
Das amerikanische Wirtschaftswunder des Jahres 2025 balanciert auf einer Nadelspitze. Es wird von einer einzigen Kraft angetrieben: der kolossalen, fast fieberhaften Investitionswelle in die Künstliche Intelligenz. Während die Realwirtschaft in weiten Teilen stagniert oder verunsichert auf die nächste Zinssenkung wartet, schießt ein Sektor durch die Decke und reißt alles mit sich. Die Börsenkurse, das Bruttoinlandsprodukt, die Hoffnungen einer ganzen Nation – all das hängt an den Ausgaben einer Handvoll Tech-Giganten für Rechenzentren und die fast schon mythischen Chips von Nvidia. Nvidia selbst, einst ein Nischenhersteller von Grafikprozessoren, hat die schwindelerregende Marke von 5 Billionen Dollar Marktkapitalisierung durchbrochen. Diese Zahl, größer als das BIP der meisten Länder, ist das Symbol eines Rausches.
Wir stehen an einem Scheideweg, und die Frage ist so einfach wie existenziell: Erleben wir gerade den Beginn einer technologischen Revolution, die die menschliche Produktivität neu definieren wird, oder sind wir Zeugen der größten spekulativen Blase der Geschichte – einer Blase, deren Platzen die Finanzkrise von 2008 wie ein Vorbeben aussehen lassen könnte? Die Antwort ist verstörend: Wir erleben womöglich beides gleichzeitig. Denn während die Technologie zweifellos real ist, sind die Finanzstrukturen, die diesen Boom tragen, ein gefährliches Kartenhaus, das auf zirkulären Zahlungen, bilanziellen Tricks und Echos der Subprime-Krise aufgebaut ist.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Die neue Unverwundbarkeit: Warum diesmal alles anders sein soll
Fragt man die Befürworter des Booms, etwa den Chef der US-Notenbank Jerome Powell, ist die Sache klar: Dies ist nicht das Jahr 2000. Der damalige Dot-Com-Crash wurde von Firmen wie Pets.com getragen – visionäre Ideen ohne Geschäftsmodell, ohne Einnahmen, ohne Substanz.
Heute, so das beruhigende Argument, wird der Markt von den „Magnificent Seven“ dominiert: Amazon, Microsoft, Google, Meta. Dies sind keine windigen Start-ups, sondern die profitabelsten Unternehmen der Weltgeschichte, die auf Bergen von Bargeld sitzen. Wenn diese Giganten Hunderte von Milliarden in Rechenzentren investieren, sei das keine Spekulation, sondern eine rationale Investition in die nächste Stufe ihrer Dominanz. Selbst Fed-Chef Powell betont, diese Unternehmen hätten „Geschäftsmodelle und Profite und all diese Dinge“. Die Technologie sei, anders als damals, bereits tief in der Gesellschaft verankert. OpenAI, das Epizentrum des Bebens, wird bereits von einem Zehntel der Weltbevölkerung genutzt. Die Nachfrage ist real.
Doch genau hier beginnt die erste Unschärfe. Die aktuelle KI-Wirtschaft besteht fast ausschließlich aus einer „Nachfrageseite“: dem Bau von Infrastruktur. Unternehmen geben Unsummen für Chips und Cloud-Kapazitäten aus. Die „Angebotsseite“ – also die messbare, in Dollar und Cent bezifferbare Steigerung der Produktivität oder neue, profitable KI-Anwendungen – bleibt seltsam still. Die meisten Firmen, die KI implementieren, berichten von keiner signifikanten Auswirkung auf ihre Bilanzen.
Dieser Widerspruch wird von Optimisten mit der „J-Kurven“-Hypothese erklärt. Man müsse, so die Theorie, erst massiv investieren (der Bogen der Kurve geht nach unten), bevor die Produktivitätsgewinne exponentiell ansteigen (die Kurve schießt nach oben). Es sei das gleiche Muster wie bei der Elektrifizierung oder dem PC.
Es ist eine plausible Hoffnung. Doch sie erinnert fatal an die berühmten Paradoxa von Ökonomen wie Robert Solow, der 1987 spottete, das Computerzeitalter sei „überall sichtbar, außer in den Produktivitätsstatistiken“, oder Paul Krugman, der 1998 prophezeite, der Einfluss des Internets auf die Wirtschaft werde nicht größer sein als der des Faxgeräts. Sie irrten, aber erst auf lange Sicht. Die Frage ist, ob die Finanzmärkte diesmal die Geduld haben.
Die Echos von 2008: Ein Blick in die Bilanz-Trickkiste
Wenn die Fundamentaldaten (die Profite) noch fehlen, wie können die Bewertungen (die Aktienkurse) dann explodieren? Hier beginnt der kritische Teil der Analyse, denn die Mechanismen, die den Boom am Leben erhalten, sind alles andere als gesund. Die erste und vielleicht größte rote Flagge ist das Phänomen der „zirkulären Finanzierung“. Es ist ein perfektes, in sich geschlossenes Ökosystem des Geldes, das an die „Round-Tripping“-Skandale der Dot-Com-Ära erinnert, die Firmen wie Global Crossing zu Fall brachten. Das Schema funktioniert so: Ein „Hyperscaler“ (z. B. Microsoft oder Amazon) investiert Milliarden in ein KI-Start-up (z. B. Anthropic). Dieses Start-up nutzt die erhaltenen Milliarden dann, um Rechenleistung beim Cloud-Dienst seines Investors (z. B. Amazon Web Services) einzukaufen. Amazon investiert also Geld, das postwendend als Umsatz in die eigene Bilanz zurückfließt. Noch offensichtlicher ist der Deal zwischen Nvidia und OpenAI. Nvidia, der Chiphersteller, investiert bis zu 100 Milliarden Dollar in OpenAI. OpenAI, das dringend Chips von Nvidia benötigt, kauft mit diesem Geld… Chips von Nvidia. Man investiert, damit der Kunde das Geld hat, die eigenen Produkte zu kaufen. Dies bläht die Umsätze der Giganten künstlich auf und lässt sie gesünder erscheinen, als sie sind. Es ist ein perpetuum mobile des Hypes, das funktioniert, solange alle daran glauben.
Um die Profitabilität weiter zu schönen, greifen einige Akteure zusätzlich tief in die buchhalterische Trickkiste. KI-Hardware, insbesondere die teuren GPUs von Nvidia, veralten technologisch extrem schnell – oft sind sie nach zwei bis drei Jahren nur noch ein Bruchteil wert. Dennoch hat Meta, einer der größten Investoren, Anfang 2025 damit begonnen, die bilanziellen Abschreibungszeiträume für diese Hardware zu verlängern. Das Resultat: Die ausgewiesenen Kosten pro Quartal sinken, der ausgewiesene Gewinn steigt. Es ist ein bilanztechnischer Kniff, der die ökonomische Realität – den rasanten Wertverfall der Investitionen – verschleiert.
Die beunruhigendste Parallele zur Finanzkrise von 2008 liegt jedoch nicht in den Bilanzen der Tech-Giganten, sondern in der Art und Weise, wie die physische Infrastruktur – die Rechenzentren – finanziert wird. Die Tech-Firmen bauen diese gigantischen „KI-Kathedralen“ zunehmend nicht mehr selbst. Stattdessen lagern sie den Bau an unregulierte Finanzinvestoren, sogenannte „Schattenbanken“ wie Apollo Global Management, aus. Die Tech-Firma mietet das fertige Rechenzentrum dann lediglich langfristig an. Hier, in der unregulierten Finsternis, entsteht ein Déjà-vu der Subprime-Krise. Diese langfristigen Mietverträge (Leases) der Tech-Giganten werden von den Finanzfirmen gebündelt, in Wertpapiere (Bonds) verpackt und an andere Investoren weltweit verkauft. Es ist das gleiche Finanz-Voodoo wie 2008, nur dass statt fauler Immobilienkredite von Geringverdienern nun spekulative Server-Mietverträge von Tech-Firmen gebündelt werden. Die Risiken werden aus den Bilanzen der Tech-Firmen ausgelagert und in einem undurchsichtigen, unregulierten Markt versteckt. Was passiert, wenn die KI-Start-ups ihre Cloud-Rechnungen nicht mehr bezahlen können und die Tech-Giganten ihre riesigen Rechenzentren-Leasingverträge kündigen müssen? Das System ist extrem anfällig für einen Vertrauensverlust.
Der Brandbeschleuniger: Geopolitik und die „Too Big to Fail“-Doktrin
Man könnte meinen, angesichts dieser Risiken müssten die Regulierer längst Alarm schlagen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die US-Regierung agiert als Brandbeschleuniger, getrieben von einer übergeordneten Angst: dem technologischen Wettlauf mit China. In Washington wird die KI-Dominanz als Frage der nationalen Sicherheit betrachtet. Dies verleiht den zentralen Akteuren – Nvidia, OpenAI, Microsoft – einen De-facto-Status der Unantastbarkeit. Sie sind „Too Big to Fail“. Die Regierung (unter Donald Trump) greift sogar direkt in den Markt ein. Sie hat sich mit 10 Prozent an Intel beteiligt und eine Art Schutzgeld-Deal mit Nvidia ausgehandelt: Im Gegenzug für eine 15-prozentige Beteiligung an den Exporteinnahmen darf Nvidia weiter Chips nach China verkaufen – trotz massiver Sicherheitsbedenken. Das schafft einen fatalen Interessenkonflikt. Wie soll eine Regierung eine Blase regulieren, an der sie selbst finanziell und geopolitisch beteiligt ist? Washington ist nicht mehr der Schiedsrichter; es ist zum Mitspieler geworden, der auf den Sieg der eigenen Mannschaft wettet. Diese Haltung ermutigt das Management der Tech-Firmen zu immer riskanteren Manövern, denn sie agieren mit dem impliziten Rettungsschirm des Staates.
Wenn die Musik stoppt: Das reale Beben
Dieser ganze Boom stützt sich nicht nur auf Hype. Er schafft Fakten in der Realwirtschaft. Die Nachfrage nach Energie für die Rechenzentren ist so unersättlich, dass alte Atomkraftwerke wieder ans Netz genommen werden müssen. Ganze Heerscharen von Elektrikern, Bauarbeitern und Ingenieuren leben von diesem Infrastruktur-Wahn. Sollte der KI-Hype abkühlen – weil die Produktivitätsgewinne ausbleiben oder die Finanzierung versiegt – stoppt nicht nur ein Börsen-Trade. Dann stehen reale Baustellen still. Dann bricht der Energiebedarf ein. Die Kaskadeneffekte würden die gesamte US-Wirtschaft erfassen, die ihre Abhängigkeit vom KI-Sektor nicht mehr leugnen kann. Nvidia, der „Schaufelverkäufer“ des Goldrausches, ist längst kein neutraler Lieferant mehr. Durch seine massiven Investitionen in seine eigenen Kunden (wie OpenAI) ist das Unternehmen selbst zur größten Wette im Casino geworden. Wenn die Minen sich als leer erweisen, geht der Schaufelverkäufer als Erster mit bankrott.
Das Endspiel: Superintelligenz oder Super-Crash?
Wir sind Zeugen einer gigantischen Wette. Das Management von Meta und Microsoft, allen voran Mark Zuckerberg, investiert nicht nur in ein Produkt; sie investieren in die Möglichkeit einer „Superintelligenz“. Sie sind bereit, kurzfristig Milliarden zu verbrennen, um am Ende, wie ein Analyst es ausdrückte, „das Betriebssystem für die Welt“ zu besitzen. Es ist ein Alles-oder-Nichts-Spiel. Die Optimisten verweisen darauf, dass auch die Dot-Com-Blase und die Eisenbahn-Blasen, so schmerzhaft ihr Platzen war, am Ende die Infrastruktur für das nächste Jahrhundert hinterlassen haben.
Doch die Finanzialisierung des KI-Booms 2025 ist anders. Sie ist komplexer, undurchsichtiger und systemisch tiefer verwoben als je zuvor. Die Parallelen zu 2008 sind kein Zufall; sie sind eine bewusste Strategie, Risiken zu verstecken. Selbst wenn die Technologie die Welt verändert – was sie zweifellos tun wird – ist es fast unvermeidlich, dass die Finanzstruktur, die zu ihrer Entstehung gebaut wurde, vorher kollabiert. Die US-Wirtschaft wird gestützt von einem Sektor, dessen Bewertungen von der Zukunft handeln, dessen Profite in der Vergangenheit liegen und dessen Finanzierung auf den gefährlichsten Instrumenten der Gegenwart beruht.


