
Es ist eine Szene, die sich wie ein Riss durch das amerikanische Selbstverständnis zieht: Ein Mann, der für die US-Streitkräfte in Afghanistan sein Leben riskierte, wird in einem Einwanderungsbüro in Connecticut in Handschellen abgeführt. Ein anderer, der jahrzehntelang in den USA lebte und eine Schutzanordnung vor Abschiebung besaß, wird beim morgendlichen Spaziergang mit seinem Hund von einem Kommando Bundesagenten umstellt und verhaftet. Dies sind keine isolierten Pannen in einem überlasteten System. Sie sind Symptome einer tiefgreifenden Metamorphose, die sich im Herzen der amerikanischen Einwanderungspolitik vollzieht. Unter der Trump-Administration erleben wir nicht nur eine Verschärfung bestehender Gesetze, sondern eine fundamentale Neuausrichtung, die gezielt darauf abzielt, rechtliche Schutzmechanismen auszuhebeln und eine Realität der Angst zu schaffen. Die Politik ist zu einer Maschine geworden, die mit der kalten Effizienz von Verhaftungsquoten läuft und dabei das Vertrauen in den Rechtsstaat, internationale Verpflichtungen und das Schicksal einzelner Menschen zermahlt. Es ist die Geschichte einer Nation, die im Begriff ist, ihre eigenen Ideale zu verraten – und dabei sogar die eigenen politischen Reihen ins Wanken bringt.
Vom Verbündeten zum Verfolgten: Der Verrat an den afghanischen Helfern
Nichts entlarvt den fundamentalen Widerspruch dieser neuen Politik so sehr wie der Umgang mit jenen Afghanen, die dem amerikanischen Militär als Dolmetscher und Helfer dienten. Männer wie Zia und Sayed Naser setzten sich und ihre Familien der tödlichen Rache der Taliban aus, im Glauben an das Versprechen, für ihre Dienste Schutz in den Vereinigten Staaten zu finden. Sie folgten den offiziellen Wegen, beantragten Spezialvisa (SIV) oder Asyl und durchliefen die bürokratischen Mühlen des Systems. Doch anstatt der versprochenen Sicherheit fanden sie sich im Fadenkreuz von U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) wieder. Zia, dessen SIV-Antrag bereits bewilligt war und der mit seiner Familie in Connecticut ein neues Leben begann, wurde nach einem Routinetermin für seine Green Card festgenommen. Sayed Naser wurde Minuten nach seiner ersten Anhörung im Asylverfahren in einem Gerichtsgebäude in San Diego verhaftet.

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Diese Fälle sind, wie Anwälte und Veteranenorganisationen betonen, keine bedauerlichen Ausnahmen. Sie sind das Ergebnis einer bewussten Politik, die Programme zum Schutz afghanischer Verbündeter zurückfährt und gleichzeitig eine der größten Abschiebeoperationen der US-Geschichte anstrebt. Die Regierung, so der Vorwurf von Kritikern, definiert legale Einreise nachträglich als illegal, um ihre selbst gesetzten Verhaftungsquoten zu erfüllen. Für die Betroffenen ist es ein tiefer Vertrauensbruch. „Ich habe an euch geglaubt. Ich habe mit euch gearbeitet. […] Jetzt sitze ich in Haft – behandelt wie ein Krimineller, weil ich genau das getan habe, was man mir aufgetragen hat“, lässt Sayed Naser aus der Haft erklären. Dieser Verrat sendet ein fatales Signal an zukünftige potenzielle Verbündete der USA in Krisengebieten und ehrt, wie ein Veteran es ausdrückt, nicht das Opfer jener US-Soldaten, die ihr Leben ließen, um ebendiese Helfer zu evakuieren.
Die Bürokratie als Waffe: Wenn das Recht neu geschrieben wird
Das Fundament dieser rigorosen Politik bildet die gezielte Umdeutung und aggressive Anwendung juristischer Instrumente. Ein zentrales Werkzeug ist die „expedited removal“, ein beschleunigtes Abschiebungsverfahren, das es Beamten erlaubt, Menschen ohne eine vollständige Anhörung vor einem Einwanderungsgericht des Landes zu verweisen. Ursprünglich auf Migranten beschränkt, die nahe der Grenze und für kurze Zeit im Land aufgegriffen wurden, hat die Trump-Administration dieses Instrument auf das gesamte Land und auf Personen ausgeweitet, die sich seit bis zu zwei Jahren in den USA aufhalten. Diese Ausweitung ist ein strategischer Versuch, den massiven Rückstau von fast vier Millionen Fällen in den Einwanderungsgerichten zu umgehen und Abschiebungen massiv zu beschleunigen.
Eine Bundesrichterin in Washington D.C., Jia M. Cobb, hat diesem Vorgehen vorläufig einen Riegel vorgeschoben und geurteilt, dass das Heimatschutzministerium (DHS) seine Befugnisse überschritten hat. In ihrer Entscheidung stellte sie die fundamentale Frage, ob Menschen, die vor Unterdrückung geflohen sind, die Chance erhalten, „ihren Fall innerhalb eines Regelsystems vorzubringen“, oder ob sie stattdessen aus einem Land entfernt werden, das für sie immer mehr den Zügen jenes gleicht, dem sie zu entkommen versuchten. Die Regierung reagierte mit scharfer Kritik und bezeichnete das Urteil als „gesetzlos“. Parallel dazu wurde für bestimmte Gruppen, etwa aus Kuba oder Haiti, der legale Status der „parole“ – eine Art vorläufige humanitäre Einreiseerlaubnis – widerrufen, was Zehntausende, die legal in den USA lebten und arbeiteten, über Nacht in die Illegalität stürzte. Diese Maßnahmen offenbaren eine Strategie, die nicht auf die Anwendung, sondern auf die Aushöhlung des Rechts zielt.
Land ohne Wiederkehr: Die kalte Logik der Drittstaaten-Abschiebung
Die vielleicht radikalste und umstrittenste Neuerung ist die Praxis, Menschen in sogenannte Drittländer abzuschieben – Nationen, in denen sie niemals gelebt haben, deren Sprache sie nicht sprechen und zu denen sie keinerlei Verbindung haben. Diese Taktik, die von Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen als potenzieller Verstoß gegen internationales Recht kritisiert wird, verkehrt den ursprünglichen Sinn von Schutzgesetzen ins Gegenteil. Der Fall von Reza Zavvar ist hierfür ein erschütterndes Beispiel. Zavvar kam als 12-Jähriger aus dem Iran in die USA und lebt seit 40 Jahren dort. Nach zwei geringfügigen Marihuana-Vergehen in seiner Jugend erhielt er 2007 eine gerichtliche Anordnung, die seine Abschiebung in den Iran verhinderte, da ihm dort Gefahr drohte.
Fast 20 Jahre lang war diese Anordnung sein Schutzschild. Nun wird sie von der Trump-Administration als rechtliche Grundlage dafür genutzt, ihn nach Australien oder Rumänien zu deportieren – Länder, mit denen er keinerlei Verbindung hat. Die Logik der Regierung: Die Anordnung verbiete nur die Abschiebung in den Iran, nicht aber anderswohin. Für Einwanderungsanwälte ist dies ein beispielloser Paradigmenwechsel, der eine Schutzmaßnahme in ein Abschiebewerkzeug verwandelt. Diese Praxis wird systematisch angewendet. So wurden bereits Männer aus Vietnam, Jamaika, Kuba, Laos und dem Jemen in das kleine afrikanische Königreich Eswatini geflogen, weil ihre Heimatländer sie nicht zurücknehmen wollten. Die Regierung von Eswatini bestätigte die Aufnahme der Männer und ihre Unterbringung in isolierten Gefängniseinheiten. Dies geschieht oft ohne Vorwarnung und ohne eine „sinnvolle Möglichkeit“ für die Betroffenen, ihre Entfernung anzufechten – ein Vorgehen, das der Oberste Gerichtshof der USA der Regierung vorläufig erlaubt hat.
Das Netz wird enger: Wenn Quoten über Schicksale entscheiden
Hinter der zunehmenden Härte und der Ausweitung der Zielgruppen steht eine einfache, aber wirkungsvolle Direktive: die Erfüllung von Quoten. Die Anweisung, täglich mindestens 3.000 Verhaftungen durchzuführen, verschiebt den Fokus der Behörden. Es geht nicht mehr primär um die gezielte Suche nach gefährlichen Straftätern, sondern darum, ein numerisches Ziel zu erreichen. Die Konsequenz ist, dass immer häufiger Einwanderer ohne kriminelle Vergangenheit oder nur mit geringfügigen, lange zurückliegenden Vergehen ins Visier geraten. Die Regierung beharrt zwar auf der Rhetorik, „gefährliche kriminelle Ausländer“ zu entfernen, doch die Realität sieht anders aus. Reza Zavvars Vergehen liegen über 25 Jahre zurück. Afghanische Helfer wie Zia haben laut ihren Anwälten keine Vorstrafen.
Diese Jagd nach Zahlen führt zu Taktiken, die das Fundament des Rechtssystems erschüttern. Bewaffnete und maskierte ICE-Agenten nehmen Einwanderer fest, die zu ihren regulären Gerichtsterminen erscheinen. Diese Praxis untergräbt das Vertrauen in die Justiz und schafft einen Anreiz für Betroffene, sich dem System gänzlich zu entziehen. Die Verhaftung von Reza Zavvar, auf den die Agenten warteten, bis er mit seinem Hund das Haus verließ, zeigt eine fast militärische Planung, die in keinem Verhältnis zur angeblichen „Gefahr“ steht. Die Betroffenen selbst beschreiben das Vorgehen treffend: Es sei, „als würde man auf See nach einem bestimmten Fisch suchen, aber ein weites Netz auswerfen und einfach jede Art von Fisch einsammeln“, um sie später zu sortieren. Dieses breite Netz fängt jedoch nicht nur Fische, sondern zerreißt ganze Lebensentwürfe und Familien.
Risse im eigenen Fundament: Die Republikaner und die Angst vor dem Wähler
Die unerbittliche Härte der Abschiebepolitik beginnt, Risse im politischen Fundament der Republikanischen Partei zu erzeugen. Insbesondere hispanische Abgeordnete, die Trumps Wahlkampf und seine Versprechen zur Grenzsicherung unterstützt hatten, äußern wachsende Besorgnis. Sie fürchten, dass die mühsam erzielten Stimmengewinne bei Latino-Wählern durch die Bilder von willkürlich wirkenden Verhaftungen wieder zunichtegemacht werden könnten. Abgeordnete wie Carlos Gimenez aus Florida stellen fest, dass die Politik nun auch Menschen in ihren Wahlkreisen trifft, die seit Jahrzehnten unauffällig im Land leben, was zu wachsendem Unmut führt.
Als Reaktion versuchen einige, wie María Elvira Salazar, mit eigenen Gesetzesinitiativen gegenzusteuern. Ihr „Dignity Act“ schlägt einen legalen Status für langjährig im Land arbeitende Einwanderer ohne Vorstrafen vor – ausdrücklich keine Amnestie, sondern ein Weg zur „Würde“. Diese Vorstöße spiegeln das Dilemma wider: Einerseits unterstützen sie die harte Linie bei der Grenzsicherung, andererseits sehen sie die menschlichen und politischen Kosten der Massenabschiebungen. Doch ihre Initiativen haben einen schweren Stand. Das Weiße Haus zeigt sich desinteressiert und bekräftigt, dass es keine „Amnestie“ geben werde. Die Abgeordneten sind sich einig: Ohne ein direktes Einlenken von Donald Trump selbst wird sich der Kurs nicht ändern. So wird der interne Konflikt zu einem Seiltanz zwischen Parteidisziplin, humanitären Bedenken und der Furcht vor dem politischen Bumerang bei der nächsten Wahl.
Am Ende bleibt das Bild einer Politik, die sich von den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Vorhersehbarkeit des Rechts und der menschlichen Würde entkoppelt hat. Sie ersetzt individuelle Gerechtigkeit durch administrative Effizienz und politische Versprechen durch bürokratische Brutalität. Was als Maßnahme zur Stärkung der nationalen Sicherheit verkauft wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein System, das Vertrauen zerstört, Verbündete vor den Kopf stößt und Familien auseinanderreißt. Die Frage, die sich Amerika stellen muss, ist nicht nur, wie es seine Grenzen sichert, sondern was für eine Nation es sein will. Eine, die ihre Versprechen hält, oder eine, die sie bricht, sobald es politisch opportun erscheint.