Amerikas Sendeschluss: Trumps Pyrrhussieg über den öffentlichen Rundfunk

Illustration: KI-generiert

Es ist ein Moment von bizarrer, fast filmreifer Ironie. Während in den Aleuten Alaskas die Erde mit einer Stärke von 7,3 bebt und die Tsunami-Sirenen heulen, wird der kleine lokale Radiosender KUCB zur lebensrettenden Kommandozentrale. Über seine Frequenzen laufen die ersten, entscheidenden Warnungen, die Anwohner und Touristen auf höheres Gelände schicken, lange bevor die offiziellen Kanäle der Notfallbehörden greifen. Gleichzeitig, rund 6.500 Kilometer entfernt in Washington D.C., besiegeln Senatoren in einer hitzigen Debatte das Schicksal genau dieses Senders und hunderter seiner Pendants im ganzen Land. Mit knapper Mehrheit streichen sie die Bundeszuschüsse für das öffentliche Mediensystem der USA – ein Betrag von 1,1 Milliarden Dollar, der bereits für die kommenden zwei Jahre fest eingeplant war.

Was Präsident Donald Trump als notwendigen Schlag gegen eine linksliberale „Monstrosität“ feiert und als Schritt zu fiskalischer Vernunft deklariert, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Akt politischer Selbstbeschädigung mit verheerenden Kollateralschäden. Denn dieser ideologische Triumphzug trifft nicht primär die urbanen Eliten an den Küsten, sondern die informatorischen und kulturellen Lebensadern des ländlichen, konservativen Amerikas – Trumps eigener politischer Heimat. Die Streichung, die kaum 0,03 Prozent der eingesparten Summe eines republikanischen Gesetzespakets ausmacht, hinterlässt eine Lücke, deren gesellschaftliche Kosten den minimalen fiskalischen Nutzen bei weitem übersteigen. Es ist die Geschichte eines jahrzehntelangen politischen Krieges, der nun auf dem Rücken der Schwächsten entschieden wurde und die tiefen Widersprüche der modernen amerikanischen Rechten offenlegt.

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Der kalkulierte Kollateralschaden in Trumps Amerika

Die zentrale politische Erzählung, mit der die Kürzungen gerechtfertigt wurden, dreht sich um den Vorwurf der ideologischen Voreingenommenheit. Die nationalen Programme von NPR und PBS seien ein Sprachrohr der liberalen Linken, das die Steuerzahler nicht länger finanzieren sollten. Doch die Realität, die in den vorliegenden Berichten detailliert nachgezeichnet wird, entlarvt diese Argumentation als eine gefährliche Vereinfachung. Die Last der Kürzungen wird nicht gleichmäßig verteilt. Während finanzstarke Sender in Metropolen wie New York oder Chicago auf ein breites Netz an wohlhabenden Spendern und Unternehmen zurückgreifen können, sind es gerade die kleinen Stationen in den dünn besiedelten, wirtschaftlich schwächeren und oft konservativ wählenden Bundesstaaten, die existenziell von den Zuwendungen der Corporation for Public Broadcasting (CPB) abhängen.

Das Beispiel von KYUK in Bethel, Alaska, ist hierfür symptomatisch: Der Sender bestreitet 70 Prozent seines Budgets aus Bundesmitteln und ist für die Region die absolut einzige Quelle für lokale Nachrichten und Notfallwarnungen. In weiten Teilen Colorados, Montanas oder Wyomings sieht die Lage ähnlich, wenn auch nicht ganz so dramatisch aus. Stationen wie KSUT in Colorado beziehen 20 Prozent ihrer Mittel vom Bund; selbst ein Verlust von 10 Prozent, wie bei KUNM in Albuquerque, stellt eine massive Bedrohung dar, da die Sender keine Möglichkeit haben, eine solche Lücke innerhalb weniger Wochen zu schließen. Die Ironie ist greifbar: Republikanische Senatoren aus Staaten wie Mississippi oder Kansas stimmten für Kürzungen, die ihre eigenen Wähler am härtesten treffen. Die Analyse der Finanzdaten zeigt unmissverständlich, dass Bundesstaaten wie Wyoming oder Arkansas, deren Senatoren die Maßnahme unterstützten, zu den Regionen gehören, in denen die lokalen Sender prozentual am stärksten vom Bund abhängig sind. Diese Realität steht im krassen Gegensatz zum politischen Narrativ aus Washington.

Mehr als nur Nachrichten: Das langsame Sterben der kulturellen Oasen

Die Bedeutung dieser Sender geht weit über die reine Nachrichtenvermittlung oder Katastrophenwarnungen hinaus. Ihr Wegfall reißt eine soziokulturelle Wunde, die von kommerziellen Anbietern nicht geschlossen werden wird. In einer Medienlandschaft, die von Algorithmen und Werbeeinnahmen dominiert wird, schaffen diese Stationen Nischen für Inhalte, die als nicht profitabel gelten, aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt von unschätzbarem Wert sind. So sendet KYUK in Alaska beispielsweise in der indigenen Sprache Yup’ik und stellt den einzigen offiziellen Übersetzer in der gesamten Region. KSUT in Colorado, angesiedelt auf dem Land des Southern Ute Stammes, bietet den Ureinwohnern eine mediale Plattform und vermittelt der Mehrheitsgesellschaft Perspektiven, die weit über die klischeehaften Darstellungen in anderen Medien hinausgehen.

Dieser Verlust an Vielfalt betrifft nicht nur indigene Gemeinschaften. Lokale Politik-Talkshows wie „Wyoming Chronicle“ oder „Kentucky Tonight“ bieten eine Plattform für tiefgehende, nuancierte Debatten über regionale Themen, die in der nationalen Berichterstattung keinen Platz finden. Es ist der Ort, an dem komplexe Sachverhalte wie die Reform des Gesundheitssystems eine Stunde lang von verschiedenen Seiten beleuchtet werden können – ein Format, das im kommerziellen Fernsehen undenkbar ist. Und es geht sogar um ganze Kunstformen: NPR schätzt, dass rund 96 Prozent aller Sendungen mit klassischer Musik in den USA über seine Stationen ausgestrahlt werden. Die Kürzung bedeutet hier das faktische Verschwinden einer Kunstform aus dem frei zugänglichen Äther. Die Vision von Newton N. Minow, der in den 1960er Jahren vor dem kommerziellen Fernsehen als einer „riesigen Einöde“ warnte und die Gründung des öffentlichen Rundfunks anstieß, erfährt eine tragische Aktualität.

Ein halbes Jahrhundert im Visier: Der lange Krieg gegen den öffentlichen Rundfunk

Der jetzige Erfolg der Kürzung ist der Höhepunkt eines seit über 50 Jahren schwelenden Konflikts. Bereits die Regierung unter Richard Nixon attackierte den öffentlichen Rundfunk als Hort von Regierungsgegnern und forderte dessen finanzielle Austrocknung. Doch über Jahrzehnte scheiterten die Versuche von Konservativen wie Newt Gingrich oder Bob Dole immer wieder. Der Grund für dieses Scheitern lag paradoxerweise in der Stärke der lokalen Sender in den konservativen Bundesstaaten selbst. Lokale Politiker wussten um den Wert dieser Institutionen für ihre Wähler und wehrten sich gegen die Vorgaben aus Washington.

Zwei entscheidende Faktoren haben diese Dynamik nun verändert. Erstens, die unangefochtene Macht Donald Trumps über die Republikanische Partei. Seine Drohung, jeden Abweichler mit einem parteiinternen Gegenkandidaten bei der nächsten Vorwahl abzustrafen, sorgte für eiserne Disziplin. Selbst Republikaner, die den öffentlichen Rundfunk über ihre gesamte Karriere hinweg unterstützt hatten, fielen um. Zweitens, die fragmentierte Medienlandschaft des 21. Jahrhunderts. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Internet, Podcasts und Streaming-Diensten hat das Argument genährt, der öffentliche Rundfunk sei ein Relikt aus einer vergangenen Zeit und nicht mehr überlebenswichtig. Diese Annahme ignoriert jedoch, dass in vielen ländlichen Gebieten eine verlässliche Breitband- oder Mobilfunkverbindung bis heute keine Selbstverständlichkeit ist und das Radio im Notfall oft die einzige verbleibende Verbindung zur Außenwelt darstellt.

Risse im Fundament: Republikanischer Zwist und der drohende „Doom Loop“

Trotz des durchgedrückten Votums offenbart der Prozess tiefe Risse im republikanischen Fundament. Mit Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska und Susan Collins aus Maine stimmten zwei Republikanerinnen gegen die Parteilinie und begründeten dies explizit mit dem unverzichtbaren Dienst, den die Sender für ihre Wähler erbringen. Selbst der ehemalige Hardliner Newt Gingrich, der in den 90er Jahren noch die komplette Streichung forderte, räumt heute ein, dass man die kleinen, lebenswichtigen Lokalsender von den großen nationalen Netzwerken hätte trennen müssen. Die als Kompromiss ausgehandelte Notlösung für einige wenige indigene Radiosender wird von den Betroffenen selbst als „kurzfristige Halbmaßnahme“ und nicht nachhaltig abgetan. Sie deckt nur etwa die Hälfte der betroffenen Stationen ab und bietet nur eine einmalige Finanzspritze statt einer verlässlichen Perspektive.

Die unmittelbaren Folgen sind für die betroffenen Sender dramatisch. Sie reagieren mit Personalbeurlaubungen, drastischen Gehaltskürzungen für das Management und der Einstellung ganzer Programme, wie etwa eines 24-Stunden-Kinderkanals in Mississippi. Die Hoffnung, die Ausfälle durch Hörer- und Zuschauer-Spenden zu kompensieren, erweist sich als illusorisch, da die wirtschaftliche Basis in den betroffenen armen Regionen dafür schlichtweg fehlt. Experten warnen vor einem „Doom Loop“, einer Abwärtsspirale mit unvorhersehbaren Folgen. Das Scheitern einzelner Stationen erhöht den finanziellen Druck auf die verbleibenden, da weniger Sender die Kosten für die Produktion und den Erwerb von nationalen Programmen teilen können. Dies könnte eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamte, eng miteinander verflochtene System des öffentlichen Rundfunks in den USA zum Einsturz bringt. Der Sendeschluss in den ländlichen Weiten Amerikas könnte so nur der Anfang vom Ende sein. Es wäre ein Pyrrhussieg, der aus ideologischer Verblendung eine der wenigen verbliebenen Institutionen zerstört, die in einem polarisierten Land noch einen Raum für gemeinsamen Diskurs, Kultur und lebenswichtige Informationen bietet.

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