliche Historiker dafür, dass selbst schmerzhafte Kapitel wie Watergate faktenbasiert aufgearbeitet wurden – oft zum Ärger der Anhänger des jeweiligen Präsidenten. Experten wie Tim Naftali, der die Watergate-Ausstellung kuratierte, warnen eindringlich davor, dass Trump ein Museum schaffen könnte, das eine irreführende Geschichte seiner Präsidentschaft erzählt, ohne jegliche Aufsicht.

Es deutet alles darauf hin, dass Trump dem Modell von Barack Obama folgen wird, allerdings in einer pervertierten Form. Obama entschied sich gegen eine Verwaltung durch die NARA, um mehr Freiheit bei der Gestaltung zu haben, was bereits Kritik von Historikern hervorrief. Wenn Trump diesen Weg wählt, wären die Nationalarchive machtlos. Er könnte seine eigene Version der Realität in Stein meißeln – inklusive der falschen Behauptung, die Wahl 2020 sei gestohlen worden. Die Bibliothek würde so von einem Ort der Forschung zu einer Kathedrale der alternativen Fakten.

Die Kriegs-Kasse – Finanzierung durch Lawfare und Ausland

Mindestens so kontrovers wie der Inhalt ist die Finanzierung des Projekts. Da der Kongress keine Steuergelder für den Bau von Präsidentenbibliotheken bereitstellt, sind diese auf private Spenden angewiesen. Doch die Trump-Stiftung beschreitet hier Pfade, die Kritiker als Sumpf aus Korruption und Interessenkonflikten beschreiben. Ein wesentlicher Teil des Startkapitals stammt ausgerechnet von jenen Medienunternehmen, die Trump im „Fake News Wing“ an den Pranger stellen will.

Durch Vergleiche in Verleumdungsklagen gegen große Medienhäuser fließen Millionen in die Kassen der Stiftung. Meta Platforms, der Mutterkonzern von Facebook, zahlte 22 Millionen Dollar. CBS steuerte 16 Millionen Dollar bei, ABC weitere 15 Millionen. Insgesamt summiert sich dies auf 53 Millionen Dollar – Gelder, die aus juristischen Auseinandersetzungen stammen, während Trump im Amt war oder sich um dieses bewarb. Besonders pikant: Die Zahlung von CBS fiel in eine Zeit, in der der Mutterkonzern Paramount eine behördliche Genehmigung für den Verkauf an Skydance Media benötigte – eine Genehmigung, die kurz darauf erteilt wurde.

Noch alarmierender ist für Beobachter der Einfluss ausländischer Mächte. Die größte projektierte Einzelspende ist eine Boeing 747-8 im Wert von 400 Millionen Dollar, ein Geschenk der königlichen Familie von Katar. Dieses Flugzeug, das ursprünglich als Ersatz für die Air Force One gedacht war, soll später in der Bibliothek ausgestellt werden – ähnlich wie Ronald Reagans Flugzeug in Kalifornien. Dass ein ausländischer Staat mit massiven Interessen in Washington dem amtierenden Präsidenten ein Geschenk in dieser Größenordnung macht, ruft die Demokraten auf den Plan. Senatorin Elizabeth Warren warnt, dass die Bibliothek als „Werkzeug für Korruption und Bestechung“ missbraucht werden könnte.

Der Gesetzentwurf des „Presidential Library Anti-Corruption Act“ zielt darauf ab, solche Spendenflüsse zu unterbinden, doch bislang operiert die Stiftung in einer Grauzone. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während Obamas Stiftung im ersten Jahr nur 5 Millionen Dollar einsammelte, erwartet Trumps Stiftung allein in diesem Jahr 50 Millionen Dollar. Es ist ein Fundraising-Motor, der auf Hochtouren läuft, geschmiert mit den Erlösen aus politischen Kämpfen und geopolitischen Gefälligkeiten.

The Family Business – Governance und Profiteure

Hinter der Fassade des gemeinnützigen Zwecks verbirgt sich eine Organisationsstruktur, die eher an ein Familienunternehmen erinnert als an eine öffentliche Institution. Die Stiftung wird von einem engen Zirkel aus Vertrauten geführt: Eric Trump, Michael Boulos (der Ehemann von Tiffany Trump) und der Anwalt James Kiley. Der offizielle Sitz der Stiftung ist bezeichnenderweise kein Bürogebäude in Washington oder New York, sondern ein Trump-Golfplatz in Jupiter, Florida.

Die finanziellen Gebarungen der Stiftung werfen Fragen auf, die bislang unbeantwortet blieben. In einem Budgetentwurf waren 400.000 Dollar für die Bezahlung von Führungskräften vorgesehen. Ein anderer bei den Behörden eingereichter Bericht behauptete hingegen, niemand werde bezahlt. Noch mysteriöser ist ein Ausgabenposten von 6,2 Millionen Dollar, der fast 90 Prozent der geplanten Ausgaben für das laufende Jahr ausmacht. Er wurde in den Unterlagen schlicht als „Sonstiges“ („other“) deklariert, ohne jegliche Spezifizierung.

Zudem existiert eine verwirrende Doppelstruktur: Neben der „Donald J. Trump Presidential Library Foundation“ gibt es einen weiteren „Donald J. Trump Presidential Library Fund“, der bereits früher gegründet wurde, aber bislang keinen Steuerbefreiungsstatus erhielt. Warum zwei Organisationen existieren, bleibt das Geheimnis von Anwalt Kiley, der auf Anfragen schweigt.

Fazit: Das Denkmal der Post-Truth-Ära

Wenn man die Puzzleteile zusammensetzt – den dubiosen Landdeal, die undurchsichtige Finanzierung, die familiäre Kontrolle und die geplante inhaltliche Ausrichtung –, entsteht das Bild eines Projekts, das sinnbildlich für die zweite Ära Trump steht. Es ist der Versuch, die Geschichte nicht nur zu schreiben, sondern sie zu besitzen und zu vermarkten.

Die geplante Bibliothek in Miami droht, den eigentlichen Zweck solcher Institutionen zu pervertieren. Statt Archivmaterial für die historische Forschung zugänglich zu machen und die Komplexität einer Präsidentschaft abzubilden, entsteht eine Festung der Deutungshoheit. Indem er sich der Aufsicht der Nationalarchive entzieht und stattdessen auf eine private Stiftung setzt, die von Klagegeldern und ausländischen Geschenken lebt, schafft Trump einen gefährlichen Präzedenzfall.

Das Gebäude am Biscayne Boulevard wird, sollte es wie geplant errichtet werden, nicht nur die Skyline von Miami verändern. Es wird als Mahnmal dafür stehen, wie öffentliche Ressourcen privatisiert und historische Wahrheiten in einer „Fake News“-Ausstellung relativiert werden können. Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis, die Marvin Dunn formulierte: „Dieses Land gehört unseren Kindern, ihrer bildungspolitischen Zukunft. Es einem Politiker – irgendeinem Politiker – zu geben, ist falsch.“ Doch in Miami, wo Immobilienwerte und politische Loyalitäten oft schwerer wiegen als historische Sensibilität, scheint dieser Zug längst abgefahren zu sein.

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