Der gefährliche Deal der Übergangszeit: Wie Trumps Schatten-Diplomatie die Ukraine an den Rand des Abgrunds drängt

Illustration: KI-generiert

In den Korridoren der Macht in Washington herrscht derzeit eine seltsame, fast fiebrige Betriebsamkeit. Es ist jene fragile Phase zwischen den Administrationen, ein politisches Niemandsland, in dem die alte Ordnung noch atmet, aber die neue bereits rücksichtslos Fakten schafft. Während die Welt offiziell noch auf den 20. Januar blickt, wird hinter den Kulissen längst an einer Neuordnung der geopolitischen Landkarte gearbeitet. Im Zentrum dieses Sturms steht ein Land, das um seine bloße Existenz kämpft: die Ukraine. Doch die Pläne, die derzeit in den Zirkeln um den designierten Präsidenten Donald Trump geschmiedet werden, gleichen weniger einer diplomatischen Friedensinitiative als vielmehr einer geschäftsmäßigen Abwicklung eines insolventen Unternehmens.

Es deutet sich ein radikaler Paradigmenwechsel an. Weg von den Prinzipien des Völkerrechts und der territorialen Integrität, hin zu einer transaktionalen Realpolitik, in der Frieden nicht als Zustand der Gerechtigkeit, sondern als Ergebnis eines Deals verstanden wird. Die Akteure, die diesen Wandel vorantreiben, sind keine erfahrenen Staatsmänner, sondern Gesandte, die die Diplomatie mit den Methoden des Immobilienmarktes betreiben. Das Ergebnis könnte ein Frieden sein, der für Kiew einem Diktat gleicht – und für Europa ein böses Erwachen bedeutet.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Die Immobilienmakler der Geopolitik: Ein neuer Stil der Diplomatie

Wer verstehen will, was derzeit geschieht, muss sich die Figuren ansehen, die Trump ins Feld schickt. Allen voran Steve Witkoff, ein langjähriger Weggefährte Trumps aus der New Yorker Immobilienbranche und nun Sondergesandter für den Ukraine-Konflikt. Seine Herangehensweise, wie sie durch geleakte Gespräche und interne Berichte an die Öffentlichkeit drang, offenbart einen Stilbruch, der in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik seinesgleichen sucht.

Es ist nicht mehr die Sprache der Allianzen oder der moralischen Verpflichtung, die hier gesprochen wird. Stattdessen erleben wir eine Art Coaching für den Aggressor. Witkoff, so legen es die Indizien nahe, agiert weniger als neutraler Vermittler, sondern fast wie ein Berater des Kremls, der Moskau Tipps gibt, wie man das Ego des kommenden US-Präsidenten streichelt, um einen Deal zu ermöglichen. In diesen Gesprächen geht es nicht primär um Sicherheitsarchitekturen oder menschliches Leid, sondern um die Psychologie eines einzigen Mannes: Donald Trump. Den Russen wird signalisiert, welche Knöpfe sie drücken müssen, um Wohlwollen zu erzeugen. Es ist die Reduktion komplexer geopolitischer Konflikte auf die Ebene persönlicher Sympathien und Eitelkeiten.

Dieses Vorgehen birgt ein immenses Risiko. Wenn Diplomatie zur bloßen Beziehungspflege verkommt, werden harte strategische Interessen weichgespült. Die Gefahr besteht darin, dass die US-Verhandler in ihrem Eifer, einen schnellen Erfolg zu präsentieren – den „Deal des Jahrhunderts“ –, die eigentliche Natur ihres Gegenübers verkennen. Wladimir Putin ist kein Geschäftspartner, der nach einem fairen Kompromiss sucht. Er ist ein autokratischer Herrscher mit imperialem Anspruch, der jede Geste des Entgegenkommens nicht als Einladung zur Einigung, sondern als Zeichen der Schwäche interpretiert.

Moskau spielt auf Zeit – und rüstet auf

Während in Washington und Mar-a-Lago über Einfrierungslinien und Händedrücke phantasiert wird, schafft Moskau kalte Fakten. Die Annahme, Putin sehne sich nach einem gesichtswahrenden Ausweg, den ihm Trump nun auf dem Silbertablett servieren könnte, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gefährliche Illusion. Der Kreml nutzt das politische Vakuum in den USA nicht zur Mäßigung, sondern zur Eskalation.

Militärische Aufklärungsergebnisse deuten darauf hin, dass Russland sein Raketenarsenal massiv aufstockt. Es werden Vorräte angelegt, die nicht auf ein baldiges Schweigen der Waffen hindeuten, sondern auf die Vorbereitung verheerender Schläge. Diese Strategie der „Raketenhortung“ dient einem simplen Zweck: Die Verhandlungsposition durch Terror zu maximieren. Bevor man sich an einen Tisch setzt, soll die Ukraine so weit in die Knie gezwungen werden, dass sie gar keine andere Wahl hat, als jede Bedingung zu akzeptieren.

Putin spielt dabei ein doppeltes Spiel. Einerseits signalisiert er Gesprächsbereitschaft, um die Friedenssehnsucht im Westen zu bedienen und die Unterstützung für Kiew zu untergraben. Andererseits stellt er Maximalforderungen, die auf eine faktische Kapitulation der Ukraine hinauslaufen. Er weiß, dass die Zeit – zumindest kurzfristig – auf seiner Seite ist, solange der Westen in seiner Haltung schwankt. Die Hoffnung auf eine persönliche „Männerfreundschaft“ mit Trump, die den Krieg beendet, ist für Putin lediglich ein weiteres taktisches Werkzeug in seinem asymmetrischen Krieg gegen die westliche Ordnung.

Der Koloss auf tönernen Füßen: Risse in der russischen Fassade

Doch hinter der Maske der Stärke verbergen sich Risse, die in der aktuellen Debatte oft übersehen werden. Die russische Kriegswirtschaft, die nach außen hin so robust wirkt, zeigt Symptome der Überdehnung. Berichte aus Regionen wie der Republik Sacha (Jakutien) zeichnen das Bild eines Staates, der zunehmend Schwierigkeiten hat, seine eigenen Rechnungen zu begleichen. Wenn Soldzahlungen an die Frontkämpfer ausbleiben oder verzögert werden, ist das ein Warnsignal erster Güte.

Es zeigt, dass der Krieg Ressourcen verschlingt, die selbst ein rohstoffreiches Land wie Russland nicht unbegrenzt nachschießen kann. Die soziale Stabilität in den entlegenen Provinzen, aus denen ein Großteil des Kanonenfutters rekrutiert wird, ist fragil. Dies wäre eigentlich der Hebel, den eine kluge westliche Diplomatie nutzen müsste: Den wirtschaftlichen Druck aufrechterhalten, bis die Kosten des Krieges für den Kreml untragbar werden.

Stattdessen droht der Ansatz des Trump-Teams, diesen Druck genau im falschen Moment zu lockern. Ein eingefrorener Konflikt, begleitet von einer möglichen Aufhebung von Sanktionen oder einer Normalisierung der Beziehungen, wäre für Putin wie ein rettender Kredit kurz vor dem Bankrott. Es würde ihm erlauben, seine marode Wirtschaft zu stabilisieren, seine Armee neu zu formieren und die internen Risse zu kitten, nur um zu einem späteren Zeitpunkt erneut zuzuschlagen.

Kiews Albtraum: Das Gespenst des Thanksgiving-Ultimatums

Für die Ukraine ist die aktuelle Situation der Stoff, aus dem nationale Albtraume sind. Die Gerüchte über ein „Thanksgiving-Ultimatum“, wonach die US-Hilfen eingestellt würden, sollte Kiew nicht an den Verhandlungstisch kommen, wirken wie Gift für die Moral der Truppe und der Bevölkerung. Es ist die ultimative Angst vor dem Verrat: Dass das Land, das man als Bollwerk der Freiheit gegen die Tyrannei verteidigt hat, plötzlich zur Verhandlungsmasse degradiert wird.

Präsident Wolodymyr Selenskyj steht vor einem unmöglichen Dilemma. Akzeptiert er unter amerikanischem Druck Gebietsabtretungen – sei es offiziell oder durch ein faktisches Einfrieren der Frontlinien –, begeht er politischen Selbstmord. Die ukrainische Gesellschaft, die unermessliche Opfer gebracht hat, würde einen solchen „Diktatfrieden“ kaum akzeptieren. Lehnt er ab und die USA drehen den Geldhahn zu, droht der militärische Kollaps.

Die von Trumps Umfeld ins Spiel gebrachten „Sicherheitsgarantien“ klingen in ukrainischen Ohren hohl. Ohne eine NATO-Mitgliedschaft, die in den aktuellen Plänen explizit ausgeschlossen oder auf die lange Bank geschoben wird, ist die Ukraine weiterhin in einer Grauzone der Unsicherheit gefangen. Das Land hat mit dem Budapester Memorandum bereits schmerzhafte Erfahrungen mit papiernen Versprechen gemacht. Ein Einfrieren des Konflikts ohne den harten Schutzschirm der Allianz wäre keine Garantie für Frieden, sondern lediglich eine Pause bis zum nächsten russischen Angriff. Die Ukraine würde zu einem Rumpfstaat verkommen, wirtschaftlich kaum lebensfähig ohne die industriellen Zentren im Donbas und den Zugang zu den Häfen, und permanent bedroht von einem Nachbarn, der seine Vernichtung nicht aufgegeben hat.

Europa am Katzentisch: Die Angst vor dem Alleingang

Während Washington und Moskau sich möglicherweise annähern, steht Europa im Regen. Die Frustration in den europäischen Hauptstädten ist greifbar. Man fühlt sich „cut out“, übergangen, nicht mehr als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen, sondern als Zuschauer, der später die Rechnung begleichen darf. Der transatlantische Faden, der über Jahrzehnte die Sicherheitsarchitektur des Westens hielt, droht zu reißen.

Die europäischen Partner erkennen spät, vielleicht zu spät, dass sie ihre Sicherheit nicht länger an die Launen der amerikanischen Wählerschaft binden können. Es ist ein schmerzhafter Reifeprozess. Als Reaktion auf die drohende Marginalisierung versucht die EU nun hektisch, das Ruder herumzureißen. Neue legislative Maßnahmen werden auf den Weg gebracht, um die eigene Verteidigungsindustrie zu stärken und tiefere Verflechtungen mit dem ukrainischen Rüstungssektor einzugehen.

Es geht um finanzielle Hilfen, um gemeinsame Beschaffung, um den Versuch, eine autonome europäische Abschreckung aufzubauen. Doch Rüstungsprojekte brauchen Jahre, Diplomatie aber braucht Antworten in Tagen. Die Lücke, die ein Rückzug der USA hinterlassen würde, kann Europa kurzfristig weder militärisch noch finanziell vollständig füllen. Dennoch ist dieser Schritt alternativlos. Wenn Washington bilaterale Deals mit Moskau anstrebt, muss Europa zum geopolitischen Akteur werden, der eigene Hebel in Bewegung setzt – sei es durch wirtschaftliche Macht oder durch die langfristige Bindung der Ukraine an den europäischen Binnenmarkt und Sicherheitsstrukturen.

Der fatale Präzedenzfall: Wenn Grenzen verhandelbar werden

Die Auswirkungen dessen, was sich derzeit anbahnt, reichen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus. Sollte sich der Ansatz durchsetzen, dass ein Aggressor durch militärische Gewalt Grenzen verschieben kann und anschließend durch internationale Verträge dafür belohnt wird, ist die Weltordnung, wie wir sie seit 1945 kennen, Geschichte.

Ein solcher Deal wäre ein Signal an jeden Autokraten weltweit. Peking beobachtet sehr genau, wie der Westen auf den Krieg in der Ukraine reagiert. Wenn die Lektion lautet, dass man nur lange genug durchhalten und nukleare Drohungen ausstoßen muss, bis der Westen einknickt, dann sind Taiwan und andere potenzielle Krisenherde in akuter Gefahr. Die Völkerrechtsordnung basiert auf dem Prinzip, dass territoriale Integrität unverletzlich ist. Wird dieses Prinzip zugunsten eines schnellen „Deals“ geopfert, öffnen wir die Büchse der Pandora.

Zudem schaffen wir historische Parallelen, die uns schaudern lassen sollten. Die Geschichte lehrt uns, dass Abkommen, die über die Köpfe souveräner Staaten hinweg geschlossen werden – man denke an München 1938 oder die Einflusssphären-Logik von Jalta –, selten dauerhaften Frieden bringen. Sie kaufen Zeit auf Kosten der Freiheit anderer, nur um später in noch größeren Katastrophen zu münden.

Das Trugbild der Männerfreundschaft

Ein zentrales Element der Trump’schen Diplomatie ist der Glaube an die Macht persönlicher Beziehungen. Trump hat wiederholt betont, dass seine gute Beziehung zu Putin der Schlüssel zur Lösung sei. Doch diese Sichtweise verkennt die strukturelle Natur des Konflikts. Es geht nicht um Missverständnisse zwischen zwei Männern, die bei einem Steak-Dinner ausgeräumt werden können. Es geht um diametral entgegengesetzte Staatsinteressen und Weltbilder.

Russland unter Putin definiert seine Sicherheit durch die Unsicherheit seiner Nachbarn und die Schwächung des Westens. Kein persönlicher Charme, kein noch so freundschaftliches Telefonat wird Putin von diesem strategischen Ziel abbringen. Im Gegenteil: Die russische Propaganda nutzt die Avancen aus dem Trump-Lager bereits genüsslich aus, um die eigene Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der Westen schwach, gespalten und moralisch bankrott sei.

Fazit: Ein Frieden auf Abruf

Wir stehen an einem kritischen Wendepunkt. Der Versuch, den Krieg in der Ukraine durch einen schnellen, schmutzigen Deal zu beenden, mag verlockend klingen für jene, die kriegsmüde sind oder den Konflikt als störendes Rauschen im Wahlkampf empfinden. Doch der Preis für diese Art von „Frieden“ wäre astronomisch.

Er würde die Ukraine verstümmeln und in eine dauerhafte Zone der Instabilität verwandeln. Er würde Europa spalten und die NATO als Garanten der Sicherheit entwerten. Und er würde Russland nicht befrieden, sondern ermutigen. Militärexperten warnen eindringlich: Ein Einfrieren an den aktuellen Frontlinien verschafft Russland lediglich die Atempause, die es dringend braucht, um seine Verluste auszugleichen und die nächste Offensive vorzubereiten.

Die scheidende Biden-Administration versucht in den verbleibenden Wochen verzweifelt, so viele Fakten wie möglich zu schaffen, um die Position der Ukraine zu festigen („Trump-proofing“). Doch gegen den Willen des neuen Präsidenten sind diese Möglichkeiten begrenzt.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Schüssen. Ein echter Frieden muss gerecht sein und Sicherheit garantieren. Der Deal, der sich derzeit am Horizont abzeichnet, verspricht nichts davon. Er ist ein Glücksspiel mit dem Schicksal einer Nation und der Stabilität eines ganzen Kontinents – gespielt von Männern, die glauben, Weltpolitik funktioniere wie ein Immobiliengeschäft in Manhattan. Doch in der Geopolitik gibt es keine Insolvenzverschleppung. Die Rechnungen, die wir heute nicht bezahlen, kommen morgen zurück – und der Zins wird in Blut entrichtet.

Nach oben scrollen