Chaos als Programm: Wie Trumps Verteidigungsminister Pete Hegseth das Pentagon an den Rand der Funktionskrise führt

Illustration: KI-generiert

In nur sechs Monaten hat Verteidigungsminister Pete Hegseth das mächtigste Militär der Welt in eine Zone permanenter Unruhe verwandelt. Seine Amtszeit ist geprägt von ideologischen Säuberungen, erratischen Personalentscheidungen und einem Führungsstil, der interne Machtkämpfe befeuert. Die Analyse seiner ersten Monate zeigt ein verstörendes Muster: Hegseth agiert weniger als Verwalter denn als politischer Kommissar, dessen Mission die radikale Umformung des Pentagons ist – mit potenziell verheerenden Folgen für die nationale Sicherheit der USA.

Die Amtsübernahme von Pete Hegseth als US-Verteidigungsminister im Januar 2025 markierte keinen gewöhnlichen Machtwechsel. Sie war das Startsignal für eine gezielte Kampagne, die darauf abzielt, eine der traditionsreichsten Institutionen der Vereinigten Staaten in ihrem Fundament zu erschüttern. Hegseth, ein ehemaliger Moderator von Fox News mit überschaubarer Managementerfahrung, bringt nicht nur die politische Agenda von Präsident Donald Trump ins Pentagon, sondern auch einen disruptiven und konfrontativen Stil, der das Ministerium in eine Dauerkrise stürzt. Seine bisherige Bilanz ist eine Chronik von Kontroversen, die von der abrupten Entlassung hochrangiger Militärs über die Instrumentalisierung des Militärs für eine aggressive Migrationspolitik bis hin zu bizarren internen Auseinandersetzungen reicht. Diese Vorfälle sind keine isolierten Fehltritte, sondern Teil einer kohärenten Strategie. Sie offenbaren das Bild einer Führung, die Loyalität über Kompetenz stellt, Ideologie über institutionelle Stabilität und politisches Kalkül über militärische Notwendigkeiten. Die offizielle Kommunikation des Pentagons, die Einigkeit und eine reibungslose Umsetzung der Agenda des Präsidenten betont, steht in krassem Widerspruch zur internen Realität, die von Chaos, Misstrauen und einer beispiellosen Personalfluktuation gezeichnet ist.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Eine Säuberung im Namen der Ideologie

Einer der ersten und symbolträchtigsten Akte von Hegseths Amtszeit war die Demontage der Führung an der renommierten U.S. Naval Academy. Die Abberufung von Vizeadmiralin Yvette Davids, der ersten Frau an der Spitze der Akademie, war ein kalkulierter Bruch mit militärischen Traditionen. Davids war erst 18 Monate im Amt, während die übliche Dienstzeit auf diesem Posten drei bis vier Jahre beträgt. Ihre Ablösung durch Generalleutnant Michael Borgschulte vom Marine Corps reiht sich nahtlos in ein größeres Muster ein. Unter der Führung von Trump und Hegseth wurde eine regelrechte Säuberungswelle gegen hochrangige Militärs eingeleitet, die nach Ansicht der Administration einen zu starken Fokus auf Diversität gelegt hatten. Diese Kampagne traf eine überproportionale Anzahl von Frauen und führte zur Entlassung des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, der höchsten Admirale der Küstenwache und der Navy sowie des zweithöchsten Offiziers der Air Force.

Der Fall Davids ist besonders aufschlussreich. Um ihren Abgang zu ermöglichen, mussten etablierte Regeln umgangen werden. Ein Gesetz sieht normalerweise vor, dass Superintendenten von Militärakademien nach ihrer Amtszeit in den Ruhestand treten. Für Davids wurde jedoch eine Ausnahmeregelung geschaffen, die ihr einen technisch gesehen lateralen Wechsel in eine andere Drei-Sterne-Position ermöglichte. Offizielle Stellen betonten, sie habe sich in einem kompetitiven Verfahren durchgesetzt und die neue Position sei ihr nicht einfach „geschenkt“ worden, besonders nicht im aktuellen politischen Klima. Dennoch bleibt der Eindruck einer politisch motivierten Entscheidung, die darauf abzielt, Schlüsselpositionen mit loyalen Kadern zu besetzen und ein ideologisches Exempel zu statuieren. Diese Personalpolitik geht Hand in Hand mit anderen Maßnahmen, wie der Rücknahme von Richtlinien zur Förderung von Minderheiten bei der Zulassung zu den Akademien und der Anweisung, die Bibliotheksbestände nach unliebsamer Literatur zu durchforsten, die nicht dem Fokus auf „Kriege zu führen und zu gewinnen“ entspricht.

Das Epizentrum des Bebens: Personalchaos und Machtkämpfe

Das von Hegseth im Pentagon etablierte Klima der Instabilität wird nirgends deutlicher als in der extrem hohen Fluktuation seines engsten Beraterstabes. Innerhalb seiner ersten sechs Monate verließen mindestens sechs seiner Top-Berater das Ministerium. Einige wurden spektakulär wegen angeblicher Leaks an die Medien entlassen, ohne dass dafür je Beweise vorgelegt wurden, andere gingen freiwillig. Diese Personalrochaden sind Symptom eines tiefgreifenden Problems: eines chaotischen und von persönlichen Animositäten geprägten Führungsstils, der die Funktionsfähigkeit des Ministeriums untergräbt.

Eine besonders bizarre Episode, die das Ausmaß der Dysfunktionalität illustriert, ist die Auseinandersetzung um den Berater Justin Fulcher. Fulcher, damals Mitarbeiter von Elon Musks Effizienz-Einheit „Department of Government Efficiency“ (DOGE), geriet in einen Konflikt mit seinem Vorgesetzten Yinon Weiss. Daraufhin stürmte er in Hegseths Büro und beklagte, Weiss habe die Militärpolizei auf ihn angesetzt. Die bloße Möglichkeit, dass ein DOGE-Vertreter eigenmächtig die Sicherheitskräfte des Pentagons mobilisieren könnte, versetzte Hegseth derart in Rage, dass er Weiss zu sich zitierte und ihn lautstark zur Rede stellte. Für einen Minister ist es höchst ungewöhnlich, sich derart direkt in Personalstreitigkeiten auf untergeordneter Ebene einzumischen. Die Affäre hatte für Fulcher jedoch zunächst positive Folgen: Anstatt diszipliniert zu werden, nahm ihn Hegseth wenige Tage später als Senior-Berater in sein Team auf.

Fulchers Aufstieg war jedoch von kurzer Dauer. Er verstrickte sich in weitere Kontroversen, als er behauptete, über spezielle Überwachungsmethoden zur Enttarnung von Leakern im Pentagon zu verfügen. Eine interne Prüfung ergab jedoch, dass seine Behauptungen haltlos waren und die von ihm angedeuteten Beweise nicht existierten. Sein Stern sank rapide, sein Schreibtisch wurde aus dem direkten Umfeld des Ministers entfernt, und schließlich endete seine kurze Karriere im Pentagon mit einer als „einvernehmlich“ bezeichneten Trennung, obwohl Medien zunächst von einer Entlassung berichteten. Der Fall Fulcher ist ein Mikrokosmos des Systems Hegseth: erratische Personalentscheidungen, die auf persönlichen Loyalitäten statt auf Qualifikationen basieren, ein Klima des Misstrauens und ständige interne Machtkämpfe, die von der eigentlichen Arbeit ablenken.

Das Pentagon als politisches Instrument

Hegseths Wirken beschränkt sich nicht auf interne Personalpolitik. Er nutzt den gewaltigen Apparat des Verteidigungsministeriums auch als Werkzeug zur Durchsetzung einer radikalen innenpolitischen Agenda. Ein zentrales Beispiel ist der Plan, Militärbasen zur Inhaftierung von Migranten zu nutzen. Hegseth informierte Kongressabgeordnete darüber, dass Camp Atterbury in Indiana und die Joint Base McGuire-Dix-Lakehurst in New Jersey für die temporäre Unterbringung von Tausenden von festgenommenen Personen vorgesehen seien. Er versicherte, dass die militärische Einsatzbereitschaft der Stützpunkte dadurch nicht beeinträchtigt würde. Dieser Vorstoß ist Teil einer umfassenderen Strategie der Trump-Administration, die Inhaftierungskapazitäten für Migranten massiv von 60.000 auf 100.000 Plätze zu erweitern, um eine aggressive Abschiebepolitik umzusetzen, die auch Personen ohne Vorstrafen betrifft.

Der Plan stieß umgehend auf heftigen Widerstand. Demokratische Abgeordnete und Bürgerrechtsorganisationen wie die ACLU verurteilten das Vorhaben scharf. Sie warnten vor einer Gefährdung der militärischen Ressourcen und stellten die Rechtfertigung für die massenhaften Inhaftierungen infrage. Zudem wurden Sorgen über die Haftbedingungen laut, und es wurde der Vorwurf erhoben, die Nutzung militärischer Einrichtungen für zivile Strafverfolgungsaufgaben setze einen gefährlichen Präzedenzfall und verstoße gegen verfassungsmäßige Werte. Zwar ist die Nutzung von Militärbasen in diesem Kontext nicht gänzlich neu – sowohl die Obama-Administration als auch die erste Trump-Regierung griffen in Einzelfällen darauf zurück – doch das Ausmaß und die aggressive Rhetorik der aktuellen Pläne markieren eine neue Eskalationsstufe in der Instrumentalisierung des Militärs für innenpolitische Zwecke.

Die Zusammenarbeit mit der DOGE-Initiative von Elon Musk offenbart weitere Widersprüche. Während DOGE mit dem Mandat angetreten ist, den Regierungsapparat radikal zu verkleinern und Ausgaben zu kürzen, treibt Hegseth gleichzeitig teure Rüstungsprojekte wie die „Drone Dominance“-Initiative voran, die ironischerweise von einem DOGE-Vertreter verantwortet wird. Diese widersprüchliche Doppelstrategie aus Spardiktat und Aufrüstung erzeugt zusätzliche Reibungen und verdeutlicht die oft inkonsistente und von Einzelinteressen getriebene Politikgestaltung im Pentagon unter Hegseth. Letztlich zeichnen die Ereignisse der ersten sechs Monate ein klares Bild: Pete Hegseth führt das Pentagon nicht als überparteiliche Institution, sondern als ausführendes Organ einer politischen Bewegung. Sein Handeln hat ein Klima der Angst, der Unsicherheit und der Dysfunktionalität geschaffen. Die langfristigen Schäden für die Moral der Truppe, die zivil-militärischen Beziehungen und die Verlässlichkeit der amerikanischen Verteidigungspolitik sind noch nicht absehbar, doch die Alarmzeichen sind unübersehbar.

Nach oben scrollen