
Die offizielle Begründung lautet Effizienz, doch die Fakten zeichnen das Bild einer ideologischen Säuberung. Unter Außenminister Marco Rubio entledigt sich das US-State-Department gezielt seiner Experten für Klima, Menschenrechte und nukleare Sicherheit. Zurück bleibt ein geschwächter diplomatischer Dienst, während Rivalen wie China ihren Einfluss ausbauen. Eine Analyse über einen beispiellosen Akt politischer Selbstbeschädigung.
Der Tag, an dem Amerikas Gesicht zur Welt zerbrach, kam mit E-Mails und Sicherheitsleuten auf den Fluren. In den Gängen des ehrwürdigen Harry S. Truman-Gebäudes, dem Hauptquartier des US-Außenministeriums in Washington D.C., umarmten sich weinende Diplomatinnen und Diplomaten, während andere ihre persönlichen Gegenstände in Kartons packten. Mehr als 1.300 Mitarbeiter, darunter Hunderte erfahrene Beamte des Auswärtigen Dienstes und zivile Angestellte, erhielten am selben Freitag ihre Kündigung. Es war der Höhepunkt einer seit Monaten schwelenden Unsicherheit, die die Moral der Belegschaft zermürbt hatte, und nun in einer Welle von Entlassungen gipfelte, die von Kritikern als beispielloser politischer Kahlschlag verurteilt wird.
Offiziell verkauft die zweite Administration unter Präsident Donald Trump diese Massenentlassung als Teil einer historischen Reorganisation. Außenminister Marco Rubio, der Architekt des Umbaus, spricht von der Notwendigkeit, eine „aufgeblähte Bürokratie“ zu verschlanken, die Innovation ersticke und Ressourcen verschwende. Immer wieder bemüht er die Anekdote eines Memorandums, das die Zustimmung von 40 Instanzen benötigte, bevor es ihn erreichte – für ihn ein Symbol absurder Schwerfälligkeit, das als universelle Rechtfertigung für den radikalen Umbau dienen muss. Doch bei genauerer Betrachtung der Fakten, die aus den Reihen ehemaliger und aktueller Diplomaten dringen, entpuppt sich die Rhetorik der Effizienz als dünner Schleier für eine tiefgreifende ideologische Neuausrichtung. Es ist keine Reform, es ist eine Demontage, die gezielt das Fundament der amerikanischen Außenpolitik der Nachkriegszeit erschüttert und das Land auf der Weltbühne zu isolieren droht.

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Mehr als nur ein Sparkurs: Die Anatomie einer Säuberung
Die Behauptung einer reinen Effizienzmaßnahme zerfällt bei der Analyse der betroffenen Abteilungen. Es sind nicht willkürlich Stellen gestrichen worden; vielmehr wurde mit chirurgischer Präzision in jenen Bereichen geschnitten, die dem „America First“-Dogma der Trump-Regierung und der persönlichen Agenda Rubios im Wege stehen. Die Entlassungen sind, so formuliert es die Gewerkschaft der Diplomaten, nicht an Verdienste oder den Auftrag des Ministeriums geknüpft, sondern lediglich an den Arbeitsort der Betroffenen innerhalb der Organisationsstruktur. Dies widerspricht fundamental dem Anspruch, einen leistungsbasierten Personalumbau durchzuführen. Ein Karrierediplomat spottete, die Vorstellung, die Regierung habe die Besten und Klügsten eingestellt, sei lachhaft und die Entwicklung ein Glücksfall für „junge und oft mittelmäßige weiße Männer“ gewesen.
Die Liste der geschlossenen oder massiv verkleinerten Büros liest sich wie eine Hitliste unliebsamer Politikfelder. Geschlossen wurde das Büro für globale Frauenangelegenheiten sowie die Programme für Diversität und Inklusion. Besonders hart getroffen wurden Experten für hochvolatile Krisenherde wie Syrien und Spezialisten für multilaterale Nukleardiplomatie und chemische Waffen. Alex Bell, ein ehemaliger Beamter des Ministeriums, warnt eindringlich, dass durch die Entlassung von Schlüsselexperten für Nuklearwaffentests und deren Verifizierung die nuklearen Bedrohungen für die USA nur zunehmen werden. Es ist eine bewusste Entscheidung, Expertise in Bereichen abzustoßen, die auf multilateraler Kooperation und Vertrauen basieren – Konzepte, die im transaktionalen Weltbild der Regierung als Belastung gelten.
Klimapolitik und Menschenrechte: Die neuen Kollateralschäden
Am deutlichsten wird der ideologische Charakter der Entlassungen bei zwei Kernthemen, die über Jahrzehnte parteiübergreifend zum Kern amerikanischer Außenpolitik zählten: Klimaschutz und Menschenrechte. Das Ministerium feuerte die letzten verbliebenen Mitarbeiter des „Office of Global Change“, jener Abteilung, die für die internationalen Klimaverhandlungen zuständig war, und schloss das Büro komplett. Dieser Schritt ist die logische Konsequenz der Politik Trumps, der die USA bereits zweimal aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen hat. Alden Meyer, ein Experte für Klimadiplomatie, analysiert den Vorgang nüchtern: Ohne dieses Büro fehle dem Ministerium ein zentraler Ankerpunkt für die Klimadiplomatie, doch genau das sei offensichtlich das politische Ziel der Regierung – die USA sollen sich aus diesem Feld komplett zurückziehen. Die USA, so Meyer, haben den Raum der internationalen Klimagespräche schlichtweg verlassen. Dieser Rückzug hinterlässt ein Vakuum, das andere Mächte füllen werden, während die USA nicht nur als einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, sondern auch als Innovationsmotor für saubere Technologien ausfallen.
Parallel dazu orchestriert Rubio die Entmachtung jener Abteilungen, die traditionell das moralische Gewissen der US-Außenpolitik verkörperten. Büros, die sich mit Menschenrechten, Demokratie, Flüchtlingen und Kriegsverbrechen befassen, werden gezielt geschwächt oder ihre Aufgaben in größeren regionalen Abteilungen untergeordnet – ein Schritt, von dem erfahrene Diplomaten sagen, er führe unweigerlich zu ihrer Abwertung. Uzra Zeya, eine ehemalige Unterstaatssekretärin unter der Biden-Regierung, deren einstiges Büro nun eliminiert wird, nannte den Tag der Entlassungen einen „glücklichen Tag für Autokraten und Kriminelle“, die nun freier agieren könnten. Ihre drastische Wortwahl spiegelt die Befürchtung wider, dass ohne die institutionelle Verankerung dieser Werte die Abwägung zwischen Interessen und Moral in der US-Außenpolitik künftig fast immer zugunsten kurzfristiger, machtpolitischer Interessen ausfallen wird.
Die Metamorphose des Marco Rubio
Besonders brisant ist die zentrale Rolle von Außenminister Marco Rubio, dessen politische Wandlung die ideologische Transformation des Ministeriums symbolisiert. Einst galt der Senator aus Florida als Verfechter von Menschenrechten und „moralischer Klarheit“ gegenüber autoritären Regimen. Viele Diplomaten, deren Jobs nun auf dem Spiel stehen, fühlen sich von ihm persönlich verraten. Seit seinem Eintritt in die Trump-Regierung hat Rubio diese Rhetorik jedoch abgelegt und drückt stattdessen seine Verachtung für „radikale Ideologen und bürokratische Intriganten“ in seinem eigenen Ministerium aus.
In einem Blogbeitrag griff er gezielt die von ihm nun aufgelösten Abteilungen an. Das Büro für Demokratie und Menschenrechte sei zu einer Plattform für linke Aktivisten verkommen, um Rachefeldzüge gegen „Anti-Woke“-Führer in Polen oder Ungarn zu führen und ihren Hass auf Israel in konkrete Politik wie Waffenembargos zu verwandeln. Das Büro für Flüchtlingsfragen, so Rubio, habe Millionen an Steuergeldern an NGOs geschleust, die Massenmigration erleichtert hätten, einschließlich der „Invasion an unserer Südgrenze“. Diese Wortwahl zeigt: Die Reorganisation ist kein neutraler Verwaltungsakt, sondern die Umsetzung einer spezifischen, trumpistischen Ideologie, die traditionelle amerikanische Werte als parteiische Projekte umdeutet und eliminiert. Rubio, der einst für das Gegenteil stand, ist nun ihr Vollstrecker.
Ein Machtvakuum mit globalen Folgen
Der massive Verlust an institutionellem Wissen und diplomatischer Erfahrung wird nach Einschätzung von Experten wie dem ehemaligen NATO-Botschafter Robert E. Hunter die Funktionsfähigkeit des State Department auf Jahre hinaus lähmen. Die Entlassungswelle trifft das Ministerium zu einer Zeit globaler Krisen, von Konflikten im Nahen Osten bis zum Krieg in der Ukraine. Demokraten im Senat und Abgeordnetenhaus warnen, dass dieser Schritt die USA handlungsunfähig mache und ihre Fähigkeit untergrabe, amerikanische Interessen zu schützen und Bürger im Ausland zu unterstützen.
Besonders alarmierend ist die Schwächung der USA im systemischen Wettbewerb mit China. Während die USA ihre diplomatische Präsenz und Expertise abbauen, baut Peking seine diplomatische Reichweite und seinen Einfluss kontinuierlich aus. Die Entscheidung, das diplomatische Korps zu dezimieren, sende ein fatales Signal an Verbündete, die auf die USA blicken, und an Rivalen, die nach Schwachstellen suchen.
Am Ende bleiben nicht nur strategische Trümmer, sondern auch menschliche Schicksale. Berichte von Mitarbeitern, die in der Elternzeit von ihrer Kündigung erfahren, oder von Angestellten, deren Ehepartner kurz zuvor eine Krebsdiagnose erhalten hatten, zeichnen ein Bild der menschlichen Kälte hinter der bürokratischen Fassade. Eine Mitarbeiterin, die an der Umsiedlung afghanischer Helfer arbeitete, berichtete, dass ihr gesamtes Führungsteam entlassen wurde, was die 250.000 wartenden Afghanen ohne staatliche Ansprechpartner zurücklässt. Diese menschliche Dimension, gepaart mit dem strategischen Schaden, wirft eine düstere, fundamentale Frage auf, die ein ehemaliger Beamter formulierte: Wie lässt sich dieser Schaden jemals reparieren und wie kann eine neue Agenda für die amerikanische Diplomatie aussehen, wenn diese Regierung eines Tages endet? Bis dahin bleibt die Welt Zeuge eines beispiellosen Rückzugs, der Amerikas Rolle und Einfluss für eine ganze Generation neu definieren könnte.